Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrag über eine private Krankenhausbehandlung. Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Krankenkasse. Notfall. Unaufschiebbare Operation. Anspruch gegen Kassenärztliche Vereinigung. Nichtzulassung der Revision. Bestandskraft des Urteils aus anderen als den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen. Krankenversicherung. Kostenerstattung. operative Sanierung der Halswirbelsäule in einer Privatklinik. nicht zugelassener Leistungserbringer. private Behandlung. Notfallbehandlung. Zurückweisung der Revision
Orientierungssatz
1. Für eine Revisionszulassung ist kein Raum, wenn feststeht, dass das angefochtene Urteil unabhängig vom Vorliegen der geltend gemachten Zulassungsgründe aus anderen als den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen Bestand haben wird. Erst recht gilt dies, wenn nahe liegt, dass das Berufungsgericht sich von Erwägungen hat leiten lassen, die es vorab mit Blick auf die förmlichen Beweisanträge bereits mitgeteilt hat.
2. Ist eine Behandlung aus medizinischen Gründen so dringlich, dass es bereits an der Zeit für die Auswahl eines zugelassenen Leistungserbringers und dessen Behandlung - sei es durch dessen Aufsuchen oder Herbeirufen - fehlt, liegt ein Notfall vor, in dem auch andere, nicht zugelassene Leistungserbringer in Anspruch genommen werden dürfen. In einem solchen Fall ist ein Kostenerstattungs- (oder Freistellungs-)anspruch des Versicherten ausgeschlossen, da der Leistungserbringer seine Vergütung nicht vom Versicherten, sondern nur von der Kassenärztlichen Vereinigung oder - bei stationärer Notfallbehandlung - allein von der Krankenkasse verlangen kann (vgl BSG vom 18.7.2006 - B 1 KR 9/05 R - RdNr 18ff mwN).
3. Ein Versicherter, der nicht im Rahmen einer Notfall-, sondern ausdrücklich im Rahmen einer Privatbehandlung stationär aufgenommen wird, bleibt darauf verwiesen, wenn er im Nachhinein geltend macht, es habe sich um eine Notfallbehandlung gehandelt, seine in diesem Falle rechtsgrundlos geleistete Zahlung von dem Leistungserbringer nach bürgerlichem Recht zurückzufordern.
Normenkette
SGG §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3, § 170 Abs 1 S 2; SGB 5 § 13 Abs 3, § 76 Abs 1 S 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1950 geborene Kläger, bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert, wurde seit September 2002 wegen Verschleißes der Halswirbelsäule konservativ von Vertragsarzt Dr. C. behandelt. Im Januar 2003 wünschte er eine operative Sanierung in der Privatklinik des Arztes. Am 25. März 2003 erhielt der Kläger in der Sprechstunde der Orthopädischen Klinik München-Harlaching den Rat, eine Infiltrationstherapie zu versuchen. Je nach Krankheitsverlauf sollte ggf ein operatives Vorgehen erwogen werden, wofür der Kläger nach seinen Angaben dort auf eine Warteliste mit einer Frist von vier Monaten gesetzt wurde. Am 6. April 2003 ließ sich der Kläger in die Privatklinik Dr. C. bringen, um sich stationär operieren zu lassen. Er schloss am Aufnahmetag mit der Privatklinik Dr. C. GmbH einen Vertrag über eine private Behandlung, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen war, dass die Behandlung ausschließlich als Privatpatient erfolge und der Kläger abzuklären habe, ob und inwieweit sein Kostenträger die Kosten der Behandlung übernehme oder sich hieran beteilige. Er erhielt nach eigenen Angaben an diesem Tag eine Tablette und es erfolgte - nach dem Inhalt der später erteilten Rechnung - eine Visite. Am folgenden Tag wurden Computertomografien gefertigt und der Kläger über die Operation aufgeklärt. Am 8. April 2003 sanierte Dr. C. die Etage HWK 6/7 mittels einer Bryan Cervical Disc, am übernächsten Tag in gleicher Weise die Etage HWK 5/6. Für die Behandlung zahlte der Kläger 12.280,48 € und für den stationären Aufenthalt 9.915,-- €. Mit seinem Begehren auf Erstattung dieser Kosten ist er in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat - teilweise durch Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil - ua ausgeführt, ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) scheitere daran, dass der Kläger vor dem stationären Aufenthalt nicht die Beklagte aufgesucht habe und deshalb die ihm entstandenen Kosten nicht ursächlich auf die ablehnende Entscheidung der Beklagten zurückzuführen seien. Zudem sei die Leistung nicht unaufschiebbar gewesen. Ein Notfall iS des § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V habe nach den Angaben des Klägers und von Dr. C., den Unterlagen über den stationären Aufenthalt und dem Behandlungsgeschehen nicht vorgelegen. Danach habe sich präoperativ der Zustand des Klägers zwar verschlechtert. Nervenschädigungen in Form von Inkontinenz- oder Lähmungserscheinungen, die - wie dem Kläger bekannt war - eine baldige Operation erfordert hätten, um bleibende Schäden zu verhindern, seien jedoch nicht aufgetreten. Bei der Aufnahme sei er nicht etwa sofort operiert worden, sondern die Aufnahmemodalitäten und Voruntersuchungen seien abgewickelt worden. Erst am übernächsten Tag und zwei weitere Tage später seien die Operationen erfolgt. Da im April 2003 auch zumindest in der Orthopädischen Klinik in Markgröningen die Operationsmethode angewandt worden sei, komme ein Systemmangel nicht in Betracht. Der Kläger habe sich aus freien Stücken bewusst außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung begeben. Die Beklagte habe für solche Kosten nicht einzustehen (Beschluss vom 27. Juli 2006).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss. Er macht geltend, das LSG habe förmliche Beweisanträge unter Verstoß gegen § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) übergangen.
