Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.05.1991) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Mai 1991 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 51jährige Kläger wendet sich mit seiner Revision gegen die Rechtsauffassung auch der Gerichte der Vorinstanzen (Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ≪LSG≫ vom 27. Mai 1991; Urteil des Sozialgerichts Dortmund ≪SG≫ vom 23. August 1989), wonach er aus versicherungsrechtlichen Gründen keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit hat.
Der Kläger siedelte im Jahre 1971 im Anschluß an eine Tätigkeit im polnischen Bergbau in die Bundesrepublik Deutschland über und war hier bis zum Mai 1981 als Maschinenarbeiter und Punktschweißer sowie Automatendreher versicherungspflichtig beschäftigt. Diese Arbeit bei der Firma A. … gab er freiwillig auf und wurde arbeitslos. Bis zum Juni 1984 bezog er Leistungen durch das zuständige Arbeitsamt. Zweimalige Aufforderungen des zuständigen Arbeitsamtes vom 5. und 15. Oktober 1984 veranlaßten ihn nicht, zum Zwecke von „Arbeitsvermittlung, Information” bei dem Arbeitsamt vorzusprechen.
Nachdem er im Februar 1987 infolge eines Schlaganfalles auf Dauer erwerbsunfähig geworden war, stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Rentengewährung. Diesen lehnte die Beklagte durch ihren Bescheid vom 25. Februar 1988 mit der Begründung ab, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 46 Abs 3 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) lägen nicht vor, weil bei dem Kläger in dem rechtserheblichen Zeitraum nur 21 und nicht die erforderlichen 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien. Dem Widerspruch des Klägers half die Beklagte nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 1988).
In dem die Klage abweisenden Urteil des SG ist ausgeführt, der Kläger habe in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalles nicht die erforderlichen 36 Pflichtbeiträge gezahlt. Die Zeit nach dem Bezug von Leistungen durch das Arbeitsamt sei keine Ausfallzeit, weil die Voraussetzungen des § 57 Abs 1 Nr 3 RKG nicht vorlägen; denn er habe sich nicht mehr bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet. Spätestens ab Oktober 1984 sei er nicht mehr ernsthaft an einer versicherungspflichtigen Tätigkeit interessiert gewesen. Zu diesem Ergebnis ist auch das LSG gekommen. Auch auf dem Wege eines Herstellungsanspruchs – so das LSG – könne die Klage keinen Erfolg haben, denn das Anspruchsmerkmal der Arbeitslosmeldung könne auf diese Weise nachträglich nicht hergestellt werden.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren der Meinung, er habe einen Herstellungsanspruch gegenüber der Beklagten. Es sei durch das Arbeitsamt verabsäumt worden, ihn auf die Folgen hinzuweisen, die sich aus dem Fehlen eines lückenlosen Nachweises der Arbeitslosigkeit für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft auf die begehrte Rente seit dem 1. Januar 1984 ergeben. Bei diesem Anspruch gehe es darum, Ansprüche herzustellen, die durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln verhindert worden seien. Hier sei entscheidend, ob die begehrte Leistung im Wege einer Amtshandlung hergestellt werden könne. Das sei der Fall.
Der Kläger beantragt,
- die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 1988 aufzuheben,
- die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Mai 1991 – L 2 Kn 72/89 – als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Revision des Klägers gegen das oa Urteil als unbegründet zurückzuweisen.
Nach ihrer Meinung lassen sich die Anspruchsmerkmale der Arbeitslosmeldung und der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung nicht durch eine Amtshandlung des Versicherungsträgers nachträglich herstellen. Dies sei in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anerkannt.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Die Revision ist unbegründet; denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Rentenleistung.
Sowohl für die Rente wegen Berufsunfähigkeit als auch für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ist erforderlich, daß von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der gesundheitlichen Voraussetzungen mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind, § 46 Abs 2a bzw § 47 Abs 2a RKG (gleichlautend § 1246 Abs 2a bzw § 1247 Abs 2a Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nur, wenn der Beginn des fraglichen 60-Monatszeitraums infolge des Vorhandenseins sogenannter Aufschubzeiten weiter zurückverlegt werden kann. Eine derartige Aufschubzeit ist nach den genannten Vorschriften ua die Zeit einer Arbeitslosigkeit gemäß § 57 Abs 1 Nr 3 RKG (= § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO). Solche Zeiten liegen hier jedoch, was unter den Beteiligten nicht streitig und von den Gerichten der Vorinstanz zutreffend angenommen worden ist, deshalb nicht vor, weil der Kläger sich nach dem Ende des Leistungsbezuges im Juni 1984 bei dem zuständigen Arbeitsamt nicht weiterhin arbeitslos meldete. Insoweit hat aber das BSG von Anfang an klargestellt, daß eine regelmäßige Meldung bei einem Arbeitsamt erforderlich ist, um den Tatbestand dieser Ausfallzeit zu erfüllen (BSGE 32, 279; SozR 3-2200 § 1259 Nr 4). Daran ist festzuhalten.
Unter diesen Umständen ist das LSG in dem angefochtenen Urteil zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger mit seinem Begehren nur Erfolg haben kann, wenn seine fehlende Arbeitslosigkeit nachträglich hergestellt werden könnte und demgemäß im Rahmen von §§ 46, 47 RKG zu berücksichtigen wäre. Insoweit ist in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, der Kläger habe seine Arbeitslosmeldung konkludent zurückgenommen und dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen wollen; er würde sich jedoch bei umfassender Aufklärung über die Rechtslage – hier: über die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Anspruchs auf Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeitsrente – zum Zwecke der Aufrechterhaltung der erworbenen Anwartschaft entsprechend verhalten und sich demgemäß bei dem zuständigen Arbeitsamt regelmäßig gemeldet haben.
Der erkennende Senat ist mit dem LSG im Ergebnis der Überzeugung, daß es auf diese hypothetische Verhaltensweise des Klägers aufgrund einer theoretisch angenommenen Information über die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit nicht ankommt. Die nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG schließen einen Herstellungsanspruch von vornherein aus. Das zuständige Arbeitsamt war nicht verpflichtet, weitere Initiativen gegenüber dem Kläger zu entfalten:
Der Senat hat zwar bereits in seinen Urteilen vom 24. Juli 1985 (BSGE 58, 283 und SozR 1200 § 14 Nr 19) im Anschluß an eine gesicherte Rechtsprechung des BSG angenommen, daß ein Herstellungsanspruch gegen die zur Leistung verpflichtete Behörde auch dann gegeben sein kann, wenn die unzureichende Beratung, die zu Nachteilen für den Betroffenen geführt hat, einer anderen Behörde zuzurechnen ist. Dies gilt auch für ein Fehlverhalten des zuständigen Arbeitsamts im Zusammenhang mit rentenversicherungsrechtlich bedeutsamen Zeiten (BSG SozR 1200 § 14 Nr 28). An dieser Rechtsprechung hält der Senat grundsätzlich fest (siehe ferner BSG SozR 1200 § 14 Nrn 18 und 26).
Grundlage des von dem Kläger geltend gemachten Herstellungsanspruchs ist § 14 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I). Danach hat jeder Anspruch auf Beratung und Belehrung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz. In der Regel wird die Beratungspflicht durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst. Hiervon ging die Rechtsprechung bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes allgemein aus (vgl zB BSG SozR 2200 § 1324 Nr 3). Der Kläger hat ein derartiges Beratungsbegehren gegenüber dem Arbeitsamt oder der Beklagten nicht geäußert. Nach herrschender Rechtsprechung muß der Versicherungsträger jedoch einen Versicherten auch ohne dessen Wunsch von sich aus belehren, wenn hierzu ein konkreter Anlaß besteht (BSG SozR 1200 § 14 Nrn 9 und 12 mwN). Beim Vorliegen eines konkreten Anlasses für eine Beratung hat der Versicherungsträger unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wenn diese klar zutage liegen und ihre Wahrnehmung offenbar zweckmäßig ist (vgl zB BSG SozR 1200 § 14 Nr 8). Der Versicherungsträger hat in diesem Rahmen den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, welche jeder verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde. Diese Beratungspflicht stellt einen eigenständigen Anspruch aufgrund der §§ 14 und 15 SGB I (BSG SozR 1200 § 14 Nr 9) dar, bei deren Verletzung ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegeben sein kann.
Nach den Umständen dieses Falles liegen die Voraussetzungen für den Herstellungsanspruch nicht vor. Nachdem der Kläger sich trotz der im Oktober 1984 an ihn gerichteten Schreiben weder zum Zwecke der Arbeitsvermittlung noch zu sonstigen Informationen gemeldet hatte, bestand für das Arbeitsamt keine Veranlassung mehr, erneut auf den Kläger zuzugehen, um ihn zu einer regelmäßigen Arbeitslosmeldung zu bewegen. Vielmehr durfte es bei dieser Fallgestaltung die Angelegenheit als erledigt betrachten. Der zugunsten der Versicherten von der Rechtsprechung entwickelte Herstellungsanspruch soll diese bei offen zutage liegenden Gestaltungsmöglichkeiten in die Lage versetzen, das versicherungsrechtlich Notwendige zu tun. Im vorliegenden Falle war jedoch für das Arbeitsamt nicht erkennbar, daß eine weitere Arbeitslosmeldung für den Kläger als naheliegende Möglichkeit aus rentenrechtlicher Sicht überhaupt in Betracht kommen konnte. Zudem ist es ohne nähere Anhaltspunkte nicht seine Aufgabe, Versicherte, welche aus dem Leistungsbezug ausgeschieden sind, zu bewegen, weiterhin alle nur möglichen Voraussetzungen für einen späteren Bezug von Sozialleistungen zu erfüllen. Dies gilt hier insbesondere angesichts des Alters des Klägers von seinerzeit 43 Jahren. Gerade unter Berücksichtigung dessen sowie aufgrund der Verhaltensweise des Klägers konnte das Arbeitsamt durchaus der Annahme sein, daß er wieder eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen hatte und deswegen weder ein weiterer Leistungsbezug nach dem AFG noch die Aufrechterhaltung einer evtl rentenrechtlich relevanten Ausfallzeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug in Betracht kam.
Nach alledem bestand nach den Gegebenheiten des vorliegenden Falles für das Arbeitsamt keine Veranlassung, den Kläger weiterhin umfassend über allgemeine sozialrechtliche Belange zu informieren, auch nicht über die Möglichkeit der Aufrechterhaltung seiner Rentenanwartschaft durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge. Das Arbeitsamt hat demgemäß keine Beratungs- und Hinweispflichten verletzt, welche zu einem Herstellungsanspruch gegenüber der Beklagten führen könnten.
Die Revision des Klägers war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen