Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene zu 1) hat dem Kläger dessen Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses.
Der Kläger, ein Arzt für Allgemeinmedizin, überschritt bei den RVO-Kassen den Arzneikostendurchschnitt seiner Fachgruppe im Quartal II/84 um 31,6 vH und im Quartal IV/84 um 43,9 vH. Bei den Versicherten der früheren AOK Köln betrugen die Überschreitungen 30,6 vH und 22,9 vH. Auf Anträge der früheren AOK Köln und des früheren Verbandes der Ortskrankenkassen Rheinland, deren Rechtsnachfolgerin die zu 1) beigeladene AOK ist, setzte der Prüfungsausschuß ua zugunsten der AOK Köln für die Quartale II/84 bis II/85 einen Regreß in Höhe von 5.180,– DM fest, den er auf den Widerspruch des Klägers auf 1.788,– DM reduzierte. Der beklagte Beschwerdeausschuß wies den weitergehenden Widerspruch des Klägers zurück. Dieser habe in den Quartalen II/84 und IV/84 bei den Mitgliederfällen der AOK Köln (73 Patienten und 62 Patienten) den Vergleichsgruppendurchschnitt um 88 vH bzw 57 vH und damit im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses überschritten. Der unwirtschaftliche Mehraufwand in beiden Quartalen belaufe sich abzüglich eines Apothekenrabattes auf 1.795,25 DM und überschreite damit den festgesetzten Regreßbetrag.
Das hiergegen angerufene SG hat den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, den Widerspruch des Klägers neu zu bescheiden (Urteil vom 11. November 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 1. Dezember 1993) und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe mit seiner Entscheidung die Grenze des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten. Zwar könne die Prüfung, ob die Verordnungsweise eines Arztes wirtschaftlich gewesen sei, auf die Verordnungen gegenüber Versicherten einer Krankenkasse und auch auf einzelne Patientengruppen dieser Kasse beschränkt werden. Voraussetzung hierfür sei jedoch, daß dieser statusgruppenbezogenen Prüfung eine statistisch verwertbare Zahl von Fällen zugrunde liege. Deshalb müßten im Anschluß an die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. April 1992 (SozR 3-2500 § 106 Nr 10) bei durchschnittlicher oder überdurchschnittlicher Fallzahl des geprüften Arztes mindestens 20 % der Fälle in die Prüfung einbezogen werden. Das sei hier nicht geschehen.
Die Beigeladene zu 1) rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des LSG stünden niedrige Fallzahlen der Durchführung eines statistischen Kostenvergleichs jedenfalls dann nicht entgegen, wenn in mehreren aufeinander folgenden Quartalen gleiche Verhältnisse vorgelegen hätten. Deuteten wie hier statistische Auffälligkeiten darauf hin, daß eine bestimmte Statusgruppe einer einzelnen Krankenkasse möglicherweise eine von der Fachgruppe abweichende Morbiditätsstruktur aufweise, so sei dies anhand der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten allgemeinen Grundsätze zu untersuchen. Überschreite der Arzt die Verordnungskosten seiner Vergleichsgruppe im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses, so sei es grundsätzlich seine Sache, die anzunehmende Unwirtschaftlichkeit durch Darlegung entsprechender Besonderheiten bzw kompensatorische Einsparungen zu entkräften. Demgemäß habe der Beklagte die vom Kläger erhobenen Einwände geprüft und das Vorliegen von Praxisbesonderheiten bzw kompensatorischen Einsparungen verneint. Damit werde der angefochtene Bescheid den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gerecht.
Die Beigeladene zu 1) beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 1993 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. November 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils.
Der Beklagte, der keinen Antrag gestellt hat, schließt sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) an.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beigeladenen zu 1) ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht den Beklagten verurteilt, dem Kläger auf seinen Widerspruch einen neuen Bescheid zu erteilen.