Entscheidungsgründe
Die auf § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist jedenfalls unbegründet. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob das LSG verfahrensfehlerhaft die Beweisanträge des Klägers übergangen hat. Die angefochtene Entscheidung kann nämlich darauf nicht beruhen. Darüber hat der Senat als gesetzlicher Richter zu entscheiden ( Abgrenzung zu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 Leitsatz 3 und S 63 ff ). Insoweit ist nach der Rechtsprechung des Senats ( SozR 3-1500 § 160a Nr 28 ) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 11. Senats des Bundessozialgerichts ( BSG, Beschluss vom 30. Juni 1994 - 11 BAr 139/93 - ) und der stRspr des Bundesverwaltungsgerichts ( BVerwG, vgl zB BVerwGE 14, 342, 346 f; BVerwGE 54, 99 = Buchholz 310 § 132 Nr 153; Buchholz 310 § 132Nr 166, 178; Buchholz 310 § 144 Nr 34, mwN; vgl auch Meyer-Ladewig in derselbe/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 160a RdNr 18 und 18a mwN) der Rechtsgedanke aus § 170 Abs 1 Satz 2 SGG einzubeziehen. Danach ist in der Revisionsinstanz ein Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn zwar die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils eine Gesetzesverletzung ergeben, die Entscheidung sich aber aus anderen Gründen als richtig darstellt. Die Vorschrift ist Ausdruck des Gedankens, dass ein Verfahren nicht wegen eines Fehlers fortgeführt werden soll, der mit Sicherheit für das endgültige Ergebnis des Prozesses bedeutungslos bleiben wird ( vgl Senat SozR 3-1500 § 160a Nr 28 mwN ). In gleicher Weise wie für eine stattgebende Entscheidung im Revisionsverfahren selbst ist daher auch für eine Revisionszulassung nach der Rechtsprechung des Senats kein Raum, wenn feststeht, dass das angefochtene Urteil unabhängig vom Vorliegen der geltend gemachten Zulassungsgründe aus anderen als den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen Bestand haben wird.
Erst recht gilt dies, wenn nahe liegt, dass das Berufungsgericht sich von Erwägungen hat leiten lassen, die es vorab mit Blick auf die förmlichen Beweisanträge bereits mitgeteilt hat. So verhält es sich hier. Das LSG hat anlässlich der Beweisanträge, die der Kläger schriftlich gestellt hat, darauf hingewiesen, dass es auf die Beweiserhebung nicht ankomme. Sei die Operation unaufschiebbar gewesen, habe die Beklagte den Vergütungsanspruch gegenüber dem Krankenhaus zu erfüllen gehabt. Anderenfalls habe der Kläger vorab die Leistung bei der Beklagten beantragen müssen, dies aber unterlassen, sodass es an der Kausalität fehle. Das entspricht im Ergebnis der Rechtsprechung des Senats. Danach genügt es im Regelfall, um ein Unvermögen der Krankenkasse zur Leistungserbringung zu verneinen, dass für die in Frage kommende Behandlung zugelassene Leistungserbringer für den Versicherten verfügbar und leistungsbereit sind, wie es das LSG mit seinem Hinweis auf das Klinikangebot Markgröningen bejaht hat. Die Leistungserbringer auszuwählen ist Sache des Versicherten ( vgl Senat, Urteil vom 18. Juli 2006, B 1 KR 24/05 R, RdNr 29, zur Veröffentlichung vorgesehen) . Ist die Behandlung dagegen aus medizinischen Gründen so dringlich, dass es bereits an der Zeit für die Auswahl eines zugelassenen Leistungserbringers und dessen Behandlung - sei es durch dessen Aufsuchen oder Herbeirufen - fehlt, liegt ein Notfall vor, in dem auch andere, nicht zugelassene Leistungserbringer in Anspruch genommen werden dürfen (§ 76 Abs 1 Satz 2 SGB V ). Auch in einem solchen Fall ist ein Kostenerstattungs- (oder Freistellungs-)anspruch des Versicherten ausgeschlossen, da der Leistungserbringer seine Vergütung nicht vom Versicherten, sondern nur von der Kassenärztlichen Vereinigung oder - bei stationärer Notfallbehandlung - allein von der Krankenkasse verlangen kann ( vgl zuletzt zusammenfassend Senat, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 9/05 R - RdNr 18 ff mwN ). Der Versicherte, der wie der Kläger nicht im Rahmen einer Notfall-, sondern ausdrücklich im Rahmen einer Privatbehandlung stationär aufgenommen wird, bleibt danach darauf verwiesen, wenn er im Nachhinein geltend macht, es habe sich um eine Notfallbehandlung gehandelt, seine in diesem Falle rechtsgrundlos geleistete Zahlung von dem Leistungserbringer nach bürgerlichem Recht zurückzufordern.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen