Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvergütung für Fahrzeiten
Normenkette
Manteltarifvertrag Nr. 14 für Angestellte des Bayerischen Roten Kreuzes vom 18. Februar 1991 (MTV Nr. 14)
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 10.03.1993; Aktenzeichen 3 Sa 591/92) |
ArbG Nürnberg (Urteil vom 22.07.1992; Aktenzeichen 7 Ca 861/92 W) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 10. März 1993 – 3 Sa 591/92 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 22. Juli 1992 – 7 Ca 861/92 W – abgeändert.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22,48 DM brutto zu zahlen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger bei dienstlicher Verwendung außerhalb seiner Stammwache in Weißenburg für die von ihm zurückgelegten Fahrzeiten einen Anspruch auf Vergütung hat.
Der Kläger ist bei der beklagten Körperschaft seit 1975 als Rettungssanitäter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag Nr. 14 für Angestellte des Bayerischen Roten Kreuzes vom 18. Februar 1991 (MTV Nr. 14) Anwendung. Dieser nimmt in § 1 Abs. 1 den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Januar 1961 i.d.F. des Änderungstarifvertrages Nr. 65 vom 30. Oktober 1990 in Bezug, soweit in § 2 MTV Nr. 14 nichts anderes vereinbart ist. Nach § 2 MTV Nr. 14 ist Bestandteil des Tarifvertrages die Anlage 1, in der die Abweichungen vom BAT enthalten sind.
In Abs. 3 der Anlage 1 MTV Nr. 14 ist folgendes bestimmt:
„Soweit in einzelnen Paragraphen des BAT auf die jeweiligen Bestimmungen der Beamten bzw. die bei dem jeweiligen Arbeitgeber geltenden Bestimmungen hingewiesen wird, gelten die Bestimmungen für die Beamten des Freistaates Bayern.”
§ 15 Abs. 7 BAT lautet:
„Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Arbeitsstelle, bei wechselnden Arbeitsstellen an der jeweils vorgeschriebenen Arbeitsstelle oder am Sammelplatz.”
Die Anlage 1 MTV Nr. 14 enthält in Abs. 4 eine „Protokollnotiz zu § 15 BAT – regelmäßige Arbeitszeit”. In Abs. 4 Nr. 3 ist bestimmt:
„Zur Sicherstellung des Rettungsdienstes können Mitarbeiter in allen Wachen ihrer Kreisverbände eingesetzt werden. Für die Erstattung von Auslagen ist Art. 17 BayRKG anzuwenden.”
§ 17 BAT – Überstunden lautet in Abs. 2:
„(2) Bei Dienstreisen gilt nur die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit. Es wird jedoch für jeden Tag einschließlich der Reisetage mindestens die dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit berücksichtigt.
Muß bei eintägigen Dienstreisen von Angestellten, die in der Regel an mindestens zehn Tagen im Monat außerhalb ihres ständigen Dienstortes arbeiten, am auswärtigen Geschäftsort mindestens die dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit abgeleistet werden und müssen für die Hin- und Rückreise zum und vom Geschäftsort einschließlich der erforderlichen Wartezeiten mehr als zwei Stunden aufgewendet werden, wird der Arbeitszeit eine Stunde hinzugerechnet.”
Abs. 5 der Anlage 1 MTV Nr. 14 bestimmt insoweit folgendes:
„Zu § 17 BAT – Überstunden
1. Dem Abs. 2 wird folgender Unterabsatz 3 angefügt:
„Für Angestellte im mobilen Rettungsdienst gilt die gesamte Reisezeit einschließlich der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen
Geschäftsort als Arbeitszeit.”
Die Stammwache des Klägers befindet sich in W. Auf Weisung der Beklagten hat er mehrfach seinen Dienst nicht dort, sondern in einer anderen Rettungswache des Kreisverbandes W – geleistet. Er hat behauptet, am 27. und 28. April 1991 habe er den Dienst in der Rettungswache T – der Beklagten angetreten, wobei er jeweils um 5.45 Uhr von zu Hause aufgebrochen und um 18.15 Uhr zurückgekommen sei. Sein Dienst in der Stammwache W habe von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr gedauert.
Für diese zusätzlichen Fahrzeiten zwischen Wohnung und Rettungswache T verlangt der Kläger Mehrarbeitsvergütung für vier Viertelstunden zu 5,62 DM brutto, zusammen 22,48 DM. Er hat die Auffassung vertreten, aus Abs. 5 Nr. 1 der Anlage 1 MTV Nr. 14 ergebe sich, daß bei Mitarbeitern im mobilen Rettungsdienst die Anreisezeit zu einer außerhalb des üblichen Einsatzortes gelegenen anderen Rettungswache innerhalb des Kreisverbandes des Bayerischen Roten Kreuzes als Arbeitszeit gelte.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22,48 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, als Arbeitszeit zu vergütende Reisezeit im Sinne von Abs. 5 Nr. 1 der Anlage 1 MTV Nr. 14 kämen nur Reisezeiten im Zusammenhang mit Dienstreisen in Betracht. Abs. 4 Nr. 3 der Anlage 1 MTV Nr. 14 habe den Dienstort für Mitarbeiter des Rettungsdienstes auf alle Wachen des Kreisverbandes erweitert. Die Anreise zu der jeweiligen Rettungswache stelle deshalb keine Dienstreise dar.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
1. Nach Abs. 5 Nr. 1 der Anlage 1 MTV Nr. 14 gilt für Angestellte im mobilen Rettungsdienst die gesamte Reisezeit einschließlich der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit.
Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung, aus dieser tariflichen Bestimmung folge nicht, daß bei Mitarbeitern im mobilen Rettungsdienst die Anreisezeit zu einer außerhalb des üblichen Einsatzortes gelegenen Rettungswache innerhalb des Kreisverbandes des Roten Kreuzes, um dort den Dienst aufzunehmen, als Arbeitszeit gelte. Dies ergebe die Auslegung des Begriffs „Reisezeit”. Als Arbeitszeit zu vergütende Reisezeit im Sinne dieser tariflichen Bestimmung könnten nur Reisezeiten im Zusammenhang mit Dienstreisen angesehen werden. Dies ergebe sich aus § 17 Abs. 2 BAT, der ausschließlich die arbeitszeitrechtliche Behandlung von Dienstreisen regele. Da Abs. 4 Nr. 3 der Anlage 1 MTV Nr. 14 den Dienstort für Mitarbeiter des Rettungsdienstes auf alle Wachen des Kreisverbandes erweitert habe, stelle die Anreise zu der jeweiligen Rettungswache keine Dienstreise im Sinne des § 17 Abs. 2 BAT dar.
2. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Zutreffend ist der Ausgangspunkt der Erwägungen des Landesarbeitsgerichts. Der Anspruch des Klägers auf Mehrarbeitsvergütung für die Reisezeiten setzt voraus, daß es sich um „Dienstreisen” handelte. Das ergibt sich daraus, daß der hier fragliche Unterabs. 3 dem § 17 Abs. 2 BAT, der die Frage behandelt, wie auf Dienstreisen verbrachte Zeiten rechtlich zu bewerten sind, mit Abs. 5 Nr. 1 der Anlage 1 MTV Nr. 14 angefügt wurde.
Das Landesarbeitsgericht meint, die angefügte tarifliche Bestimmung setze den „Begriff der Dienstreise im Sinne von § 17 Abs. 2 BAT” voraus. Das ist mißverständlich. Was „Dienstreise” ist, bestimmt der BAT nicht unmittelbar selbst, sondern wird in § 17 Abs. 2 und § 42 BAT vorausgesetzt. Die tariflichen Bestimmungen beziehen sich insoweit auf die jeweils für die Beamten geltenden Bestimmungen (BAG Urteil vom 22. Februar 1978 – 4 AZR 579/76 – AP Nr. 3 zu § 17 BAT, zu II der Gründe; Böhm/Spiertz/ Sponer/Steinherr, BAT, Stand: Februar 1989, § 17 Rz 28; Crisolli/ Ramdohr/Tiedtke, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand: März 1994, § 17 BAT Rz 18). Vorliegend verweist Abs. 3 der Anlage 1 MTV Nr. 14 auf die Bestimmungen für die Beamten des Freistaates Bayern. Dies sind die Vorschriften des Bayerischen Reisekostengesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 28. Februar 1974, GVBl. S. 77 (abgedruckt bei Ziegler-Tremel, Verwaltungsgesetze des Freistaates Bayern unter Nr. 95). Nach Art. 2 dieses Gesetzes sind Dienstreisen „Reisen zur Erledigung von Dienstgeschäften außerhalb des Dienstortes, die schriftlich angeordnet oder genehmigt worden sind.” Das sind entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch die Fahrten des Klägers von Weißenburg zu den anderen Rettungswachen innerhalb des Kreisverbandes des Roten Kreuzes, hier zur Wache T. Denn Dienstort im Sinne von Art. 2 des Bayerischen Reisekostengesetzes ist die „politische Gemeinde”, in der die Dienststelle ihren Sitz hat, bei der der Arbeitnehmer beschäftigt ist (BAG Urteil vom 22. Februar 1978, aaO, zu II der Gründe).
Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich im vorliegenden Fall mit hinreichender Deutlichkeit, daß das Bayerische Rote Kreuz Kreisverband W, bei dem der Kläger angestellt ist, seinen Sitz in W hat. Auch in der Klageschrift, den vorinstanzlichen Urteilen und dem weiteren prozessualen und vorprozessualen Schriftverkehr ist – von dem beklagten Kreisverband unbeanstandet – W als Sitz des Kreisverbandes angegeben. Die Fahrten zu den auswärts gelegenen Rettungswachen waren damit Dienstreise im Sinne von Art. 2 des Bayerischen Reisekostengesetzes. Die auswärts gelegenen Rettungswachen sind demgemäß auswärtige Geschäftsorte im Sinne von § 17 Abs. 2 BAT, weil an diesen Orten jeweils das auswärtige Dienstgeschäft erledigt werden muß.
3. Das Landesarbeitsgericht vertritt weiter die Auffassung, Abs. 4 Nr. 3 der Anlage 1 MTV Nr. 14 habe den „Dienstort” für Mitarbeiter des Rettungsdienstes auf alle Wachen des Kreisverbandes „erweitert”; deshalb könne die Anreise zu der jeweiligen Rettungswache keine Dienstreise sein. Dem kann nicht beigepflichtet werden:
Abs. 4 Nr. 3 der Anlage 1 MTV Nr. 14, wonach zur Sicherstellung des Rettungsdienstes Mitarbeiter in allen Wachen ihrer Kreisverbände eingesetzt werden können, hat nicht zugleich den „Dienstort” im Sinne von Art. 2 des Bayerischen Reisekostengesetzes erweitert. Dagegen spricht schon der nachfolgende Satz 2 in Abs. 4 Nr. 3 der Anlage 1 MTV Nr. 14, in dem bestimmt ist, daß für die Erstattung von Auslagen Art. 17 BayRKG anzuwenden ist. Art. 17 BayRKG betrifft die Aufwandsvergütung eben bei Dienstreisen.
Abs. 4 Nr. 3 der Anlage 1 MTV Nr. 14 stellt eine Protokollnotiz zu § 15 BAT – regelmäßige Arbeitszeit dar. Nach § 15 Abs. 7 BAT beginnt und endet die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle, bei wechselnden Arbeitsstellen an der jeweils vorgeschriebenen Arbeitsstelle oder am Sammelplatz. Danach trifft der Dienstantritt mit dem Eintreffen bei der jeweiligen Rettungswache zusammen. § 17 Abs. 2 BAT stellt aber, soweit es die rechtliche Bewertung der Reisezeit als Arbeitszeit betrifft, eine Sonderbestimmung gegenüber der allgemeinen Vorschrift über Beginn und Ende der Arbeitszeit dar (BAG Urteil vom 22. Februar 1978, aaO, zu II der Gründe, unter Bestätigung des Urteils vom 6. Dezember 1961 – 4 AZR 137/61 – AP Nr. 1 zu § 39 MTL).
Dienstreisen, d.h. Fahrten an einen anderen Ort, um dort Dienstgeschäfte zu erledigen, sind grundsätzlich nicht als Arbeitszeit anzusehen; davon geht auch § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT aus (BAG Urteil vom 22. Februar 1978, aaO; Denecke/Neumann/Biebl, Arbeitszeitordnung, 11. Aufl., 1991, § 2 Rz 10, m.w.N.). Es kann aber tariflich eine andere Regelung getroffen werden. Das ist vorliegend mit Abs. 5 Nr. 1 der Anlage 1 MTV Nr. 14, der § 17 Abs. 2 BAT als Unterabs. 3 angefügt worden ist, geschehen.
4. Die Beklagte hat in den Vorinstanzen die Forderung des Klägers der Höhe nach nicht bestritten. In der Revisionsinstanz kann die Beklagte nicht mehr vortragen, die Reisezeit zur Rettungswache T habe nicht 15 Minuten, sondern nur 6 bis 8 Minuten betragen (§ 561 ZPO).
Unterschriften
Griebeling, Bröhl, Bepler, Dr. Bächle, H. Frehse
Fundstellen