Gemäß der – hier noch anzuwendenden – Vorschrift des § 368n Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung durch Prüfgremien zu überwachen. Die Prüfung erstreckt sich auch auf die Verordnungsweise des Kassenarztes, wobei die von der Rechtsprechung für die Prüfung der Behandlungsweise entwickelten Grundsätze entsprechend gelten (vgl zB BSGE 46, 136, 137 = SozR 2200 § 368n Nr 14; BSGE 55, 110, 114 = SozR aa0 Nr 27; BSG SozR aaO Nr 36). Bei der hier angewandten Methode des statistischen Kostenvergleichs (vgl nunmehr § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫: Prüfung nach Durchschnittswerten) erfolgt die Prüfung im Wege einer Gegenüberstellung der durchschnittlichen Fallkosten des geprüften Arztes einerseits und der Gruppe vergleichbarer Ärzte andererseits. Maßstab für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit ist somit der durchschnittliche Behandlungs- oder Verordnungsaufwand der Ärzte der Vergleichsgruppe in dem zu prüfenden Quartal. Eine Unwirtschaftlichkeit ist anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem Vergleichsgruppendurchschnitt liegt, daß sich die Mehrkosten nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lassen und deshalb zuverlässig auf eine unwirtschaftliche Behandlungs- oder Verordnungsweise als Ursache der erhöhten Aufwendungen geschlossen werden kann.
Die statistische Vergleichsprüfung geht von der Grundannahme aus, daß es die Ärzte der Vergleichsgruppe unter Einbeziehung des geprüften Arztes im Durchschnitt mit dem gleichen Krankengut zu tun haben und sie deshalb im Durchschnitt aller Fälle in etwa die gleichen Behandlungskosten benötigen. Diese Annahme ist aber nur gerechtfertigt, wenn für den Vergleich sowohl eine hinreichend große Zahl vergleichbarer Ärzte als auch bei dem geprüften Arzt eine hinreichende Zahl von Behandlungsfällen zur Verfügung stehen, wobei die notwendige Mindestzahl von Fachgruppe zu Fachgruppe differieren kann. Nach den von der Rechtsprechung zur Wirtschaftlichkeitsprüfung entwickelten Grundsätzen ist es nicht zwingend geboten, grundsätzlich alle Behandlungsfälle eines Kassenarztes in einem Quartal in die Prüfung einzubeziehen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht das Vorgehen der Prüfgremien an sich für zulässig gehalten hat, der Prüfung der Verordnungsweise des Klägers lediglich die Verordnungen an Versicherte einer Krankenkasse zugrunde zu legen. Der Senat hat in jüngerer Zeit – allerdings ausschließlich für den Rechtszustand unter der Geltung der RVO – entschieden, daß die Beschränkung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die Behandlung der Versicherten einer einzelnen Kassenart im Primärkassenbereich nicht ausgeschlossen war (Urteil vom 24. November 1993 – BSG SozR 3-2200 § 368n Nr 6). Er hat in diesem Zusammenhang auf seine Entscheidung verwiesen, nach der die Prüfung der Wirtschaftlichkeit grundsätzlich getrennt nach einzelnen Kassen durchgeführt werden kann (Urteil vom 9. November 1982 – 6 RKa 23/82 – = USK 82221).
Der Senat konkretisiert seine bisherige Rechtsprechung dahin, daß die Prüfgremien nicht uneingeschränkt und in jedem Fall befugt sind, der Prüfung lediglich die Behandlungs- bzw Verordnungsfälle einer Krankenkasse zugrunde zu legen. Die statistische Wirtschaftlichkeitsprüfung setzt, wie angeführt, eine ausreichende Anzahl von Behandlungsfällen des betroffenen Arztes voraus und ermöglicht um so zuverlässigere Aussagen, je größer die Zahl dieser Behandlungsfälle ist. Eine Beschränkung der Prüfung auf die Behandlungsfälle lediglich einer Krankenkasse verschlechtert die Vergleichsbasis (s dazu bereits BSGE 60, 69, 72 = SozR 2200 § 368n Nr 42) und steht damit im Widerspruch zu den dargestellten Prüfungsvoraussetzungen. Die Verminderung der der Prüfung unterliegenden Behandlungsfälle beeinträchtigt aber nicht nur die Aussagefähigkeit der statistischen Daten, sondern hat auch zur Folge, daß Einwendungen des Arztes über das Vorliegen von Praxisbesonderheiten in verstärktem Umfang nachgegangen werden muß. Im Ergebnis kann das dazu führen, daß auf dem Umweg über die Beschränkung des Prüfungsumfangs wegen der zu berücksichtigenden Einwendungen des Arztes bezüglich einzelner Behandlungsfälle vermehrt Einzelfälle zu prüfen sind. Dies widerspräche zugleich der mit der statistischen Methode verfolgten Zielsetzung einer praktikablen Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Hinzu kommt, daß der danach stärker zu berücksichtigenden Prüfung von Einzelfällen aus methodischen Gründen lediglich ein begrenzter Beweiswert zukommt (vgl hierzu BSGE 70, 246, 252 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 10). Eine Beschränkung der Prüfung auf die Behandlungsfälle einer Kasse kann deshalb – ausnahmsweise – nur dann zulässig sein, wenn sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Ein ausreichender Anlaß für eine Verengung der Prüfung auf eine Kasse könnte zB gegeben sein, wenn bei einem Gesamtvergleich der Arzt den Vergleichswert der Fachgruppe zwar überschreitet, damit aber noch unterhalb des offensichtlichen Mißverhältnisses liegt und sich Anhaltspunkte dafür zeigen, daß die Überschreitung im wesentlichen auf der Behandlungs- oder Verordnungsweise nur bei Versicherten einer Kasse beruht.
Um der mit einer geringen Fallzahl einhergehenden Vergröberung des Aussagewertes der statistischen Vergleichsprüfung zu begegnen, bedarf es jedoch auch bei einer solchen Konstellation einer Mindestquote der in die Prüfung einbezogenen Fälle. Zur Ermittlung der zu prüfenden Mindestfallzahl erweist es sich als systemgerecht und sachlich geboten, an ein objektives Kriterium, nämlich die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe, der der geprüfte Arzt angehört, anzuknüpfen. Dabei hält der Senat, um die Aussagefähigkeit des statistischen Kostenvergleichs zu erhalten, die Beschränkung der Prüfung auf die Behandlungsfälle einer Krankenkasse nur dann für zulässig, wenn diese mindestens 20 vH der Durchschnittsfallzahl der Fachgruppe umfassen. Erreichen die der Prüfung unterworfenen Behandlungsfälle einer Krankenkasse mithin nicht 20 vH der Durchschnittsfallzahl, scheidet eine allein auf diese Behandlungsfälle bezogene Prüfung aus. Dahingestellt bleiben kann vor diesem Hintergrund, ob die weitere Verengung der Prüfung auf eine bestimmte Versichertengruppe einer Krankenkasse rechtlich zulässig ist. Sie setzte wiederum sachliche Gründe und zudem voraus, daß die Fallzahl dieser Gruppe ebenfalls mindestens 20 vH der Durchschnittsfallzahl der Fachgruppe beträgt.
Der Beklagte hat bei der von ihm in den Quartalen II und IV/84 vorgenommenen Prüfung lediglich die statistischen Werte von 72 bzw 66 Behandlungsfällen der Gruppe der Mitglieder der früheren AOK Köln zugrunde gelegt. Nach den vom LSG unter Bezugnahme auf die Akten des Beklagten mit hinreichender Deutlichkeit getroffenen Feststellungen erreichten diese Fallzahlen nicht 20 vH der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe von 823 bzw 812 Patienten. Da der Beklagte die rechtlichen Voraussetzungen für die Beschränkung der zu prüfenden Fälle beurteilungsfehlerhaft verkannt hat, haben ihn die Vorinstanzen zu Recht zur Neubescheidung verurteilt. Der Beklagte hat bei seiner erneuten Entscheidung die Rechtsauffassung des erkennenden Senats zu berücksichtigen.
Die Revision der Beigeladenen zu 1) war nach allem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174429 |
SozSi 1997, 119 |