Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Kündigung
Orientierungssatz
Zur hier fehlenden Sozialwidrigkeit einer wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochenen Kündigung (Anwendungsfall der ständigen Rechtsprechung).
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 30.01.1991; Aktenzeichen 2 Sa 82/90) |
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 13.09.1990; Aktenzeichen 1 Ca 181/90) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten.
Der am 12. Juli 1950 geborene Kläger war seit dem 6. Februar 1978 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Der Kläger ist verheiratet und hat zwei unterhaltspflichtige Kinder. Seine Ehefrau ist berufstätig. Der Bruttolohn des Klägers betrug zuletzt ca. 4.000,-- DM monatlich.
Die Beklagte stellt u.a. sog. Raumfachwerke und Profile her und montiert diese. Der Kläger war zunächst ca. 10 Jahre im Außendienst auf Montage tätig. Danach wurde er in der Fertigung für Raumfachwerke und Profile eingesetzt. Hier beschäftigte die Beklagte zuletzt noch acht Arbeitnehmer bei einer Gesamtbelegschaft von mehr als 30 Arbeitnehmern (Angestellte und Arbeiter).
Der Kläger war in der Vergangenheit wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. In den Jahren 1985 bis 1989 traten folgende Ausfallzeiten auf:
1985 insgesamt 132 Arbeitstage
1986 insgesamt 51 Arbeitstage
1987 insgesamt 99 Arbeitstage
1988 insgesamt 55 Arbeitstage
1989 insgesamt 131 Arbeitstage
Nach nicht bestrittenem Vortrag der Beklagten handelte es sich dabei im wesentlichen um Kurzerkrankungen von einem bis fünf Arbeitstagen, gelegentlich auch um längere Zeiträume.
Die Beklagte hatte aufgrund dieser Fehlzeiten folgende Lohnfortzahlungskosten aufzubringen:
1985 insgesamt 3.854,64 DM
1986 insgesamt 4.472,24 DM
1987 insgesamt 3.617,52 DM
1988 insgesamt 9.097,72 DM
1989 insgesamt 7.358,42 DM
Die Ausfallzeiten gingen auf unterschiedliche Krankheitsursachen zurück, und zwar nach eigenen Angaben des Klägers auf Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und vor allem auch auf Magengeschwüre.
1990 war der Kläger am 15./16. Februar und sodann wieder ab 21. März erkrankt. Mit Schreiben vom 29. März 1990 kündigte die Beklagte daraufhin das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1990. Hiergegen hat der Kläger am 4. April 1990 Kündigungsschutzklage erhoben.
Nach Ausspruch der Kündigung nahm der Kläger einen Arztwechsel vor. Der ihn jetzt behandelnde Arzt Dr. S ist Arzt für Psychiatrie. Der Kläger wurde auf Veranlassung seines jetzigen Arztes für ca. zwei Monate in der Neurologischen Universitätsklinik in T beobachtet und anschließend von Dr. S weiterbehandelt. Unter dem 2. Oktober 1990 stellte Dr. S folgendes Attest aus:
"Herr M leidet seit Jahren an einer chronisch
rezidivierenden psychosomatischen Erkrankung.
Durch ambulante medikamentöse und stationäre The-
rapie konnte die Arbeitsfähigkeit wieder herge-
stellt werden. Die psychophysische Belastbarkeit
des Patienten ist jedoch noch etwas herabgesetzt.
Wegen einer leichten neurologischen Störung soll-
te der Patient keinesfalls bei Tätigkeiten einge-
setzt werden, bei denen er schwindelfrei sein
müßte. Der Patient sollte auch keine Arbeiten
verrichten, bei denen er andauernd stehen muß,
ohne die Möglichkeit sich zu setzen zu haben.
Wegen der eingeschränkten psychophysischen Be-
lastbarkeit sollte der Patient vorerst nur bei
leichteren Arbeiten eingesetzt werden."
