Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsunmöglichkeit
Leitsatz (amtlich)
- Die krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, kann als personenbedingter Kündigungsgrund den Arbeitgeber nach § 1 KSchG zur ordentlichen Kündigung berechtigen.
- Fehlt dem Gericht selbst die erforderliche Fachkunde, ob bei einer Küchenhilfskraft eine Wirbelsäulenerkrankung auf Dauer zur Leistungsunmöglichkeit führt, so ist zur Klärung dieser Frage in der Regel das Gutachten eines Arbeitsmediziners einzuholen.
Normenkette
KSchG § 1; BPersVG §§ 72, 79
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 31.05.1989; Aktenzeichen 7 Sa 884/88) |
ArbG München (Urteil vom 16.06.1988; Aktenzeichen 11 Ca 1902/88) |
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 31. Mai 1989 – 7 Sa 884/88 – aufgehoben.
- Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist seit dem 17. November 1986 als Küchenhilfskraft an der P… schule … für Bautechnik in München beschäftigt, und zwar unter Eingruppierung in die Lohngr. VII des Manteltarifvertrages für Arbeiter des Bundes, was einer Vergütung von 2.017,-- DM brutto monatlich entspricht. Ausweislich der für ihn maßgeblichen Tätigkeitsdarstellung ist er für die “Erledigung aller anfallenden Küchenarbeiten zur Vor- und Zubereitung sowie Ausgabe der Teilmahlzeiten der … verpflegung” zuständig, wobei in einem zeitlichen Umfang von 10 Stunden pro Woche “die Körperkräfte außerdordentlich beansprucht werden” durch den “Transport von Geschirr und Speisebehältern” sowie das “Reinigen des Schwarzgeschirrs”. Bei seiner Einstellung ist der Kläger durch den Angestellten S… und die Inspektorin P… ausdrücklich darauf hingewiesen worden, er müsse eventuell vorhandene Krankheiten angeben; er werde mit schweren Arbeiten betraut und müsse deshalb völlig gesund sein. Dazu unterschrieb der Kläger am 17. November 1986 folgende Erklärung:
Es ist mir nicht bekannt, daß ich an körperlichen Gebrechen oder Krankheiten leide, die eine ordnungsgemäße Erledigung der mir künftig übertragenen Arbeiten beeinträchtigen oder meine persönliche Gefährdung oder die meiner Mitarbeiter zur Folge haben könnten.
Am 25. Mai 1987 klagte der Kläger über Kreuzbeschwerden und Kopfschmerzen, legte als dann die Arbeit nieder und wurde anschließend bis 28. Juni 1987 arbeitsunfähig krank geschrieben. Er war ferner in der Zeit vom 1. bis 7. September 1987, vom 29. Januar bis 9. Februar 1988 und vom 13. März bis 31. März 1988 arbeitsunfähig erkrankt. Ende Juni 1987 legte der Kläger ein ärztliches Attest des Dr. B… vor, das folgenden Wortlaut hat:
Obengenannter Patient steht wegen eines WS-Syndroms in ständiger Behandlung bei mir. Tätigkeiten im Laden, in Verbindung von Heben schwerer Lasten sowie häufiges Bücken, sind dem Patienten nicht zumutbar, da mit einer wesentlichen Verschlimmerung gerechnet werden muß.
In der Folgezeit versuchte die Beklagte zu klären, seit wann der Kläger wegen der genannten Beschwerden in ärztlicher Behandlung stehe; nach Angaben des Klägers war sein behandelnder Arzt nicht bereit, eine Bescheinigung über den Beginn der Behandlung zu erstellen (vgl. Aktenvermerk der Beklagten vom 23. September 1987). Gemäß Schreiben vom 15. Januar 1988 wurde dem Personalrat der Beschäftigungsdienststelle folgendes mitgeteilt:
Die S… München beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis mit o.g. Arbeiter ordentlich mit Ablauf des 31. März 1988 zu kündigen. Der Grund dafür liegt in den gesundheitlichen Einschränkungen des Herrn Edjz, die eine Weiterbeschäftigung als Küchenhilfskraft, wofür er eingestellt wurde, nicht zulassen.
Der Personalrat erhob ausweislich seines Schreibens vom 26. Januar 1988 keine Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung. Mit Schreiben vom 28. Januar 1988 – dem Kläger am 9. Februar 1988 zugegangen – kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 31. März 1988, und zwar mit folgender Begründung:
Der Grund hierfür liegt in Ihren gesundheitlichen Einschränkungen, die im Gegensatz zu Ihrer Erklärung bei der Einstellung stehen, Sie würden an keinerlei körperlichen Gebrechen oder Krankheiten leiden. die die ordnungsgemäße Erledigung der Ihnen übertragenen Aufgaben beeinträchtigen. Eine Verwendung als Küchenhilfskraft, wofür Sie eingestellt wurden, ist nicht mehr möglich.
Mit seiner am 22. Februar 1988 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.
Er hat behauptet, bei der Einstellung beschwerdefrei gewesen zu sein; erstmals Mitte 1987 habe sich unter dem Druck der schweren Arbeit, d.h. beim Heben und Transportieren von Großküchengeschirr sowie Speisebehältern eine bis dahin nicht erkannte Vorschädigung verschlimmert. Die bisherige Tätigkeit könne er längerfristig in der Tat nicht mehr ausüben, die Beklagte könne ihn jedoch als K… wärter weiterbeschäftigen; ihm sei vom Personalrat erklärt worden, daß diese Tätigkeit zum einen nicht so körperlich anspruchsvoll wie die des Küchenarbeiters sei, zum anderen würden K… wärter laufend gesucht, u.a. in der B…. Der Kläger hat das Vorliegen einer arglistigen Täuschung bei der Einstellung bestritten: Er sei davon ausgegangen, die unterzeichnete Erklärung vom 17. November 1986 erfüllen zu können; er bestreite auch, vor seiner Einstellung wegen Rückenbeschwerden in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein; er entbinde seinen Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht. Aus einer später eingetretenen Änderung seines Gesundheitszustandes könne nicht auf den Zeitpunkt der Einstellung zurückgeschlossen werden. Auch aus seinen Krankheitszeiten ergebe sich nichts für eine Ungeeignetheit, die versprochenen Dienste zu leisten, zumal die Beklagte nicht dargelegt habe, daß die Erkrankungen ausschließlich im Zusammenhang mit dem Wirbelsäulensyndrom stünden.
Der Kläger hat beantragt,
- es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28. Januar 1988 nicht aufgelöst ist,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn, den Kläger, bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag geltend gemacht, ausweislich des vom Kläger selbst vorgelegten Attestes vom 22. Juni 1987 sei er für die vertraglich ausbedungene Tätigkeit ungeeignet. Sie, die Beklagte, brauche eine leistungsfähige Küchenhilfskraft, während der Kläger nicht mehr dazu in der Lage sei, die körperlich schweren Arbeiten zu verrichten. Er sei für eine Tätigkeit als Küchenhilfskraft aus gesundheitlichen Gründen ungeeignet; dasselbe gelte für eine Tätigkeit als … wärter, für die es dem Kläger auch an den notwendigen handwerklichen Fähigkeiten fehle.
Angesichts des jetzigen ärztlichen Befundes wäre der Kläger gar nicht eingestellt worden; er habe falsche Angaben in der schriftlichen Erklärung vom 17. November 1986 gemacht und sie arglistig getäuscht, denn er habe bereits vor der Einstellung von seinem schweren Wirbelsäulenschaden gewußt. Der Kläger sei auch schon vor der Einstellung wegen Rückenbeschwerden in ärztlicher Behandlung gewesen. Aufgrund des Attestes, der vom Kläger selbst geäußerten Klagen und der Arbeitsunfähigkeitszeiten stehe fest, daß er außerstande sei, die schwere Tätigkeit als Küchenhilfskraft auszuführen (Beweis: Aussage des behandelnden Arztes, Sachverständigengutachten). Dies gelte umsomehr, als der Kläger selbst erklärt habe, die Arbeiten als Küchenhilfe längerfristig nicht ausüben zu können. Eine Umsetzung des Klägers sei nicht möglich, auch sei keine freie Stelle vorhanden.
Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt und im wesentlichen zur Begründung ausgeführt, das vorgelegte Attest und die Krankheitszeiten des Klägers ließen keinerlei zwingenden Schluß auf eine objektive Ungeeignetheit des Klägers für die von ihm zu erbringende Arbeit zu; es liege auch allein in der Entscheidungskompetenz eines Arbeitnehmers, ob er sich in seinem Beruf gesundheitlich gefährden wolle oder nicht. Aufgrund dieses Urteils wird der Kläger von der Beklagten weiterbeschäftigt. Das Landesarbeitsgericht hat die von der Beklagten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des landesarbeitsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits, weil der Senat nicht abschließend entscheiden kann, ob aufgrund der beim Kläger festgestellten Wirbelsäulenerkrankung eine so starke Minderung seiner Verwendungsfähigkeit als Küchenhilfskraft festzustellen ist, daß ein personenbedingter Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG vorliegt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Zwar habe die Beklagte eine krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit des Klägers, die als personenbedingter Kündigungsgrund in Betracht komme, behauptet aber nicht bewiesen. Denn die Kammer sei davon überzeugt, daß eine krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht vorliege, weil er seit dem angefochtenen Urteil des Arbeitsgerichts die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Küchenhilfskraft ohne Einschränkung erbringe; dem gegenüber sei das vorgelegte ärztliche Attest bedeutungslos und die von der Beklagten beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich. Es gebe auch keine sonstigen Anhaltspunkte für die Annahme, daß jedenfalls zum Zeitpunkt der strittigen Kündigung eine krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit vorgelegen habe. Wenn der Kläger im Gütetermin eingeräumt habe, jedenfalls auf Dauer die vertraglich geschuldete Arbeit als Küchenhilfskraft nicht leisten zu können, so sei dies entscheidungsunerheblich, weil die soziale Rechtfertigung der strittigen Kündigung eine krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Kündigung voraussetzen würde, so daß die zukünftige Leistungsfähigkeit des Klägers auf sich beruhen könne. Zwar sei der Arbeitgeber berechtigt, das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer zu kündigen, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für ihn eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung mit sich bringe. Davon könne jedoch auch im Hinblick auf das vorgelegte ärztliche Attest nicht ausgegangen werden, denn dessen Zweck habe offensichtlich darin bestanden, die Arbeitsbedingungen des Klägers mit Rücksicht auf seine Gesundheit nach Möglichkeit zu erleichtern; infolgedessen könne das Attest nicht als Beweis für eine ganz besonders schwerwiegende Gefährdung der Gesundheit des Arbeitnehmers angesehen werden, die die Kündigung sozial rechtfertige. Auf jeden Fall schließe die einschränkungslose Verrichtung der vertraglich geschuldeten Arbeit des Klägers seit dem angefochtenen Urteil des Arbeitsgerichts eine solche Gefährdung aus, so daß es auch insoweit keiner Einholung eines Sachverständigengutachtens bedürfe.
Die von der Beklagten behaupteten arglistigen Täuschungen bei Vertragsschluß seien entscheidungsunerheblich, weil der Personalrat hierzu gemäß §§ 72, 79 BPersVG nicht gehört worden sei. Im übrigen könne auch deshalb von einer arglistigen Täuschung durch den Kläger über seine Leistungsfähigkeit nicht ausgegangen werden, weil eine solche aus den dargelegten Gründen nicht vorliege.
II. Dem kann weder im Ergebnis noch in der Begründung gefolgt werden.
1. Die Revision rügt zu Recht eine Verletzung formellen und auch materiellen Rechts, indem sie beanstandet, ihr Beweisantritt auf Vernehmung des behandelnden Arztes und Einholung des Gutachtens eines Arbeitsmediziners, daß der Kläger zur Zeit der Kündigung aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung im Wirbelsäulenbereich nicht mehr in der Lage sei, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Küchenhilfskraft zu erfüllen, sei zu Unrecht übergangen und der daraus folgende personenbedingte Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 2 KSchG unrichtig gewürdigt worden.
a) Die Kündigung ist allerdings nicht schon deshalb – wie die Revision meint – sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), weil der Kläger die Beklagte bei Vertragsschluß über eine ihm seinerzeit bekannte gesundheitliche Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit getäuscht haben soll. Die Beklagte hat hierauf die Kündigung ausweislich ihres Schreibens vom 18. Januar 1988 zunächst nicht gestützt; sie hat dies vielmehr erst im Laufe des Prozesses als Kündigungsgrund nachgeschoben. Dazu hat das Landesarbeitsgericht ohne durchgreifende Rüge der Beklagten zu Recht entschieden, mit diesem Sachverhalt – unterstellt man ihn zunächst einmal als richtig und erheblich – sei die Beklagte ausgeschlossen, weil sie den Personalrat dazu nicht angehört habe (§§ 72, 79 BPersVG). Das entspricht der in arbeitsrechtlicher Rechtsprechung und Literatur herrschenden Meinung, wobei die zu § 102 BetrVG ergangene Rechtsprechung auch für die §§ 72, 79 BPersVG gilt (vgl. BAGE 34, 309 = AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972; 35, 190 = AP Nr. 23, aaO; Urteile vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – AP Nr. 39, aaO und vom 8. September 1988 – 2 AZR 103/88 – AP Nr. 49, aaO; vom 5. Februar 1981 – 2 AZR 1135/78 – AP Nr. 1 zu § 72 LPVG NW, zu II 2 der Gründe, mit Anm. von Meisel; KR-Etzel, 3. Aufl., §§ 72, 79, 108 BPersVG Rz 47; KR-Wolf, 3.Aufl., Grunds. Rz. 602 ff.; KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 185, m.w.N.).
Die Revision führt hierzu aus, der Personalrat sei auf sämtliche Tatsachen hingewiesen worden, auch auf das Einstellungsgespräch. Sie versäumt es aber, in einer nach § 554 Abs. 3 Ziff. 3 ZPO deutlichen Form (vgl. dazu BAGE 13, 340, 344 = AP Nr. 37 zu § 233 ZPO; BAG vom 7. Oktober 1987 – 5 AZR 116/86 – AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu V 1 der Gründe) sich mit der Argumentation des Landesarbeitsgerichts auseinanderzusetzen, aus dem an den Personalrat gerichteten Anhörungsschreiben vom 15. Januar 1988 ergebe sich gerade, daß der Personalrat zu diesem Kündigungsgrund (Täuschung bei Vertragsschluß) nicht angehört worden sei. An anderer Stelle der Revisionsbegründung (S. 16) argumentiert die Beklagte, bei den “im Rahmen des Verfahrens aufgetauchten Täuschungshandlungen des Klägers” hätte der Personalrat nicht eingeschaltet werden können, zumal er bereits endgültig entschieden habe. Wie sie damit einräumt, ist der Personalrat zu dem nachgeschobenen Kündigungsgrund gerade nicht angehört worden. Dies wäre aber nach der Rechtsprechung des Senats auch dann erforderlich gewesen, wenn der Beklagten tatsächlich erst später im Laufe des Prozesses der bereits zur Zeit der Kündigung vorliegende Kündigungsgrund “Täuschungshandlung bei Vertragsschluß” bekannt geworden wäre (vgl. Senatsurteil vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – AP Nr. 39, aaO). Die Beklagte hätte dann den Personalrat nachträglich zu diesem Kündigungsgrund anhören müssen, was ersichtlich nicht geschehen ist.
