Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.06.1979) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juni 1979 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beigeladene hat ihren Hauptsitz in B.; in K. unterhielt sie bis Ende des Jahres 1976 eine Zweigniederlassung.
Die Beigeladene zeigte dem Arbeitsamt mit Schreiben vom 21. Oktober 1976 gem § 17 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) idF vom 25. August 1969 (BGBl I 1317) die Entlassung von 53 Arbeitnehmern zum 31. Dezember 1976 an. Mit Schreiben vom 28. November 1976 erklärte der Kläger, daß er die Stellungnahme gem § 17 KSchG abgeben werde, sobald alle mit der Betriebsstillegung zusammenhängenden personellen Angelegenheiten geregelt seien; zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei eine Stellungnahme nicht möglich.
Der Ausschuß für anzeigepflichtige Entlassungen beim Landesarbeitsamt (LArbA) Baden-Württemberg (Ausschuß) setzte am 27. April 1977 die Entlassungssperre für 41 Arbeitnehmer auf den 31. Dezember 1976 fest. Dies teilte das LArbA mit Bescheid vom 29. April 1977 der Beigeladenen und nachrichtlich dem Kläger mit. Den Widerspruch des Klägers wies der Ausschuß mit Bescheid vom 7. Juli 1977 zurück. Das Sozialgericht (SG) Konstanz hat mit Urteil vom 11. April 1978 die Klage abgewiesen.
Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 20. Juni 1979 zurückgewiesen. Es hat die Zulässigkeit der Berufung bejaht und ausgeführt, mangels Klagebefugnis des Klägers sei die Berufung jedoch unbegründet. Aus den §§ 17 und 18 KSchG folge, daß bei Massenentlassungen durch das allein auf Antrag des Arbeitgebers eingeleitete Verwaltungsverfahren rechtliche Beziehungen nur zwischen Arbeitgeber und Arbeitsverwaltung geschaffen würden. Der Arbeitgeber sei zwar nach § 17 KSchG verpflichtet, der Anzeige eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen. Daraus ergebe sich jedoch kein Hecht des Betriebsrats, an dem Verfahren nach §§ 17 ff KSchG als Partei beteiligt zu werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe der Betriebsrat noch nicht einmal die Rechtsposition eines notwendig Beigeladenen nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klagebefugnis des Betriebsrats werde auch nicht dadurch begründet, daß die Arbeitnehmer des Betriebes durch die Entscheidung des LArbA mittelbar betroffen würden. Zwar solle die Betriebsvertretung auch im Verfahren nach §§ 17 ff KSchG die Arbeitnehmerinteressen zur Geltung bringen, was durch die Änderung des § 17 KSchG aufgrund des Gesetzes vom 27. April 1978 (BGBl I 550) verdeutlicht worden sei. Bei der Entscheidung nach § 18 KSchG handele es sich jedoch nicht um eine Entscheidung über den individuellen Schutz der einzelnen Arbeitnehmer in ihrem Arbeitsverhältnis, sondern um die Interessen der Allgemeinheit, Arbeitslosigkeit nach Möglichkeit zu verhüten. Der Schutz der §§ 17 ff KSchG komme dem Arbeitnehmer damit nur mittelbar zugute.
Mit der Revision macht der Kläger geltend: Nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) habe der Betriebsrat darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze durchgeführt werden. Dazu gehöre auch § 8 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Der Betriebsrat habe also den Arbeitgeber zu drängen, die Mitteilung an den Präsidenten des LArbA frühzeitig abzusenden. Daher müsse ihm das Recht zustehen, von sich aus diese Mitteilung zu machen, wenn der Arbeitgeber sich weigere, sie abzugeben. Werde aber ein Betriebsrat in dieser Weise tätig, müsse ihm auch das Recht eingeräumt werden, Verfahrensgegner werden zu können. Zwar lehne die herrschende Meinung mit Recht eine Prozeßvertretungsbefugnis des Betriebsrats für die Ansprüche einzelner Arbeitnehmer ab. Zu den Fällen aber, in denen den einzelnen Arbeitnehmern ein selbständiges Klagerecht nicht eingeräumt werden könne – zB die Feststellung der Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige gem §§ 17, 18 KSchG – werde man wohl dem Betriebsrat dieses Feststellungsinteresse zubilligen müssen. Diese Feststellung sei gerade für den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses eines Arbeitnehmers von besonderer Bedeutung, weil dieser sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auf die Unwirksamkeit der Anzeige berufen müsse. Arbeitgeber müßten heute in vielen Fällen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen für ihre Beschäftigten einem Sozialleistungsträger gegenüber tätig werden. Die Rechtsposition des Betriebsrats als Repräsentant und Vertreter der Arbeitnehmer des Betriebes werde bei diesem Tätigwerden des Arbeitgebers häufig berührt. Ergebe sich aus diesem Tätigwerden des Arbeitgebers eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betriebsrats, so werde in der Regel auch die Rechtsposition der einzelnen Arbeitnehmer berührt, weil sie bei der Ausübung ihrer Beteiligungsrechte durch den Betriebsrat als Organ vertreten würden. Daraus ergebe sich die Auffassung, daß eine Verletzung individueller Rechte eines Arbeitnehmers durch eine unterlassene Handlung des Betriebsrats diesen gegenüber dem Geschädigten schadensersatzpflichtig machen könne. Insofern habe der Betriebsrat im konkreten Fall die Pflicht zur Feststellung der Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige der Beigeladenen, um Schaden von den Arbeitnehmern abzuwenden. Daraus folge auch seine Klagebefugnis. Der Auffassung des LSG, die von der Arbeitsverwaltung im Rahmen des § 18 KSchG getroffene Entscheidung sei keine Entscheidung über den individuellen Rechtsschutz der einzelnen Arbeitnehmer in ihrem Arbeitsverhältnis, sei nicht beizutreten. Das LSG verkenne den Zusammenhang zwischen § 17 KSchG und § 102 des BetrVG einerseits und § 1 KSchG andererseits. Die Schutzvorschriften über Massenentlassungen seien kumulativ neben den übrigen Kündigungsvorschriften zu beachten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juni 1979, das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 11. April 1978 und den Bescheid des Landesarbeitsamts Baden-Württemberg vom 29. April 1977 in der Gestalt des Widerspuchsbescheids vom 7. Juli 1977 aufzuheben und festzustellen, daß die Entlassungsanzeige vom 21. Oktober 1976 unwirksam ist,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückzuverweisen.
Die Beklagte sieht davon ab, einen Antrag zu stellen.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere ist die Zulässigkeit nicht deshalb in Frage gestellt, weil zweifelhaft ist, ob der Kläger die Fähigkeit besitzt, in diesem Verfahren Beteiligter zu sein. Ein Beteiligter, dessen Beteiligtenfähigkeit im Streit steht, ist zur Erledigung dieses Streits auf jeden Fall noch beteiligtenfähig. Deshalb darf das von ihm eingelegte Rechtsmittel, auch wenn die Beteiligtenfähigkeit zu verneinen ist, nicht als unzulässig verworfen werden, vielmehr ist dann die Klage als unzulässig abzuweisen (so BGHZ 24, 91, 94 für die Parteifähigkeit; vgl. auch BSGE 5, 124, 126). Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie im vorliegenden Falle – die Bedenken gegen die Beteiligtenfähigkeit genauso schon bei Einlegung der Klage bestanden haben. Ob sich die Instanzgerichte damit auseinandergesetzt haben, ist unerheblich. Der Kläger behauptet jedenfalls, beteiligtenfähig zu sein. Deshalb müssen die Urteile der Vorinstanzen zumindest darauf überprüft werden können, ob die Klage zulässig ist. Der Senat ist dabei nicht auf die Prüfung der Beteiligtenfähigkeit beschränkt.
Die Revision ist nicht begründet. Im Ergebnis hat das LSG die Berufung des Klägers mit Recht zurückgewiesen. Die Klage war abzuweisen; sie ist unzulässig. Insoweit teilt der Senat nicht die Auffassung des LSG, das die Klage als zulässig angesehen hat.
Für die Zulässigkeit der Klage fehlt es an der Beschwer iS des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Beschwer durch einen Verwaltungsakt ist gegeben, wenn der Kläger geltend macht, dadurch in seinen Rechten verletzt zu sein. Nach seiner Behauptung muß der Verwaltungsakt rechtswidrig sein und seine anerkannte und geschützte Rechtsposition beeinträchtigen. Der angefochtene Bescheid vom 29. April 1977 beeinträchtigt keine Rechtsposition des Klägers. Inhaltlich geht die Entscheidung vom 29. April 1977 dahin, daß die Entlassungssperre für 41 Arbeitnehmer der Beigeladenen auf den 31. Dezember 1976 festgesetzt werde. Die Entscheidung mit diesem Inhalt berührt nicht die Position des Betriebsrats auch der Vorschrift des § 17 KSchG, daß der Anzeige seine Stellungnahme beizufügen ist. Mit den Entscheidungen nach § 18 KSchG wird die Wirksamkeit der Entlassungen geregelt. Sie betreffen das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Bundesanstalt für Arbeit (BA). Daran sind weder die Arbeitnehmer (BSG AP Nr. 1 zu § 18 KSchG 1951) noch der Betriebsrat beteiligt. Die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats ist hingegen nur eine verfahrensrechtlich notwendige Maßnahme, die den Entscheidungen nach § 18 KSchG vorauszugehen hat.
Der Wortlaut des § 17 KSchG begründet darüber hinaus kein eigenes Recht des Betriebsrats. Die Vorschrift, daß der Anzeige die Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen ist, läßt nicht den Schluß zu, daß dem Betriebsrat damit ein Recht zur Sicherung der Arbeitnehmerinteressen eingeräumt wird. Insoweit unterscheidet sich § 17 KSchG erheblich etwa von der Bestimmung des § 72 AFG. Diese Vorschrift räumt dem Betriebsrat das Hecht ein, die Anzeige des Arbeitsausfalls als Voraussetzung für die Gewährung von Kurzarbeitergeld (Kug) selbst zu erstatten und den Antrag zu stellen. Der Senat hat angenommen, daß der Betriebsrat danach befugt sei, die Rechte der betroffenen Arbeitnehmer prozeßstandschaftlich wahrzunehmen, weil diese aus Praktikabilitätserwägungen von der Mitwirkung am Verfahren über das Kug ausgeschlossen seien (BSGE 38, 94, 96). Indessen ist die Rechtslage nach dem KSchG eine andere. Es ist lediglich der Anzeige des Arbeitgebers die Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen; von diesem kann weder die Anzeige erstattet, noch ein Antrag gestellt werden. In dem Verfahren nach § 17 KSchG geht es nicht um Interessen der Arbeitnehmer; sie werden davon nur mittelbar betroffen. Vielmehr verfolgen die §§ 17 ff KSchG einen arbeitsmarktpolitischen Zweck. Die BA soll die Möglichkeit erhalten, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder Verzögerung umfangreicher Arbeitslosigkeit einzuleiten (BSGE 9, 1, 5; SozR 7820 § 18 Nr. 1; BAG AP 1 zu § 17 KSchG 1969; Begründung des Entwurfs des KSchG 1951, BT-Drucks I/2090, S 19, Hueck, Kommentar zum KSchG, 10. Aufl, Vorbemerkungen zu §§ 17 ff, RdNr. 4 f; Begründung des Entwurfs des 2. Gesetzes zur Änderung des KSchG, BT-Drucks 8/1041, Seite 5).
Diese Überlegungen stehen einem Anfechtungsrecht des Betriebsrats gegen die Entscheidungen des Ausschusses nach § 18 KSchG auch dann entgegen, wenn er befugt sein sollte, anstelle des Arbeitgebers die Anzeige nach § 17 KSchG zu erstatten. Nach Ansicht des Klägers besteht in den Fällen des § 8 AFG und des § 17 KSchG eine solche Befugnis. Dies mag vielleicht im arbeitsmarktpolitischen Interesse zu bejahren sein. Im Hinblick auf das einzelne Arbeitsverhältnis ist es aber ausschließlich Sache des Arbeitgebers, die Anzeige rechtzeitig zu erstatten. Es geht allein um sein Recht, die Arbeitnehmer zu entlassen, deren Rechte aus dem Arbeitsverhältnis nicht beeinträchtigt werden, wenn die Anzeige verspätet oder überhaupt nicht erstattet wird.
Ein Anfechtungsrecht des Betriebsrats gegenüber Entscheidungen des Ausschusses wird deshalb mit Recht abgelehnt (Hueck aaO § 20 RdNr. 16; Schmidt Arbeitsrecht Blattei D Kündigungsschutz II D II). Lediglich in einem Erlaß der BA vom 12. März 1953 (Amtliche Nachrichten der BA – ANBA Nr. 3, S 1 ff) heißt es unter Ziff 9: „Dem Antragsteller – Arbeitgeber oder uU auch Betriebsrat – soll … die Möglichkeit gegeben werden, die Gründe für die Ablehnung oder die Verlängerung nachprüfen und gegebenenfalls ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen zu können”. Dieser – hinsichtlich des Klagerechts des Betriebsrats – nur sehr unbestimmt und unter Vorbehalten geäußerten Auffassung schließt sich der Senat aus den oben dargelegten Gründen nicht an.
Somit ist der Kläger durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert. Eine Feststellungsklage ist aus den gleichen Erwägungen wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Deshalb ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen