Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Hessen |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. September 1998 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist der Beginn der Altersrente der Klägerin.
Die am 22. Mai 1932 geborene Klägerin legte vom 1. Januar 1948 bis 29. November 1975 Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zurück, vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1996 entrichtete sie freiwillige Beiträge.
Mit Bescheid vom 25. Februar 1988 erteilte die Beklagte der Klägerin einen Versicherungsverlauf und erkannte Kindererziehungszeiten für deren am 16. Juli 1950 und 17. Juli 1974 geborene Kinder an. Gleichzeitig übersandte sie ihr eine Rentenauskunft. Danach waren damals 366 Monate auf die Wartezeit anrechenbar. Mit Schreiben vom 12. November 1991 informierte die Beklagte die Klägerin über Neuregelungen durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992). Unter dem 28. November 1996 wies sie diese unter Bezugnahme auf die baldige Vollendung des 65. Lebensjahres darauf hin, daß das Versicherungskonto im Hinblick auf verschiedene Gesetzesänderungen erneut überprüft werden müsse, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
Am 5. Dezember 1996 beantragte die Klägerin die Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte, welche ihr durch Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 1997 ab 1. Januar 1997 gewährt wurde. Mit ihrem Widerspruch beanspruchte die Klägerin im Hinblick auf die Vollendung ihres 63. Lebensjahres im Mai 1995 Rentenleistungen ab 1. Juni 1995. Nunmehr wurde der Rentenbeginn auf den 1. Dezember 1996 vorverlegt (Bescheid vom 18. September 1997) und der Widerspruch im übrigen zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24. November 1997). Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) Gießen hat ihr Altersrente für langjährig Versicherte ab 1. Juni 1995 zugesprochen (Urteil vom 14. Mai 1998). Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung ist durch Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 29. September 1998 unter weitgehender Bezugnahme auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe im wesentlichen aus folgenden Erwägungen zurückgewiesen worden:
Gemäß § 99 Abs 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) komme die Zahlung der Rente hier zwar erst ab 1. Dezember 1996 (Beginn des Antragsmonats) in Betracht, die Klägerin sei jedoch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätte sie den Rentenantrag bereits bei Vollendung des 63. Lebensjahres gestellt. Dies habe zur Folge, daß ihr die Altersrente für langjährig Versicherte bereits ab 1. Juni 1995 zu gewähren sei.
Die Beklagte habe vorliegend ihre sich aus § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI ergebende Hinweispflicht verletzt. Sie hätte die Klägerin im Zeitpunkt der Vollendung des 63. Lebensjahres auf die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte hinweisen müssen. Eine derartige Informationspflicht habe die Beklagte jedenfalls Frauen gegenüber gehabt, die Kindererziehungszeiten zurückgelegt hätten. Denn die durch das RRG 1992 eingeführten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung seien grundsätzlich zusätzlich auf die Wartezeit von 35 Jahren anrechenbar, was für diesen Personenkreis den Zugang zur Altersrente für langjährig Versicherte erleichtert habe. Zwar habe die Klägerin im Zeitpunkt der Vollendung des 63. Lebensjahres die Wartezeit von 35 Jahren auch ohne das Hinzutreten von Kinderberücksichtigungszeiten erfüllt gehabt. Damit sei die Hinweispflicht der Beklagten jedoch nicht entfallen. Insbesondere sei im Hinblick auf die ihr 1988 gegebenen Hinweise nicht davon auszugehen, daß die Klägerin im Jahre 1995 erkennbar über alle notwendigen Informationen verfügt habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Regelung des § 274b SGB VI, wonach die Verpflichtung der Versicherungsträger zur Übersendung von Versicherungsverläufen und zur Kontenklärung bis zum 31. Dezember 1996 ausgesetzt gewesen sei.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte im wesentlichen geltend: Dem Berufungsurteil fehlten iS von § 136 Abs 1 Nr 6, § 200 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 551 Nr 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO) insofern Entscheidungsgründe, als ihm nicht entnommen werden könne, aufgrund welcher bedeutsamen Tatsachen das LSG zu dem Ergebnis gelangt sei, eine verletzte Hinweispflicht habe dazu geführt, daß die Altersrente für langjährig Versicherte „später” gewährt worden sei. Darüber hinaus sei entgegen der Auffassung des LSG keine Verletzung einer sich aus § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI ergebenden Hinweispflicht festzustellen, die einen solchen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen könnte.
