Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsatzrüge. analoge Anwendung von Rechtsvorschriften im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung
Orientierungssatz
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer analogen Anwendung von Rechtsvorschriften im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, sich unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben. Demgemäß darf richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie stets nur dann erfolgen, wenn das Gericht aufgrund einer Betrachtung und Wertung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt (vgl BSG vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R = BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2, RdNr 38).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Februar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig eine Erstattung von Zuschüssen zu den Aufwendungen für eine freiwillige gesetzliche Krankenversicherung im Zeitraum vom 1.4.2011 bis zum 30.11.2014.
Der im Jahr 1940 geborene Kläger bezieht vom beklagten Rentenversicherungsträger seit April 2005 eine Altersrente für langjährig Versicherte. Zu seinen Aufwendungen für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung gewährte ihm die Beklagte einen Zuschuss (Bescheid vom 2.8.2006). Nach Überprüfung des Versicherungsverhältnisses stellte die beigeladene Krankenkasse die Versicherungspflicht des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner rückwirkend ab dem 1.4.2011 fest. Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 25.7.2019 den Bescheid vom 2.8.2006 über die Bewilligung des Zuschusses zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit ab dem 1.4.2011 auf und verlangte die Erstattung für die im Zeitraum vom 1.4.2011 bis zum 31.7.2019 zu Unrecht geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 6462,52 Euro. Zusammen mit rückständigen Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung in Höhe von 5598,81 Euro betrug die Forderung der Beklagten insgesamt 12061,33 Euro. Mit Schreiben vom 8.8.2019 teilte die Beigeladene mit, der Kläger habe für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung und soziale Pflegeversicherung seit 1.4.2011 zu Unrecht Beiträge in Höhe von insgesamt 18258,81 Euro gezahlt. Diese würden mit den Erstattungs- und Beitragsnachforderungen der Beklagten verrechnet. Das Restguthaben von 6197,48 Euro werde an den Kläger ausgezahlt. Gegen den Bescheid vom 25.7.2019 erhob der Kläger insoweit Widerspruch, als die Beklagte den Zuschuss zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit vom 1.4.2011 bis 30.11.2014 in Höhe von 2689,37 Euro erstattet verlangte. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 5.3.2020).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 11.11.2020). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und einen Erstattungsanspruch der Beklagten aufgrund überzahlter Zuschüsse zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung auch für den Zeitraum vom 1.4.2011 bis zum 30.11.2014 bejaht. Die Beklagte sei nach § 108 Abs 2 Satz 1 SGB VI verpflichtet gewesen, den Bescheid vom 2.8.2006 über die Bewilligung des Zuschusses zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung aufzuheben, nachdem die Beigeladene rückwirkend eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt habe. Die Voraussetzungen des § 108 Abs 2 Satz 2 SGB VI lägen nicht vor. Danach sei die Bewilligung eines Zuschusses zwar nicht für Zeiten aufzuheben, für die freiwillige Beiträge gezahlt worden seien, die aufgrund Verjährung (§ 27 Abs 2 SGB IV) nicht erstattet würden. Die Beigeladene habe aber von der Einrede der Verjährung keinen Gebrauch gemacht und sämtliche ab dem 1.4.2011 vom Kläger entrichteten Beiträge erstattet. Die erst zum 17.11.2016 in Kraft getretenen Regelungen in § 108 Abs 2 SGB VI fänden nach § 300 Abs 1 SGB VI auch auf zu diesem Zeitpunkt bereits verwirklichte Sachverhalte Anwendung. Der Erstattungsanspruch der Beklagten sei zudem nicht nach § 25 Abs 1, § 27 Abs 2 SGB IV verjährt. Diese Vorschriften seien nicht einschlägig. Auch lägen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung nicht vor. Unter den Voraussetzungen des § 108 Abs 2 SGB VI halte es der Gesetzgeber für geboten, dass der gewährte Zuschuss zurückerstattet werde, sodass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle (Urteil vom 25.2.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt keinen Zulassungsgrund in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend vorgetragen. Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 21.10.2021 - B 5 RS 10/21 B - juris RdNr 5).
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Der Kläger stellt als Frage von grundsätzlicher Bedeutung, |
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"ob auch Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung der Verjährung unterliegen, ggf. unter analoger Anwendung der Vorschriften der §§ 25, 27 SGB VI". |
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5 mwN). Zweifel bestehen deshalb, weil der Kläger einerseits ausschließlich die Frage nach der Verjährung von "Beitragszuschüssen zur Krankenversicherung" aufwirft und sich im weiteren gegen die Auffassung stellt, seine Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung seien - anders als die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung - nicht verjährt. Andererseits geht es dem Kläger um das "Schicksal der bezahlten Zuschüsse", nachdem ein Bescheid über deren Bewilligung aufgehoben wurde, weil die Krankenkasse rückwirkend seine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt hat. Dementsprechend werden in der aufgeworfenen Frage zur analogen Rechtsanwendung zwei unterschiedliche Verjährungsregelungen zitiert (§§ 25, 27 SGB VI - gemeint wohl: SGB IV). Während § 25 Abs 1 SGB IV die Verjährung von Beitragsansprüchen regelt, bestimmt § 27 Abs 2 SGB IV die Verjährung von Erstattungsansprüchen nach zu Unrecht entrichteten Beiträgen.
Soweit es dem Kläger erkennbar um Klärung der allein streitbefangenen Frage geht, ob Erstattungsansprüche des Rentenversicherungsträgers aufgrund zu Unrecht entrichteter Zuschüsse zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung der Verjährung in analoger Anwendung der Verjährungsvorschriften aus dem Beitragsrecht unterliegen, zeigt er jedenfalls einen bestehenden (abstrakten) Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl ua Senatsbeschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN). Als geklärt ist eine Rechtsfrage dabei auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich beantwortet hat, jedoch bereits Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; aus jüngerer Zeit BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 12 KR 65/20 B - juris RdNr 9 mwN).
Zu den Voraussetzungen einer analogen Anwendung von Rechtsvorschriften im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung existiert bereits eine umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung. Danach ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, sich unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben. Demgemäß darf richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie stets nur dann erfolgen, wenn das Gericht aufgrund einer Betrachtung und Wertung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt (vgl BSG Urteil vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2, RdNr 38, ua unter Hinweis auf BVerfGE 82, 6, 12 ff). Eine Lücke liegt aber nur dort vor, wo das Gesetz eine Regelung weder ausdrücklich noch konkludent getroffen hat und es deshalb nach dem zugrunde liegenden Konzept, dem "Gesetzesplan", unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist (stRspr; vgl BSG aaO und zur gesetzlichen Rentenversicherung BSG Urteil vom 1.6.2017 - B 5 R 2/16 R - BSGE 123, 205 = SozR 4-2600 § 48 Nr 6, RdNr 25). Auch das LSG hat in der angegriffenen Berufungsentscheidung in Anwendung dieser Rechtsprechung eine bewusste planwidrige Regelungslücke und eine Gleichartigkeit der zu regelnden Sachverhalte verneint (zitiert wird BSG Urteil vom 14.7.2021 - B 6 KA 15/20 R - BSGE 132, 262 = SozR 4-5520 § 32 Nr 6 ≪vorgesehen≫, RdNr 39). Die Beschwerdebegründung befasst sich mit keiner dieser höchstrichterlichen Entscheidungen und stellt deshalb schon nicht ansatzweise dar, ob und inwieweit noch ein Klärungsbedarf zur analogen Anwendung der Verjährungsvorschriften aus dem Beitragsrecht besteht. Darlegungen hierzu wären im Übrigen auch im Hinblick darauf erforderlich gewesen, dass - wie das LSG zu Recht ausführt - die Erstattung der erbrachten Leistungen nach Aufhebung der Bewilligung gemäß der allgemeinen Vorschrift in § 50 Abs 1 SGB X erfolgt. Insoweit besteht bereits eine spezielle Regelung zur Verjährung eines solchen Erstattungsanspruchs in § 50 Abs 4 SGB X (vgl dazu BSG Urteil vom 4.3.2021 - B 11 AL 5/20 R - BSGE 131, 286 = SozR 4-1300 § 50 Nr 7 RdNr 22 ff). Auch dazu verhält sich der Kläger nicht.
Indem der Kläger zur Begründung der Klärungsbedürftigkeit lediglich vorträgt, es gebe insoweit noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung und auch im Schrifttum bislang keine Meinung dazu, genügt dies in seiner pauschalen Form nicht den Anforderungen an eine hinreichende Begründung einer Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Gasser Hahn Körner
Fundstellen