Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. rechtliches Gehör. Zurückweisung der Berufung durch Beschluß
Orientierungssatz
Zur Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs muß der Beschwerdeführer konkret dartun, welches zur Beeinflussung der Entscheidung des LSG geeignete zusätzliche Vorbringen ihm durch das Verhalten des LSG (hier schriftliches Verfahren nach § 153 Abs 4 SGG) abgeschnitten worden ist. Der allgemeine Hinweis auf eine "überzeugende Argumentation" in der mündlichen Verhandlung oder auf das Rechtsgespräch mit dem Gericht läßt völlig offen, welches aus der Sicht des Klägers erhebliche Vorbringen dadurch verhindert worden ist, daß keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
Normenkette
SGG § 160a Abs 2 S 3, §§ 62, 153 Abs 4; GG Art 103 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 26.08.1993; Aktenzeichen V ARBf 59/92) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 14.02.1992; Aktenzeichen 6 AR 1791/90) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung bzw Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für in der Vergangenheit liegende Zeiträume sowie die damit verbundenen Erstattungsforderungen.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger, der bis zum 31. Juli 1984 als Krankenpflegehelfer beschäftigt gewesen war, ua Alhi für die Zeit vom 1. August 1989 bis 31. Juli 1990 in Höhe von wöchentlich 216,00 DM (Bescheid vom 24. Juli 1989). Ab 1. Januar 1990 gewährte sie im Wege der Leistungsanpassung Alhi in Höhe von wöchentlich 226,20 DM (Bescheid vom 11. Januar 1990). Nachdem sie im Februar 1990 erfahren hatte, daß der Kläger seit dem 1. August 1990 die Fachoberschule besuchte, stellte sie die Leistungen zum 7. März 1990 ein. Sodann hob sie die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1989 auf (§ 48 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - <§ 48 SGB X>) und forderte die Erstattung der auf diesen Zeitraum entfallenden Alhi in Höhe von 4.729,10 DM (Bescheid vom 28. Mai 1990). Des weiteren nahm sie die Alhi-Bewilligung für die Zeit ab 1. Januar 1990 zurück (§ 45 SGB X) und forderte die Erstattung von Alhi in Höhe von 2.148,90 DM (weiterer Bescheid vom 28. Mai 1990). Später beschränkte sie die Aufhebung der Alhi-Bewilligung auf die Zeit vom 28. August bis 31. Dezember 1989 und reduzierte die Erstattungsforderung für die Zeit bis Ende 1990 von 4.729,10 DM auf 3.898,80 DM (Bescheid vom 1. September 1990). Die Widersprüche des Klägers blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 24. Oktober 1990). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage - nach Vernehmung der Zeugen K , K , L und B - abgewiesen (Urteil vom 14. Februar 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beteiligten durch Schreiben vom 12. Mai 1993 mitgeteilt, der Senat beabsichtige, die Berufung ohne vorherige mündliche Verhandlung durch Beschluß zurückzuweisen, weil er sie gegenwärtig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte (§ 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 1. Juni 1993 vorgebracht, das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege, auf dem § 153 Abs 4 SGG beruhe, sei erst am 1. März 1993 in Kraft getreten. Die Berufung sei vorher eingelegt worden. Er, der Kläger, habe darauf vertrauen dürfen, daß sein Anliegen wie bisher in einer mündlichen Verhandlung erörtert werde. Im übrigen hätte der Senat im Anhörungsschreiben vom 12. Mai 1993 zumindest kurz darlegen müssen, weshalb er die Berufung für unbegründet erachte. Ohne Angabe solcher Gründe sei eine substantiierte Stellungnahme nicht möglich.
Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs 4 SGG zurückgewiesen (Beschluß vom 26. August 1993). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Senat sei entgegen der Ansicht des Klägers nicht verpflichtet gewesen, schon beim Hinweis auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung durch Beschluß seine Rechtsauffassung zur Erfolglosigkeit der Berufung darzulegen. In der Sache selbst hat sich das LSG unter Hinweis auf die wichtigsten Gesichtspunkte (fehlende Verfügbarkeit, grob fahrlässiges Verhalten des Klägers, keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes) der Auffassung des SG zur Rechtmäßigkeit der Bescheide der Beklagten angeschlossen.
Der Kläger rügt mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Darüber hinaus mißt er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung bei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde, mit der der Kläger die Nichtzulassung der Revision im zweitinstanzlichen Urteil angreift, ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Der Beschwerdeführer stützt seine Nichtzulassungsbeschwerde darauf, daß ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). In diesem Fall ist in der Begründung der Verfahrensmangel zu bezeichnen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu müssen, wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision, die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 24, 34 und 36). Bezogen auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 Grundgesetz; § 62 SGG), bedeutet das: Der Beschwerdeführer hat ua darzutun, welches Vorbringen durch die Vorenthaltung des rechtlichen Gehörs verhindert worden ist und inwiefern die Entscheidung des LSG darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; Hennig/Danckwerts/König, Komm zum SGG, Stand März 1993, § 160a Anm 7.9.3; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, Kapitel IX, Rzn 87 ff; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rzn 203 f).
Der Beschwerdeführer wirft dem LSG vor, es habe das schriftliche Verfahren (§ 153 Abs 4 SGG) nicht anwenden dürfen; ferner habe es dieses nicht richtig gehandhabt. Er, der Beschwerdeführer, habe einen Anspruch auf mündliche Verhandlung gehabt; es sei ein erheblicher Unterschied, ob ein Kläger seinen Rechtsstandpunkt lediglich im schriftlichen Verfahren oder aber in einer mündlichen Verhandlung darlegen könne. Zumindest hätte das LSG im Schreiben vom 12. Mai 1993 die Gründe für seine Ansicht darlegen müssen; hätte es das getan, hätte er, der Kläger, die Möglichkeit gehabt, das Gericht durch eine überzeugende Argumentation zu einer Änderung seines Rechtsstandpunktes zu bewegen. Sowohl im einen wie im anderen Fall hätte das LSG unter Umständen eine andere Entscheidung getroffen. Dieses Vorbringen reicht - unbeschadet der Frage, ob das LSG von der am 1. März 1993 in Kraft getretenen Vorschrift des § 153 Abs 4 SGG (vgl Art 8 Nr 6 Buchst b und 15 Abs 1 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 - BGBl I 50) in rechtlich einwandfreier Weise Gebrauch gemacht hat - zur Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht aus. Denn der Beschwerdeführer hätte konkret dartun müssen, welches zur Beeinflussung der Entscheidung des LSG geeignete zusätzliche Vorbringen ihm durch das Verhalten des LSG abgeschnitten worden ist. Daran fehlt es gänzlich. Der allgemeine Hinweis auf eine "überzeugende Argumentation" in der mündlichen Verhandlung oder auf das Rechtsgespräch mit dem Gericht läßt völlig offen, welches aus der Sicht des Klägers erhebliche Vorbringen dadurch verhindert worden ist, daß keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
Auch soweit der Beschwerdeführer der Sache grundsätzliche Bedeutung beimißt, ist sein Vorbringen nicht geeignet, die Revisionsinstanz zu eröffnen.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muß daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65; Hennig/Danckwerts/König, aaO, Anm 7.7; Krasney/Udsching, aaO, Rzn 180 ff; Kummer, aaO, Rzn 106 ff; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 160a Rz 14). Diesen Anforderungen ist hier nicht entsprochen worden.
Der Beschwerdeführer mag zwar eine Rechtsfrage aufgezeigt haben, nämlich, ob Verfügbarkeit iS des Arbeitsförderungsgesetzes auch dann bei einem Schulbesuch angenommen werden kann, wenn der Arbeitslose bereit ist, diesen Schulbesuch sofort aufzugeben, und durch den Schulbesuch nicht gehindert ist, stets beim Arbeitsamt (ArbA) zu Vorsprachen zu erscheinen und die vom ArbA zugewiesenen Stellenangebote in Anspruch zu nehmen. Indes ist mit der Beschwerde weder dargelegt worden, weshalb die Rechtsfrage angesichts des Standes der Rechtsprechung gerade zu dieser Frage tatsächlich einer Klärung bedarf, noch, weshalb das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt.
Entspricht die Begründung der Beschwerde somit nicht den gesetzlichen Anforderungen, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5).
Die Kostenentscheidung leitet sich aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG ab.
Fundstellen