Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. Arbeitslosengeld. Zuordnung zur Leistungsgruppe. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Werden im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde neue Gesichtspunkte zu einer grundsätzlich bereits geklärten Rechtsfrage vorgetragen, kann die Rechtsfrage erneut klärungsbedürftig sein.
2. § 111 Abs 2 AFG verstößt auch insoweit nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, als in dieser Vorschrift iVm § 113 Abs 2 AFG Arbeitnehmer-Ehegatten nicht in jeder Hinsicht genauso wie Arbeitslose, die mit Selbständigen verheiratet sind, behandelt werden.
Normenkette
AFG § 111 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 38b S. 1 Nr. 3 Buchst. a DBuchst aa; SGG § 160a Abs. 1-2; AFG § 113 Abs. 2
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 18.12.1991; Aktenzeichen L 6 Ar 346/91) |
SG Gießen (Entscheidung vom 07.02.1991; Aktenzeichen S 12 Ar 746/89) |
Gründe
1.
Das Landessozialgericht (LSG) hat wie das Sozialgericht (SG) den Anspruch der Klägerin auf Gewährung höheren Arbeitslosengeldes (Alg) durch die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) verneint.
Die mit einem als Arbeitnehmer beschäftigten Steuerberater verheiratete Klägerin begehrt, das ihr unter Berücksichtigung der zu Beginn des Jahres 1988 eingetragenen Lohnsteuerklasse V/0 - beim Ehemann war die Lohnsteuerklasse III/1 eingetragen - nach Leistungsgruppe D gewährte Alg entsprechend der Lohnsteuerklasse III/1 nach der Leistungsgruppe C festzustellen. Sie hält die von der BA angewandte Regelung des § 111 Abs 2 Nr 1d Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für mit dem Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar und macht geltend, sie werde schlechter behandelt, wie wenn sie mit einem selbständig tätigen Ehemann verheiratet wäre, weil ihr dann die begehrte Einstufung in Leistungsgruppe C zustehen würde.
Außerdem rügt sie als Verfahrensmangel Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig (§ 160a Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), soweit sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache betrifft, nicht hingegen hinsichtlich der Verfahrensrüge.
2.
Soweit die Klägerin Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, ist die Beschwerde unzulässig, weil die diesen Verfahrensmangel ergebenden Tatsachen nicht bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 2 SGG).
Der damalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung sind ihm in der Ladung (Terminsmitteilung) mit dem Hinweis darauf, daß auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne, rechtzeitig mitgeteilt worden. Einen besonderen Hinweis, daß eine Erörterung des Rechtsstreits zwischen dem Gericht und den Beteiligten vorgesehen ist, verlangt § 110 SGG nicht; der Begriff der Verhandlung schließt vielmehr für die Beteiligten eine Erörterung des Rechtsstreits in jeder Hinsicht ein. Im übrigen hatte die Klägerin ihren Rechtsstandpunkt bereits eingehend in beiden Instanzen vorgetragen, so daß nicht dargelegt ist, was sie darüber hinaus noch hätte vorbringen wollen.
3.
Soweit die Klägerin ihre Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache stützt, ist die Beschwerde zulässig.
Nach Auffassung des Senats ist die Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage - Verfassungswidrigkeit des § 111 Abs 2 Nr 1d AFG - hinreichend dargelegt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage zwar dann nicht mehr, wenn sie bereits entschieden ist oder durch Auslegung des Gesetzes, evtl unter Berücksichtigung bereits ergangener Rechtsprechung, eindeutig beantwortet werden kann. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn - wie hier - neue Gesichtspunkte vorgetragen werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der grundsätzlich bereits entschiedenen Rechtsfrage führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 4. Aufl § 160 RdNr 7 sowie Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde RdNr 119). Das trifft hier zu.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschlüssen vom 8. März 1983 - 1 BvL 21/80 - (SozR 4100 § 111 AFG Nr 6) und vom 12. Oktober 1983 - 1 BvR 1596/82 - Dreier-Ausschuß - (SozR 4100 § 111 AFG Nr 7) die Anknüpfung der Leistungsbemessung an das Lohnsteuersystem in § 111 Abs 2 AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) - die Fassung ist praktisch unverändert geblieben - als typisierende Regelung bei der Ordnung von Massenerscheinungen im Hinblick auf die steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten von gemeinsam zur Lohn- und Einkommensteuer veranlagten Ehepartnern für verfassungsgemäß erachtet. Das BVerfG hat dabei ausgesprochen, daß niemand allein daraus, daß einer Gruppe aus besonderem Anlaß besondere gesetzliche Vergünstigungen zugestanden werden, für sich ein verfassungsrechtliches Gebot herleiten könne, genau dieselben Vorteile in Anspruch nehmen zu dürfen. Insbesondere sei der Gesetzgeber bei verheirateten Arbeitslosen nicht gehalten, statt des durch Arbeitslosigkeit ausfallenden Einkommens die Gesamteinkünfte der Familie als Anknüpfungspunkt für die Bemessung von Alg zu wählen.
Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß § 111 Abs 2 - damit auch Nr 1d - AFG in bezug auf alle Ehepaare, die zur Lohn- und Einkommensteuer veranlagt werden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Aus den genannten Entscheidungen ist allerdings nicht sicher zu entnehmen, daß das BVerfG auch den von der Klägerin angeführten Vergleich zwischen einem Arbeitnehmerehepaar und einem Ehepaar, das aus einem Arbeitnehmer und einem selbständig Tätigen besteht, bei seinen Entscheidungen berücksichtigt hat. Deshalb sind die von der Klägerin unter diesem Blickwinkel angestellten Erwägungen dazu, daß Arbeitnehmerehepaare gegenüber dem Vergleichspaar benachteiligt werden, neu und nicht offensichtlich ungeeignet, die bisherige verfassungsrechtliche Betrachtungsweise in Frage zu stellen. Nach Auffassung des Senats hat die Klägerin daher die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ausreichend dargelegt.
4.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn aus dem von der Klägerin angestellten Vergleich folgt nicht die behauptete Verletzung des Gleichheitssatzes. Nach Art 3 Abs 1 GG muß der Gesetzgeber die Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sicherstellen und darf nicht wesentlich Gleiches ungleich behandeln (vgl zB BVerfGE 55, 72, 88; 65, 104, 112; 75, 382, 393; 79, 1, 17 und zuletzt Urteil vom 7. Juli 1992, NJW 1992 S 2213, 2214). Damit ist ihm jedoch nicht jede Differenzierung verwehrt, sofern sie in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze findet.
Die Klägerin begehrt die rechtliche Gleichbehandlung wesentlich verschiedener Sachverhalte.
Die Lohnersatzfunktion des Alg mit existenzsichernder Wirkung ist nur erreichbar, wenn die Feststellung und Auszahlung des Alg sobald wie möglich erfolgt. Dazu ist die Anknüpfung an die bescheinigten Lohnsteuerklassen zweckmäßig. Bei Arbeitnehmer-Ehegatten kann freilich die Höhe des Arbeitslohnes der Partner im Laufe eines Kalenderjahres derart wechseln, daß eine Änderung der auf den Lohnsteuerkarten eingetragenen Lohnsteuerklassen angebracht ist, zumal jeder der beiden Partner arbeitslos werden kann und Anspruch auf seinem Arbeitslohn entsprechende Leistungen haben soll. Auch dann kommt zwischen den Eheleuten ein Steuerklassenwechsel im Rahmen der Steuerklassen III bis V gemäß § 113 Abs 2 AFG in Betracht (vgl dazu BSG SozR 4100 § 113 Nr 4).
Bei dem Arbeitnehmer/Selbständigen-Ehepaar kann dies nicht auftreten. Hier kann nur der Arbeitnehmerpartner arbeitslos werden und Anspruch auf Alg haben. Ein Lohnsteuerklassenwechsel kommt wegen der Lohnsteuerpflicht nur eines Ehegatten nicht in Frage. Bereits aufgrund dieser Unterschiede kommt für die Vergleichsgruppe eine Regelung, die der für Arbeitnehmer-Ehegatten voll entspricht, nicht in Betracht. Der in § 113 Abs 2 AFG vorgesehene Steuerklassenwechsel zwischen Arbeitnehmer-Ehegatten hat nach seinem Sinn und Zweck allein für diese Ehegatten Bedeutung.
Die Verfassungsmäßigkeit der von der Klägerin beanstandeten Regelung wird nach Auffassung des Senats nicht dadurch widerlegt, daß für die sich von den Arbeitnehmer-Ehegatten in sachlicher Hinsicht unterscheidenden Arbeitnehmer/Selbständigen-Ehegatten gem § 38b Satz 1 Nr 3a, aa Einkommensteuergesetz (EStG) lohnsteuerrechtlich nur ein feststehender Anknüpfungsmaßstab für die Bemessung des Alg des arbeitslosen Arbeitnehmer-Ehegatten besteht, nämlich seine Lohnsteuerklasse. Zu berücksichtigen ist, daß in vielen Fällen der Arbeitnehmer dieser Verbindung im Vergleich zum Arbeitseinkommen des Selbständigen ein höheres Arbeitsentgelt erzielt. Jedenfalls in diesen Fällen weist die Bemessung des Alg für den arbeitslosen Arbeitnehmer unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III im Vergleich zu Arbeitnehmer-Ehepaaren keinen Unterschied auf. Bei umgekehrten Einkommensverhältnissen, in denen der Arbeitnehmer-Ehegatte gleichwohl lohnsteuerrechtlich in die Klasse III eingruppiert wird, ist für die Arbeitsverwaltung im Zeitpunkt der Entscheidung über das begehrte Alg regelmäßig nicht vorhersehbar, ob die steuerrechtlichen Regelungen über die Veranlagung von Ehegatten ein finanzielles Endergebnis herbeiführen, das den Arbeitslosen jedenfalls nicht wesentlich besserstellt als den arbeitslosen Arbeitnehmer-Ehegatten. Von der Verwaltung schnell zu bewältigende Massenerscheinungen wie die Gewährung von Alg verlangen mithin notwendigerweise pauschalierende und typisierende Regelungen, selbst wenn dabei gewisse Ungleichheiten zwischen verschiedenen Personengruppen auftreten (BSG Urteil vom 27. Juli 1989 - 11/7 RAr 101/87 - SozR 4100 § 111 AFG Nr 10). Der aus diesem Grunde erforderliche Regelungsspielraum ist im Bereich der Leistungsverwaltung besonders weit, weil die Praktikabilität einfache Maßstäbe für die Leistungsberechnung erfordert. § 111 Abs 2 AFG trägt diesem Erfordernis daher auch bezüglich des mit einem Selbständigen verheirateten Arbeitnehmers, der Alg beansprucht, Rechnung. Das Arbeitseinkommen des selbständigen Ehegatten steht nämlich erst nach Abgabe seiner Steuererklärung und der dann erfolgenden Veranlagung, die in Einzelfällen mehrere Jahre dauern kann, fest. Erst nach der steuerlichen Veranlagung könnte damit auch das Verhältnis der Bruttoeinkünfte dieser beiden Ehepartner berücksichtigt werden. Würde die Arbeitsverwaltung dann mit im Einzelfall erforderlichen Korrekturen der Höhe des zu gewährenden Alg belastet werden, wäre damit nicht nur ein unangemessener Verwaltungsaufwand verbunden, sondern die Korrekturen würden auch zu einer nachträglichen Zweckverfehlung des Alg führen, das den zuvor tatsächlich erzielten Lohn ersetzen soll (vgl BSG, Urteil vom 13. November 1980 - 7 RAr 99/79- BSGE 51, 10, 14, 15). Das Arbeitsförderungsrecht muß deshalb für die Bemessung des Alg nicht abweichend von der bestehenden Lohnsteuerklasseneinteilung des § 111 Abs 2 AFG an das durch Arbeitslosigkeit verminderte Gesamteinkommen der Familie anknüpfen.
Die Regelung des § 111 Abs 2 AFG kann im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG auch deshalb für die nach Auffassung der Klägerin begünstigte Vergleichsgruppe hingenommen werden, weil durch die angeführten Entscheidungen anerkannt ist, daß auch zum Nachteil des Arbeitslosen individuelle Freibeträge, die auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden können und sonstige Steuervergünstigungen, die erst im Lohnsteuerausgleichsverfahren oder bei der Veranlagung zur Einkommensteuer zu einer Steuerentlastung führen, grundsätzlich für die Bemessung des Alg unberücksichtigt bleiben. Eine gewisse Parallelität zu dem hier zu beurteilenden Fall besteht jedenfalls insoweit, als auch in jenen Fällen die rein steuerrechtlichen Ausgleichsmechanismen zwischen den Eheleuten unbeachtet bleiben dürfen (vgl BSGE 51, 10, 15 sowie Urteil vom 27. Juli 1989 aaO).
Der Nichtzulassungsbeschwerde war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen