Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsantrag. Revisionsbegründung. Bezugnahme auf Nichtzulassungsbeschwerde. Wiederholung, Gründe, Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (amtlich)
Die Vorlage eines Schriftsatzes mit einer – auch hinsichtlich des Antrags – unveränderten Wiederholung der sowohl auf grundsätzlicher Bedeutung als auch auf Divergenz und Verfahrensfehler gestützten Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde genügt nicht den Anforderungen einer Revisionsbegründung.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 164 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. September 1995 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11. September 1991 (Unterschenkelfraktur rechts) ab Beginn der Arbeitsfähigkeit eine Gesamtvergütung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens 30 vH (anstelle der von der Beklagten anerkannten 20 vH) vom 16. Februar bis 31. Dezember 1992 und für die anschließende Zeit Verletztenrente nach einer MdE ebenfalls um wenigstens 30 vH zu gewähren.
Das Sozialgericht (SG) hat die gegen die eine höhere und einen längeren Zeitraum umfassende Gesamtvergütung und die Zahlung einer Verletztenrente ablehnenden Bescheide der Beklagten (Bescheid vom 11. Dezember 1992, 5. November 1993, Widerspruchsbescheid vom 25. November 1993) gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 23. November 1994).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13. September 1995). Es ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe weder einen Anspruch auf eine höhere Gesamtvergütung noch einen solchen auf Verletztenrente ab dem 1. Januar 1993. Zur Begründung hinsichtlich des MdE-Grades der Gesamtvergütung und der beantragten Verletztenrente hat es unter Hinweis auf § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf die Entscheidungsgründe im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen. Weitere Ermittlungen von Amts wegen seien nicht durchzuführen gewesen, da das Gutachten von Prof. Dr. H. und die ergänzende neurologische Stellungnahme von W. S. die Unfallfolgen und die Zusammenhangsfrage – auch bezüglich der geltend gemachten Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Kniegelenks – in schlüssiger und überzeugender Weise abgehandelt habe. Dem hilfsweise gestellten Antrag nach § 109 SGG brauche nicht gefolgt zu werden, da dieser unvollständig, ohne Benennung eines bestimmten Arztes und verspätet gewesen sei. Der Senat habe auch keinen Anlaß gesehen, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen. Ebensowenig hätten Gründe für eine Vertagung der mündlichen Verhandlung vorgelegen.
Mit seiner hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geltend gemacht. Außerdem hat er Verfahrensmängel des LSG gerügt, ua die Verletzung rechtlichen Gehörs. Das LSG habe erkennbar sein Vorbringen weder zur Kenntnis noch in Erwägung gezogen. Er – der Kläger – habe sich in seiner Berufungsschrift vom 12. September 1995 mit dem erstinstanzlichen Urteil auseinandergesetzt und im einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen es aus seiner Sicht zu beanstanden sei. Zugleich habe er mehrere Beweisanträge gestellt und im einzelnen näher begründet, warum der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht noch nicht hinreichend aufgeklärt gewesen sei. Hierzu und zu seinen weiteren Anträgen habe das LSG im angefochtenen Urteil überhaupt nicht Stellung genommen.
Auf die daraufhin vom Senat unter Hinweis auf § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG zugelassene Revision (Beschluß vom 19. März 1996) hat der Kläger binnen Monatsfrist nach Zustellung des Beschlusses Revision eingelegt. Er hat ferner innerhalb der bis zum 1. Juli 1996 vom Vorsitzenden des Senats verlängerten Frist zur Begründung der Revision einen unter dem 28. Juni 1996 von seinem Prozeßbevollmächtigten unterzeichneten und am 1. Juli 1996 per Telefax beim BSG eingegangenen Schriftsatz eingereicht, der – auch hinsichtlich des Antrages – mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 16. Januar 1996 ohne jeden weiteren Zusatz wörtlich übereinstimmt. Mit weiterem Schriftsatz vom 9. Juli 1996 hat der Kläger mitgeteilt, er habe mit Schriftsatz vom 28. Juni 1996 versehentlich die falschen Anträge gestellt und die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wiederholt.
Der Kläger beantragt in diesem Schriftsatz vom 9. Juli 1996,
- das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. November 1994 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. September 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. November 1993 (gemeint ist offensichtlich vom 5. November 1993) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1993 aufzuheben,
- die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides über die Gewährung einer Gesamtvergütung für den Zeitraum vom 16. Februar 1992 bis 31. Dezember 1992 zu verurteilen, bei Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes, unter Berücksichtigung einer MdE von 30%,
- die Beklagte zur Bekanntgabe eines Bescheides über die Zahlung einer Gesamtvergütung nach § 603 RVO über den Zeitraum vom 1. Januar 1993 bis wenigstens Ende Mai 1993, zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts und dabei von einer MdE von wenigstens 30% auszugehen,
- die Beklagte dazu zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente auf Dauer zu gewähren nach einer MdE von wenigstens 30%,
- den Rechtsstreit an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen, hilfsweise an das Landessozialgericht.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Sie meint, der als Revisionsbegründung eingereichte Schriftsatz sei inhaltlich identisch mit dem zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingereichten Schriftsatz. Die Anträge entsprächen denen für die zuvor begehrte Zulassung der Revision.
Der Kläger meint, die Begründung sei in den wesentlichen Punkten identisch mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, so daß selbst die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde als Revisionsbegründungsschrift ausreichend wäre, um über die Angelegenheit zu entscheiden. Diese entspreche den Voraussetzungen, die an eine Revisionsbegründungsschrift gestellt würden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unzulässig. Sie entspricht nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 164 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 SGG). Die Ausführungen des Revisionsklägers im Schriftsatz vom 28. Juni 1996 enthalten weder einen ordnungsgemäßen bestimmten Revisionsantrag noch eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG genügt es für den bestimmten Antrag zwar, wenn das Vorbringen des Revisionsklägers erkennen läßt, welches prozessuale Ziel er mit der Revision erreichen will (BSG SozR 1500 § 164 Nr. 10 und zuletzt Urteil des Senats vom 1. Februar 1996 – 2 RU 7/95 – demnächst in SozR 3-2200 § 723 Nr. 2 = ZIP 1996, 1134). Dies erfordert allerdings eine sorgfältige Begründung der Revision. Die Pflicht zur schriftlichen Begründung des Rechtsmittels soll eine umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens gewährleisten. Diesem Zweck dient auch der Vertretungszwang vor dem BSG (§ 166 SGG; vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 166 RdNr. 1). Der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers hat – für das Revisionsgericht objektiv erkennbar – den Streitstoff zu sichten und die im Revisionsverfahren noch entscheidungserheblichen Gesichtspunkte herauszuarbeiten (BSG SozR 1500 § 164 Nr. 27). Zwar ist bei der schriftlichen Begründung der Revision eine Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in den Fällen unschädlich, in denen sich der Revisionskläger insoweit bereits dort mit den materiell-rechtlichen Fragen auseinandergesetzt hat, sich diese Fragen auch im Revisionsverfahren stellen und eine erneute eigenständige Begründung im wesentlichen auf eine Wiederholung des bereits Vorgetragenen hinauslaufen würde (BSG Urteil vom 9. August 1995 – 9 RVs 3/95 – mwN). Auch in einem solchen Fall muß der Revisionskläger – für das Revisionsgericht objektiv erkennbar – gewissenhaft geprüft haben, ob und in welchem Umfang die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe nunmehr als Revisionsgründe vorzubringen sind. Damit muß aus der schriftlichen Revisionsbegründung, für die der Prozeßbevollmächtigte mit seiner Unterschrift die volle Verantwortung übernimmt, deutlich erkennbar sein, daß er die Revisionsgründe geprüft hat und ob und ggf welche er hiervon geltend machen will. Ist die Beschwerde auf mehrere Zulassungsgründe gestützt worden, so muß sich aus der Revisionsschrift eindeutig ergeben, welche der Zulassungsgründe nunmehr als – zulässige – Gründe zur Stützung der Revision dienen sollen (BSG SozR 1500 § 164 Nr. 27 mwN). Dies folgt zwangsläufig aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 164 Abs. 2 SGG. Um dem Revisionsgericht unnötige Arbeit zu ersparen, darf der Umfang der gewünschten Überprüfung des angefochtenen Urteils nicht unklar bleiben.
Eine solche gebotene Sichtung des Streitstoffs und Prüfung der im revisionsgerichtlichen Verfahren noch entscheidungserheblichen Gesichtspunkte ist hier offensichtlich nicht erfolgt. Der Schriftsatz vom 28. Juni 1996 enthält nicht einmal eine – möglicherweise unter den bezeichneten Voraussetzungen zulässige – Bezugnahme auf die Beschwerdebegründung vom 16. Januar 1996; vielmehr ist die auch nicht als solche bezeichnete „Revisionsbegründung” vom 28. Juni 1996 lediglich eine vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers unterzeichnete wörtliche Wiederholung seiner Beschwerdebegründung einschließlich des dann enthaltenen Antrags, die Revision zuzulassen.
Entgegen der Auffassung des Revisionsklägers wäre auch die Revision nicht „mit einer Übernahme der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ausreichend begründet iS des Erfordernisses des § 164 SGG”. Die alleinige Vorlage eines vom Prozeßbevollmächtigten unterzeichneten, sonst aber – bis auf das Datum – unveränderten Schriftsatzes mit einer bloßen Wiederholung der Begründung der sowohl auf eine grundsätzliche Bedeutung als auch auf Divergenz und Verfahrensfehler gestützte Nichtzulassungsbeschwerde selbst genügt den Anforderungen einer Revisionsbegründung jedenfalls dann nicht, wenn nicht erkennbar ist, daß er im Hinblick auf die nach Zulassung der Revision nunmehr geltend zu machenden Revisionsgründe den Streitstoff geprüft, gesichtet und rechtlich durchgearbeitet hat. Die bloße wörtliche Übernahme der Beschwerdebegründung würde nicht deutlich machen, auf welche Gründe sich die Revision stützt, zumal die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die geltend gemachte Divergenz zwar einen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs. 2 SGG aber keinen Revisionsgrund darstellt. Vielmehr kann nach § 162 SGG die Revision nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.
In diesem Sinne ist auch der Hinweis des Senats in dem Zulassungsbeschluß vom 19. März 1996 zu verstehen, der dem Revisionskläger unnötige Arbeit bei der Bezeichnung der Revisionsgründe ersparen sollte.
Die Revision war daher nach § 169 SGG durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 954088 |
DÖV 1998, 42 |
MDR 1997, 273 |
Breith. 1997, 367 |
SozSi 1997, 280 |