Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionszulassung. Verfahrensmangel. erstinstanzliches Verfahren. Fortwirken. Berufungsinstanz
Orientierungssatz
Da bei § 160 SGG die Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung des LSG in Frage steht, kommen nur Mängel des Verfahrens vor dem LSG und nicht vor dem SG in Betracht, es sei denn, daß der Verfahrensmangel fortwirkt und damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG bildet (vgl BVerwG vom 16.11.1982 - 9 B 3232/82 = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 216).
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 28.07.1994; Aktenzeichen L 4 Kr 16/94) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 28.01.1994; Aktenzeichen S 7 Kr 212/93) |
Gründe
Der Antrag der Klägerin, ihr unter Beiordnung des Rechtsanwalts A L für das Beschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, war abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gelten im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) über die Prozeßkostenhilfe entsprechend. § 114 ZPO verlangt für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe ua, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es, weil die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig ist.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Hierzu trägt sie vor, das Landessozialgericht (LSG) habe in seinem Urteil über die Rechtsfrage entschieden, daß Prozeßhandlungen, wie hier die Klagerücknahme, rechtswirksam vorgenommen werden, soweit diese im Protokoll vermerkt sind. Diese Frage sei von erheblicher Bedeutung für die angestrebte Revision und damit rechtserheblich. Für die angestrebte Revision sei es von entscheidender Bedeutung, daß die Beweiskraft des Protokolls über die Klagerücknahme nicht zum Tragen kommen könne, da der gesetzliche Vertreter der Klägerin während der zwanzigminütigen Verhandlung in der 1. Instanz vom Richter und auch von den beiden Vertretern der Beklagten gedrängt worden sei. Das Protokoll könne damit keine Beweiskraft haben.
Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage nicht auf den Einzelfall beschränkt und die Klärung dazu dienen kann, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Fortbildung des Rechts zu fördern (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 7 und 65). Voraussetzung hierfür ist stets, daß eine konkrete Rechtsfrage zur Entscheidung ansteht, die klärungsbedürftig (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) und klärungsfähig ist, dh in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). Jedenfalls hat die Klägerin nicht die nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG zur Darlegung der Klärungsfähigkeit erforderlichen Ausführungen gemacht. Das LSG hat im angefochtenen Urteil entgegen der Auffassung der Klägerin nicht den Rechtssatz aufgestellt, Prozeßhandlungen, wie hier die Klagerücknahme, seien rechtswirksam vorgenommen worden, soweit diese im Protokoll vermerkt sind. Es hat vielmehr festgestellt, daß der Vertreter der Klägerin - was nicht bestritten wird - in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) am 19. November 1993 erklärt habe, die Klage zurückzunehmen, und daß diese Erklärung im Sitzungsprotokoll festgehalten worden sei. Ihre Wirksamkeit hat das LSG nicht von der Protokollierung, sondern von anderen Rechtsgründen abhängig gemacht. Unter diesen Umständen ist zweifelhaft, ob im Revisionsverfahren über die Beweiskraft des Sitzungsprotokolls entschieden wird. Die Klägerin hätte daher substantiiert darlegen müssen, daß trotz dieser Zweifel die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage klärungsfähig ist. Dies ist nicht geschehen.
Weiterhin macht die Klägerin Verfahrensmängel und damit den Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend. Einen Verfahrensmangel sieht sie einmal darin, daß zu dem Termin vor dem SG neben dem "regulären" ein weiterer Vertreter der Beklagten für diese aufgetreten sei. Darin liege ein Verstoß gegen § 73 Abs 2 SGG.
Damit hat die Klägerin den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht hinreichend dargelegt. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muß gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Hierzu müssen, wie bei Verfahrensrügen innerhalb einer zugelassenen Revision, die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert so dargetan werden, daß das Revisionsgericht allein anhand der Beschwerdebegründung sich ein Urteil darüber zu bilden vermag, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4). Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Abgesehen davon, daß beide Prozeßvertreter der Beklagten ausweislich der Gerichtsakten aufgrund wirksamer und rechtzeitig vorgelegter Vollmachtsurkunden berechtigt waren, für die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem SG aufzutreten, und diese Mehrfachvertretung auch nach § 73 Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 84 ZPO zulässig ist, rügt die Klägerin keinen Verfahrensmangel im Verfahren vor dem LSG. Da bei § 160 SGG die Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung des LSG in Frage steht, kommen nur Mängel des Verfahrens vor dem LSG und nicht vor dem SG in Betracht, es sei denn, daß der Verfahrensmangel fortwirkt und damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG bildet (BVerwG Buchholz 310 § 132 Nr 216; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl, § 160 RdNr 16). Zu letzterem hat die Klägerin jedoch nichts vorgetragen.
Auch soweit die Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) und des § 112 Abs 2 SGG geltend macht, beziehen sich diese Rügen auf das Verfahren vor dem SG, ohne daß ein Fortwirken des vermeintlichen Verfahrensfehlers auf das Berufungsverfahren dargelegt worden ist.
Schließlich trägt die Klägerin vor, das LSG habe gegen § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) verstoßen. Einen solchen Verstoß sieht sie darin, "daß eine vom Beschwerdeführer beantragte Beweiserhebung nicht durchgeführt wurde". Der gesetzliche Vertreter der Klägerin habe als Beweis die Einvernahme der am Prozeß vor dem SG Beteiligten als Zeugen angeboten. Beweisthema sollte sein, daß die Klagerücknahme unter Druck erfolgt sei. Auch damit hat die Klägerin den Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet; denn sie hat nicht substantiiert dargelegt, daß die Klägerin im Verfahren vor dem LSG einen Beweisantrag gestellt habe. Grundsätzlich muß eine Nichtzulassungsbeschwerde, die damit begründet wird, das Berufungsgericht sei einem gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, aufzeigen, daß der Beweisantrag protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 64). Hierzu hat die Klägerin aber keine Ausführungen gemacht. Im übrigen enthalten die Gerichtsakten weder für einen solchen Beweisantrag, noch für einen entsprechenden Beweisantritt der Klägerin im Berufungsverfahren irgendwelche Anhaltspunkte (vgl zur Abgrenzung von Beweisantritt und Beweisantrag: BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9).
Hiernach war die Beschwerde der Klägerin in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen und über die Kosten entsprechend § 193 SGG zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen