Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung von generellen Tatsachen durch Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auf möglichst breiter Grundlage. Krankenversicherung. Manualtherapie nach Dr Kozijavkin. Feststellung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse. Berücksichtigung von Erkenntnissen aus dem internationalen Bereich. Erforderlichkeit. Vorverfahren. Streitgegenstand
Leitsatz (amtlich)
- Generelle Tatsachen (hier: das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung einer bestimmten, außerhalb von EU und EWR angebotenen Form der Krankenbehandlung) haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auf möglichst breiter Grundlage zu ermitteln.
- Die Feststellung des “allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse” erfordert auch die Berücksichtigung von Erkenntnissen aus dem internationalen Bereich.
Normenkette
SGB 5 § 2 Abs. 1 S. 3, § 18 Abs. 1 S. 1, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1, § 135 Abs. 1 S. 1, §§ 139a, 139b; BUBRL-Ä § 9; SGG § 78 Abs. 1, 3, §§ 96, 163
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. Juni 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für in der Ukraine erfolgte Behandlungsmaßnahmen.
Die 1988 geborene Klägerin, die bei der beklagten Ersatzkasse über ihren Vater familienversichert ist, leidet seit ihrer Geburt unter einer cerebralen Bewegungsstörung mit Entwicklungsretardierung. Im August 1993 wurde sie erstmals im Rehabilitationszentrum des Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin behandelt, zunächst in Polen, später in der Ukraine. Dessen Therapiekonzept, das er selbst “System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation (SINR)” nennt (im Folgenden: “Methode Kozijavkin”), besteht in einer sog multimodalen Behandlung. Es ist darauf ausgerichtet, in jeweils etwa zweiwöchigen Behandlungszyklen unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten von cerebralparetischen Kindern und Erwachsenen herbeizuführen (ua unter Einsatz von Akupressur, Akupunktur, Wärmebehandlung mit Bienenwachs, Reflextherapie, Manualtherapie, Krankengymnastik). Den Kern der Therapie bildet eine Behandlung der Wirbelsäule mit Techniken der Manualtherapie, bei der durch wringende Griffe Wirbelsäulenblockaden gelöst werden sollen. An diese Intensivphase schließt eine drei- bis zwölfmonatige Stabilisationsphase an, der wiederum eine zweiwöchige Intensivbehandlung folgt (zu dieser Methode vgl bereits Urteile des Senats vom 16. Juni 1999 – BSGE 84, 90 ff = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 – Kozijavkin I sowie vom 14. Februar 2001 – SozR 3-2500 § 18 Nr 6 – Kozijavkin II).
Im Oktober 1993 beantragte der Vater der Klägerin bei der Beklagten erstmals, die Kosten der Behandlung von August 1993 (4.800 DM) sowie der Unterkunft und Reise (3.154 DM), erstattet zu erhalten. Die Beklagte lehnte dies ab: Aus mehreren Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ergebe sich, dass in Deutschland in ausreichendem Maße therapeutische und rehabilitative Einrichtungen für Cerebralparetiker existierten, sodass es einer Auslandsbehandlung nicht bedürfe; darüber hinaus bestehe bei der streitbefangenen Behandlung eine sehr geringe Erfolgswahrscheinlichkeit, weil deren Wirksamkeit nicht methodisch einwandfrei und nachvollziehbar belegt sei (Bescheid vom 13. Dezember 1993; Widerspruchsbescheid vom 11. April 1994).
Der Vater der Klägerin hat dagegen im Mai 1994 Klage erhoben. Die Klägerin ist in der Folgezeit wiederholt erneut im Institut Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine behandelt worden. Die Beklagte hat die Kostenübernahme auch für fünf weitere Behandlungszyklen zwischen Mitte 1994 und Mitte 2000 jeweils abgelehnt, zuletzt für die Zeit vom 25. Juli 2000 bis 8. August 2000 (Bescheid vom 5. Juli 2000).
Das Sozialgericht (SG) hat zunächst den Vater der Klägerin als “Kläger” gegen alle seit 1993 ergangenen Bescheide angesehen; in der mündlichen Verhandlung vom 24. April 1997 hat es “das Rubrum … berichtigt” und nunmehr die Klägerin vertreten durch die Eltern der Klägerposition zugeordnet. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens hat das SG sämtliche Bescheide nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Verfahrensgegenstand angesehen und die Klage abgewiesen. Der Anspruch auf Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung habe gemäß § 16 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) während der streitigen Zeiträume geruht. Das Bundessozialgericht (BSG) habe entschieden, dass die “Methode Kozijavkin” nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche (Urteil vom 16. Januar 2001).
Im anschließenden Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Begehren unter Rücknahme der weitergehenden Klage vor dem Landessozialgericht (LSG) die Erstattung der Kosten für die vom 25. Juli bis 8. August 2000 erfolgte Behandlung beschränkt. Das LSG hat dazu Sachverständigengutachten eingeholt von Chefarzt Prof. Dr. Mau (Städtische Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Braunschweig; Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin eV vom 8. April 2002), von Chefarzt Dr. Helling (Klinik für Manuelle Therapie eV Hamm vom 24. Mai 2002) sowie von Prof. Dr. Dr. von Voss (Ärztlicher Direktor im Kinderzentrum München und Vorstand des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 6. August 2002 mit Nachtrag vom 3. September 2002). Es hat die Beklagte unter Aufhebung der vorangegangenen Entscheidungen verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Behandlung vom 25. Juli bis 8. August 2000 neu zu bescheiden: Das BSG habe die Voraussetzungen des § 18 SGB V für Behandlungen bei Prof. Dr. Kozijavkin nur für die Zeit bis August 1999 verneint. Nun habe die Beweisaufnahme ergeben, dass dessen Methode seit September 1999 dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Die Methode werde – iS der Rechtsprechung des BSG – nicht nur von einzelnen Ärzten befürwortet, sondern es bestehe bei der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen) Konsens über die Zweckmäßigkeit der Therapie. Der gegenteiligen Ansicht von Prof. Dr. Mau und der Gruppe der Neuropädiater folge der Senat nicht. Nach Darstellung von Prof. Dr. Dr. von Voss fehlten bislang eindeutige Kenntnisse zu den Ursachen der infantilen Cerebralparese (ICP), sodass eine Behandlung schwierig sei. Während man in der Vergangenheit vor allem “Krankengymnastik nach Vojta und nach Bobath” sowie Ergotherapie angewandt habe, gebe es inzwischen neben der “Konduktiven Förderung nach Petö” auch die “Methode Kozijavkin”. Obwohl für keine der Methoden Langzeit- oder Effektivitätsstudien vorlägen, seien in der Fachwelt gleichwohl Krankengymnastik sowie Ergotherapie seit langem allgemein anerkannt. Die Mehrheit der Fachleute befürworte inzwischen die “Methode Kozijavkin”. Die Akzeptanz sei bei Ärzten sowie Krankengymnasten kontinuierlich gestiegen und nehme von Jahr zu Jahr weiter zu. Prof. Dr. Dr. von Voss stütze sich insoweit auf eigene Erhebungen, Dr. Helling verweise auf Kongresse, Veröffentlichungen sowie eine eigene Studie. Beide Sachverständigen befürworteten das Behandlungskonzept auch persönlich, weil sie festgestellt hätten, dass zahlreiche Patienten damit erstmals in der Lage seien, aus dem Rollstuhl aufzustehen, sich mit den Beinen fortzubewegen, die Hände zu öffnen oder sich sogar selbst zu versorgen. Der Senat messe den Bekundungen dieser Sachverständigen als führenden Fachleuten und Chefärzten renommierter Kliniken für die Behandlung cerebralgeschädigter Kinder und Jugendlicher hohes Gewicht bei. Die überwiegende Akzeptanz der “Methode Kozijavkin” in der Fachwelt sei uneingeschränkt nachvollziehbar und plausibel. Die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode müsse auch durch Expertenwissen oder klinische Erfahrung belegt werden können, weil in der gesetzlichen Krankenversicherung sonst auch auf eine Anwendung der bislang schon akzeptierten Behandlungsmethoden verzichtet werden müsste, für die es ebenfalls keine entsprechenden Studien gebe. Die Behandlung nach der “Methode Kozijavkin” sei nur im Ausland möglich, wie aus der Aussage von Prof. Dr. Dr. von Voss folge; in der Klinik von Dr. Helling bestünden Wartezeiten von mehr als einem Jahr (Urteil vom 16. Juni 2004).
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 18 Abs 1 SGB V sowie hilfsweise des § 103 SGG. Das LSG habe nicht darlegen können, dass die streitige Methode von der großen Mehrheit der einschlägigen Ärzte und Wissenschaftler befürwortet werde und bei ihnen ein Konsens über die Zweckmäßigkeit bestehe. Die vom LSG eingeholten Gutachten trügen seine Feststellung nicht, sondern belegten das Gegenteil. So führe Dr. Helling aus, die Akzeptanz bei den manualtherapeutisch tätigen Ärzten heiße nicht, dass diese Verfahren bei Pädiatern und Neuropädiatern bekannt seien und von diesen akzeptiert würden; es gebe in Deutschland nur sehr wenige Ärzte, die betroffene Kinder auf höchstem manualtherapeutischen Niveau behandelten. Die Fachgesellschaften der Pädiater und Neuropädiater akzeptierten die Behandlungsmethode ebenfalls nicht. Das LSG habe es verfahrensfehlerhaft versäumt, dazu weiter zu ermitteln. Es sei nicht erkennbar, dass die Auffassung der im Berufungsverfahren gehörten Gutachter auch die Majorität in Fachkreisen repräsentiere; dieses werde auch in zwei Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. Kruse vom Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen eV (MDS) vom 8. Mai 2003 und 1. Juni 2004 verneint. – Darüber hinaus fehle es an der zusätzlichen Voraussetzung des § 18 Abs 1 SGB V, dass eine entsprechende Behandlung nur außerhalb Deutschlands möglich gewesen sei. Das LSG hätte dazu ausführen müssen, dass die “Methode Kozijavkin” den im Inland bestehenden Behandlungsangeboten eindeutig überlegen sei, habe dazu aber nur dargestellt, dass die im Inland verfügbaren Behandlungsmethoden der hier streitigen nicht voll entsprächen. Andererseits habe Dr. Helling erklärt, dass (mit Ausnahme des Einsatzes von Bienengift-Präparaten) die Kombination von Therapiemitteln der “Methode Kozijavkin” auch in seiner Klinik eingesetzt werde. Dann aber gäbe es Behandlungsalternativen im Inland, wobei noch zu prüfen wäre, ob hier vorhandene Methoden “gleichwertig” seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. Juni 2004 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 16. Januar 2001 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. Juni 2004 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Berufung der beklagten Krankenkasse ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.
Anders als das LSG entschieden hat, kann nach dem Ergebnis seiner Ermittlungen nicht angenommen werden, dass die Klägerin Anspruch auf Neubescheidung hinsichtlich der Kostenerstattung für die vom 25. Juli bis 8. August 2000 erfolgte Behandlung durch Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine hat. Über den erhobenen Anspruch kann ohne weitere Sachaufklärung nicht entschieden werden. Der Senat verweist die Sache gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das LSG zurück. Dies ist sowohl aus prozessrechtlichen Erwägungen geboten (dazu unter 1.) als auch sachgerecht, um unter Anlegung zutreffender Maßstäbe zunächst von einer Tatsacheninstanz ermitteln zu lassen, ob im Falle der Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 18 SGB V erfüllt waren (dazu unter 2.).
1. In Bezug auf den allein noch streitigen, in die Zeit des laufenden Klageverfahrens fallenden Behandlungszeitraum 25. Juli bis 8. August 2000 (Bescheid vom 5. Juli 2000) fehlt es jedenfalls an der Sachurteilsvoraussetzung eines ordnungsgemäßen Vorverfahrens gegenüber der Klägerin (§ 78 Abs 1 und 3 SGG). Die ursprünglich angegriffenen Bescheide der Beklagten waren an den Vater der Klägerin gerichtet, und sind von ihm als Stammversichertem angefochten worden. Auch nach der “Rubrumsberichtigung” vom 24. April 1997 hat unabhängig von der teilweisen Klagerücknahme im Berufungsverfahren das erforderliche Vorverfahren gefehlt. Ein gegenüber dem Stammversicherten ergangener Widerspruchsbescheid ersetzt nicht das gegenüber dem Familienangehörigen erforderliche Vorverfahren (vgl BSG ≪12. Senat≫ SozR 3-1500 § 78 Nr 3 Leitsatz 1; zur dann – übergangsweise – in Betracht kommenden Nachholung des Verwaltungsverfahrens nach Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG vgl Senats-Urteile SozR 3-2500 § 30 Nr 8 S 29 f und SozR 3-2500 § 10 Nr 16 S 66).
Selbst wenn man hier in der Fortführung des Rechtstreits durch die Beteiligten nach der “Rubrumsberichtigung” eine zulässige Modifizierung des Streitgegenstandes sehen wollte, wäre ein Widerspruchsverfahren entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht entbehrlich. Denn der Bescheid vom 5. Juli 2000 ist nicht in unmittelbarer oder entsprechender bzw sinngemäßer Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des ursprünglich nur die Erstbehandlung im August 1993 betreffenden Rechtsstreits geworden (Bescheid vom 13. Dezember 1993; Widerspruchsbescheid vom 11. April 1994). Der Senat schließt sich insoweit der gegenüber einer Einbeziehung von Folgebescheiden in einen bereits laufenden Rechtsstreit zurückhaltenden jüngeren Rechtsprechung anderer Senate des BSG an. Auch wenn ein Gericht im Kern über gleiche Rechtsfragen zu entscheiden hat, rechtfertigen nämlich prozessökonomische Erwägungen eine erweiternde Auslegung bzw Heranziehung des § 96 SGG nicht, wenn in Bezug auf jeden ergangenen Bescheid jeweils auch auf Sachverhaltsbesonderheiten und zusätzliche (unterschiedliche) für den konkreten Anspruch rechtserhebliche tatsächliche Gesichtspunkte eingegangen werden müsste (vgl zum Ganzen zB: BSG ≪12. Senat≫ SozR 4-5375 § 2 Nr 1 ≪Betriebsprüfungen≫; BSG ≪3. Senat≫ BSGE 90, 143, 144 f mwN = SozR 3-2500 § 37 Nr 5 ≪Häusliche Krankenpflege≫ und SozR 3-5425 § 24 Nr 17 ≪Künstlersozialabgabe≫; BSG ≪6. Senat≫ SozR 3-2500 § 85 Nr 27 S 192 ff mwN ≪vertragsärztliche Honorarbescheide≫; ferner zB Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 96 RdNr 5a und 9a, 9b, 10, 10a mit umfangreichen Nachweisen). Dies trifft auch hier bei den streitig gewesenen aufeinander folgenden unterschiedlichen Behandlungszyklen der Klägerin in der Ukraine zu. In derartigen Fällen kommt eine Einbeziehung der sukzessive ergangenen Bescheide in den Rechtsstreit nur im Wege einer (zulässigen) Klageänderung nach § 99 SGG in Betracht; diese kann in der im Klageverfahren erfolgten “Rubrumsänderung” und dem anschließend gezeigten Hinnehmen dieser Vorgehensweise durch die Beteiligten gesehen werden. Die Zulässigkeit der Klage nach einer solchen Klageänderung setzt dann allerdings voraus, dass auch jeweils das Vorverfahrenserfordernis beachtet wurde (vgl zB Meyer-Ladewig, aaO, § 78 RdNr 8a mwN; BSGE 91, 128, 130 RdNr 8 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1 ≪Beitragsbescheide in der Unfallversicherung≫), an dem es hier fehlt. Nach Zurückverweisung kann das Vorverfahren aus prozessökonomischen Gründen gleichwohl noch im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden (dazu allgemein zB: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Kap IV RdNr 23, 26; Meyer-Ladewig, aaO, § 78 RdNr 3a ff; Schlegel in: Hennig, SGG, § 78 RdNr 7 ff, Stand April 1996). Das Revisionsgericht kann die Sache zu diesem Zweck nach § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das Berufungsgericht zurückverweisen (so zB BSG ≪6. Senat≫ SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1 S 9; BSG SozR 1500 § 78 Nr 8; Schlegel, aaO, § 78 RdNr 8). Davon macht der Senat Gebrauch, sodass das LSG zunächst das Widerspruchsverfahren gegenüber der Klägerin nachholen lassen muss.
2. Für eine Entscheidung des Revisionsgerichts in der Sache würden auch bei zulässiger Klage die instanzgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht ausreichen. Insoweit hängt der Klageerfolg davon ab, ob in Bezug auf die Behandlung der Klägerin in dem Institut von Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine vom 25. Juli bis 8. August 2000 die Voraussetzungen des § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V (in der hier noch maßgeblichen bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 – BGBl I 2266) vorgelegen haben. Da die Feststellungen des LSG hierzu für eine Sachentscheidung nicht genügen, muss es die erforderlichen Ermittlungen nachholen. Der Senat verweist die Sache auch aus diesem Grunde an das LSG zurück.
a) Dabei muss das LSG in prozessualer Hinsicht in Bezug auf den betroffenen Behandlungszeitraum vom 25. Juli bis 8. August 2000 zunächst auf eine sachdienliche Antragstellung der Klägerin hinwirken (§ 106 Abs 1 SGG); denn auch ein auf Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung hinsichtlich der “Kostenerstattung für die Behandlung” gerichtetes Begehren muss zur Vermeidung eines Folgerechtsstreits über den schon jetzt erkennbaren Leistungsrahmen hinreichend bestimmt sein. Bislang ist aber unklar, auf Erstattung welcher konkret bei der Klägerin angefallenen und von ihr beanspruchten Behandlungs- und Nebenkosten (zB für Unterkunft, Verpflegung, Fahrkosten) das Klagebegehren genau gerichtet ist.
b) Nach § 18 SGB V kann eine Krankenkasse die Kosten einer (notwendigen, § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V) “Behandlung einer Krankheit” (Abs 1 Satz 1) sowie “weitere Kosten für den Versicherten” und Kosten “für eine erforderliche Begleitperson” (Abs 2) ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung “nur im Ausland möglich” ist. Die Regelung ermöglicht als Rechtsfolge nicht nur eine Kostenübernahme, sondern auch – nach entsprechender vorheriger Antragstellung und Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse – die hier begehrte Kostenerstattung (vgl zuletzt Senats-Urteil vom 17. Februar 2004 – B 1 KR 5/02 R, BSGE 92, 164, 165 = SozR 4-2500 § 18 Nr 2 RdNr 7; ferner Senat, SozR 4-2500 § 18 Nr 1 RdNr 8 – Auslandsbehandlung nach Petö).
c) Bei der Prüfung, ob eine bestimmte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und ob eine diesem Standard genügende Behandlung im Inland möglich ist, geht es um die Feststellung genereller Tatsachen, für die die Beschränkung des § 163 SGG nicht gilt. Diese Fragen stellen sich nämlich in allen Fällen, in denen über die Leistungspflicht der Krankenkassen zu entscheiden ist und können nicht von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht unterschiedlich beantwortet werden. Es ist Aufgabe der Revisionsinstanz, auch in einer solchen Konstellation durch Ermittlung und Feststellung der allgemeinen Tatsachen die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherzustellen und so die Rechtseinheit zu wahren (BSGE 84, 90, 94, 97 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 16 f, 19; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 26 f mwN; vgl auch Beschluss des Senats vom 7. Oktober 2005 – B 1 KR 107/04 B, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Gleichwohl ist es dem Senat schon aus den unter 1. dargestellten, sich im Fall stellenden prozessrechtlichen Besonderheiten verschlossen, selbst in entsprechende Ermittlungen einzutreten. Das schließt es nicht aus, über den vom LSG entschiedenen Fall der Klägerin hinaus die Grundsätze für die stets auch von den Tatsacheninstanzen vorzunehmende Ermittlung allgemeiner Tatsachen bei Behandlungen im Ausland außerhalb von Europäischer Union (EU) und Europäischem Wirtschaftsraum (EWR) zu verdeutlichen und dabei auf zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen europarechtlicher Art aufmerksam zu machen (vgl zB § 18 Abs 1 SGB V in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ≪GMG≫ vom 14. November 2003, BGBl 2190).
d) Der Senat geht davon aus, dass ein Leistungsanspruch der Klägerin aus Vertrauensschutzgründen jedenfalls noch in der Zeit der hier erfolgten Behandlung nicht schon daran scheitert, dass hier (möglicherweise) eine spezielle Verordnung der Auslandsbehandlung durch einen deutschen Arzt fehlt (dieses generelle Erfordernis einer solchen Verordnung für Auslandsbehandlungen bislang offen lassend zuletzt: BSGE 92, 164, 165 = SozR 4-2500 § 18 Nr 2 RdNr 7 mwN). Für die Entbehrlichkeit einer solchen ärztlichen Verordnung könnte immerhin angeführt werden, dass die Krankenkassen nach Beantragung der Kostenübernahme vor Durchführung der Maßnahme in derartigen Fällen ohnedies regelmäßig verpflichtet sind, durch den MDK prüfen lassen, ob die begehrte Krankenbehandlung nur im Ausland möglich ist (§ 275 Abs 2 Nr 3 SGB V). Darüber hinaus ist die Leistungsgewährung der Krankenkassen für eine Auslandskrankenbehandlung selbst ohnehin nicht vom Erfordernis ärztlicher Verantwortung iS von § 15 Abs 1 SGB V freigestellt; in gleicher Weise wie bei einer Behandlung im Inland muss vielmehr ein Arzt die Notwendigkeit der Behandlung festgestellt sowie die Einhaltung der medizinischen Standards gewährleistet und zumindest überwacht haben (vgl schon Senat, SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 13 f). Dafür, dass Solches hier nicht der Fall war, ist nichts ersichtlich.
e) Neben dem hier außer Streit befindlichen Vorliegen einer behandlungsbedürftigen und in Bezug auf die gesetzlichen Behandlungsziele des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V (allgemein) behandlungsfähigen Krankheit der Klägerin ist zum einen Voraussetzung für die nach § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V zu treffende Ermessensentscheidung der beklagten Ersatzkasse, dass die in der Ukraine vom 25. Juli bis 8. August 2000 durchgeführte Behandlung der Klägerin dem “allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse” entsprach und darüber hinaus – kumulativ (vgl schon BSGE 84, 90, 91 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 13 – Kozijavkin I) – zum anderen “nur im Ausland” möglich war. Die bisherigen Feststellungen des LSG reichten auch bei einer zulässigen Klage nicht aus, um darüber zu entscheiden, ob die genannte streitige erste (dazu unter f) und zweite Voraussetzung (dazu unter g) erfüllt sind.
f) Auf Grund der bisherigen Feststellungen des LSG kann nicht darüber entschieden werden, dass die bei der Klägerin vom 25. Juli bis 8. August 2000 in der Ukraine angewandte “Methode Kozijavkin” von ihrem Konzept her seinerzeit überhaupt dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach und somit die erste wesentliche Voraussetzung des § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V erfüllt ist. Das gilt sowohl vom Ausgangspunkt der bisherigen Rechtsprechung des Senats her (dazu unter aa) als auch erst recht unter Berücksichtigung einer erforderlichen notwendigen Präzisierung dieser Rechtsprechung (dazu unter bb). Hierzu wird das LSG auch den genaueren Inhalt der Behandlung aufzuklären haben (vgl näher g), cc).
aa) Nach der auch vom LSG zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung des Senats ist entscheidend, dass die Leistung im Ausland den Kriterien des in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V geregelten Wissenschaftlichkeitsgebots entsprochen hat. Das wiederum ist der Fall, wenn die “große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftlicher)” die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSGE 84, 90, 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f – Kozijavkin I; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23 ff – Kozijavkin II).
Der Senat hatte diese Voraussetzungen in den zitierten Urteilen in Bezug auf die “Methode Kozijavkin” verneint: Diese Methode sei in den verfügbaren Äußerungen deutscher Wissenschaftler und sozialpädiatrisch tätiger Ärzte überwiegend skeptisch bis ablehnend beurteilt worden, wobei sich die Kritik einerseits auf die unspezifische Kombination verschiedener Behandlungsformen bezogen habe und andererseits das Fehlen vergleichender Effektivitätsstudien – auch im Hinblick auf die enge Bindung der Behandlungsmethode an die Person des Prof. Dr. Kozijavkin und dessen Weigerung, andere Ärzte in die Methode einzuweisen – bemängelt worden sei. Der Senat hat insoweit weiter wörtlich ausgeführt: “Dies könnte sich allerdings geändert haben, nachdem das Behandlungskonzept der Arbeitsgruppe um Dr. Kozijavkin und die damit erzielten Ergebnisse auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin im September 1999 einem Fachpublikum vorgestellt und veröffentlicht worden sind”. Darüber hinaus hat der Senat daran angeknüpft, dass Prof. Dr. Dr. von Voss, der sich früher mehrfach skeptisch zu der Methode geäußert hatte, seine Vorbehalte in einem für ein Verwaltungsgericht erstatteten Gutachten vom 28. Oktober 1999 nicht wiederholt, sondern nunmehr von einem mutmaßlich günstigen Einfluss der Therapie auf Grund des Zusammenwirkens der verschiedenen Behandlungssegmente gesprochen und konstatiert habe, dass nach eigener Erfahrung Behandlungserfolge bei einer großen Zahl von klinisch betreuten Patienten zu verzeichnen seien. Der Senat hat seinerzeit offen lassen können, ob diese Sichtweise des Gutachters nur diejenige eines einzelnen Wissenschaftlers war oder ob sich auf Grund der neueren Erkenntnisse auch bei anderen Pädiatern ein Meinungswandel vollzogen habe und ob die eingetretene Entwicklung bei Zugrundelegung der vom Senat schon in seinen Urteilen vom 16. Juni 1999 (BSGE 84, 90 ff = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 ua) formulierten rechtlichen Anforderungen eine Neubewertung der Kostentragung durch die Krankenkassen erforderlich mache (so zum Ganzen: Senats-Urteil vom 14. Februar 2001, SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 24 – Kozijavkin II).
Die im Berufungsverfahren dazu vom LSG eingeholten Sachverständigengutachten sind nicht geeignet, nunmehr die tragende Aussage des angefochtenen Urteils zu stützen, dass eine solche Änderung der Bewertung der “Methode Kozijavkin” ab September 1999 gerechtfertigt sei. Das LSG hat sich vielmehr allein auf die Meinung zweier Ärzte gestützt, von denen im Voraus bekannt war, dass sie die “Methode Kozijavkin” befürworten, und hat insbesondere klare Feststellungen dazu unterlassen, ob beide eine Mehrheitsmeinung vertreten oder vielleicht selbst nur als “Einzelstimmen” zu qualifizieren sind.
So ist darauf hinzuweisen, dass einer der vom LSG gehörten Sachverständigen (Prof. Dr. Mau) die Frage nach der Akzeptanz der Methode in Fachkreisen eindeutig verneint hat. Die beiden anderen Gutachter (Prof. Dr. Dr. von Voss und Dr. Helling), die die Auffassung der Klägerin stützen, führen demgegenüber im Kern nur aus, aus welchen Gründen sie selbst den Einsatz der “Methode Kozijavkin” auf der Grundlage der von ihnen gewonnenen Erkenntnisse befürworten; sie berufen sich dazu im Wesentlichen nur auf Vorträge bzw Veröffentlichungen Kozijavkins bzw aus dessen Umfeld sowie auf eigene Beobachtungen bei den Patienten. Aus diesen befürwortenden gutachtlichen Stellungnahmen wird indessen nicht in nachvollziehbarer Weise deutlich, welchen Widerhall die Methode tatsächlich in der breiten Fachöffentlichkeit gefunden hat. Zur Feststellung dieses entscheidungserheblichen Umstandes kann die lediglich in pauschaler Weise gegebene Einschätzung einzelner, der Therapie im Grundsatz positiv gegenüber stehender Mediziner ersichtlich nicht ausreichen. Um den erforderlichen Grad der Verbreitung deutlich machen zu können, müsste vielmehr im Einzelnen aufgelistet werden, welche (namentlich benannten) Fachautoren und ärztlichen Behandler bzw Fachinstitutionen sich bis zu dem im Falle der Klägerin maßgeblichen Behandlungszeitpunkt für die “Methode Kozijavkin” ausgesprochen hatten und welche eine zurückhaltendere oder gar ablehnende Haltung einnahmen.