Zunächst enthalte diese Vorschrift für den Versicherten kein eigenständiges subjektives Recht. Darüber hinaus eigne sich die Altersrente für langjährig Versicherte ihrer Art nach nicht für Hinweise nach § 115 Abs 6 SGB VI, da sich die Anspruchsvoraussetzungen nicht zwanglos aus dem Versicherungskonto der Berechtigten ergäben. Vielmehr seien weitere Ermittlungen erforderlich, zB Nachfragen betreffend die Aufgabe einer Beschäftigung, eine bestehende Arbeitslosigkeit, eine ausgeübte Altersteilzeitarbeit oder eine vorhandene Behinderung. Ferner wäre gemäß § 34 SGB VI zu prüfen, ob die Hinzuverdienstgrenzen eingehalten würden. Nach der gesetzgeberischen Intention des § 115 Abs 6 SGB VI verbiete sich auch eine Differenzierung nach bestimmten Personengruppen innerhalb einer Rentenart.
Selbst wenn grundsätzlich eine Hinweispflicht nach § 115 Abs 6 SGB VI bestünde, wäre diese hier wegen Vorliegens eines atypischen Falles ausgeschlossen. Zum einen habe die Klägerin bereits über alle notwendigen Informationen verfügt. Zum anderen sei der Bestimmung des § 274b SGB VI zu entnehmen, daß für den dort genannten Zeitraum auch etwaige Hinweispflichten bezüglich der Altersrente für langjährig Versicherte ausgeschlossen seien. Schließlich fehle es an hinreichenden Feststellungen des LSG dazu, daß das Unterbleiben eines Hinweises für den verspäteten Zeitpunkt der Antragstellung kausal gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. September 1998 sowie das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 14. Mai 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt sie insbesondere vor: Dem angefochtenen Urteil fehlten keine Entscheidungsgründe zur Frage der Kausalität. Darin werde (auf S 7) ausgeführt, die von der Beklagten verletzte Hinweispflicht habe bei ihr dazu geführt, daß sie für 18 Monate weiter freiwillige Beiträge entrichtet und in diesem Zeitraum keine Altersrente bezogen habe. Im übrigen verweise das LSG auf das erstinstanzliche Urteil, worin festgestellt werde, daß sie aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln sei, als hätte sie den Rentenantrag bereits bei Vollendung des 63. Lebensjahres gestellt.
Auch ein Verstoß gegen § 115 Abs 6 SGB VI liege nicht vor. Wenn schon in den Fällen der Regelaltersrente und Hinterbliebenenrente ein Hinweis erfolgen solle, so müsse dies erst recht bei der unter den Versicherten weniger bekannten Rente für langjährig Versicherte ab dem 63. Lebensjahr gelten. Soweit die Beklagte einerseits meine, bei vorgezogenen Renten nach den §§ 36 ff SGB VI stünden dem Versicherungsträger typischerweise nicht alle Daten zur Verfügung, andererseits aber die Auffassung vertrete, es habe nach der Rentenauskunft von 1988 wegen der „ohne weiteres überschaubaren versicherungsrechtlichen Situation” keines neuerlichen Hinweises an sie mehr bedurft, widerspreche sie sich. Die Renteninformation von 1988 habe im übrigen zu lange zurückgelegen, um im Mai 1995 einen Hinweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Rente ab Vollendung des 63. Lebensjahres entbehrlich zu machen. Ebensowenig liege im Hinblick auf § 274b SGB VI ein atypischer Fall vor, da diese Vorschrift die allgemeine Hinweispflicht nach § 115 Abs 6 SGB VI nicht suspendiert habe.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Zunächst ist das Berufungsurteil entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits deshalb aufzuheben, weil ihm im Sinne von § 136 Abs 1 Nr 6, § 202 SGG iVm § 551 Nr 7 ZPO Entscheidungsgründe fehlten. Nach § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, der gemäß § 153 Abs 1, § 165 SGG für das Revisionsverfahren entsprechend gilt, hat das Urteil Entscheidungsgründe zu enthalten, dh eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (vgl § 202 SGG iVm § 313 Abs 3 ZPO). Danach muß sich das Urteil mit allen wesentlichen Streitpunkten auseinandersetzen (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 1500 § 136 Nr 10). Fehlt es daran, so ist die Entscheidung gemäß § 202 SGG iVm § 551 Nr 7 ZPO stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen.
Gemessen an diesen Kriterien ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Das LSG hat deutlich gemacht, auf welchen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen seine Bejahung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beruht. Insbesondere enthalten die Entscheidungsgründe hinreichende Ausführungen dazu, daß die vom LSG angenommene Informationspflichtverletzung für den bei der Klägerin eingetretenen sozialrechtlichen Nachteil ursächlich war. Zum einen hat das LSG selbst diesbezüglich dargelegt, die von der Beklagten verletzte Hinweispflicht habe bei der Klägerin dazu geführt, daß sie für 18 Monate weiter freiwillige Beiträge entrichtet und in diesem Zeitraum keine Altersrente bezogen habe. Zum anderen hat das LSG auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen, worin es heißt, die Klägerin sei aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätte sie den Rentenantrag bereits früher – nämlich bei Vollendung ihres 63. Lebensjahres – gestellt mit der Folge, daß ihr Altersrente für langjährig Versicherte bereits ab 1. Juni 1995 zustehe. Beide Textpassagen lassen jedenfalls zusammengenommen klar erkennen, daß nach Ansicht der Vorinstanz vorliegend eine rechtzeitige Rentenantragstellung wegen des von der Beklagten unterlassenen Hinweises unterblieben ist. Nähere Ausführungen zu diesem Punkt waren nicht zuletzt auch im Hinblick darauf entbehrlich, daß die Beklagte – soweit ersichtlich – den betreffenden Kausalzusammenhang im Berufungsverfahren nicht durch substantiiertes Vorbringen in Zweifel gezogen hatte (vgl dazu allgemein BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 19).
Auch in der Sache hält das Berufungsurteil einer revisionsgerichtlichen Prüfung stand. Nach den vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen steht der Klägerin Altersrente für langjährig Versicherte bereits ab Juni 1995 zu.
Allein nach der gesetzlichen Regelung über den Rentenbeginn kann die Klägerin – wie das LSG zutreffend erkannt hat – Altersrente für langjährig Versicherte allerdings nicht für Zeiten vor dem 1. Dezember 1996 beanspruchen. Gemäß § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Die in § 36 SGB VI genannten Grundvoraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für langjährig Versicherte an die Klägerin lagen erstmals im Mai 1995 vor. In diesem Monat hatte sie das 63. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 35 Jahren (vgl dazu § 51 Abs 3 SGB VI) erfüllt. Dies ergibt sich zum einen aus dem Geburtsdatum der Klägerin (22. Mai 1932) und zum anderen aus der (vom LSG in Bezug genommenen) Feststellung des SG, daß die Klägerin bis Juni 1995 bereits 569 Kalendermonate, also über 47 Jahre, mit Versicherungszeiten belegt hatte. Darüber hinaus erfüllte die Klägerin ab Mai 1995 auch die negative Anspruchsvoraussetzung des § 34 Abs 2 SGB VI (Nichtüberschreiten der sog Hinzuverdienstgrenze). Sie hat jedoch nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats Mai 1995, also bis Ende August 1995, sondern erst im Dezember 1996 einen Rentenantrag gestellt. Wird eine Rente – wie hier – nach Ablauf der in § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI vorgesehenen Drei-Monats-Frist beantragt, so kommt eine Rentenleistung erst vom Antragsmonat an in Betracht (vgl § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Dem entspricht es, daß die Beklagte der Klägerin ab Dezember 1996 Rente gewährt hat.
Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, ist die Klägerin jedoch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätte sie den Rentenantrag bereits mit Vollendung ihres 63. Lebensjahres gestellt. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des sozialrechtlichen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger (oder ein für diesen handelnder Dritter) die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl zB BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12 mwN). Demnach kommt es insbesondere auf das Vorliegen folgender Voraussetzungen an (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2): Die verletzte Pflicht muß dem Träger gerade gegenüber dem Versicherten obliegen, die zugrundeliegende Norm letzterem also ein entsprechendes subjektives Recht eingeräumt haben. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muß zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben. Schließlich muß die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (sog Schutzzweckzusammenhang).
Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG, welche durch die nach § 153 Abs 2 SGG erfolgte Bezugnahme auch die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil umfassen, ist eine der Beklagten zurechenbare Pflichtverletzung im Verhältnis zur Klägerin anzunehmen. Dabei kann offenbleiben, ob nicht bereits das Schreiben der Beklagten vom 12. November 1991 insoweit einen die Klägerin fehlleitenden Informationsmangel enthält, als es vorgibt, über die am 1. Januar 1992 in Kraft tretende „wesentliche Neuregelung” zu unterrichten, jedoch nicht auf die gerade für die Klägerin bedeutsame Möglichkeit einer Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung hinweist. Ebensowenig braucht der erkennende Senat darüber zu befinden, ob die vom Versicherungsamt der Stadt L. gegebenen Auskünfte, die der Beklagten grundsätzlich zuzurechnen wären (vgl dazu BSGE 57, 288, 290 = SozR 1200 § 14 Nr 18; BSGE 59, 190, 191 f = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 63; allgemein auch Krasney, BKK 1985, 380, 382; ders, in: Übergreifende soziale Risiken, übergreifender sozialer Schutz, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes, Band 33, 1990, S 73, 91; Schultes, MittLVA Oberfr 1996, 124, 137), insoweit unzulänglich gewesen sein könnten, als der Ehemann der Klägerin offenbar nicht darauf hingewiesen worden ist, daß angesichts der zahlreichen am 1. Januar 1992 in Kraft tretenden gesetzlichen Neuregelungen eine individuelle Beratung durchaus geboten, eine solche jedoch nur anhand des Versicherungsverlaufs der Klägerin und ggf weiterer fallbezogener Angaben möglich sei. Denn ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kann – wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben – jedenfalls aus einer Verletzung der Hinweispflicht iS von § 115 Abs 6 SGB VI hergeleitet werden.
Nach Satz 1 dieser Vorschrift sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, daß sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Die Verletzung der sich aus dieser Regelung ergebenden Pflicht ist nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich geeignet, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu begründen, wobei ein damaliges Fehlen der nach § 115 Abs 6 Satz 2 SGB VI vorgesehenen gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger (vgl jetzt DAngVers 1998, 449) unschädlich ist (vgl zB BSGE 79, 168, 173 f = SozR 3-2600 § 115 Nr 1; BSGE 81, 251, 255 = SozR 3-2600 § 115 Nr 2; BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998 - B 5 RJ 62/97 - Umdruck S 6 ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫). Der von der Beklagten zitierten gegenteiligen Ansicht von Meyer (in GemeinschaftsKomm-SGB VI, § 115 RdNrn 43 f) sind die Arbeiterrentensenate des BSG (aaO) nicht gefolgt (ebenso zB Kahl in Koch/Hartmann, Die Rentenversicherung, § 115 SGB VI RdNr 23; Terdenge in Hauck, SGB VI § 115 RdNr 13). Zwar handelt es sich bei dem Tatbestandsmerkmal „in geeigneten Fällen” um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dieser ist jedoch – wie die zitierten Entscheidungen des BSG zeigen – im Wege der Auslegung bestimmbar. Die Richtlinien iS von § 115 Abs 6 Satz 2 SGB VI dienen insofern im wesentlichen zur Sicherstellung einer einheitlichen Umsetzung des Rechts.
Während sich für den Leistungsträger eine Pflicht zur Auskunft und Beratung iS der §§ 14, 15 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) nur bei konkretem Anlaß ergibt, ist die allgemeine Hinweispflicht der Träger der Rentenversicherung nach § 115 Abs 6 SGB VI auf geeignete Fälle beschränkt. Die Geeignetheit einer Fallgruppe richtet sich im wesentlichen nach folgenden Merkmalen: Für den Versicherungsträger muß ohne einzelfallbezogene Sachaufklärung erkennbar sein, daß ein abgrenzbarer Kreis von Berechtigten die Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung erfüllt, die von solchen Personen im Regelfall in Anspruch genommen wird. Die Frage, inwieweit darüber hinaus aus der Sicht des Versicherungsträgers bei den Betroffenen ein Informationsbedürfnis bestehen muß, ist von den damit befaßten Senaten des BSG noch nicht ganz einheitlich beantwortet worden. Nach Auffassung des 5. und 8. Senats muß für den Versicherungsträger erkennbar sein, daß die Angehörigen einer abgrenzbaren Gruppe von Versicherten den Rentenantrag aus Unwissenheit nicht stellen. Eine Hinweispflicht ergebe sich jedenfalls bei solchen Gestaltungsmöglichkeiten, die versteckt und nur Kennern der Materie geläufig seien (vgl dazu BSGE 81, 251, 256 = SozR 3-2600 § 115 Nr 2; BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998 - B 5 RJ 62/97 R - Umdruck S 8 ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫). Der erkennende Senat hat hingegen ein solches Erfordernis bislang nicht ausdrücklich aufgestellt (vgl BSGE 79, 168, 175 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1). Der vorliegende Fall gibt ihm jedoch Veranlassung, seine Rechtsprechung in diesem Punkt zu präzisieren.