Es braucht deshalb nicht mehr erörtert zu werden, ob der Kündigungsgrund “Täuschungshandlung” überhaupt substantiiert vorgetragen ist. Das gilt auch für den neuen Revisionsvortrag, im Rahmen des Verfahrens seien Täuschungshandlungen des Klägers aufgetaucht, der im übrigen schon nach § 561 ZPO nicht berücksichtigt werden kann.
b) Was das Vorliegen der von der Beklagten behaupteten gesundheitlichen Einschränkung des Klägers zur Ableistung der geschuldeten Tätigkeit angeht, sind die Revisionsrügen jedoch berechtigt.
aa) Bei der Frage, ob eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, weil personenbedingte Gründe vorliegen, handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (BAGE 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG; BAGE 42, 151, 157 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II der Gründe; BAG Urteil vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II der Gründe). Selbst unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Beurteilungsspielraums kann das Urteil keinen Bestand haben.
bb) Der Senat hat in den Urteilen vom 21. Februar 1985 (2 AZR 72/84 – unveröffentlicht), vom 30. Januar 1986 (– 2 AZR 668/84 – NZA 1987, 555, 556) und vom 10. Dezember 1987 (– 2 AZR 515/87 – unveröffentlicht), ausgeführt, die krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, berechtige den Arbeitgeber zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hierbei handele es sich nicht um eine Kündigung wegen Leistungsminderung infolge Krankheit, sondern um eine Kündigung wegen dauernder Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Sei das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis auf Dauer erheblich gestört, weil mit immer neuen beträchtlichen Fehlzeiten und entsprechenden Lohnfortzahlungen zu rechnen sei, könne eine Kündigung sozial gerechtfertigt sein, weil dann die wirtschaftlichen Belastungen unter dem Gesichtspunkt einer ganz erheblichen Störung des Austauschverhältnisses von nicht absehbarer Dauer die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen könnten. Bei einem Arbeitsverhältnis, bei dem feststehe, daß der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen könne, sei schon aus diesem Grunde das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört; die auf das jeweilige Arbeitsverhältnis bezogene unzumutbare betriebliche Beeinträchtigung bestehe darin, daß der Arbeitgeber damit rechnen müsse, der Arbeitnehmer sei auf Dauer außerstande, die von ihm geschuldete Leistung zu erbringen. Vom Fehlen einer betrieblichen Beeinträchtigung könne nur ausgegangen werden, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers überhaupt keinen Wert hätte; einen solch ungewöhnlichen Ausnahmetatbestand, der voraussetzen würde, der Arbeitgeber beschäftige überflüssige Arbeitnehmer, müsse der Arbeitnehmer vortragen. Bei dauernder Unfähigkeit des Arbeitnehmers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, liege die erhebliche betriebliche Beeinträchtigung auf der Hand. In diesem Falle bestehe kein schützenswertes Interesse des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber daran zu hindern, mit der Tätigkeit des Arbeitnehmers, der außerstande sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, auf Dauer einen anderen Arbeitnehmer zu beauftragen (vgl. dazu für den Fall eines Bandscheibenleidens: Urteil des LAG Frankfurt am Main vom 29. April 1983 – 13 Sa 1243/82 – BB 1984, 1163).
cc) Diese vom Senat aufgestellten Rechtsgrundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, indem es die durch das Attest des Dr. B… vom 22. Juni 1987, die vorgetragenen eigenen Beschwerden des Klägers, seine Krankheitszeiten und sein Eingeständnis, die bisherige Tätigkeit längerfristig nicht mehr ausüben zu können, indizierte Leistungsunfähigkeit mit der rechtsfehlerhaften Argumentation relativiert hat, aufgrund der beanstandungsfreien Tätigkeit des Klägers seit dem erstinstanzlichen Urteil vom 16. Juni 1988 könne die behauptete Minderung der Leistungsfähigkeit nicht als erwiesen angesehen werden. Damit wird zum einen für die Beurteilung des Kündigungsgrundes auf den (angeblichen) Gesundheitszustand weit nach Zugang der Kündigung abgestellt, ohne zu prüfen, ob nicht insoweit ein neuer Kausalverlauf eingetreten ist, obwohl Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes die Zeit des Kündigungszugangs ist (vgl. BAGE 40, 361, 367 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I 1 der Gründe; 42, 151, 168 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu C II der Gründe; Urteile vom 15. August 1984 – 7 AZR 536/82 – AP Nr. 16 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu III 2 der Gründe und vom 9. April 1987 – 2 AZR 210/86 – AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu III 3, 4 der Gründe; KR-Becker, 3. Aufl. § 1 KSchG Rz 156; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 1 Rz 75). Zum anderen kommt das Landesarbeitsgericht zu der fehlerhaften Annahme, zum Zeitpunkt der Kündigung, auf den es an dieser Stelle des Urteils also selbst abstellt, hätten keine Anhaltspunkte für eine krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit, d.h. richtiger: für die Unmöglichkeit (das Unvermögen) zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung vorgelegen. Tatsächlich lag aber Anfang Februar 1988 das Attest vom 22. Juni 1987 vor, der Kläger hatte im Mai 1987 über Rückenbeschwerden und Kopfschmerzen geklagt, er war im Jahre 1987 41 Arbeitstage erkrankt und zur Zeit der Kündigung erneut arbeitsunfähig (vom 29. Januar bis 9. Februar 1988) ebenso wie nach Ausspruch der Kündigung innerhalb der Kündigungsfrist vom 13. bis 31. März 1988. Der Kläger hatte zudem anläßlich der Güteverhandlung vom 12. April 1988 zu dem Attest erklärt, er könne die bisherige Tätigkeit längerfristig in der Tat nicht mehr ausüben. Damit hat das Landesarbeitsgericht wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen und außerdem hinsichtlich des Beurteilungszeitpunkts widersprüchlich argumentiert.
Obwohl die Revision die Vorschrift des § 286 ZPO als solche nicht ausdrücklich bezeichnet hat, liegt insoweit eine berechtigte formelle Rüge vor, weil das Landesarbeitsgericht den Beweisantritten zum Nachweis der behaupteten Leistungsminderung nicht nachgegangen ist und damit § 286 ZPO verletzt hat. Zwar weist die Revision nicht exakt Schriftsatz und Seitenzahl ihres zweitinstanzlichen Vorbringes zur Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens nach (vgl. dazu u.a. BAG = 13, 340 = AP Nr. 37 zu § 233 ZPO; siehe auch oben unter II 1a); dies ergab sich aber im Streitfall als die einzige Beweismöglichkeit der Beklagten mit hinreichender Deutlichkeit aus ihrem gesamten Vorbringen in allen drei Instanzen.
Diese formelle Rüge ist auch gerechtfertigt, weil das Berufungsgericht eine eigene Sachkunde zu der in erster Linie medizinischen Frage betreffend das Vorliegen einer aufgrund einer Wirbelsäulenerkrankung möglicherweise eingetretenen Leistungsunmöglichkeit nicht dargelegt hat und das Berufungsurteil eine solche auch nicht erkennen läßt (vgl. dazu BAG Urteile vom 20. Oktober 1970 – 2 AZR 497/69 – AP Nr. 4 zu § 286 ZPO; vom 10. Mai 1978 – 5 AZR 15/77 – AP Nr. 3 zu § 7 LohnFG, zu 3 der Gründe; BGHZ 64, 86, 100; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., § 286 Anm. 3 C; Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO, 19. Aufl., vor § 402 Rz 30, 31). Die ärztliche Empfehlung vom 22. Juni 1987 ging dahin, aufgrund eines WS-Syndroms sei dem Kläger das Heben schwerer Lasten und Bücken, wie es unstreitig für die ihm obliegenden Küchenreinigungsarbeiten erforderlich ist, nicht zumutbar, da anderenfalls mit einer wesentlichen Verschlimmerung gerechnet werden müsse. Eine eigene Sachkunde, warum bei einer Weiterarbeit eine solche Verschlimmerung nicht eintreten werde, hat das Landesarbeitsgericht nicht für sich in Anspruch genommen. Es hätte deshalb diese Frage nicht selbst beantworten dürfen.
Selbst wenn der Kläger nach dem erstinstanzlichen Urteil unter Hintanstellung gesundheitlicher Bedenken bei der Beklagten weitergearbeitet hat, durfte die Beklagte, worauf das Landesarbeitsgericht in kritischer Würdigung der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts zutreffend hinweist, aufgrund ihrer Fürsorgepflicht – wie schon § 618 BGB belegt – nicht tatenlos zusehen, daß möglicherweise auch noch die vom Arzt prognostizierte wesentliche Verschlimmerung eines Krankheitszustandes beim Kläger eintrat.
c) Die festgestellten Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts würden sich allerdings auf seine Entscheidung nicht auswirken, d.h. das Urteil würde auf ihnen nicht beruhen, wenn der Kläger angesichts der unstreitigen Wirbelsäulenerkrankung, deren Ausmaß und Auswirkungen für die geschuldete Arbeit noch nicht feststehen, ohnehin vor einer Kündigung auf einem anderen Arbeitsplatz hätte weiterbeschäftigt werden können. Nach der Rechtsprechung des Senats (BAGE 47, 26 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969; BAG Urteil vom 10. Dezember 1987 – 2 AZR 515/87 – unveröffentlicht, zu B I 3 der Gründe) muß der Arbeitgeber nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten.
Die Beklagte hat jedoch vorgetragen, es stehe für den Kläger kein freier Arbeitsplatz zur Verfügung, der dem ärztlichen Attest vom 22. Juni 1987 gerecht werde; die Stelle eines … wärters sei nicht frei, abgesehen davon, daß es dem Kläger dafür mangels Vorbildung an den notwendigen handwerklichen Fähigkeiten fehle und daß angesichts der einschlägigen Tätigkeitsbeschreibung auch hierfür das Heben von schweren Lasten und Bücken verbunden mit schweren körperlichen Tätigkeiten notwendig sei.
Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten, wie es erforderlich gewesen wäre (vgl. BAG Urteil vom 5. August 1976 – 3 AZR 110/75 – AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Im Gegenteil: Er hat dazu ausweislich des Protokolls beim Arbeitsgericht München vom 12. April 1988 erklärt, dies – nämlich schwere körperliche Arbeit des … wärters – sei möglich. Er hat dies schriftsätzlich noch dahin verdeutlicht, ein laut Buchstabe g) der Tätigkeitsbeschreibung vom … wärter verlangte Wegräumen von Bauschutt könne er nicht über einen längeren Zeitraum verrichten. Auch hat er vorgetragen, da größere Reparaturaufträge durch Fachfirmen erledigt würden, werde seine eingeschränkte Verwendungsfähigkeit nicht ins Gewicht fallen. Damit hat er die von der Beklagten behauptete, auch fachlich eingeschränkte Verwendungsfähigkeit eingeräumt. Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet, dem Kläger bei teilweise gesundheitlichen und teilweise auch noch fachlich bedingten Einschränkungen der Verwendungsfähigkeit einen … wärterposten zuzuweisen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob ein solcher überhaupt frei war, was die Beklagte unter Beweisantritt bestritten hatte.
2. War aber eine andere Verwendungsmöglichkeit für den Kläger bei der Beklagten nicht vorhanden, so beruht die angefochtene Entscheidung auf den oben behandelten Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb durch eine Beweisaufnahme mit Hilfe des Gutachtens eines Arbeitsmediziners – ggf. auch der Vernehmung des den Kläger behandelnden Arztes – zu klären haben, ob beim Kläger aufgrund der Wirbelsäulenerkrankung zur Zeit der Kündigung eine so starke Minderung seiner Verwendungsfähigkeit, d.h. Unmöglichkeit zur dauernden Arbeitsleistung festzustellen ist, daß er für die Tätigkeit als Küchenhilfskraft für die von ihm zu erbringenden Arbeiten nicht mehr weiter einsetzbar war. Dabei mag seine – angeblich ohne gesundheitliche Auswirkungen erfolgte – spätere Tätigkeit (aufgrund des Weiterbeschäftigungsurteils) eine indizielle Wirkung neben anderen Indizien entfalten können; allein ausschlaggebend darf sie aber nicht sein.
Unterschriften
Hillebrecht, Triebfürst, Bitter, Dr. Kirchner, Rupprecht
Fundstellen
NJW 1990, 2953 |
JR 1990, 528 |
RdA 1990, 254 |