Selbst bei alleiniger Zugrundelegung der vom LSG eingeholten Gutachten ist aber die von ihm bejahte Verbreitung und Akzeptanz der Behandlungsmethode in Fachkreisen nicht plausibel und hätte weiterer Ermittlungen bedurft. So stellt Prof. Dr. Dr. von Voss in seinem Gutachten vom 6. August 2002 zB selbst die von anderen Ärzten und Wissenschaftlern gegen die “Methode Kozijavkin” vorgebrachten Einwendungen dar. Zwar verwirft er diese Einwände aus seiner wissenschaftlichen Sicht, zieht aber die Existenz solcher Gegenstimmen (weiterhin) zumindest nicht in Zweifel. Gezielt zur Akzeptanz unter Fachleuten befragt, äußert er zu Frage 2 (“Wie groß ist die Akzeptanz?”), dass “sowohl Kinderärzte als auch Krankengymnasten/nastinnen … bei einem Großteil der Patienten positive Veränderungen nach der Behandlung” bestätigten. Dazu, in welchem Maße dies der Fall ist, dh wie das Pro und Contra zahlenmäßig und/oder gewichtungsmäßig einzuschätzen ist, äußert sich der Gutachter aber nicht (kritisch insoweit zu Recht schon MDS-Gutachten Dr. Kruse vom 1. Juni 2004, S 12). Ähnliches ist den Ausführungen zu der Frage zu entnehmen, seit wann die Methode in Deutschland anerkannt ist; auch dazu wird nicht – im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Senats – in einer für unbeteiligte Dritte nachvollziehbaren Weise von einer überwiegenden Akzeptanz berichtet, sondern nur davon, dass “zunehmend” Kinderärzte, Sozialpädiater, usw positive Entwicklungsveränderungen bzw Entwicklungsfortschritte bestätigten; auch an anderer Stelle wird nur die besondere Akzeptanz “vornehmlich von Eltern” bestätigt, aber auch “von einer Reihe von Kinderärztinnen und Kinderärzten”. Von den dem Gutachten beigefügten Literaturstellen stammen die meisten im Übrigen aus den Jahren nach 2000, sodass sie zu dem vom LSG als maßgeblich angesehenen Zeitpunkt September 1999 noch nicht vorgelegen haben können. Prof. Dr. Dr. von Voss bezeichnet die “Methode Kozijavkin” als “neues Therapieverfahren”, das “jüngst” (2002) in Übersichtsarbeiten in Forschungsberichten dargestellt worden seien, und erwähnt selbst, dass es eine Reihe kritischer Stimmen zu dieser Methode gebe. Eine – nicht nahtlos in Einklang mit dem Gutachten stehende – eher zurückhaltende Würdigung hat Prof. Dr. Dr. von Voss im Übrigen in einer Veröffentlichung des “Internationalen Fördervereins für medizinische Rehabilitation nach Kozijavkin” (IFRK spezial vom 14. Juni 2003, im Internet recherchiert am 18. November 2005 unter: http://www.ifrk.org/index_1/frames/neurointensiv_stellungnahme_v_voss.pdf) abgegeben. Darin heißt es ua, Therapiewirksamkeitsstudien zur ICP müssten weltweit eingefordert werden und es sei noch ein langer Weg, bis man sich aufmachen werde, ein so komplexes Krankheitsbild umfassend zu erforschen; die Arbeitsgruppe Kozijavkin habe sich “mutig auf den Weg gemacht”, für Kinder und Jugendliche mit ICP “therapeutisches Neuland zu betreten”; man werde gespannt sein dürfen, welche Behandlungsdaten sie dereinst vorlegten. Hieraus wird deutlich, dass der Gutachter auch die bisherigen Erkenntnisse zur Behandlungsmethode Kozijavkin an anderer Stelle noch mit gewisser Zurückhaltung und dem Wunsch nach einer stärkeren wissenschaftlichen Untermauerung gewürdigt hat.
Auch aus den Ausführungen des Gutachters Dr. Helling lässt sich eine überwiegende Akzeptanz in Fachkreisen nicht herleiten. Dieser hat differenziert zwischen Orthopäden und Kinderorthopäden sowie Chirotherapeuten einerseits, bei denen die Akzeptanz “groß sein (dürfte)”, während dies andererseits bei Pädiatern und Neuropädiatern nur in deutlich geringerem Maße der Fall sein dürfte. Diese Äußerungen gründen nicht erkennbar auf gerichtsfest nachvollziehbare Fakten, sondern haben eher spekulativen Charakter (auch insoweit schon MDS-Gutachten Dr. Kruse vom 1. Juni 2004, S 11). Dr. Helling lehnt es darüber hinaus ab, von einer “Methode Kozijavkin” zu sprechen und gibt nur die Ansicht der Manualtherapeuten wieder (“Diese Behandlungsmethoden sind nach meiner Ansicht von der großen Mehrheit der manualtherapeutischen Ärzte befürwortet.”). Auch daraus lässt sich nicht schließen, dass die Mehrheit der einschlägigen Fachleute, sondern allenfalls die Mehrheit der Manualtherapeuten, eine an die “Methode Kozijavkin” angelehnte Behandlung befürwortet.
Das LSG muss deshalb in weiteren Ermittlungen aufklären, welche Meinung einschlägige Fachleute zu der “Methode Kozijavkin” (in ihrer Gesamtheit, dh nicht nur bezogen auf einzelne ihrer Elemente, vgl BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 25 f) vertreten und ob sich nur Einzelstimmen gegen die Anwendung der Methode bei ICP-Patienten wenden.
bb) Das Vorgehen des LSG gibt im Übrigen Anlass zu präzisieren, was unter der “großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute” zu verstehen ist und welche Studien in den Blick zu nehmen sind. Es entspricht allgemeinem Wissenschaftsverständnis, dass die Wissenschaftlichkeit einer Studie weder vom Ort ihrer Entstehung noch von der Stelle ihrer Publikation abhängt. Infolgedessen versteht es sich von selbst, dass als Basis für die Herausbildung eines Konsenses alle international zugänglichen einschlägigen Studien dienen können. In ihrer Gesamtheit kennzeichnen sie den Stand der medizinischen Erkenntnisse. Davon zu unterscheiden ist die Frage, welcher Personenkreis für die Ermittlung der “großen Mehrheit der einschlägigen Fachkreise” in den Blick zu nehmen ist. Indem § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V auf den “allgemein anerkannten” Stand der medizinischen Erkenntnisse abstellt, soll dasjenige erfasst werden, was sich im internationalen wissenschaftlichen Diskurs ob seiner wissenschaftlichen Überzeugungskraft durchgesetzt hat. Insoweit sind im Ausgangspunkt nicht nur inländische Fachleute einzubeziehen. Das schließt andererseits nicht aus, zur Ermittlung des “allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse” inländische Institutionen zu befragen, insbesondere dann, wenn sichergestellt ist, dass sie den auf internationaler Ebene “allgemein anerkannten Stand” als maßgeblich rezipieren und ggf zu Grunde legen. Das harmoniert auch mit den Anforderungen des europäischen Rechts. So geht der Europäische Gerichtshof (EuGH) davon aus, nur diejenige Auslegung der Wendung “in ärztlichen Kreisen üblich” sei nicht diskriminierend, die – auch bei grundsätzlicher Anknüpfung an das Inland – eine Ausrichtung an dem von der internationalen Medizin als anerkannt Angesehenen für maßgeblich erachtet (vgl EuGH, Urteil vom 12. Juli 2001 – Rs C-157/99, EuGHE I-2001, 5473 ff = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6, S 32 f – Smits/Peerbooms, RdNr 92 ff).
Da es bei den insoweit gebotenen weiteren Ermittlungen, welche Position einschlägige Fachkreise zur “Methode Kozijavkin” vertreten, um die Feststellung allgemeiner Tatsachen geht, kommt es in besonderer Weise darauf an, Erkenntnisse auf einer möglichst breiten Grundlage zu gewinnen; in der Zeit verfügbarer medizinischer Datenbanken im Internet (zB Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information ≪DIMDI≫) und juristischer Informations- und Dokumentationssysteme (zB JURIS) ist dies nicht mit außergewöhnlichen und unzumutbaren Ermittlungsschwierigkeiten verbunden. Zu diesem Zweck stehen verschiedene Möglichkeiten der Ermittlung zur Verfügung.
(1) Sofern sich allein aus der zahlenmäßigen Aufschlüsselung einer allerdings typischerweise auch nur mittels sachverständiger Hilfe möglichen Literaturrecherche kein klares Bild ergeben sollte, kommt es darauf an, wie unterschiedliche Bewertungen ggf gemessen am Grad ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Evidenz zu gewichten und einzuschätzen sind (vgl § 9 der Richtlinie über die Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden idF vom 1. Dezember 2003,≪BAnz Nr 57 S 5678≫, zuletzt geändert am 20. September 2005 ≪BAnz Nr 222 S 16166≫). Eine derartige Gewichtung haben erstmals die MDS-Gutachten von Dr. Kruse vom 8. Mai 2003 und vom 1. Juni 2004 vorgenommen; bei Zweifeln an deren Überzeugungskraft müsste durch Zuhilfenahme geeigneter Sachverständiger ggf erneut die Gewichtung von zum Behandlungszeitpunkt vorliegenden widerstreitenden Fachveröffentlichungen geklärt werden (zum Stellenwert entsprechender MDS-Gutachten vgl allerdings § 275 Abs 2 Nr 3, Abs 4 und Abs 5 Satz 1 SGB V). Insoweit kann sich zB eine Anfrage bei dem inzwischen mit Wirkung zum 1. Januar 2004 gemäß § 139a SGB V errichteten Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) anbieten. Das Institut wird zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen tätig und erstellt wissenschaftliche Ausarbeitungen, Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen der Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen. Es stellt auch für alle Bürger verständliche allgemeine Informationen zur Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung zur Verfügung (§ 139a Abs 3 Nr 2 und 6 SGB V). Zwar sind nach § 139b Abs 1 und 2 SGB V Gerichte und Krankenkassen nicht unmittelbar befugt, das IQWiG mit einer Untersuchung zu beauftragen; das schließt es jedoch nicht aus, dass diese beim IQWiG vorliegende Informationen abrufen und zum konkreten Verfahren beiziehen. Die Krankenkassen können darüber hinaus in geeigneten Fällen über ihre Spitzenverbände eine Beaufragung des IQWiG durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) oder über die Aufsichtsbehörden einen Antrag durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung veranlassen (§ 139b Abs 1 Satz 2 und Abs 2 SGB V). Auf diese Weise können daher vom IQWiG Informationen auch zu Fragestellungen eingeholt werden, die nicht in den Kompetenzbereich des G-BA nach §§ 91 ff SGB V fallen und zu denen das IQWiG, dessen Träger der G-BA ist, deshalb auch keine Stellungnahmen abgibt. Das gilt insbesondere für Auslandsbehandlungen, für deren Beurteilung der G-BA nicht zuständig ist (vgl BSGE 84, 90, 96 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 25; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 1 RdNr 15 – Petö). Das Institut dürfte zumindest in der Lage sein, zB einschlägige medizinische Fachgesellschaften zu benennen oder Hinweise auf geeignete Sachverständige zu geben.
(2) Zur Feststellung des allgemein anerkannten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere des Umstandes, ob die große Mehrheit der einschlägigen Ärzte und Wissenschaftler die Behandlungsmethode befürwortet und sie für zweckmäßig hält, liegt des Weiteren die Einholung von Stellungnahmen der einschlägigen Fachgesellschaften nahe. Welche Fachgesellschaften dafür in Frage kommen, bestimmt sich nach der konkreten Erkrankung und der Art der im Einzelfall streitbefangenen Behandlung; es sind also regelmäßig diejenigen, die sich um eine Behandlung der Erkrankung bemühen, und deren Aufgabengebiet die konkrete Behandlungsmethode zugerechnet werden kann. Im Fall der hier streitbefangenen ICP, für deren Behandlung zT auf eine Fülle zur Verfügung stehender Methoden verwiesen wird (vgl zB Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie, Monatsschrift für Kinderheilkunde 1999, 696 ff, und Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin vom 25. Juni 2004, im Internet unter www.dgsj.de/Ilspastischecp.php sowie die Aufstellungen zB http://members.aol.com/geburt/main/therapie/startseite.html ≪eine Patientenorganisation≫ – jeweils recherchiert am 22. November 2005), bedeutet das, dass zumindest ein Meinungsbild der Vereinigung für Kinderorthopädie, sowie der Fachgesellschaften für Pädiatrie, Sozialpädiatrie, Neuropädiatrie und Jugendmedizin eingeholt werden muss. Die Art der Behandlung fordert zumindest die Feststellung, wie Fachgesellschaften im Bereich der Manualtherapie und Neurologie bzw Kinderneurologie die “Methode Kozijavkin” beurteilen.
(3) In diesem Zusammenhang kann zusätzlich von Bedeutung sein, inwieweit sich unter Fachleuten konsensfähige medizinische Erkenntnisse bereits sogar in ärztlichen Leitlinien niedergeschlagen haben. Wie das BSG entschieden hat, musste die Feststellung, was dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts jeweils entsprach, bis zum Wirksamwerden der neuen für die Inlandsbehandlung geltenden gesetzlichen Instrumentarien zur Bestimmung von Inhalt, Umfang und Qualität der Krankenhausbehandlung nach anderen Kriterien getroffen werden. In diesem Zusammenhang wurde vor allem den Stellungnahmen der medizinischen Fachgesellschaften Bedeutung zugemessen, die sich zB in Leitlinien niedergeschlagen hatten und auf diese Weise geeignet waren, “Standards” zu definieren (so BSGE 81, 182, 187 f = SozR 3-2500 § 109 Nr 5 S 39 f ≪3. Senat≫ – Hyperthermie). Auch der erkennende 1. Senat des BSG hat sich in jüngerer Zeit in Bezug auf Leistungsansprüche im Inland bisweilen auf die Angaben und Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften zu Behandlungsstandards gestützt (vgl BSG SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 71 – Colon-Hydro-Therapie; BSGE 90, 289, 292, 294 f = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 RdNr 7, 15 – Magenband; zuletzt Senats-Urteil vom 16. Februar 2005 – B 1 KR 18/03 R – stationäre Schizophrenie-Behandlung, BSGE 94, 161, 170 f = SozR 4-2500 § 39 Nr 4 RdNr 22). Zwar gibt es Erkenntnisse, die eine differenziertere Betrachtung der von ärztlicher Seite selbstregulativ geschaffenen Regelwerke im Rahmen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung gebieten dürften (dazu schon Urteil des Senats vom 16. Februar 2005, aaO mwN). Andererseits liegt es nahe, Leitlinien einschlägiger medizinischer Fachgesellschaften jedenfalls dann zur Konkretisierung des Leistungsanspruchs von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mit heranzuziehen und auszuwerten, wenn die normalerweise im innerstaatlichen Bereich zur Leistungskonkretisierung berufenen Institutionen – wie hier – dafür keine Zuständigkeit besitzen. In ähnlicher Weise kann daher vorgegangen werden, wenn über die Akzeptanz in Fachkreisen für eine bestimmte, nach dem Beteiligtenvorbringen nur außerhalb von EU und EWR mögliche Behandlung gestritten wird.
(4) Als weitere Möglichkeit der Ermittlung des Standes der medizinischen Erkenntnisse können schließlich Gutachten aus anderen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aus den Verfahren anderer Landessozialgerichte beigezogen werden. Für die “Methode Kozijavkin” kommt beispielsweise die Beiziehung von Gutachten der LSG für das Saarland, Sachsen und Thüringen in Betracht, die ebenso wie das LSG, an das nun zurückverwiesen wird, über diese Methode und ihre Anerkennung eine Entscheidung zu treffen hatten (LSG für das Saarland, Beschluss vom 24. Februar 2000, L 2 K 17/97, veröffentlicht in JURIS, Dok-Nr KSRE083011018; Sächsisches LSG, Urteil vom 20. März 2000 – L 1 KR 30/01, JURIS, Dok-Nr KSRE094431518; Thüringer LSG, Urteil vom 18. Dezember 2002 – L 6 KR 836/02, JURIS Dok-Nr KSRE091600218). Auch die vorliegenden MDS-Gutachten von Dr. Kruse wird das LSG im weiteren Verfahrensgang mit zu würdigen haben.
g) Sollten die Ermittlungen des LSG ergeben, dass die in der Ukraine vorgesehene Behandlungsmethode zum Behandlungszeitpunkt im aufgezeigten Sinne dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach (erste Voraussetzung des § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V), muss es weiter genauer feststellen, ob ebenfalls das weitere Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, dh, ob eine Behandlung mit demselben Behandlungsziel wie dem bei der Klägerin angestrebten zum vorgesehenen Behandlungszeitpunkt in Deutschland bzw der EU/des EWR allgemein und konkret für die Klägerin unter qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten nicht verfügbar bzw zumutbar war (Versorgungsdefizit). Auch insoweit reichen die Feststellungen des LSG für eine Entscheidung nicht aus.
aa) Ohne dass der Fall der Klägerin dem Senat derzeit Veranlassung bietet, zu Einzelfragen detailliert Stellung zu nehmen, kann es nach der Judikatur des EuGH (EuGHE 1998, I-1931 = SozR 3-6030 Art 59 Nr 5 – Kohll; EuGHE 1998, I-1831 RdNr 37 ff = SozR 3-6030 Art 30 Nr 1 – Decker; EuGHE 2001, I-5473 = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6 – Smits/Peerbooms; EuGHE 2003, I-4509 = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 39, 76 ff, 93 ff – Müller-Fauré/van Riet) und des Senats (BSGE 93, 94 ff = SozR 4-2500 § 13 Nr 4 RdNr 8; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 11) jedenfalls keinem Zweifel mehr unterliegen, dass die Feststellung eines zur Systemüberschreitung berechtigenden Versorgungsdefizits trotz der erst zum 1. Januar 2004 erfolgten Änderung der §§ 13, 18 SGB V mit Blick auf die europarechtlichen Grundfreiheiten und das Diskriminierungsverbot auch schon in der davor liegenden Zeit nicht auf Deutschland beschränkt bleiben durfte; lediglich für die Krankenhausbehandlung gelten Besonderheiten in Gestalt zulässiger Genehmigungsvorbehalte (vgl die Urteile Smits/Peerbooms sowie Müller-Fauré/van Riet, aaO). Als Bestimmung, die eine Krankenbehandlung nur ausnahmsweise und nur unter besonderen Einschränkungen im (Nichtvertrags-)Ausland zulässt, ist § 18 SGB V nach der Rechtsprechung des BSG zwar eng, aber nunmehr auch im Lichte der europarechtlichen Grundfreiheiten auszulegen. Er ermöglicht es zwar, dass Versicherten bei etwaigen Versorgungsdefiziten im hiesigen System der gesetzlichen Krankenversicherung eine Behandlung auch außerhalb von EU und EWR (im Folgenden: EU/EWR-Inland) zuteil wird, soll aber andererseits der Gefahr des “Gesundheitstourismus” vorbeugen und hat – ausgestaltet als Ermessensleistung – im Blick, eine finanzielle Überforderung der Krankenkassen zu vermeiden (so zuletzt BSGE 92, 164, 165 f = SozR 4-2500 § 18 Nr 2 RdNr 9 mwN).
bb) Der Anspruch aus § 18 SGB V ist nicht darauf beschränkt, dass eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im EU/EWR-Inland überhaupt nicht zu erlangen ist, sondern besteht auch, wenn eine Behandlung zwar dort erfolgen kann, der im EU/EWR-Ausland praktizierten anderen Methode jedoch ein qualitativer Vorrang gegenüber den im EU/EWR-Inland angewandten Methoden gebührt. Letzteres ist zB der Fall, wenn eine Krankheit im Inland nur symptomatisch behandelt werden kann, während im Ausland eine kausale Therapie angeboten wird, die begehrte Behandlung der EU/EWR-Inlandsbehandlung also aus medizinischen Gründen “eindeutig überlegen” ist. Nicht notwendig ist eine Auslandsbehandlung dagegen, wenn im EU/EWR-Inland gleich oder ähnlich wirksame und damit zumutbare Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Ebenso ist § 18 Abs 1 SGB V einschlägig, wenn eine Behandlung aus Kapazitätsgründen und dadurch bedingte Wartezeiten im EU/EWR-Inland nicht rechtzeitig erfolgen kann (vgl zum Ganzen schon: BSGE 92, 164, 166 = SozR 4-2500 § 18 Nr 2 RdNr 9 mwN; BSGE 84, 90, 92 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 14 f mwN; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 27).
Für die Anwendung des § 18 Abs 1 SGB V reicht es danach nicht schon aus, dass die vom Versicherten konkret begehrte Therapie nur im EU/EWR-Ausland durchgeführt werden kann. Die Krankenkasse darf die Kosten dieser Therapie vielmehr nur übernehmen, wenn für die betreffende Krankheit im zur Verfügung stehenden System überhaupt keine, also auch keine andere zumutbare Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse genügt. Die EU/EWR-Auslandsbehandlung stellt insoweit einen bloßen Notbehelf für den Fall dar, dass der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung mit den Mitteln des zur Verfügung stehenden Sachleistungssystems (bzw mit Hilfe der Leistungsaushilfe) nicht erfüllt werden kann. Die in § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V vorausgesetzte Notwendigkeit, mit Hilfe der Auslandsbehandlung eine Lücke in der medizinischen Versorgung zu schließen, besteht nur, wenn eine im Inland bzw EU/EWR-weit nicht behandelbare Krankheit im EU/EWR-Ausland mit der erforderlichen Erfolgsaussicht behandelt werden kann, und nicht schon dann, wenn das außerhalb angebotene Leistungsspektrum lediglich andere medizinische Maßnahmen umfasst, ohne im Ergebnis die Behandlungsmöglichkeiten für die beim Versicherten bestehende Krankheit entscheidend zu verbessern (vgl schon BSGE 84, 90, 92 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 14, nunmehr im Lichte von EuGHE I-2001, 5473 ff = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6 – Smits/Peerbooms und § 18 Abs 1 SGB V nF). Die Notwendigkeit der Auslandsbehandlung wäre deshalb zu verneinen, wenn zwar eine bestimmte, vom Versicherten bevorzugte Therapie nur außerhalb der EU/des EWR erhältlich ist, im EU/EWR-Inland aber andere, gleich oder ähnlich wirksame und damit zumutbare Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Gibt es dagegen mehrere gleichwertige Behandlungsalternativen, können allein die im EU/EWR-Inland bestehenden Therapieangebote in Anspruch genommen werden (vgl BSGE 84, 90, 93 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 15, ergänzt um europarechtliche Erwägungen).
cc) Die Feststellungen im Urteil des LSG reichen nicht aus, um über das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu entscheiden.
Ob die Behandlung der ICP der Klägerin nach der “Methode Kozijavkin” in der Ukraine im Sommer 2000 im dargestellten Sinne dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach und ob bezogen auf die mit der Behandlung verfolgten Ziele in der EU/im EWR ein Versorgungsdefizit bestand, kann verfahrensrechtlichen Anforderungen entsprechend nur beurteilt werden, wenn zunächst genauere Feststellungen zum Inhalt der konkreten Behandlung getroffen worden sind. Es liegt nahe – erscheint aber nicht abschließend geklärt –, dass die Klägerin sich dort einer ärztlich verantworteten Rehabilitationsbehandlung unterzogen hat; dafür spricht vor allem, dass der Leistungserbringer Prof. Dr. Kozijavkin die in seinem Institut unter seiner ärztlichen Verantwortung praktizierte Methode selbst als “System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation” bezeichnet und dass auch in entsprechenden Internet-Auftritten heute immer noch die rehabilitative Komponente in den Vordergrund gerückt wird (vgl www.kozijavkin.de; ferner “Internationaler Förderverein für medizinische Rehabilitation nach Kozijavkin”, im Internet unter www.ifrk.org – jeweils recherchiert am 22. November 2005). Da das LSG bislang keine Feststellungen dazu getroffen hat, wie die konkrete Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 25. Juli bis 8. August 2000 ausgestaltet sein sollte und tatsächlich verlaufen ist, muss es deshalb zunächst ermitteln, mit welchem Behandlungsziel die Klägerin in der Ukraine behandelt werden sollte bzw wurde (zB zur Linderung akuter bzw chronischer Krankheitsbeschwerden oder vorrangig zu Zwecken einer langfristig angelegten Rehabilitation). Zudem kommt es darauf an, in welcher konkreten äußeren Form ihr die Leistungen zuteil wurden (zB als ambulantärztliche Behandlung bzw ärztlich angeordnete Physiotherapie mit separat entstandenen Kosten für Unterkunft und Verpflegung, als ambulante oder ≪teil-≫stationäre Rehabilitation, durch Verabreichung von Heilmitteln). Erst wenn diese Umstände feststehen, können bezogen darauf auch die weiteren Voraussetzungen des § 18 SGB V im Einzelnen geprüft werden.
dd) Auch die weiteren Feststellungen des LSG sind unzureichend. Es hat zwar ausgeführt, die “Methode Kozijavkin” sei im Inland nicht verfügbar, dabei aber nicht berücksichtigt, dass die Stellungnahmen von Prof. Dr. Dr. von Voss und von Dr. Helling einander widersprachen, da der erste Sachverständige keine entsprechende Behandlungsmöglichkeit in Deutschland feststellen konnte, der zweite dagegen mitteilte, dass in seiner Klinik entsprechende Behandlungen durchgeführt würden. Das LSG hat auch trotz Verurteilung der Beklagten zur Leistung keine Feststellungen dazu getroffen, weshalb die in Deutschland für ICP-Patienten “zur Erleichterung des Bewegungsablaufs durch Ausnutzung komplexer Bewegungsmuster Bahnung von Innervation und Bewegungsabläufen und Förderung oder Hemmung von Reflexen” nach den Heilmittel-Richtlinien zur Verfügung stehenden krankengymnastischen Behandlungen nach Bobath und Vojta (vgl Nr 35.2.2 Heil- und Hilfsmittelrichtlinien idF vom 17. Juni 1992 ≪BAnz Nr 183b S 13≫; inzwischen Nr 17.A.2.5 der Richtlinien des G-BA über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom 1. Dezember 2003/16. März 2004 ≪Beilage zu BAnz Nr 106a vom 9. Juni 2004≫) nicht im genannten Sinne dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und dass die “Methode Kozijavkin” diesen anderen Methoden gemessen an den jeweils verfolgten Behandlungszielen “eindeutig überlegen” ist.
ee) Sollte sich nach den weiteren Ermittlungen herausstellen, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung im EU/EWR-Inland zur Verfügung stand – sei es in Form der Behandlungen nach Bobath und Vojta, sei es in Form der Behandlung in der Klinik des Dr. Helling oder auch in Form anderer Behandlungsmethoden – wird das LSG weiter genauer zu untersuchen haben, ob eine solche Behandlung zu dem für die Klägerin vorgesehenen Behandlungszeitpunkt auch konkret verfügbar und zumutbar war. Der EU/EWR-Behandlung kommt nach der Rechtsprechung des Senats im Rahmen des auch für § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V geltenden Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) ebenfalls Vorrang zu, wenn das Leistungsangebot im EU/EWR-Ausland wegen einer besonders modernen technischen Ausrüstung oder wegen des auch international herausragenden fachlichen Rufs eines bestimmten Arztes eine überdurchschnittliche Qualität aufweist, denn Spitzenmedizin ist nicht der Maßstab für die Leistungspflicht in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Deshalb könnte zB allein eine besondere manualtherapeutische Geschicklichkeit von Prof. Dr. Kozijavkin nicht die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung begründen (BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 16). Im konkreten Fall käme eine Kostenübernahme nach § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V dagegen in Betracht, wenn eine Behandlung auf Grund fehlender Kapazitäten nur im EU/EWR-Ausland möglich ist (vgl erneut BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 2 S 10, RdNr 9). Ob in quantitativer Hinsicht ein Versorgungsdefizit besteht, kann wiederum nicht auf Grund allgemeiner Feststellungen zur Zahl der vorhandenen Therapieplätze und der dort bestehenden Wartezeiten festgestellt werden; dazu muss vielmehr die Situation des jeweiligen Betroffenen untersucht und ermittelt werden, ob und warum er trotz entsprechender Bemühungen in vertretbarer Zeit keinen Therapieplatz finden konnte (BSGE 84, 90, 95 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 17) und ob und warum ein weiteres Zuwarten nicht möglich, eine früher als im Inland mögliche Auslandsbehandlung dagegen aus “medizinischen Gründen unbedingt erforderlich” war (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 2 S 10 RdNr 9).
ff) Sollte sich dabei herausstellen, dass eine Behandlung im EU/EWR-Inland unter qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten verfügbar war, müsste schließlich ermittelt werden, ob auf Grund der speziellen Erfahrungen der Klägerin und ihres spezifischen Krankheitsbildes gerade bei ihr eine Behandlung im EU/EWR-Inland nicht möglich oder nicht zumutbar war. Eine ausreichende und rechtzeitige EU/EWR-Inlandsbehandlung ist nämlich auch dann nicht gewährleistet, wenn die Behandlung im EU/EWR-Inland auf Grund des speziellen Krankheitsbilds keinen Erfolg verspricht, zB bei einer besonderen Kombination von Krankheiten (BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 1 Leitsatz). Das könnte allerdings nicht schon angenommen werden, wenn die bei der Klägerin vorliegende ICP eine stärkere Ausprägung hätte als der Durchschnitt der im EU/EWR-Inland auftretenden Formen dieser Erkrankung. Vielmehr muss dazu ein außergewöhnlicher Fall vorliegen, auf den die in Deutschland bzw EU/EWR-weit anerkannten und angebotenen Methoden keine ausreichende therapeutische Wirkung haben (vgl ähnlich für die Organtransplantation im Ausland: BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 2 S 15).
h) Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, dass die “Methode Kozijavkin” dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht sowie konkret nur im EU/EWR-Ausland verfügbar gewesen ist, wird es schließlich zu prüfen haben, ob die Behandlung bei Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine im hier streitigen Einzelfall “erforderlich” war. Das setzt voraus, dass die Behandlung vom 25. Juli bis 8. August 2000 aus ex-ante-Sicht erfolgversprechend war. Insofern wird das LSG zu ermitteln haben, ob die von der Klägerin beantragte Behandlung Aussicht auf Erfolg hatte, obwohl es sich bereits um wiederholte Behandlungen in der Ukraine handelte. Dazu wird es anhand des Therapiekonzepts Kozijavkin und der wissenschaftlichen Studien zu überprüfen haben, ob die Behandlung allgemein auch mehrfach angewandt werden kann und ob im Fall der Klägerin eine weitere Behandlung eine (zusätzliche) Besserung versprach. Dazu kann es die Ergebnisse der vorhergehenden Behandlungsphasen in seine Entscheidung einbeziehen.
3. Das LSG muss abschließend auch über die Kosten des Revisionsverfahrens befinden.
Fundstellen