Im Ansatz ist der Auffassung des 5. und 8. Senats des BSG zu folgen, daß eine Hinweispflicht nach § 115 Abs 6 SGB VI nur in den Fällen besteht, in denen der Rentenversicherungsträger davon ausgehen muß, daß die Berechtigten einen Rentenantrag aus Unkenntnis (noch) nicht gestellt haben. Soweit es die erstmalige Inanspruchnahme von Altersrente betrifft, ist dabei allerdings zu berücksichtigen, daß diesbezügliche Anträge regelmäßig einige Zeit vor der absehbaren Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen (insbesondere vor dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze) gestellt werden, um einen zeitgerechten Beginn der Rentenzahlungen sicherzustellen. Gehört jemand zu einer abgrenzbaren Gruppe von Versicherten, die eine solche Rente im allgemeinen vom frühestmöglichen Zeitpunkt an beziehen, so läßt das Fehlen eines Rentenantrags im Monat der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen somit grundsätzlich den Schluß zu, daß dies auf Unkenntnis des betreffenden Versicherten beruht. Dementsprechend sehen die inzwischen erlassenen „Gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger gemäß § 115 Abs 6 Satz 2 SGB VI” (DAngVers 1998, 449) in § 1 vor, daß Versicherte, die ausweislich ihres Versicherungskontos die allgemeine Wartezeit erfüllen und eine Rente der Rentenversicherung weder beziehen noch beantragt haben, spätestens im Monat der Vollendung des 65. Lebensjahres darauf hingewiesen werden, daß sie Regelaltersrente rechtzeitig erhalten können, wenn sie diese bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragen, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden.
Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Altersrente erscheint im Rahmen des § 115 Abs 6 SGB VI auch deshalb als sachgerecht, weil diese Bestimmung mit Blick auf die Regelungen des § 99 SGB VI über die Abhängigkeit des Rentenbeginns vom Zeitpunkt der Antragstellung erlassen worden ist (vgl dazu BT-Drucks 11/5530 S 46). Für einen Hinweis iS von § 115 Abs 6 SGB VI sind mithin unter diesem Gesichtspunkt grundsätzlich solche Fälle geeignet, bei denen der Versicherungsträger im Zeitpunkt der Erfüllung der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen das Fehlen eines entsprechenden Antrags feststellt. Da ein solcher bei Versichertenrenten innerhalb von drei Kalendermonaten (bei Hinterbliebenenrenten innerhalb eines Jahres) ohne weiteres nachgeholt werden kann, hilft ein rechtzeitiger Hinweis des Versicherungsträgers, den Berechtigten entsprechend der erkennbaren gesetzgeberischen Intention vor Rechtsnachteilen zu bewahren.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann sich die Hinweispflicht nach § 115 Abs 6 SGB VI der Art nach auch auf die hier streitige Altersrente für langjährig Versicherte beziehen (ebenso bereits BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998 - B 5 RJ 56/97 R - Umdruck S 11; BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998 - B 5 RJ 62/97 R - Umdruck S 8 ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫). Die in § 36 SGB VI für diese Rente vorgesehenen Anspruchsvoraussetzungen (Vollendung des 63. Lebensjahres und Erfüllung einer Wartezeit von 35 Jahren) lassen sich anhand der im Versicherungskonto gespeicherten Daten feststellen. Soweit die Beklagte auf die darüber hinaus erforderliche Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze iS von § 34 Abs 2 SGB VI verweist, ist ihr Einwand unbeachtlich, da dieser Punkt vor einem Hinweis nach § 115 Abs 6 SGB VI nicht geklärt werden mußte.
Gemäß § 34 Abs 2 Satz 1 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Fassung (die durch Art 1 Nr 5 Buchst a des Gesetzes zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 15. Dezember 1995 ≪BGB I 1814≫ erfolgte Änderung ist am 1. Januar 1996 in Kraft getreten) wird eine Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten ist. Diese Bestimmung ist der Prüfung des Herstellungsanspruchs zugrunde zu legen, weil dieser darauf gerichtet ist, die Klägerin rechtlich so zu behandeln, als hätte sie ihren Rentenantrag vor September 1995 gestellt (vgl § 300 Abs 2 SGB VI). § 34 Abs 2 SGB VI alter Fassung (aF) stellt zwar eine negative Anspruchsvoraussetzung auf (vgl dazu die Begründung zum Entwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124 S 161), sie betrifft jedoch nicht das sog Rentenstammrecht, sondern lediglich den (monatlichen) Rentenzahlungsanspruch (vgl Kreikebohm in GemeinschaftsKomm-SGB VI, Stand: September 1991, § 34 RdNr 55). Anderenfalls müßten – was wenig sachgerecht erscheint – nach jedem Wegfall der Rente wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze alle positiven Anspruchsvoraussetzungen erneut geprüft werden. Ob etwas anderes für die ab 1. Januar 1996 geltende Fassung des § 34 Abs 2 Satz 1 SGB VI zu gelten hat, ist hier nicht zu entscheiden.
Regelungen, die sich – wie § 34 Abs 2 SGB VI aF – nur auf den Rentenzahlungsanspruch beziehen, sind im Rahmen des § 115 Abs 6 SGB VI nicht zu berücksichtigen, auch wenn sie dazu führen können, daß keine Rente zu gewähren ist. Da diese Bestimmungen nur im Wege einer individuellen Sachbearbeitung angewandt werden können, müßte eine Hinweispflicht nach § 115 Abs 6 SGB VI immer dann ausscheiden, wenn eine solche Prüfung in Betracht käme. Dies würde gerade auch für alle generell von § 97 SGB VI (bezüglich Einkommensanrechnung) erfaßten Renten wegen Todes gelten. Daß eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereiches des § 115 Abs 6 SGB VI nicht den gesetzgeberischen Vorstellungen entspräche, ergibt sich aus der in den Materialien gegebenen Begründung, welche Hinterbliebenenrenten ausdrücklich als Beispielsfall für die einzuführende Hinweispflicht nennt (BT-Drucks 11/5530 S 46). Im übrigen setzt § 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI seinem Wortlaut nach lediglich voraus, daß die Berechtigten Leistungen erhalten „können”, ein Zahlungsanspruch muß demnach nicht von vornherein mit Sicherheit feststehen.
Nach den Feststellungen des LSG gehörte die Klägerin zu einem Kreis von Versicherten, denen gegenüber die Beklagte verpflichtet war, bei Vollendung des 63. Lebensjahres auf die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von Altersrente für langjährig Versicherte hinzuweisen. Dabei war gerade auch der Umstand, daß sie laufend freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtete, von Bedeutung. Denn zum einen lag es insoweit nahe, daß sie ab einem möglichst frühen Zeitpunkt Altersrente beziehen wollte, und zum anderen war ihre Anschrift der Beklagten bekannt.
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung des Senats geltend gemacht hat, die freiwillig entrichteten Beiträge (betreffend die Zeit nach der letzten Kontenklärung im Jahre 1988) seien 1995 möglicherweise noch nicht im Versicherungskonto der Klägerin gespeichert gewesen, handelt es sich um das Vorbringen neuer Tatsachen, die im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden können, zumal die vorinstanzlichen Entscheidungen hinreichende Tatsachenfeststellungen zu diesem Punkt enthalten (vgl § 163 SGG). Schon das SG ist – worauf das LSG Bezug genommen hat – ohne Einschränkung davon ausgegangen, daß die Anspruchsvoraussetzungen einer Altersrente für langjährig Versicherte für den Versicherungsträger einfach festzustellen seien.
Da die Klägerin trotz Erfüllens der Wartezeit von 35 Jahren bis zur Vollendung ihres 63. Lebensjahres im Mai 1995 noch keinen Rentenantrag gestellt hatte, war die Annahme berechtigt, daß dies auf Unwissenheit beruhte, zumal der in § 77 Abs 2 Nr 1 SGB VI vorgesehene ungünstige Zugangsfaktor im vorliegenden Fall nicht anwendbar war. Dieser setzt nämlich die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters voraus, was nach § 41 SGB VI nur bei solchen Versicherten in Betracht kommt, für welche die Rentenaltersgrenze angehoben worden ist. Dazu gehörte die Klägerin nicht, weil sie vor dem 1. Januar 1937 geboren ist (vgl § 41 Abs 3 SGB VI). Mithin war die Beklagte in der Zeit ab Juni 1995 grundsätzlich verpflichtet, der Klägerin einen Hinweis iS von § 115 Abs 6 SGB VI zu geben.
Da es sich bei § 115 Abs 6 SGB VI um eine „Soll-Vorschrift” handelt, kann die sich daraus ergebende Verpflichtung zwar in atypischen Fällen ausgeschlossen sein (vgl BSGE 79, 168, 176 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1); eine solche Konstellation liegt nach den vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen hier jedoch nicht vor. Zunächst durfte die Beklagte im Juni/Juli 1995 nicht davon ausgehen, daß die Klägerin über die Möglichkeit und die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme von Altersrente bei Vollendung des 63. Lebensjahres hinreichend informiert sei. Soweit die Rentenauskunft vom 25. Februar 1988 dazu bereits sachdienliche Hinweise enthielt, lagen diese im maßgeblichen Zeitpunkt zu lange zurück, um den sicheren Schluß auf eine aktuelle Kenntnis der Klägerin zuzulassen (vgl dazu bereits BSGE 79, 168, 176 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1).
Entgegen der Ansicht der Beklagten läßt sich auch aus § 274b SGB VI keine Einschränkung der Hinweispflicht nach § 115 Abs 6 SGB VI herleiten (ebenso bereits BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998 - B 5 RJ 56/97 R - Umdruck S 12). § 274b Abs 1 SGB VI bestimmt, daß die Verpflichtung der Träger der Rentenversicherung zur Übersendung von Versicherungsverläufen und zur Kontenklärung bis zum 31. Dezember 1996 ausgesetzt wird. Ansprüche der Versicherten auf Übersendung von Versicherungsverläufen und auf Kontenklärung, die in der Zeit bis zum 31. Dezember 1996 entstehen, ruhen für einen Zeitraum von vier Jahren, gerechnet von der Entstehung des Anspruchs an (§ 274b Abs 2 SGB VI). Die Absätze 1 und 2 des § 274b SGB VI gelten nach seinem Abs 3 nicht für die Übersendung von Versicherungsverläufen und die Kontenklärung im Rahmen eines Rentenauskunftsverfahrens, Rentenantragsverfahrens oder eines Verfahrens über den Versorgungsausgleich. Abgesehen davon, daß Hinweise iS von § 115 Abs 6 SGB VI in § 274b SGB VI nicht erwähnt werden, zeigt Abs 3 dieser Bestimmung deutlich, daß die Rentenversicherungsträger nur von solchen das Versicherungskonto betreffenden Arbeiten entlastet werden sollten, die lange vor einem möglichen Versicherungsfall bei allen Versicherten routinemäßig durchzuführen sind (vgl § 149 SGB VI), also nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Leistungsgewährung stehen. Schon aus diesem Grunde kann diese Regelung die Pflichten der Versicherungsträger aus § 115 Abs 6 SGB VI, die gerade eine rechtzeitige Rentenantragstellung gewährleisten sollen, nicht berühren.
Aus dem Zusammenhang der Feststellungen des LSG ist ferner zu entnehmen, daß die Hinweispflichtsverletzung der Beklagten ursächlich dafür war, daß die Klägerin nicht bis Ende August 1995 ihren Rentenantrag gestellt hat. Da die Beklagte das Vorbringen der Klägerin, die Antragstellung sei wegen mangelnder Information unterblieben, bis zur mündlichen Berufungsverhandlung – soweit ersichtlich – nicht in Zweifel gezogen hatte, bestand für das LSG keine Veranlassung, den Sachverhalt in diesem Punkt weiter aufzuklären. Der für die Bejahung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erforderliche „Schutzzweckzusammenhang” zwischen Pflichtverletzung und Nachteil (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2 S 5 f) liegt hier ebenfalls vor, da die Hinweispflicht nach § 115 Abs 6 SGB VI gerade eine rechtzeitige Antragstellung fördern und damit den Verlust von Rentenzahlungsansprüchen verhindern soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 542773 |
NWB 1999, 4561 |
ZAP 1999, 1189 |
MDR 2000, 92 |
NJ 2000, 222 |
NZS 2000, 196 |
SGb 1999, 620 |
SozSi 2000, 100 |