Der Kläger hält die Kündigung für sozialwidrig. Er hat behauptet, die krankheitsbedingten Ausfälle seien zurückzuführen auf einen Arbeitsunfall aus dem Jahr 1982. Er habe damals erhebliche Kopfverletzungen erlitten und sei fünf Minuten lang bewußtlos gewesen. Seither habe er Probleme mit mehr oder weniger gravierenden Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen. Hinzugekommen seien dann Magengeschwüre. Er habe sich einer Reihe von Untersuchungen in verschiedenen Kliniken unterzogen. Es seien zwei Computer-Tomogramme ohne konkreten Befund aufgenommen worden. Außerdem seien insgesamt 15 Magenspiegelungen und eine Darmspiegelung durchgeführt worden. Der Kläger hat zunächst vorgetragen, es bestehe wohl eine Art "Teufelskreis" in der Weise, daß von den Kopfverletzungen neurologische Störungen geblieben seien, welche sich auf den Magen auswirkten; die Ausfallzeiten führten zu Ärger im Betrieb, der dann wiederum Magenprobleme hervorrufe; die Ärzte schienen im Augenblick auch nicht recht weiterzuwissen. Nach dem Arztwechsel hat der Kläger vorgetragen, sein jetziger Arzt sehe behandlungsbedürftige psychologische Probleme als Krankheitsursachen an; die Prognose sei aber positiv. Aufgrund der während seines bis Mitte August 1990 dauernden Aufenthaltes in der Neurologischen Klinik T erstellten Diagnose habe Dr. S ihn auf ein anderes Medikament umgestellt. Diese Behandlung habe dazu geführt, daß er ab 4. Oktober 1990 wieder arbeitsfähig sei.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die vorgetragene Besserung seiner gesundheitlichen Situation müsse bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung Berücksichtigung finden. Es könne nicht allein auf den Kündigungszeitpunkt abgestellt werden. Er habe schon in der Vergangenheit alles getan, um zu einer Wiederherstellung seiner Gesundheit zu kommen. Wenn die Ärzte die wahren Ursachen nicht erkannt hätten, könne ihm das nicht angelastet werden. An dem Wissensdefizit zum Zeitpunkt der Kündigung treffe ihn kein Verschulden, wenn dies allerdings auch für die Beklagte in gleicher Weise gelte.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die von der Beklagten mit
Schreiben vom 29. März 1990 zum 30. September
1990 ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhält-
nisses der Parteien rechtsunwirksam ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat den vom Kläger behaupteten Arbeitsunfall in 1982 bestritten. Es sei aus 1982 nur ein Arbeitsunfall vermerkt, bei dem der Kläger sich angeblich bei Wegnahme einer Betonplatte den Daumen verrenkt habe; dieser Unfall habe Arbeitsunfähigkeit vom 1. bis 5. März 1982 zur Folge gehabt.
Die Beklagte hat weiter vorgetragen, aufgrund der häufigen und hohen Ausfallzeiten des Klägers in der Vergangenheit sei zum Zeitpunkt der Kündigung mit entsprechenden Ausfällen in Zukunft zu rechnen gewesen. Die angeblich eingetretene positive gesundheitliche Entwicklung könne nicht berücksichtigt werden, weil sie erst durch einen nach Ausspruch der Kündigung vorgenommenen Arztwechsel und eine geänderte Behandlung sowie Medikamentation bewirkt worden sei. Insoweit sei ein neuer Kausalverlauf eingetreten. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt sei der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Damals sei eine positive Entwicklung nicht vorauszusehen gewesen, wie der Kläger in seinem ersten Schriftsatz selbst eingeräumt habe.
Im übrigen hat die Beklagte bestritten, daß aufgrund der Behandlung durch Dr. S tatsächlich eine Wende eingetreten sei. Das Attest vom 2. Oktober 1990 zeige vielmehr, daß der Kläger für die Arbeit in der Produktion nicht arbeitsfähig sei. Diese könne nur im Stehen ausgeführt werden. Andere Arbeitsplätze stünden für den Kläger nicht zur Verfügung.
Die im Zeitpunkt der Kündigung zu erwartende Fortsetzung der häufigen und hohen Ausfälle wegen Krankheit hätten von ihr nicht länger hingenommen werden können. Sie sei innerhalb der letzten Monate vor der Kündigung zur Rationalisierung und Auflösung einer Produktionsabteilung gezwungen gewesen. Im Zuge dieser Maßnahmen sei das Personal in der Fertigung reduziert worden. Angesichts von nur noch acht Arbeitnehmern in der Raumfachwerk- und Profilproduktion sei es sehr viel schwieriger geworden, auf die häufigen Kurzerkrankungen des Klägers zu reagieren, zumal auch keine Personalreserve gehalten werde. Sie habe die übernommenen Aufträge fristgerecht auszuführen. Für den Fall der Fristüberschreitung drohten häufig hohe Konventionalstrafen, da in diesem Fall der gesamte Bau ins Stocken gerate.
Es sei auch mit weiteren hohen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen gewesen, was ihr angesichts der schon in der Vergangenheit getragenen Belastungen gleichfalls nicht weiter zumutbar gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. A. Das Landesarbeitsgericht hat - ausgehend von den Grundsätzen der Senatsrechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung - seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Häufigkeit und Dauer der Erkrankungen des Klägers in den Jahren 1985 bis 1989 rechtfertigten im Zeitpunkt der Kündigung die Annahme ähnlich hoher Fehlzeiten aufgrund häufiger Kurzerkrankungen auch in Zukunft. Diese negative Prognose werde nicht durch das Vorbringen des Klägers erschüttert, nach dem nach Kündigungszugang erfolgten Arztwechsel und neuen Untersuchungen, die zu einer Änderung der Diagnose und der Behandlung geführt hätten, sei eine Besserung des Gesundheitszustandes zu erwarten. Maßgebender Zeitpunkt der Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung sei derjenige ihres Zugangs beim Gekündigten. Dies gelte grundsätzlich auch für die vom Arbeitgeber bei einer krankheitsbedingten Kündigung anzustellende Gesundheitsprognose. Erst nach Zugang der Kündigung eingetretene weitere Umstände, welche sich auf die Entwicklung des Gesundheitszustandes auswirken könnten, seien nicht zu berücksichtigen, sofern ein neuer Kausalverlauf in Gang gesetzt worden sei. Um einen solchen handele es sich vorliegend. Die vom Kläger behauptete Aussicht auf eine Besserung seines Gesundheitszustandes habe sich erst aufgrund des Arztwechsels ergeben, zu dem er sich nach Zugang der Kündigung entschlossen habe.
Die im Zeitpunkt der Kündigung zu erwartenden Ausfallzeiten führten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Dies gelte schon deshalb, weil die Beklagte mit neuen außergewöhnlich hohen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen gehabt habe, wie namentlich die für 1988 und 1989 erwachsenen Aufwendungen zeigten. Die betrieblichen Interessen würden aber auch dadurch erheblich beeinträchtigt, daß sich die Zahl der in der Produktion Beschäftigten auf acht Arbeitnehmer verringert habe und die Beklagte keine Personalreserve vorhalte, wie sie unwidersprochen vorgetragen habe. Zwar müsse sich ein Arbeitgeber darauf einrichten, daß Arbeitnehmer immer wieder einmal krankheitsbedingt ausfielen. Dies gelte aber nicht für Fehlzeiten infolge häufiger Kurzerkrankungen, die im Jahresdurchschnitt 30 Arbeitstage überstiegen. Es liege auf der Hand, daß solche Fehlzeiten bei nur noch acht Arbeitnehmern kaum mehr aufgefangen werden könnten. Da die Beklagte übernommene Aufträge fristgerecht ausführen müsse und ihr für den Fall der Fristüberschreitung häufig hohe Konventionalstrafen drohten, würden ihre betrieblichen Interessen auch dadurch in unzumutbarer Weise beeinträchtigt.
Die Interessenabwägung schließlich ergebe, daß der Beklagten die Hinnahme solcher betrieblicher Belastungen nicht weiter zumutbar sei.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. 1. Bei der Frage, ob eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Sie kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (BAGE 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG; BAGE 42, 151, 157 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II der Gründe; BAG Urteil vom 30. Mai 1985 - 2 AZR 321/84 - AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II der Gründe; BAG Urteil vom 28. Februar 1990 - 2 AZR 401/89 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 b aa der Gründe).
2. Nach nunmehr ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. zusammenfassend Senatsurteil vom 6. September 1989 - 2 AZR 118/89 - AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) ist die Sozialwidrigkeit einer wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers in drei Stufen zu prüfen.
a) Zunächst ist eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müssen objektive Tatsachen vorliegen, welche die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen.
b) Die prognostizierten Fehlzeiten sind dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigung ist Teil des Kündigungsgrundes. Hierbei kommen zwei Arten von Beeinträchtigungen in Betracht:
aa) Wiederholte kurzfristige Ausfallzeiten des Arbeitnehmers können zu erheblichen Störungen im Produktionsprozeß führen (Betriebsablaufstörungen). Sie sind unter diesem Aspekt nur dann als Kündigungsgrund geeignet, wenn sie nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können. Hierzu gehören Maßnahmen, die anläßlich des konkreten Ausfalls eines Arbeitnehmers ergriffen werden, aber auch der Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer Personalreserve. Werden auf diese Weise Ausfälle überbrückt oder könnten sie überbrückt werden, so liegt bereits objektiv keine Betriebsablaufstörung und damit kein zur sozialen Rechtfertigung geeigneter Grund vor. Ist eine Betriebsablaufstörung mit den geschilderten Mitteln nicht zu vermeiden, so gehört zum Kündigungsgrund weiter, daß die Störung erheblich ist.
bb) Als Kündigungsgrund kann auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers geeignet sein. Davon ist auch auszugehen, wenn für die Zukunft mit immer neuen, außergewöhnlich hohen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen ist, die für jährlich jeweils einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind. Dabei ist nur auf die Kosten dieses Arbeitsverhältnisses abzustellen.
c) Liegt nach den vorstehenden Grundsätzen eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, so ist in einer dritten Stufe im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen sind. Hierbei ist allgemein insbesondere zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob bzw. wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ferner das Alter und der Familienstand des Arbeitnehmers.
Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht seiner Würdigung zugrunde gelegt und frei von Rechtsfehlern angewandt.
II. Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise eine negative Gesundheitsprognose bejaht.
1. Das Landesarbeitsgericht hat aus Häufigkeit und Dauer der Erkrankungen des Klägers in den Jahren 1985 bis 1989 geschlossen, auch künftig sei aufgrund häufiger Kurzerkrankungen mit ähnlich hohen Ausfallzeiten zu rechnen. Für eine ungünstige Prognose spreche auch die Art der Krankheiten, nämlich Magengeschwüre, Kopfschmerzen und Schwindelanfälle.
2. Bei der Bewertung, ob diese Umstände ausreichen, die Annahme künftiger erheblicher Fehlzeiten zu rechtfertigen, steht dem Tatsachenrichter im Rahmen der §§ 144, 286 ZPO ein Ermessensspielraum zu. In der Revisionsinstanz kann nur nachgeprüft werden, ob der Ermessensrahmen für die aus Fehlzeiten abgeleitete Prognose eingehalten worden ist (Senatsurteil vom 5. Juli 1990 - 2 AZR 154/90 - AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 a der Gründe).
Dieser Spielraum ist nicht überschritten. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen (Senatsurteil vom 6. September 1989 - 2 AZR 118/89 - AP, aaO; BAGE 43, 129 = AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Die unstreitigen Ausfallzeiten des Klägers in den Jahren 1985 bis 1989 waren durchgängig hoch mit zuletzt steigender Tendenz. Der Kläger hat noch in der Klageschrift selbst vorgetragen, es sei eine große Empfindlichkeit des Magens gegeben und es bestehe ein "Teufelskreis" in der Weise, daß der durch Ausfallzeiten verursachte Ärger im Betrieb sich wiederum auf die Magenproblematik niederschlage und zu erneuten Erkrankungen führe; die Ärzte schienen im Augenblick auch nicht weiter zu wissen.
Wenn das Landesarbeitsgericht vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis gekommen ist, aus der Sicht des Kündigungszeitpunktes sei mit einer Fortsetzung der krankheitsbedingten Ausfälle in unverändertem Umfang zu rechnen gewesen, entspricht das offensichtlich der damaligen Würdigung des Klägers selbst.
An diese negative Prognose ist der Senat gemäß § 561 ZPO gebunden. Die Revision rügt zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe es unterlassen, Feststellungen über die Dauer der jeweiligen Erkrankung im einzelnen und ihre Ursachen zu treffen. Das Landesarbeitsgericht ist von den unstreitigen jährlichen Gesamtausfalltagen ausgegangen und davon, daß es sich um häufige Kurzerkrankungen gehandelt habe. Die Beklagte hatte bereits erstinstanzlich vorgetragen, es habe sich im wesentlichen um Erkrankungen zwischen einem und fünf Arbeitstagen gehandelt, gelegentlich sei der Kläger auch über einen längeren Zeitraum erkrankt gewesen. Dem ist der Kläger zu keinem Zeitpunkt in den Tatsacheninstanzen entgegengetreten. Das Landesarbeitsgericht konnte diesen Vortrag dahin würdigen, die Summe der Krankentage in den Jahren 1985 bis 1989 setze sich im wesentlichen aus Ausfallzeiten von ein bis fünf Arbeitstagen zusammen.
Unstreitig sind weiter die vom Kläger selbst benannten wesentlichen Krankheitsursachen, nämlich Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und Magengeschwüre.
Dieser Sachverhalt reicht auch ohne weitere datenmäßige Festlegung der Krankheitszeiten im einzelnen unter Zuordnung zu einer jeweiligen Krankheitsursache aus, die Prognose weiterer häufiger Kurzerkrankungen - nämlich im wesentlichen ein bis fünf Tage - aus den in Betracht kommenden Krankheitsursachen zu rechtfertigen. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts zur Negativprognose beruht daher auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage.
III. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Behauptung des Klägers unberücksichtigt gelassen, sein Gesundheitszustand habe sich nach dem erfolgten Arztwechsel gebessert.
1. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung ist ihr Zugang beim Gekündigten. Dies gilt grundsätzlich auch für die vom Arbeitgeber bei einer krankheitsbedingten Kündigung anzustellende Gesundheitsprognose. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann jedenfalls dann nicht berücksichtigt werden, wenn sie auf einem neuen Kausalverlauf beruht, der erst nach dem Kündigungszeitpunkt eingetreten ist. Dies kann beispielweise eine vom Arbeitnehmer zuvor abgelehnte Operation oder eine Therapie oder eine Änderung der bisherigen Lebensführung sein, zu der sich der Arbeitnehmer bisher nicht bereitgefunden hatte. Maßgebend ist, daß bei einem neuen Kausalverlauf die weitere tatsächliche Krankheitsentwicklung keine Indizien gegen die objektive Richtigkeit der zum Kündigungszeitpunkt erstellten Prognose begründet. Deshalb ist es auch unerheblich, ob der neue Kausalverlauf durch subjektiv vom Arbeitnehmer beeinflußbare Umstände ausgelöst wurde oder durch außerhalb seines Einflußbereichs liegende Umstände, wie z.B. die Entwicklung oder das Bekanntwerden einer neuen Heilmethode oder die Anwendung eines schon bekannten, aber vom behandelnden Arzt nicht erwogenen Heilmittels erst nach Ausspruch der Kündigung (Senatsurteil vom 5. Juli 1990 - 2 AZR 154/90 - AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 c aa der Gründe).
2. Der erst nach Zugang der Kündigung vorgenommene Arztwechsel des Klägers, der zu einer neuen Therapie geführt hat, stellt eine neue Ursache in diesem Sinne dar, welche bei der Gesundheitsprognose nicht berücksichtigt werden kann. Der Kläger hat selbst vorgetragen, seine Behandlung sei auf eine ganz neue Basis gestellt worden insoweit, als psychosomatische Krankheitsursachen diagnostiziert worden seien und er entsprechend medikamentös behandelt werde. Dies ist eine gegenüber der bisherigen Behandlung neue, bei Ausspruch der Kündigung nicht vorhersehbare Entwicklung. Der Kläger hatte noch in der Klageschrift mitgeteilt, die (ihn bis dahin behandelnden) Ärzte schienen im Moment auch nicht recht weiter zu wissen.
Daß den Kläger insoweit kein persönlicher Vorwurf trifft, kann nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Die Frage des für die Prognose maßgeblichen Zeitpunktes sowie der zu berücksichtigenden oder auszuklammernden nachträglichen Entwicklung kann nur nach objektiven Kriterien und nicht unterschiedlich nach subjektiver Vorwerfbarkeit beantwortet werden (s. Senatsurteil vom 5. Juli 1990, aaO). Entscheidend ist, daß im Zeitpunkt der Kündigung selbst die Ärzte - wie der Kläger zunächst vorgetragen hat - nicht weiterzuwissen schienen. Wenn ihn an diesem Wissensdefizit kein Verschulden traf, muß der Kläger doch auch einräumen, dies gelte für die Beklagte in gleicher Weise. Aus ihrer Sicht bestand erst recht keine Möglichkeit, eine positive Änderung vorauszusehen.
Die sich nach Darlegung des Klägers jetzt abzeichnende mögliche gesundheitlich positive Entwicklung beruht also auf einem Kausalverlauf, welcher erst nach Zugang der Kündigung einsetzte. Das Landesarbeitsgericht hat ihn daher zu Recht für die Beurteilung als nicht mehr verwertbar ausgeschlossen. Ob dem Attest des Dr. S vom 2. Oktober 1990 die vom Kläger behauptete Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu entnehmen ist, konnte das Landesarbeitsgericht daher offenlassen und kann auch hier dahingestellt bleiben.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auch die Besorgnis erheblicher Betriebsablaufstörungen bejaht.
1. Es hat darauf abgestellt, angesichts der Reduzierung der Produktionsabteilung auf acht Mitarbeiter sei es praktisch nicht mehr möglich, einen häufig fehlenden Arbeitnehmer zu vertreten. Damit seien aber auch erhebliche Betriebsablaufstörungen zu erwarten, zumal die Beklagte fristgebundene Aufträge ausführen müsse und häufig Konventionalstrafen drohten.
2. Diese Feststellung wird von der Revision zu Unrecht gerügt. Sie geht zurück auf die entsprechenden Behauptungen der Beklagten, welchen der Kläger wiederum weder in der ersten noch in der zweiten Instanz entgegengetreten ist. Das Landesarbeitsgericht konnte sie daher gem. § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig zugrunde legen. Der Senat ist an die insoweit getroffenen Feststellungen gebunden.
Wenn das Landesarbeitsgericht auf dieser Grundlage erhebliche Betriebsablaufstörungen prognostiziert hat, hält es sich damit gleichfalls in dem dem Tatsachenrichter zustehenden Beurteilungsspielraum. Solche Störungen liegen bei den betrieblichen Gegebenheiten der Beklagten in der Tat "auf der Hand", wie das Berufungsurteil ausführt. Auf die Frage, ob nicht auch die zu erwartenden Lohnfortzahlungskosten zu erheblichen Betriebsstörungen geführt hätten, kommt es bei dieser Sachlage insoweit nicht mehr entscheidend an.
V. Schließlich ist auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten der Beklagten abgewogen, diese müsse mit Lohnfortzahlungskosten rechnen, welche die bereits entstandenen überstiegen, weil der Kläger erst 40 Jahre alt sei - zu verstehen also in dem Sinne, daß angesichts der bisherigen Krankheitsentwicklung mit zunehmenden Alter eher noch höhere Ausfallzeiten und damit entsprechend höhere Kosten entstehen könnten. Dies ist ein in die Interessenabwägung einzubeziehender Gesichtspunkt. Das Landesarbeitsgericht konnte weiter zugunsten der Beklagten berücksichtigen, daß das Arbeitsverhältnis in mindestens fünf von 12 Jahren und damit während eines nicht unerheblichen Zeitraumes durch hohe Ausfallzeiten gestört war.
Soweit die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe keine Feststellungen zu den Krankheitszeiten in den Jahren 1978 bis 1984 getroffen, ändert das am Ergebnis nichts. Das Landesarbeitsgericht hat für seine Würdigung diese Zeiträume weder zu Gunsten noch zu Lasten des Klägers gewertet. Es hat die Störungen in den letzten fünf Jahren für sich als ausreichend angesehen, eine erhebliche Belastung der Beklagten zu bejahen. Dies ist vertretbar. War der Kläger also in den Jahren 1978 bis 1984 nicht erkrankt - wogegen sein eigener Vortrag spricht, nach dem er seit 1982 unter Krankheiten litt - ändert sich im Ergebnis nichts. War er auch in dieser Zeit häufiger erkrankt, würde dies die Wertung des Landesarbeitsgerichts nur noch bestätigen.
Das Landesarbeitsgericht hat weiter zur Recht in die Interessenabwägung zugunsten des Klägers die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und seinen Familienstand einbezogen. Wenn es trotzdem den Interessen der Beklagten an der Auflösung das höhere Gewicht beigemessen hat, ist dies durch den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum gedeckt.
Das Landesarbeitsgericht hat schließlich auch für den Senat bindend festgestellt, ein zunächst behaupteter Zusammenhang mit einem Betriebsunfall bestehe nicht, nachdem der Kläger diesen Vortrag selbst nicht weiterverfolgt habe. Hiergegen hat die Revision keine Rüge erhoben.
VI. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und die auf ihrer Grundlage vorgenommene Würdigung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung sind daher weder materiellrechtlich noch verfahrensrechtlich zu beanstanden. Sie halten sich in dem vom Revisionsgericht nicht überprüfbaren Beurteilungs- und Bewertungsspielraum. Die Revision ist mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Hillebrecht Bitter Dr. Rost
Timpe Nipperdey
Fundstellen
Haufe-Index 437751 |
EEK, II/205 (ST1-2) |