Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Sozialhilfeträger. Krankenkasse. Erstattungsanspruch. Haushaltshilfe. Eingliederungshilfe. Gleichartigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Der Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers richtet sich vor Einführung des § 44 Abs. 2 BSHG wegen des institutionellen Nachrangs der Sozialhilfe (so genannte Systemsubsidiarität) nach § 104 SGB X, während § 102 SGB X, der an sich die Ausgleichsverpflichtung des nach materiellem Sozialrecht zuständigen gegenüber dem auf Grund gesetzlicher Verpflichtung vorläufig eingetretenen Leistungsträger regelt, nur bei gleichrangig verpflichteten Leistungsträgern heranzuziehen ist.
Normenkette
SGB V § 38 Abs. 1, 3; BSHG § 39; SGB X §§ 102, 104 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beigeladene, die bei der beklagten Krankenkasse versichert ist, versorgt und pflegt in ihrem Haushalt ihren 1967 geborenen Sohn, der geistig und körperlich behindert ist. In der Zeit vom 11. Mai bis 8. Juni 1996, in der sie sich zur Kur befand, war ihr Sohn im Wohnpflegeheim eines heilpädagogischen Zentrums untergebracht. Von den Kosten in Höhe von 10.769,40 DM hat die Pflegekasse auf der Grundlage des § 39 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) einen Teilbetrag von 2.800 DM übernommen. Die restlichen Kosten hat der klagende Bezirk als überörtlicher Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 40 Abs 1 Nr 8 iVm § 44 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vorläufig getragen.
Den Antrag der Beigeladenen, ihr die verbleibenden Kosten in Höhe von 7.969,40 DM als Leistung der Haushaltshilfe nach § 38 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erstatten, hatte die Beklagte zuvor mit Bescheid vom 29. April 1996 abgelehnt. Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 16. April 1997) hat die Beigeladene dagegen das Sozialgericht (SG) angerufen. Im weiteren Verlauf ist mit ihrem Einverständnis und mit Einwilligung der Beklagten der Sozialhilfeträger an ihrer Stelle als Kläger in den Prozess eingetreten und hat einen Erstattungsanspruch in gleicher Höhe geltend gemacht.
Das SG hat die Klage abgewiesen, weil es sich bei der Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG nicht um eine der Haushaltshilfe nach § 38 SGB V gleichartige Leistung handele und es deshalb an einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis fehle. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Es hat die Frage der inhaltlichen Gleichartigkeit der beiden Leistungen offen gelassen. Das Erstattungsbegehren scheitere jedenfalls daran, dass der Beigeladenen für die Betreuung ihres Sohnes in dem heilpädagogischen Zentrum kein Anspruch auf Haushaltshilfe zugestanden habe. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift habe die Krankenkasse nur die Weiterführung des Haushalts, nicht aber eine auswärtige Unterbringung der bisher im Haushalt betreuten Personen zu ermöglichen. Wenn auch die Betreuung außerhalb des eigenen Haushalts vom Leistungsumfang erfasst sein solle, müsse dies ausdrücklich angeordnet werden, wie es bei vergleichbaren Leistungen in anderen Sozialleistungsbereichen (§ 71 BSHG für die Hilfe zur Pflege bei Sozialhilfeempfängern; § 29 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch für ergänzende Leistungen zur Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung) geschehen sei. Mindestens seit der Einführung der Pflegeversicherung, die für die in Rede stehende Bedarfssituation in Gestalt der Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) und der Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) adäquate, wenn auch der Höhe nach begrenzte Leistungen vorsehe, gebe es für eine Ausweitung des krankenversicherungsrechtlichen Anspruchs auf Haushaltshilfe auch keine Notwendigkeit.
Mit der Revision wendet sich die Beklagte gegen diese rechtliche Beurteilung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne in Ausnahmefällen auch die Versorgung von Kindern eines Versicherten außerhalb seines Haushalts einen Kostenerstattungsanspruch nach den Vorschriften über die Haushaltshilfe begründen, wenn sich die während des Krankenhaus- oder Kuraufenthalts des Versicherten ausfallende häusliche Betreuung anders nicht ersetzen lasse. Der Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers scheitere auch nicht an fehlender Gleichartigkeit der beiderseitigen Leistungen. Denn die lediglich als Vorleistung nach § 44 BSHG erbrachte Sozialhilfe habe schon wegen der kurzen Zeitdauer von vier Wochen keine Eingliederung des behinderten Sohnes, sondern lediglich eine vorübergehende Hilfestellung in einer Notsituation bezweckt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Oktober 2001 und des Sozialgerichts München vom 8. Juli 1999 aufzuheben und die Beklagte zur Erstattung der von ihm getragenen Aufwendungen für den Heimaufenthalt des Sohnes der Beigeladenen in Höhe von 7.969,40 DM zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Die allgemeinen Prozessvoraussetzungen, die der Senat auch bei einer zugelassenen Revision von Amts wegen zu prüfen hat, sind erfüllt. Die in erster Instanz durch Auswechseln des Klägers und Übergang vom Leistungs- auf den Erstattungsanspruch vorgenommene doppelte Klageänderung war zulässig, da alle Beteiligten eingewilligt haben. Auch wegen der Zulässigkeit der geänderten Klage selbst bestehen keine Bedenken; ein Verwaltungsakt hatte über die Forderung des Sozialhilfeträgers nicht zu ergehen, sodass auch kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist einzuhalten war.
Die Klage ist jedoch von den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen worden. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Rechtsgrundlage des Erstattungsbegehrens ist hier noch § 104 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), obwohl der Kläger die durch die Pflegekasse nicht übernommenen Kosten der Unterbringung im Wohnpflegeheim des heilpädagogischen Zentrums A.… in M.… ausdrücklich nur im Wege vorläufiger Hilfeleistung nach § 44 BSHG getragen hat. Die zuletzt genannte Vorschrift verpflichtet den Träger der Sozialhilfe, die notwendigen Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff BSHG unverzüglich durchzuführen, wenn spätestens vier Wochen nach Bekanntwerden des Bedarfs nicht feststeht, ob ein anderer als der Träger der Sozialhilfe oder welcher andere zur Hilfe verpflichtet ist, und wenn zu befürchten ist, dass die Maßnahmen sonst nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt werden. Auch bei dieser Konstellation richtete sich nach der Rechtsprechung des BSG der Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers wegen des institutionellen Nachrangs der Sozialhilfe (so genannte Systemsubsidiarität) in der Vergangenheit stets nach § 104 SGB X, während § 102 SGB X, der an sich die Ausgleichsverpflichtung des nach materiellem Sozialrecht zuständigen gegenüber dem auf Grund gesetzlicher Verpflichtung vorläufig eingetretenen Leistungsträger regelt, nur bei gleichrangig verpflichteten Leistungsträgern heranzuziehen war (BSG, Urteil vom 27. Juni 1985 – SozR 2200 § 182b Nr 32; Urteil vom 14. September 1994 – SozR 3-2500 § 33 Nr 11). Der durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I 1088) eingefügte § 44 Abs 2 BSHG hat diese Rechtslage zwar geändert und bestimmt nunmehr, dass sich Erstattungsansprüche in Fällen der vorläufigen Hilfeleistung nach der für den Sozialhilfeträger hinsichtlich des Erstattungsumfangs günstigeren Vorschrift des § 102 SGB X richten. Die Rechtsänderung ist aber erst am 1. August 1996 und damit nach der Entstehung eines aus der Hilfegewährung in den Monaten Mai/Juni 1996 gegebenenfalls resultierenden Erstattungsanspruchs in Kraft getreten (Art 17 des Gesetzes vom 23. Juli 1996 – BGBl I 1099).
Auch für einen mit der generellen Nachrangigkeit von Sozialhilfeleistungen begründeten Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 SGB X fehlt indessen schon die Grundvoraussetzung einer korrespondierenden Leistungspflicht der Beklagten. Der Senat lässt ebenso wie bereits das LSG ausdrücklich offen, ob es sich bei der Haushaltshilfe nach § 38 SGB V und der als Maßnahme der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff BSHG gewährten Verhinderungspflege um inhaltlich gleichartige Leistungen handelt. Der 3. Senat des BSG hat dies in einem Urteil vom 27. November 1990 – 3 RK 30/89 (USK 9054 = Die Leistungen 1991, 466 = ErsK 1993, 37) bei vergleichbarem Sachverhalt mit Blick auf die Zweckbestimmung der Eingliederungshilfe im Sozialhilferecht verneint und einen Erstattungsanspruch schon aus diesem Grunde ausgeschlossen. Ob dem mit Erfolg entgegengehalten werden kann, bei einer kurzzeitigen Heimunterbringung wegen des vorübergehenden Ausfalls der häuslichen Pflegeperson trete der Eingliederungszweck zu Gunsten einer der Haushaltshilfe vergleichbaren Überbrückungsfunktion zurück, kann dahinstehen. Darauf kommt es nicht an, weil die Krankenkasse für die Kosten einer außerhäuslichen Pflege und Betreuung des von dem krankheitsbedingten Ausfall des Versicherten betroffenen Kindes nicht aufzukommen hat.
Anspruch auf Haushaltshilfe besteht nach § 38 Abs 1 iVm Abs 3 SGB V, wenn ein Versicherter wegen Krankenhausbehandlung oder wegen einer Vorsorge- oder Rehabilitationskur nach § 23 Abs 2, § 23 Abs 4, § 24, § 40 Abs 2 oder § 41 SGB V seinen Haushalt nicht weiterführen und auch eine andere im Haushalt lebende Person diese Aufgabe nicht übernehmen kann. Voraussetzung ist weiterhin, dass im Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert und auf Hilfe angewiesen ist (§ 38 Abs 1 Satz 2 SGB V). Wie aus § 38 Abs 1 und Abs 4 SGB V zu ersehen ist, wird die Haushaltshilfe entsprechend dem Sachleistungsgrundsatz der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) grundsätzlich “in Natur” gewährt, indem die Krankenkasse eine geeignete Hilfskraft zur Verfügung stellt. Ist sie dazu nicht in der Lage oder besteht Grund, davon abzusehen, sind dem Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe in angemessener Höhe zu erstatten (§ 38 Abs 4 Satz 1 SGB V).
Die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistung machen deutlich, dass durch sie dem Versicherten speziell die Weiterführung seines Haushalts und nicht allgemein irgendeine Versorgung seiner Kinder ermöglicht werden soll. Das BSG hat deshalb bereits zu der früheren Regelung in § 185b Reichsversicherungsordnung entschieden, dass kein Anspruch auf Haushaltshilfe besteht, wenn ein Kind während der krankheitsbedingten Abwesenheit des Versicherten außerhalb von dessen Haushalt bei Verwandten versorgt wird (Urteil vom 22. Juni 1979 – 3 RK 39/78 in SozR 2200 § 185b Nr 7). Es hat allerdings dahinstehen lassen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Versorgung von Kindern eines Versicherten außerhalb seines Haushalts einen Kostenerstattungsanspruch ausnahmsweise dann begründen könnte, wenn die Weiterführung des eigenen Haushalts durch eine Ersatzkraft nicht möglich ist. Diese Frage ist entgegen dem Vortrag des Klägers auch in dem bereits erwähnten Urteil vom 27. November 1990 – 3 RK 30/89 (USK 9054 = Die Leistungen 1991, 466 = ErsK 1993, 37), das einen dem jetzigen vergleichbaren Sachverhalt betraf, ausdrücklich offen gelassen worden. Sie ist zu verneinen, wie das LSG mit zutreffenden und überzeugenden Gründen dargelegt hat.
Da sich alle Regelungen des § 38 SGB V ausschließlich auf die durch den Krankenhaus- bzw Kuraufenthalt nicht mehr sichergestellte Haushaltsführung beziehen, wäre eine Ausdehnung der Leistungspflicht der Krankenkasse auf die auswärtige Unterbringung und Pflege des behinderten Kindes nicht im Wege der Auslegung, sondern nur im Wege der Analogie möglich. Dafür fehlt es aber an der erforderlichen Regelungslücke. Dass speziell bei behinderten Kindern eine Versorgung außerhalb des Haushalts notwendig werden kann, war dem Gesetzgeber seit langem bekannt. Er hat dafür in anderen Leistungsgesetzen, so etwa in § 71 BSHG für die Hilfe zur Pflege bei Sozialhilfeempfängern oder in § 29 Abs 2 SGB VI (vgl jetzt: § 54 Abs 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch) für ergänzende Leistungen zur Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger, ausdrückliche Regelungen geschaffen, die über die – auch in diesen Gesetzen vorgesehene – Haushaltshilfe hinausgehen. Wenn er im SGB V von einer solchen weiterreichenden Regelung abgesehen hat, kann das nur bedeuten, dass dies bewusst geschehen ist, weil die Krankenversicherung nicht mit zusätzlichen Kosten belastet werden sollte. Für die besondere Situation pflegebedürftiger Menschen (beim Sohn der Beigeladenen ist die Pflegestufe III anerkannt) enthält zudem das SGB XI in § 42 eine spezielle Vorschrift, die dem Pflegebedürftigen selbst für die Dauer einer kurzzeitigen Unterbrechung der häuslichen Pflege einen – allerdings auf 2.800 DM (heute 1.432 Euro) im Kalenderjahr begrenzten – Anspruch auf vorübergehende Pflege in einer vollstationären Einrichtung einräumt. Die Notwendigkeit, neben diesem eigenen Anspruch des behinderten Kindes für dieselbe Bedarfssituation im Wege der Analogie einen weiteren Anspruch des den Haushalt versorgenden Elternteils aus § 38 SGB V einzuräumen, ist nicht zu erkennen.
Die Revision des Klägers war danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen