Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsschadensausgleich. Vollendung des 63. Lebensjahres. Kürzung des Berufsschadensausgleichs bei bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Beschädigten
Leitsatz (amtlich)
Vollendet ein bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschiedener Beschädigter das 63. Lebensjahr, so darf deswegen sein Anspruch auf Berufsschadensausgleich nur dann entsprechend § 8 Abs 1 S 1 Nr 2 1. Alternative iVm S 3 BSchAV gekürzt werden, wenn seine Anwartschaften auf Altersversorgung und sein Verhalten konkrete Anhaltspunkte dafür liefern, daß er zu diesem Zeitpunkt aus dem „Hätteberuf” ausgeschieden wäre (Abgrenzung zu BSG vom 8.10.1987 – 4b RV 15/86, BSG vom 9.3.1988 – 9/9a RV 28/86 = SozR 3642 § 8 Nrn 1 und 3).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3; BSchAV § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Alt. 1, S. 3; BVG § 30 Abs. 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. September 1995 abgeändert. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 7. Juli 1994 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte den vom Kläger bezogenen Berufsschadensausgleich (BSchA) zu Recht wegen Vollendung des 63. Lebensjahres gekürzt hat.
Der im Jahre 1930 geborene Kläger bezieht vom Beklagten – ua wegen einer Hirnverletzung – eine Beschädigtenrente nach einer wegen besonderen beruflichen Betroffenseins von 70 auf 80 vH erhöhten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Seit 1. Oktober 1964 bezieht er außerdem BSchA. Der Berechnung dieser Leistung liegt seit 1975 das Durchschnittseinkommen eines kaufmännischen Angestellten in der Verbrauchsgüterindustrie (Leistungsgruppe II) zugrunde. Der monatliche Gesamtzahlbetrag belief sich Ende 1992 auf 4.353 DM.
In seinem früheren Berufsleben war der Kläger nach dem Krieg überwiegend als kaufmännischer Angestellter in der Schuhindustrie beschäftigt gewesen. Ab Juni 1969 war er Gesellschafter eines Bauunternehmens, das im August 1973 in Konkurs ging. Seither geht er nur noch in geringfügigem Umfang einer Erwerbstätigkeit nach. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, daß er die Wartezeit für die Altersrente für langjährig Versicherte sowie für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige (§ 50 Abs 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung ≪SGB VI≫) nicht erfüllt hat.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 1992 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er beabsichtige ab 1. Februar 1993 die Absenkung des gezahlten BSchA wegen Zugrundelegung eines nach § 8 Abs 1 bzw 2 der Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) verminderten Vergleichseinkommens. Diese Minderung werde dann nicht vorgenommen, wenn der Kläger glaubhaft mache, daß er ohne die Schädigungsfolge über die Vollendung des 63. Lebensjahres hinaus erwerbstätig geblieben wäre. Zur Vermeidung einer Überzahlung werde der Beklagte die Bezüge des Klägers ab 1. Februar 1993 auf 3.848 DM monatlich herabsetzen. Der Kläger werde bis zum 23. Dezember 1992 um Stellungnahme gebeten.
Anschließend stellte der Beklagte Ermittlungen über das Durchschnittsalter der aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Beschäftigten der pfälzischen Schuhindustrie an. Auf Anfrage äußerte der Verband der Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz eV mit Schreiben vom 13. Januar 1993, Zahlenmaterial über den Anteil der Beschäftigten, die bereits mit Vollendung des 63. Lebensjahres aus den Betrieben ausschieden, sei nicht vorhanden. Es arbeite aber nur eine Minderheit über die Vollendung des 63. Lebensjahres weiter. Außerdem erhielt der Beklagte von dem Personalleiter der größten Schuhfabrik der Region die telefonische Auskunft, daß dort alle kaufmännischen Angestellten spätestens mit Vollendung des 63. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausschieden. Darauf kürzte der Beklagte mit Bescheid vom 8. März 1993 ab 1. Februar 1993 gemäß § 30 Abs 7 Bundesversorgungsgesetz (BVG) iVm § 8 Abs 2 BSchAV das Vergleichseinkommen des Klägers auf 50 vH des Nettoeinkommens und setzte den BSchA entsprechend herab. Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser geltend machte, er wäre „weitaus über das Alter erwerbstätig” geblieben, hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1993).
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht Speyer (SG) hob mit Urteil vom 7. Juli 1994 Bescheid und Widerspruchsbescheid des Beklagten auf. Der Beklagte habe bei der Kürzung des Vergleichseinkommens § 24 Abs 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) verletzt, weil er den Kläger vor der Herabsetzung der Leistung nicht ausreichend angehört habe. Aber auch materiell seien die Bescheide des Beklagten rechtswidrig. Für die Anwendung des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV sei es erforderlich, daß der Kläger entweder wegen Erreichung einer Altersgrenze ausgeschieden oder zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gezwungen gewesen sei oder aber seine Erwerbstätigkeit unter Ausnutzung einer Regelung über den vorzeitigen Ruhestand tatsächlich aufgegeben habe. Keiner dieser Tatbestände treffe zu.
Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) mit dem angefochtenen Urteil vom 21. September 1995 das sozialgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus: Entgegen der Ansicht des SG habe der Beklagte den Kläger bereits vor Erlaß des Bescheides vom 8. März 1993 ausreichend angehört. Auch materiell treffe die Ansicht des SG nicht zu. Zwar sei der Wortlaut des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV nicht erfüllt, weil der Kläger eine Regelung zur Erlangung vorzeitigen Altersruhegeldes nicht in Anspruch genommen habe. Die Bestimmung sei aber analog anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die Erreichung des 63. Lebensjahres für die Kürzung des Vergleichseinkommens auch dann maßgeblich, wenn der Beschädigte schon früher aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Die Ausnutzung dieser Altersgrenze durch den Kläger im Hätteberuf sei nach dem Verhalten der Versicherten im allgemeinen und im Bereich der pfälzischen Schuhindustrie im besonderen wahrscheinlich. Hierfür sprächen statistische Erkenntnisse und die vom Beklagten eingeholten Auskünfte. Ein Verbleiben im Hätteberuf über die Vollendung des 63. Lebensjahres hinaus habe der Kläger nicht glaubhaft machen können. Deswegen träfen ihn die Nachteile der Beweislosigkeit.
Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers, die im wesentlichen wie folgt begründet wird: Das SG habe zutreffend eine Verletzung des § 24 SGB X (Verletzung des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren) durch den Beklagten angenommen, die im Widerspruchsverfahren nicht geheilt worden sei. Außerdem habe das LSG § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV zu Unrecht analog angewandt. Die vom LSG genannten Entscheidungen des BSG beträfen nur Fälle, in denen der Beschädigte unter Inanspruchnahme eines flexiblen Altersruhegeldes mit Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Diese Rechtsprechung lasse sich nicht auf Fälle übertragen, in denen ein flexibles Altersruhegeld nicht in Anspruch genommen worden sei. Im andern Fall werde praktisch die in § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BSchAV festgesetzte Altersgrenze für die Kürzung des Vergleichseinkommens von 65 auf 63 Jahre gesenkt, was Sache des Gesetzgebers wäre.
Er beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. September 1995 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Er hält das landessozialgerichtliche Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet.
Es kann dahinstehen, ob die Bescheide des Beklagten schon aus verwaltungsverfahrensrechtlichen Gründen (unzureichende Anhörung des Klägers – § 24 SGB X) aufzuheben waren. Jedenfalls verstoßen die Verwaltungsentscheidungen gegen materielles Recht, so daß das Urteil des SG aus diesem Grunde wiederherzustellen und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen war.
Entgegen der Auffassung des LSG liegen die Voraussetzungen für eine Herabsetzung des BSchA nicht vor. Denn die Vollendung des 63. Lebensjahres hat im Falle des Klägers nicht zu einer wesentlichen Änderung iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X geführt, die zu einer Änderung des den BSchA bewilligenden Bescheides berechtigt hätte.
BSchA ist gemäß § 30 Abs 3 BVG grundsätzlich ein Bruchteil (42,5 vH) des Einkommensverlustes, dh des Unterschiedsbetrages zwischen dem (ggf um die Ausgleichsrente erhöhten) derzeitigen Bruttoeinkommen einerseits und dem höheren Vergleichseinkommen andererseits (§ 30 Abs 4 Satz 1 BVG). Nach dem altersbedingten und schädigungsunabhängigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, spätestens nach Vollendung des 65. Lebensjahres, ist das Vergleichseinkommen nach näherer Maßgabe des § 8 Abs 1 BSchAV auf 75 vH des normalen Vergleichseinkommens zu kürzen. Ist – wie hier – statt des in § 30 Abs 3 BVG an erster Stelle geregelten „Brutto-BSchA” der nach § 30 Abs 6 BVG ermittelte „Netto-BSchA” günstiger, so ist dieser maßgebend; hierbei wird ein pauschal ermitteltes Nettoeinkommen (§ 30 Abs 8 BVG) einem pauschal ermittelten Netto-Vergleichseinkommen (§ 30 Abs 7 BVG) gegenübergestellt. Bei Beschädigten, die – wie der Kläger – bei Einführung des Netto-BSchA durch das KOV-Struktur-Gesetz vom 23. März 1990 (BGBl I S 582) zum 1. Juli 1990 noch nicht das 63. Lebensjahr vollendet hatten, also nach dem 30. Juni 1927 geboren waren, beträgt das Netto-Vergleichseinkommen nach Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wäre, spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres, nur noch 50 vH des normalen Vergleichseinkommens (§ 30 Abs 7 Satz 2 BVG); davor ist ein günstigerer Wert maßgebend (§ 30 Abs 7 Satz 1 BVG). Bei beiden Arten des BSchA findet also eine altersbedingte Kürzung des Vergleichseinkommens statt, die sich nachteilig auf die Höhe des BSchA auswirkt. Es liegt mithin in der Erreichung der Altersgrenze in beiden Fällen eine – dem Leistungsbezieher gegenüber – nachteilige Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X.
Gemäß § 8 Abs 2 BSchAV gelten für die Beantwortung der – hier allein entscheidungserheblichen – Frage, welcher Zeitpunkt für eine altersbedingte Kürzung des Vergleichseinkommens maßgeblich ist, die Regelungen des § 8 Abs 1 BSchAV auch im Fall eines BSchA nach § 30 Abs 6 BVG. Es ist also für die hier zu entscheidenden Fragen nicht von Belang, daß der Beklagte anstelle eines Brutto-BSchA einen Netto-BSchA vorgenommen hat.
Bei der sonach vorgeschriebenen Anwendung des § 8 Abs 1 BSchAV hat das LSG bei der Zugrundelegung der maßgeblichen Altersgrenze zu Unrecht die Ausnahmeregelung des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV analog auf den Fall des Klägers angewandt. Anzuwenden gewesen wäre Nr 1 dieser Vorschrift, wonach das Vergleichseinkommen nicht schon mit Vollendung des 63., sondern erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres zu senken gewesen wäre. Somit war die vom Beklagten und dem LSG angenommene Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 SGB X zum 1. Februar 1993 noch nicht eingetreten, da dem Umstand, daß der Kläger das 63. Lebensjahr vollendet hat, hier die rechtliche Erheblichkeit fehlte.
Gemäß der Grundregel des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BSchAV tritt der Zeitpunkt, zu dem das Vergleichseinkommen altersbedingt zu kürzen ist, mit Ablauf des Monats ein, in dem der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet. Sinn dieser Vorschrift ist es, das typischerweise zu diesem Zeitpunkt erfolgende schädigungsunabhängige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und das damit verbundene Absinken des Erwerbseinkommens bei der Berechnung des BSchA zu berücksichtigen. Von dem Grundsatz des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BSchAV sind in den folgenden Nrn 2 und 3 Ausnahmen vorgesehen, nach denen ein früherer Zeitpunkt für die Kürzung maßgeblich sein kann. In Betracht kommt hier nur Nr 2. Nach dieser Vorschrift ist für den Zeitpunkt der Kürzung der Ablauf desjenigen Monats maßgebend, in dem der Beschädigte wegen – tatsächlicher – Erreichung (oder Inanspruchnahme) einer gesetzlichen Altersgrenze aus dem Erwerbsleben ausscheidet oder ausscheiden müßte. Dabei ist für die 1. Alternative (tatsächliches Ausscheiden) der wirklich ausgeübte (Ersatz- oder Ausweich-)Beruf maßgebend, während für die 2. Alternative (fiktives Ausscheiden) der schädigungsbedingt nicht erreichte, aufgegebene oder nur unter Einkommensverlusten ausgeübte Hätteberuf maßgeblich ist (Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Anm 32 zu § 8 BSchAV, K 124). Im vorliegenden Fall trifft, wie unstreitig ist, der Wortlaut keiner der beiden Alternativen zu. Denn die 1. Alternative setzt voraus, daß der Beschädigte aus dem Ersatzberuf wegen Erreichens oder Inanspruchnahme einer gesetzlichen Altersgrenze tatsächlich ausgeschieden ist. Dies war hier schon deswegen nicht der Fall, weil der Kläger bei Vollendung des 63. Lebensjahres einen Beruf nicht mehr ausübte. Die 2. Alternative setzt den gesetzlichen Zwang voraus, im Hätteberuf vor Vollendung des 65. Lebensjahres auszuscheiden. Ein derartiger gesetzlicher Zwang bestand im Falle des Klägers (für kaufmännische Angestellte der Leistungsgruppe 2 in der Verbrauchsgüterindustrie) aber nicht.
Die Rechtsprechung des BSG hat – ohne das bisher klar auszusprechen – in bestimmten Fällen bei Erreichung des 63. Lebensjahres die 1. Alternative des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV analog angewandt, auch wenn ein automatisches oder gewillkürtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu diesem Zeitpunkt gar nicht (mehr) stattgefunden hatte. Hierbei handelte es sich, worauf die Revision zu Recht hinweist, jedoch ausnahmslos um Fälle, in denen der Beschädigte bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war, indem er vorzeitiges Altersruhegeld wegen Schwerbehinderung in Anspruch genommen hatte (vgl SozR 3642 § 8 Nrn 1 und 3). Das Ausscheiden erfolgte dabei jeweils schädigungsbedingt, so daß der BSchA nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 1. Alternative noch nicht hatte gekürzt werden können. Das BSG hat die Entscheidungen seinerzeit damit begründet, daß der Beschädigte, hätte er seine Berufstätigkeit fortgesetzt, wahrscheinlich mit Vollendung des 63. Lebensjahres schädigungsunabhängig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wäre. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen vor Vollendung des 65. Lebensjahres liegenden Beendigung der Erwerbsphase hat das BSG ua auch aus statistischen Unterlagen der Rentenversicherungsträger gefolgert. Das LSG übersieht aber, daß das BSG ein solches hypothetisches Ausscheiden nur für solche Fälle angenommen hat, in denen der Beschädigte im tatsächlich ausgeübten Beruf die Möglichkeit erworben und genutzt hatte, vorzeitiges Altersruhegeld wegen Schwerbehinderung bzw Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit in Anspruch zu nehmen. Damit hat das BSG nur Fälle entschieden, in denen der Beschädigte die Wartezeit auch für das vorgezogene Altersruhegeld wegen Vollendung des 63. Lebensjahrs erfüllt hatte (vgl dazu für die damalige Rechtslage §§ 1248 Abs 7 Satz 1 RVO bzw § 25 Abs 7 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz ≪AVG≫, seit 1. Januar 1992 § 50 Abs 5 SGB VI).
Diese Rechtsprechung läßt sich nicht auf solche Fälle übertragen, in denen – wie hier – keiner dieser Umstände vorliegt, insbesondere die Wartezeit des § 50 Abs 5 SGB VI nicht erfüllt ist. Dafür sprechen folgende Überlegungen: Hat der Beschädigte iS der 1. Alternative des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV das vorgezogene Altersruhegeld bei Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen, so ergibt sich aus der genannten Vorschrift die – widerlegliche – Vermutung, daß er gleichermaßen auch im Hätteberuf verfahren wäre. Er muß daher diese gesetzliche Vermutung widerlegen, wozu allerdings gemäß § 8 Abs 1 Satz 3 BSchAV die Glaubhaftmachung ausreicht. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht, so trifft den Beschädigten die objektive Beweislast. Die vom BSG dieser Konstellation gleichgestellten Fälle waren dadurch gekennzeichnet, daß eine Inanspruchnahme des Altersruhegeldes wegen Vollendung des 63. Lebensjahres nicht mehr möglich war, weil der Beschädigte bereits Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres nach anerkannter Schwerbehinderung usw bezog. Da er aber – im Ersatzberuf – die Wartezeit auch für das vorgezogene Altersruhegeld wegen Vollendung des 63. Lebensjahres erfüllt hatte, rechtfertigte sich in seinem Fall die Annahme, daß er – wäre er nicht zuvor schädigungsbedingt ausgeschieden – spätestens bei Vollendung des 63. Lebensjahres aus dem Ersatz- und somit auch aus dem Hätteberuf ausgeschieden wäre. Dafür sprach zudem, daß er überhaupt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war und daß sein Verhalten dem Verhalten der Mehrzahl der älteren Arbeitnehmer entsprochen hätte. In derartigen Fällen erscheint es vertretbar – wie in dem in der BSchAV ausdrücklich geregelten Fall des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 1. Alternative BSchAV – die Glaubhaftmachung zu verlangen, daß der Versorgungsberechtigte atypischerweise später als mit Vollendung des 63. Lebensjahres aus dem Hätteberuf ausgeschieden wäre. Dagegen kann eine solche Beweislastverteilung nicht stattfinden, wenn der Beschädigte – wie hier – weder die Wartezeit für die Inanspruchnahme eines vorzeitigen Altersruhegeldes erfüllt noch seine Bereitschaft manifestiert hat, ggf vorzeitig in den Ruhestand zu treten. Eine solche Analogie widerspräche dem Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV und dem Grundsatz, daß den Leistungsträger die Feststellungslast dafür trifft, daß die Voraussetzungen für die Herabsetzung einer Sozialleistung eingetreten sind.
Die vom Beklagten vorgenommene Auslegung des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV käme überdies, wie die Revision zu Recht geltend macht, einer stillschweigenden Herabsetzung des nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BSchAV für die Kürzung des Vergleichseinkommens im Regelfall maßgeblichen Alters von 65 auf 63 Jahre – zumindest bei den abhängig Beschäftigten – bedenklich nahe. Der Verordnungsgeber hat im übrigen durch das Tatbestandsmerkmal „wegen Erreichens oder Inanspruchnahme einer gesetzlichen Altersgrenze ausscheidet” zu erkennen gegeben, daß er die Ausnahmeregelung des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 1. Alternative BSchAV nur auf Fälle angewandt wissen wollte, in denen sich für das an sich maßgebliche hypothetische vorzeitige Ausscheiden des Beschädigten aus dem Hätteberuf deutliche Anhaltspunkte aufgrund von Umständen ergeben, die im Ersatzberuf tatsächlich vorliegen. Fehlen solche Umstände, so muß es bei der Grundregel des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BSchAV verbleiben.
Eine analoge Anwendung der 2. Alternative des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BSchAV „ausscheiden müßte”) kommt nicht in Betracht. Denn diese Alternative stellt gerade darauf ab, daß für das vorzeitige Ausscheiden des Beschädigten aus dem Hätteberuf ein gesetzlicher Zwang, nicht nur eine statistische Wahrscheinlichkeit besteht.
Nach allem hat das SG den Aufhebungsbescheid des Beklagten vom 8. März 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 1993 im Ergebnis zu Recht aufgehoben, so daß das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174951 |
SozR 3-3642 § 8, Nr.8 |
SozSi 1998, 399 |