Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltschutz bei Mitgliedern des Betriebsrats - Benachteiligungsverbot
Orientierungssatz
1. Die geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung eines tariflichen Zusatzurlaubes und einer Altersfreizeit im Umfang von 2,5 Stunden wöchentlich sind nicht dem Entgeltbereich zuzuordnen. Sie betreffen Ansprüche des Arbeitnehmers auf Befreiung von der vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung des Entgelts unberührt lassen.
2. Der Anspruch des Betriebsratsmitglieds folgt jedoch aus § 78 Satz 2 BetrVG. Danach darf ein Betriebsratsmitglied - auch hinsichtlich seiner beruflichen Entwicklung - wegen seiner Amtstätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden. Diese Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts über das darin geregelte Benachteiligungsverbot hinaus dem Betriebsrat eine berufliche Entwicklung zukommen zu lassen, wie sie ohne Freistellung verlaufen wäre.
Tenor
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits
zu tragen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Gewährung von Altersfreizeit und Zusatzurlaub.
Der im Juni 1941 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 1959 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag (MTV) für die Chemische Industrie vom 24. Juni 1992 in der Fassung vom 19. Dezember 1996 Anwendung. Nach § 2 a Nr. 1 MTV erhalten Arbeitnehmer nach Vollendung des 57. Lebensjahres eine 2 1/2stündige Altersfreizeit je Woche. Arbeitnehmer, die voll- oder teilkontinuierlich in Wechselschicht arbeiten, steht dieser Anspruch bereits ab Vollendung des 55. Lebensjahres zu, § 2 a Nr. 3 MTV. Darüber hinaus erhalten Arbeitnehmer, die im Urlaubsjahr überwiegend in vollkontinuierlicher Wechselschichtarbeit eingesetzt und deshalb regelmäßig nach ihrem Schichtplan Sonntagsarbeit leisten müssen, einen Zusatzurlaub von drei Urlaubstagen, § 12 Abs. 2 MTV.
Der Kläger arbeitete bis 1982 in teilkontinuierlicher Wechselschicht auf der Grundlage eines Dreischichtsystems in einer Steuerwarte, ehe er als Betriebsratsmitglied von der Arbeitsleistung freigestellt wurde. Seit dem verrichtet er seine Betriebsratstätigkeit im Rahmen der für Angestellte geltenden Arbeitszeit. Im September 1995 führte die Beklagte im früheren Tätigkeitsbereich des Klägers eine vollkontinuierliche Schicht während sieben Tagen in der Woche mit der Verpflichtung zur Arbeitsleistung an 26 Sonntagen ein. Die Beklagte vergütete den Kläger entsprechend den vergleichbaren, in vollkontinuierlicher Wechselschicht eingesetzten Arbeitnehmer. Sie verweigerte ihm die Gewährung von Zusatzurlaub und Altersfreizeit ab Vollendung des 55. Lebensjahres.
Das Landesarbeitsgericht hat den auf die Gewährung von Zusatzurlaub ab 1996 und eine wöchentliche Altersfreizeit von 2,5 Stunden gerichteten Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten. Nachdem der Kläger während des Revisionsverfahrens das 57. Lebensjahr vollendet hatte und sich nunmehr in Altersteilzeit befindet, haben die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits waren nach § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO der Beklagten aufzuerlegen. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands hätte die Revision der Beklagten keinen Erfolg gehabt, auch wenn das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht rechtsfehlerfrei ist.
1. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts kann der Anspruch des Klägers auf Zusatzurlaub und Altersfreizeit nicht auf § 37 Abs. 4 BetrVG gestützt werden. Danach darf das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Diese Vorschrift dient dem Schutz des Arbeitsentgelts (BAG 13. November 1987 - 7 AZR 550/86 - AP § 37 BetrVG 1972 Nr. 61). Das Betriebsratsmitglied soll so gestellt werden, als ob es im Betrieb weitergearbeitet und keine Amtstätigkeit ausgeübt hätte (GK-Wiese BetrVG 6. Aufl. § 37 Rn 103; Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 19. Aufl. § 37 Rn. 92; Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 37 Rn. 77).
Die geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung eines tariflichen Zusatzurlaubes und einer Altersfreizeit im Umfang von 2,5 Stunden wöchentlich sind nicht dem Entgeltbereich zuzuordnen. Sie betreffen Ansprüche des Arbeitnehmers auf Befreiung von der vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung des Entgelts unberührt lassen (BAG 13. Mai 1982 - 6 AZR 360/80 - AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 4, st. Rspr.).
Auf die Entscheidung des Sechsten Senats vom 8. Oktober 1981 (- 6 AZR 81/79 - AP BAT § 49 Nr. 2) kann sich das Landesarbeitsgericht zur Begründung seiner Rechtsauffassung nicht berufen. Zwar wird darin der Anspruch auf Zusatzurlaub dem Entgeltschutz des § 37 Abs. 4 BetrVG zugeordnet. Diese Entscheidung beruht jedoch auf der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum einheitlichen Entgelt- und Freistellungscharakter von Urlaubsansprüchen. Diese Rechtsauffassung ist seit der Entscheidung vom 13. Mai 1982 überholt.
2. Der Anspruch des Klägers folgt jedoch aus § 78 Satz 2 BetrVG. Danach darf ein Betriebsratsmitglied - auch hinsichtlich seiner beruflichen Entwicklung - wegen seiner Amtstätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden. Diese Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts über das darin geregelte Benachteiligungsverbot hinaus dem Betriebsrat eine berufliche Entwicklung zukommen zu lassen, wie sie ohne Freistellung verlaufen wäre (BAG 15. Januar 1992 - 7 AZR 194/91 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 84; st. Rspr.). Das dient dem Schutz der inneren Unabhängigkeit und soll bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern deren Bereitschaft fördern, sich für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben von ihrer beruflichen Tätigkeit freistellen zu lassen. Auf entsprechende Maßnahmen des Arbeitgebers hat das Betriebsratsmitglied einen unmittelbaren Anspruch.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wäre der Kläger entsprechend den vergleichbaren Arbeitnehmern in seinem früheren Tätigkeitsbereich in vollkontinuierlicher Schicht tätig und auch an Sonntagen eingesetzt worden. Er hätte demnach bei einem Verbleib in seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit ohne seine Freistellung nach § 38 BetrVG die Voraussetzungen für die Gewährung von Zusatzurlaub und Altersfreizeit ab Vollendung des 55. Lebensjahres erfüllt. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es unerheblich, daß der Kläger wegen seiner Freistellung den Erschwernissen vollkontinuierlicher Schichtarbeit nicht ausgesetzt war.
Dörner
SteckhanSchmidt Niehues
Hökenschnieder
Fundstellen