Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.07.1999) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Streitig ist ein Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 11. Dezember 1995 bis 3. Juni 1996. Der Kläger war erstmals im Februar 1991 und sodann mit kurzen Unterbrechungen vom 20. April 1993 bis 13. Dezember 1994 wegen vegetativer Erschöpfung sowie einer depressiven Dekompensation bei Angstneurose arbeitsunfähig krank und erhielt Krankengeld. Nach einem leistungsfreien Intervall wurde er ab 21. März 1995 von seinem behandelnden Nervenarzt wegen einer Psychosomatose erneut krankgeschrieben und war danach bis Juni 1996 durchgehend arbeitsunfähig. Die Beklagte gewährte ab 21. März 1995 wiederum Krankengeld, stellte die Leistung jedoch mit Ablauf des 10. Dezember 1995 ein, weil die frühere und die gegenwärtige Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit beruhten und der in dem maßgebenden Dreijahreszeitraum vom 4. Februar 1994 bis 3. Februar 1997 (zweite Blockfrist) zustehende Leistungsanspruch deshalb gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch Erreichen der Höchstbezugsdauer von 78 Wochen erschöpft sei. Die in erster Instanz erfolgreiche Klage auf Weitergewährung des Krankengeldes über den 10. Dezember 1995 hinaus hat das Landessozialgericht (LSG) abgewiesen. Es hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Einschätzung geteilt, daß es sich bei der 1993 und 1994 diagnostizierten psychischen Störung und der ab März 1995 bestehenden psychosomatischen Erkrankung um dieselbe Krankheit im Sinne des Gesetzes gehandelt habe.
Die auf § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann keinen Erfolg haben.
Zwar beruht das angefochtene Urteil auf Verfahrensmängeln, die der Kläger zutreffend gerügt hat. Die getroffene Sachentscheidung müßte in dem von ihm angestrebten Revisionsverfahren jedoch aus anderen als den vom LSG angestellten Erwägungen bestätigt werden. Das hat zur Folge, daß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 170 Abs 1 Satz 2 SGG zurückzuweisen ist (vgl mwN: Senatsbeschluß vom 8. Februar 2000 – B 1 KR 29/99 B, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Zu Recht beanstandet die Beschwerde, daß das Berufungsgericht eigene, von dem eingeholten Sachverständigengutachten abweichende medizinische Feststellungen getroffen hat, ohne darzulegen, daß und woher es die dazu erforderliche Sachkunde besitzt. Im Zusammenhang mit der Prüfung, ob es sich bei der ab 21. März 1995 Arbeitsunfähigkeit verursachenden Erkrankung um dieselbe Krankheit gehandelt hat, derentwegen der Kläger bereits bis Dezember 1994 Krankengeld bezogen hatte, hat das LSG ausgeführt, nach seiner Überzeugung stehe fest, daß der Kläger über viele Jahre hinweg an einer psychischen Störung leide, die kontinuierlich nervenärztliche und psychiatrische Behandlung erfordere. Die Störung erreiche beständig Krankheitswert, auch wenn sie nicht zu ständiger Arbeitsunfähigkeit führe. Diese Feststellung in den Entscheidungsgründen steht im Widerspruch zu der vom Gericht zuvor im Tatbestand des Urteils mitgeteilten Aussage des Sachverständigen, die beim Kläger bestehende Persönlichkeitsstörung sei selbst nicht als Krankheit zu bezeichnen, weil sie nicht durchgängig eine Symptomatik mit Krankheitswert hervorrufe. Zwar sind die in § 48 Abs 1 SGB V verwendeten Begriffe „Krankheit” bzw „dieselbe Krankheit” Rechtsbegriffe, wie das LSG in anderem Zusammenhang mit Recht betont. Ob eine Gesundheitsstörung fortlaufend oder nur von Fall zu Fall beim Auftreten bestimmter Krankheitssymptome ärztlicher Behandlung bedarf und ob sie damit beständig Krankheitswert erreicht oder nicht, ist jedoch eine rein medizinische Frage, die der Richter in der Regel nicht aus eigener Sachkenntnis beurteilen kann. Geschieht dies dennoch, so muß er in den Urteilsgründen seine Sachkunde in einer Weise dartun, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob er sich die erforderlichen Kenntnisse etwa zu Unrecht zugetraut hat (BSG SozR Nr 33 zu § 103 SGG). Die Grundlagen der Gerichtskunde gehören in einem solchen Fall zu den Gründen, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG). Vorliegend hat das LSG die Abweichung vom Sachverständigengutachten nicht ausdrücklich als solche kenntlich gemacht; dementsprechend wird auch nicht erläutert, mit welcher Begründung sich das Gericht als kompetent ansieht, den medizinischen Sachverhalt in diesem Punkt anders zu beurteilen als der fachlich zuständige ärztliche Gutachter. Der Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 2 SGG geht einher mit einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§§ 62, 128 Abs 2 SGG); denn von der Möglichkeit einer abweichenden Bewertung des medizinischen Sachverhalts aufgrund eigener Sachkunde des Gerichts sind die Beteiligten vor der Entscheidung nicht in Kenntnis gesetzt worden.
Nach Sachlage muß auch davon ausgegangen werden, daß die Verfahrensmängel für die Entscheidung des Berufungsgerichts erheblich waren. Die Ausführungen auf Seite 9 des angefochtenen Urteils deuten darauf hin, daß das Gericht die Arbeitsunfähigkeit nur dann als im Sinne des § 48 Abs 1 SGB V auf derselben Krankheit beruhend ansieht, wenn die Krankheit als solche ununterbrochen bestanden hat. Nur so läßt sich erklären, daß es in der Frage der Behandlungsbedürftigkeit und damit des Krankheitswerts der psychischen Störung dem ärztlichen Gutachter nicht folgt, sondern eine eigene Einschätzung dahingehend vornimmt, die Persönlichkeitsstörung des Klägers habe kontinuierlich nervenärztliche und psychiatrische Behandlung erfordert und sei mithin durchgehend als Krankheit im Sinne des Gesetzes zu bewerten. Auf die Feststellung, die zunächst bis 19. Dezember 1994 und sodann erneut ab 21. März 1995 Arbeitsunfähigkeit verursachende Krankheit habe auch in dem dazwischen liegenden, leistungsfreien Zeitraum fortlaufend bestanden, kam es daher nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts entscheidend an.
Obwohl die erwähnten Verfahrensrügen somit durchgreifen, kann das der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Die Entscheidung beruht damit zwar auf einem Rechtsverstoß; die Zulassung der Revision ist jedoch entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 170 Abs 1 Satz 2 SGG nur gerechtfertigt, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, daß das Verfahren ohne den Rechtsverstoß mit einem für den Rechtsmittelführer sachlich günstigeren Ergebnis hätte enden können. Das ist hier nicht der Fall, denn bereits die prozeßordnungsgemäß zustande gekommenen Feststellungen des LSG ergeben, daß dem Kläger für die Zeit ab 11. Dezember 1995 kein Krankengeld mehr zusteht.
Eine wiederholt mit Unterbrechungen auftretende Arbeitsunfähigkeit beruht dann auf „derselben Krankheit” iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB V, wenn ihr jeweils dieselbe, nicht behobene Krankheitsursache zugrunde liegt. Der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand, der die Krankheitsursache bildet, braucht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder ständig Krankheitserscheinungen hervorzurufen noch fortlaufend Behandlungsbedürftigkeit zu bewirken. Es genügt, daß das medizinisch nicht ausgeheilte Grundleiden latent weiterbestanden hat und sich nach einem beschwerdefreien oder beschwerdearmen Intervall erneut durch Krankheitssymptome manifestiert. Das Bundessozialgericht hat deshalb schon früher entschieden, daß ein einheitliches Krankheitsgeschehen auch dann vorliegen kann, wenn Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit – vorübergehend – entfallen waren, also der ursprüngliche Versicherungsfall bereits abgeschlossen war (Urteil des 3. Senats vom 12. Oktober 1988 – 3/8 RK 28/87, veröffentlicht in ZfS 1989, 16 = NZA 1989, 287 = USK 88135 mwN; vgl auch: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand: Juli 1999, § 48 SGB V RdNr 6; Hauck, SGB V, Stand: März 2000, K § 48 RdNr 4).
Angesichts dieser rechtlichen Gegebenheiten kommt es für die Entscheidung über den Krankengeldanspruch nicht darauf an, ob die Persönlichkeitsstörung des Klägers durchgehend behandlungsbedürftig und damit als Krankheit im Sinne des SGB V einzustufen war. Gegen die in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen getroffene Feststellung des LSG, daß die genannte Persönlichkeitsstörung die Ursache sowohl der 1993/1994 diagnostizierten psychischen Krankheit als auch der ab März 1995 Arbeitsunfähigkeit verursachenden psychosomatischen Erkrankung gewesen ist, hat der Kläger keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben. Sein Einwand, das Gericht habe diese Beurteilung ohne ausreichende Ermittlungen ua mit der Notwendigkeit einer einheitlichen, auf die psychische Befindlichkeit gerichteten Therapie begründet, geht fehl; denn der medizinische Sachverständige hatte, wie dem Tatbestand des Urteils zu entnehmen ist, ausdrücklich festgestellt, daß die in Rede stehenden Krankheitsbilder hinsichtlich Ursache und erforderlicher Therapie gleichzustellen seien. Damit aber steht fest, daß der Leistungsanspruch am 10. Dezember 1995 erschöpft war, weil der Kläger innerhalb des ab 4. Februar 1994 laufenden Dreijahreszeitraums wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krankengeld bezogen hatte.
Die Beschwerde war danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1175386 |
SozSi 2001, 322 |