Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Abrechnungs-Sammelerklärung. Unrichtigkeit. Rechtswidrigkeit. Honorarbescheid. VdAK. Vertretung. Prozeßbevollmächtigter. Behördenprivileg
Leitsatz (amtlich)
1. Die von dem Vertragsarzt abzugebende Abrechnungs-Sammelerklärung über die ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten Leistungen ist unrichtig, sofern nur eine abgerechnete Leistung nicht oder nicht ordnungsgemäß erbracht worden ist.
2. Eine grob fahrlässig unrichtige Abrechnungs-Sammelerklärung zieht die Rechtswidrigkeit des auf ihr beruhenden Honorarbescheides insgesamt nach sich.
Orientierungssatz
Dem VdAK kommt als einem Zusammenschluß öffentlich-rechtlicher Körperschaften trotz seiner Eigenschaft als privatrechtlicher Verein das in § 166 Abs 1 SGG als Ausnahmeregelung normierte sogenannte Behördenprivileg zugute (Festhaltung an BSG vom 27.11.1959 - 6 RKa 4/58 = BSGE 11, 102, 106)
Normenkette
SGB V § 82 Abs. 1; EKV-Ä § 12 Abs. 2 Fassung: 1963-07-20, Abs. 3 Fassung: 1963-07-20, § 34 Abs. 1 Fassung: 1994-06-07, Abs. 4, § 35 Abs. 3; BMV-Ä § 35 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1994-12-19, § 42 Abs. 3 Fassung: 1994-12-19, § 45 Abs. 2 Fassung: 1994-12-19; SGG § 166 Abs. 1; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Neufestsetzungsbescheides über das Honorar des Klägers in den Quartalen II/84 bis I/85.
Wegen des Vorwurfs der Falschabrechnung war dem als praktischen Arzt niedergelassenen Kläger im Jahre 1985 die Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung entzogen und deren sofortige Vollziehung angeordnet worden. Die hiergegen erhobene Klage hatte das Sozialgericht (SG) Nürnberg abgewiesen. In seinem Urteil vom 6. Oktober 1987 hatte es offengelassen, ob der vom Zulassungs- und vom Berufungsausschuß erhobene Vorwurf der Falschabrechnung zutraf. Eine die Zulassungsentziehung rechtfertigende gröbliche Pflichtverletzung liege jedenfalls darin, daß sein Abrechnungs- und Dokumentationssystem gröblich mangelhaft und dadurch die Korrektheit seiner Abrechnungen kaum bzw nicht überprüfbar sei. So sei die notwendige Dokumentation über die Behandlung von Patienten in verschiedenen Unterlagen, nämlich in Krankenscheinen (Behandlungsausweisen), Karteikarten, auf Tonbändern oder in sonstigen Unterlagen wie Kilometerlisten, einzelnen Blättern und Zetteln und damit nicht mehr nachvollziehbar erfolgt. Der Kläger habe zudem bei den wesentlichen Unterlagen für die Abrechnung, den Krankenscheinen, auf Dauer erhebliche Manipulationen vorgenommen, indem er nach Ablauf des Tages aus dem Gedächtnis ohne Abdeckung durch Karteieintragungen Ergänzungen der Abrechnungen auf den Krankenscheinen durchgeführt habe. Darüber hinaus habe er über Jahre hinweg die Eintragungen in den Krankenscheinen in erheblichem zeitlichem Abstand von den ursprünglichen Eintragungen systematisch verändert, einschließlich der Angaben über die Diagnosen, um dadurch Honorarkürzungsmaßnahmen zu entgehen. Diese Veränderungen habe er teilweise auch durch sein Praxispersonal vornehmen lassen. Seine gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hatte der Kläger - im November 1988 - zurückgenommen.
Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) nahm mit dem streitbefangenen Bescheid vom 26. Juni 1986 die Honorarbescheide für die Quartale I/82 bis I/85 im RVO-Kassen- und Ersatzkassen-Bereich zurück und setzte die Vergütung des Klägers neu fest. Den sich danach ergebenden Überzahlungsbetrag in Höhe von 476.214,74 DM forderte sie zurück. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 28. November 1986).
Das SG München hat den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Quartale I/82 bis I/84 aufgehoben und bezüglich der Quartale II/84 bis I/85 die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. März 1992). Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert und den Bescheid der Beklagten im RVO-Kassen- und im Ersatzkassen-Bereich für die Quartale II/84 bis I/85 aufgehoben. Hinsichtlich der Quartale II/84 bis I/85 im RVO-Kassenbereich und für das Quartal I/85 im Ersatzkassen-Bereich hat es die Beklagte zur neuen Honorarfestsetzung und neuen Entscheidung über die Höhe der Rückforderung verurteilt (Urteil vom 22. Juni 1995). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, aufgrund von Zeugenaussagen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sei erwiesen, daß der Kläger in den Quartalen II/84 bis I/85 im RVO-Kassenbereich und im Quartal I/85 im Ersatzkassen-Bereich jeweils zumindest eine Falschabrechnung grob fahrlässig vorgenommen habe. Insoweit seien die von ihm abgegebenen sog Abrechnungs-Sammelerklärungen nachweislich unrichtig und die Rücknahme der Honorarbescheide zu Recht erfolgt. Bei der Neufestsetzung des ihm zustehenden Honorars habe die Beklagte allerdings ihr Schätzungsermessen fehlerhaft ausgeübt, nämlich die Verhältnismäßigkeit zwischen den Beträgen nachgewiesener Falschabrechnungen (ca 1.000,00 DM bzw 300,00 DM je Quartal) und dem Umfang der Rückforderung (ca 28.000,00 DM bzw 10.000,00 DM) nicht beachtet. Hinsichtlich der Ersatzkassen-Quartale II/84 bis IV/84 habe der streitige Bescheid ganz aufgehoben werden müssen, weil insoweit im Ersatzkassen-Bereich keine grob fahrlässigen Falschabrechnungen hätten festgestellt werden können.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision begehrt der zu 5) beigeladene Verband der Angestellten-Ersatzkassen (VdAK) für die Ersatzkassen-Quartale II/84 bis I/85 die Aufhebung des Berufungsurteils und die volle Abweisung der Klage. Hinsichtlich der Quartale II/84 bis IV/84 sei die Rücknahme der Honorarbescheide ebenso wie im RVO-Kassenbereich rechtmäßig. Es verstoße gegen Denkgesetze, wenn das LSG bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verlange, daß die einheitliche - alle Kassenarten umfassende - Sammelerklärung für jede Kassenart gesondert durch den Nachweis einzelner Falschabrechnungen erschüttert werden müsse. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung anzunehmen, daß Abrechnungsbetrügereien mit Rücksicht auf die Kassenart vorgenommen oder unterlassen würden. Ungeachtet dessen habe das LSG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung versäumt, zum Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen in den Ersatzkassen-Quartalen II/84 bis IV/84 von Amts wegen eigene Nachforschungen anzustellen, obwohl es sich angesichts der im Verfahren benannten weiteren Erkenntnisquellen dazu hätte gedrängt fühlen müssen. Schließlich habe das LSG die Anforderungen an eine Begründung der Schätzung der Honorarrückforderungsbeträge im Quartal I/85 überspannt. Es sei nicht zu beanstanden, wenn die Neufestsetzung des einem betrügerischen Vertragsarzt zustehenden Honorars nach Maßgabe des Fachgruppendurchschnitts erfolge. Dies gelte jedenfalls dann, wenn zusätzliche Gegebenheiten - wie der hier beobachtete Fallwertanstieg und der Umfang der vom Kläger von sich aus vorgenommenen Streichungen - eine solche Schätzung als gerechtfertigt erscheinen ließen.
Der Beigeladene zu 5) beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juni 1995 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. März 1992 zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen, soweit die Ersatzkassen-Honorare für die Quartale II/84 bis I/85 betroffen sind, und die Anschlußrevision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte schließt sich diesem Antrag an.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beigeladenen zu 5) gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juni 1995 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.
Im Wege der Anschlußrevision, die er - nach Rücknahme im übrigen - nur noch für das Ersatzkassen-Quartal I/85 weiterführt, beantragt er,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juni 1995 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. März 1992 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 1986 aufzuheben.
Er begehrt die endgültige Aufhebung des Honorarrücknahmebescheides und der Rückforderung, weil die Feststellungen, auf die das Berufungsgericht seine Annahme grob fahrlässiger Falschabrechnungen gestützt habe, unzureichend und zudem verfahrensfehlerhaft zustande gekommen seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision des zu 5) beigeladenen VdAK hat in dem Sinne Erfolg, daß das Urteil des LSG abzuändern und die Berufung des Klägers, soweit sie die Rücknahme der Honorarbescheide für die Quartale II/84 bis I/85 betraf, zurückzuweisen ist. Hinsichtlich der Honorarneufestsetzung und der Rückforderung des Differenzbetrages für diese Quartale ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Revision des Klägers hingegen ist nicht begründet.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Revision des zu 5) beigeladenen VdAK zulässig. Insbesondere brauchte sich dieser nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten iS des § 166 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vertreten zu lassen. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach dem VdAK als einem Zusammenschluß öffentlich-rechtlicher Körperschaften trotz seiner Eigenschaft als privatrechtlicher Verein das in § 166 Abs 1 SGG als Ausnahmeregelung normierte sog Behördenprivileg zugute kommt (BSGE 11, 102, 106). Demgemäß hat das Bundessozialgericht (BSG) den VdAK auch als verpflichtet angesehen, gemäß § 184 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren Pauschalgebühren zu entrichten (BSG SozR 3-1500 § 184 Nr 1).
Die Revision des Beigeladenen zu 5) ist auch begründet.
Die Rechtmäßigkeit des vom Kläger zutreffend im Wege der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) angegriffenen Bescheides der Beklagten vom 26. Juni 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 1986 hinsichtlich der allein noch im Streit befindlichen Ersatzkassen-Honorare für die Quartale II/84 bis I/85 ist nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilen. Dabei richtet sich die Aufhebung der ursprünglichen Honorarbescheide nicht nach der Bestimmung des § 45 SGB X, sondern nach den iS von § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verdrängenden Sondervorschriften des Kassen- bzw Vertragsarztrechts über das Verfahren der rechnerischen und sachlichen Prüfung bzw Richtigstellung von Honorarabrechnungen (BSGE 74, 44, 45 ff = SozR 3-1300 § 45 Nr 21; BSG SozR 3-1500 § 45 Nr 22; BSG SozR 3-2500 § 76 Nr 2 und BSG SozR 3-5525 § 32 Nr 1). Maßgeblich für die Berechtigung der Beklagten zur Aufhebung des Honorarbescheides ist hier noch § 12 Abs 3 des Arzt-/Ersatzkassenvertrages in der bis zum 30. September 1990 gültig gewesenen Fassung (EKV-Ä 63). Danach stellt die KÄV die Rechnung des Vertragsarztes rechnerisch und bezüglich der ordnungsgemäßen Anwendung der Gebührenordnung sowie der vertraglichen Bestimmungen richtig (entsprechend jetzt: § 34 Abs 4 EKV-Ä in der ab 1. Juli 1994 geltenden Fassung bzw § 45 Abs 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte ≪BMV-Ä≫ in der ab 1. Januar 1995 geltenden Fassung). Die Vorschrift des § 12 Abs 3 EKV-Ä 63 gestattet es der KÄV, zur Sicherstellung einer vertragsgemäßen Versorgung ebenso wie zur Verwirklichung einer materiell zutreffenden Honorarverteilung unter den Vertragsärzten den einem Vertragsarzt aufgrund nicht ordnungsgemäßer Honorarabrechnung zu Unrecht erteilten Honorarbescheid ohne Beachtung weiterer Voraussetzungen aufzuheben und den materiell-rechtlich richtigen Zustand herzustellen.
Für die Frage, ob eine Honorarabrechnung unrichtig erstellt und abgegeben und der auf ihr beruhende Honorarbescheid deshalb ebenfalls unrichtig, dh rechtswidrig ist, hat die Erklärung des Kassen-/Vertragsarztes über die ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung der geltend gemachten Leistungen eine grundlegende Bedeutung. Die an sich für jeden einzelnen Behandlungsausweis gebotene Erklärung des Arztes über die ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung der Leistungen wird aufgrund der den Kassen-/Vertragsarzt bindenden Bestimmungen untergesetzlichen Rechts durch eine sog Abrechnungs-Sammelerklärung ersetzt (vgl für den früheren RVO-Kassenbereich: § 31 Abs 3 Satz 2 BMV-Ä 78). Für den Ersatzkassen-Bereich bestimmte § 12 Abs 2 EKV-Ä 63, daß der Vertragsarzt zu bestätigen hatte, daß er die abgerechneten Leistungen persönlich erbracht hat und die von ihm eingereichte Abrechnung sachlich richtig ist (nunmehr entsprechend: § 34 Abs 1, § 35 Abs 3 EKV-Ä 94 bzw § 35 Abs 2 Satz 3, § 42 Abs 3 BMV-Ä 95). Nach diesen Regelungen des EKV-Ä bzw des BMV-Ä, denen nach der Rechtsprechung des Senats normative Wirkung zukommt (vgl hierzu BSGE 71, 42, 48 = SozR 3-2500 § 87 Nr 4; BSGE 78, 70, 75 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6), ist die Abgabe einer - ordnungsgemäßen - Abrechnungs-Sammelerklärung eine eigenständige Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs eines Kassen- bzw Vertragsarztes auf Vergütung der von ihm erbrachten Leistungen. Mit ihr garantiert der Kassen-/Vertragsarzt, daß die Angaben auf den von ihm eingereichten Behandlungsausweisen (bzw - heute -: Datenträgern) zutreffen. Diese Garantiefunktion ist gerade wegen der aufgrund des Sachleistungsprinzips im Vertragsarztrecht auseinanderfallenden Beziehungen bei der Leistungserbringung (Verhältnis Arzt zum Patienten) und der Vergütung (Verhältnis Arzt zur KÄV) und den damit verbundenen Kontrolldefiziten unverzichtbar. Die Richtigkeit der Angaben auf den Behandlungsausweisen kann nur in engen Grenzen überprüft werden, und Kontrollen sind mit erheblichem Aufwand und unsicheren Ergebnissen verbunden. Das System der Abrechnung beruht deshalb in weitem Maße auf dem Vertrauen, daß der Arzt die Behandlungsausweise zutreffend ausfüllt bzw durch sein Personal ausfüllen läßt. Insoweit kommt der Abrechnungs-Sammelerklärung als Korrelat für das Recht des Arztes, allein aufgrund eigener Erklärungen über Inhalt und Umfang der von ihm erbrachten Leistungen einen Honoraranspruch zu erwerben, eine entscheidende Funktion bei der Überprüfung der Abrechnung zu. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn in den Bundesmantelverträgen die ordnungsgemäß - dh jedenfalls aus der subjektiven Perspektive eines redlichen Teilnehmers am Rechtsverkehr, also nach bestem Wissen und Gewissen - erstellte Abrechnungs-Sammelerklärung als eigenständige Voraussetzung für das Entstehen des Honoraranspruchs bestimmt worden ist.
Aus dieser Funktion der Abrechnungs-Sammelerklärung als Voraussetzung der Vergütung der von dem Kassen-/Vertragsarzt abgerechneten Leistungen folgt zugleich, daß die Erklärung in den Fällen, in denen sie sich wegen abgerechneter, aber nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachter Leistungen als falsch erweist, ihre Garantiewirkung nicht mehr erfüllt, es sei denn, es läge - worauf unten noch eingegangen wird - lediglich ein Fall schlichten Versehens vor. Wenn die Garantiefunktion der Abrechnungs-Sammelerklärung entfällt und damit eine Voraussetzung für die Festsetzung des Honoraranspruches des Arztes fehlt, ist der auf der Honorarabrechnung des Vertragsarztes in Verbindung mit seiner Bestätigung der ordnungsgemäßen Abrechnung beruhende Honorarbescheid rechtswidrig. Die KÄV ist zumindest berechtigt, wenn nicht verpflichtet, den entsprechenden Honorarbescheid aufzuheben und das Honorar neu festzusetzen.
Die Abrechnungs-Sammelerklärung als Ganzes ist bereits dann unrichtig, wenn nur ein mit ihr erfaßter Behandlungsausweis eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen enthält. Damit entfällt für die KÄV grundsätzlich die Verpflichtung, als Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides dem Arzt mehr als eine unrichtige Abrechnung pro Quartal nachzuweisen. Sie ist rechtlich nicht gehalten, in allen Behandlungsfällen, in denen sie unrichtige Abrechnungen vermutet, den Nachweis der Unrichtigkeit zu führen. Im Ergebnis liegt somit das Honorar-Risiko auf der Seite des Arztes, der in seiner Honorarabrechnung unrichtige Angaben gemacht hat.
Wegen dieser weitgehenden Wirkung der Rechtsfolgen aus der Abgabe einer unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärung hält es der Senat im Hinblick auf eine angemessene Risikoverteilung zwischen KÄV einerseits und unrichtig abrechnendem Vertragsarzt andererseits für sachlich gerechtfertigt und systemgerecht, diese Rechtsfolgen auf den Fall zu beschränken, daß unrichtige Angaben in den Behandlungsausweisen zumindest grob fahrlässig erfolgt sind. Der Senat knüpft insoweit an die Regelungen des Sozialverwaltungsverfahrensrechts über die Aufhebung von Verwaltungsakten an, nach denen ein Begünstigter ua dann nicht auf die Bestandskraft eines begünstigenden Verwaltungsaktes vertrauen kann, soweit der Verwaltungsakt auf vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig gemachten Angaben des Begünstigten beruht (vgl § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X; s weiter § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X). Nach dem hierin zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken setzt die Rücknahme eines auf Angaben eines Betroffenen beruhenden rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes ein vorwerfbares Verhalten des Betroffenen ua durch Abgabe unrichtiger Erklärungen zumindest in der Form der groben Fahrlässigkeit, also bei Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße (vgl die Legaldefinition der groben Fahrlässigkeit in § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 Halbsatz 2 SGB X), voraus. Voraussetzung für die Berechtigung der KÄV, wegen einer unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärung den darauf beruhenden Honorarbescheid aufzuheben, ist danach nicht die vorsätzlich falsche Abrechnung. Andererseits reicht für die genannte Berechtigung der KÄV leichte Fahrlässigkeit aufseiten des Arztes oder des von ihm beauftragten Personals nicht aus. Beruhen unrichtige Angaben auf einem Behandlungsausweis bzw in der Honorarabrechnung auf einem schlichten Versehen, so beeinträchtigt dies nicht die grundsätzliche Garantiefunktion der Abrechnungs-Sammelerklärung und berechtigt lediglich zur rechnerischen und sachlichen Richtigstellung der Honorarabrechnung hinsichtlich dieser Abrechnungsfehler.
Der Wegfall der Garantiefunktion der Abrechnungs-Sammelerklärung bei Vorliegen schon einer einzelnen grob fahrlässig falschen Angabe auf einem Behandlungsausweis - mit der Folge, daß der Honorarbescheid für das Quartal im Ganzen rechtswidrig ist - unterliegt keinen Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Denn das bedeutet nicht, daß dem Arzt überhaupt kein Anspruch auf Vergütung für die in dem Quartal erbrachten Leistungen zusteht. Soweit davon auszugehen ist, daß Leistungen tatsächlich und ordnungsgemäß erbracht wurden, hat die KÄV nach Aufhebung des unrichtigen Honorarbescheides das dem Vertragsarzt für diese Leistungen zustehende Honorar neu festzusetzen. Bei der Neufestsetzung hat sie allerdings ein weites Schätzungsermessen. In aller Regel ist es nicht zu beanstanden, wenn die KÄV in den Fällen, in denen die vom Arzt geltend gemachte Quartalsvergütung bezogen auf den Fallwert wesentlich über dem Durchschnitt seiner Fachgruppe liegt, deutliche Abschläge gegenüber der ursprünglich geltend gemachten Honorarforderung vornimmt und sich im Wege pauschalierender Schätzung damit begnügt, ihm ein Honorar zB in Höhe des Fachgruppendurchschnitts - oder in KV-Bezirken mit hohen Fallwerten evtl niedriger - zuzuerkennen.
Die Vorgehensweise der Beklagten bei der Rücknahme der Honorarbescheide für die Quartale II/84 bis I/85 entsprach den dargestellten Grundsätzen; denn der Kläger hatte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in jedem der genannten Quartale Falschabrechnungen vorgenommen. Aus diesem Grunde kann offen bleiben, ob nicht die im - vom LSG in Bezug genommenen - rechtskräftigen Urteil des SG Nürnberg vom 6. Oktober 1987 - S 1 Ka 7/86 - festgestellte Vorgehensweise des Klägers bei den Abrechnungen für die Annahme einer unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärung ausreicht; denn bei der Abrechnungsweise des Klägers, im nachhinein Ergänzungen der Abrechnungseintragungen auf den Krankenscheinen ohne Abdeckung durch Karteieintragungen vorzunehmen und regelmäßig am Ende des Quartals Eintragungen in den Krankenscheinen einschließlich der Diagnoseangaben systematisch zu verändern, ist es von vornherein ausgeschlossen, daß alle von ihm zur Abrechnung gestellten Leistungen ordnungsgemäß erbracht worden sind und damit die von ihm abgegebene Abrechnungs-Sammelerklärung richtig ist. Die Beklagte hat indessen die Rücknahme der Honorarbescheide nicht auf die Gesamtumstände des Abrechnungsverhaltens des Klägers, sondern auf den Tatbestand von Falschabrechnungen gestützt. Dies trägt schon für sich die Rücknahme.
Die vom Kläger gegen die Feststellung der Falschabrechnungen erhobenen Rügen greifen nicht durch. Die zunächst beanstandeten Feststellungen der Falschabrechnung im Falle H. in den Quartalen II/84 und III/84 sind im Berufungsurteil damit begründet worden, daß die Abrechnung einer Besuchsleistung nach den Nrn 5 und 11a des Bewertungsmaßstabes für kassenärztliche Leistungen vom 21. März 1978 (BMÄ) eine kausale Verknüpfung zwischen dem Weggang des Arztes aus der Arztpraxis und dem Aufsuchen des Patienten erfordere, der Kläger die Altenpflegerin aber nur gelegentlich anderer Besuche im Altenheim behandelte. Hiernach ergibt sich die Falschabrechnung allein schon daraus, daß der Kläger den Besuch im Altenheim nicht gezielt zur Behandlung der Altenpflegerin unternahm. Es ist danach unerheblich, ob der Kläger auch andere Patienten behandelte und bei einem von ihnen einen Besuch abrechnete. Die gerügte unzureichende Aufklärung und das Unterlassen der Hinzuziehung eines Sachverständigen betreffen damit eine nicht rechtserhebliche Frage. Entgegen der von ihm vertretenen Auffassung kommt es darauf, ob er in den Fällen von J.Ü. und L.Ü. im Quartal III/84 ebenfalls Falschabrechnungen vorgenommen hat, nicht entscheidend an, weil auch ohne diese Fälle nach den Feststellungen des Berufungsgerichts feststeht, daß er in jedem der Quartale II/84 bis I/85 eine Falschabrechnung abgegeben hat. Die insoweit erhobenen Verfahrensrügen sind mithin ebenfalls rechtlich unerheblich. Ebensowenig greift die vom Kläger gegen alle im Berufungsurteil angeführten Falschabrechnungs-Fälle gerichtete Rüge durch, das Berufungsgericht hätte die Zeugen selbst vernehmen müssen. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 26. Oktober 1989 (SozR 1500 § 128 Nr 40 S 48 f) ausgeführt, daß es von dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung Ausnahmen im Falle unverhältnismäßiger Schwierigkeiten der direkten Feststellung geben kann und daß dies etwa dann der Fall ist, wenn eine große Zahl von Unterlagen zu überprüfen und von Personen zu vernehmen wäre. Dementsprechend hat der Senat es in jenem Verfahren, in dem ebenfalls Falschabrechnungen in Frage standen, nicht beanstandet, daß die Krankenkassen die Prüfung der Einzelfälle einschließlich der Patientenbefragung durchgeführt und daß die Gerichte die Ergebnisse nach eigener Prüfung übernommen hatten (BSG aaO). Diese Ausnahme von dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung ist auch hier anzuwenden, zumal die im Berufungsurteil zugrunde gelegten Vernehmungen von Zeugen nicht nur von Krankenkassen, sondern von der Polizei durchgeführt wurden und der Klägerin die Rüge, das Berufungsgericht hätte selbst die Zeugen vernehmen müssen nur allgemein erhoben, nämlich - abgesehen von den Fällen J.Ü. und L.Ü., auf die es nicht ankommt - nicht dargelegt hat, welche anderen oder zusätzlichen Erkenntnisse eine richterliche Vernehmung erbracht hätte. Schließlich geht auch der Einwand des Klägers fehl, es sei eine konkrete Schadensfeststellung notwendig, da gegen ihn schon Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise ergangen seien. Honorarkürzungen wegen Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts betreffen nicht bestimmte Einzelfälle. Dafür, daß es sich ausnahmsweise um Honorarkürzungen aufgrund von sog Einzelfallprüfungen gehandelt hätte und diese die konkret selben Fälle wie die Falschabrechnungen betroffen hätten, ist nichts ersichtlich und hat der Kläger auch nichts vorgetragen.
Aufgrund der Feststellung, daß der Kläger in den Quartalen II/84 bis I/85 in jeweils mindestens einem Einzelfall die Vergütung von Leistungen geltend gemacht hat, die er nicht erbracht hatte, war die von ihm abgegebene Abrechnungs-Sammelerklärung unrichtig, und insoweit fällt dem Kläger auch grobe Fahrlässigkeit zur Last. Dies ergibt sich aus dem im Berufungsurteil angeführten mangelhaften Abrechnungs- und Dokumentationssystem des Klägers, wodurch seinen Unterlagen sichere Angaben über die tatsächlich erbrachten Leistungen nicht zu entnehmen waren. Hierzu trug das von ihm seit längerem praktizierte, von ihm selbst geschilderte Verfahren bei, die Zahl seiner Leistungen in Strichlisten zu erfassen, um am Quartalsende im Falle erheblicher Überschreitungen des Fachgruppendurchschnitts in einzelnen Behandlungsausweisen wieder Leistungen zu streichen. Konkrete Beanstandungen gegen die Bewertung seines Verhaltens als grob fahrlässig hat der Kläger auch nicht erhoben.
Da der Kläger nach allem in jedem der streitbefangenen Quartale grob fahrlässig eine unrichtige Abrechnungs-Sammelerklärung abgegeben hat, berechtigte dies die Beklagte, die Honorarbescheide für diese Quartale hinsichtlich aller Kassen und Kassenarten zurückzunehmen. Ob einzelne Krankenkassen dem Kläger, wie er vorträgt, die Korrektheit seiner Abrechnungen ausdrücklich anerkannten, ist unerheblich. Weder für jede einzelne Krankenkasse noch für jeden der verschiedenen Kassenbereiche braucht eine Falschabrechnung nachgewiesen zu werden. Das ergibt sich schon daraus, daß die im Bereich der Beklagten abzugebenden Abrechnungs-Sammelerklärungen die Abrechnungen bezüglich aller Kassen und Kassenbereiche, also auch der Ersatzkassen, umfaßten und sich deshalb die Unrichtigkeit der Abrechnungs-Sammelerklärung auf alle Kassen und Kassenarten auswirkt. Damit stellt sich die weitere Frage, ob aus festgestellten Falschabrechnungen bei einer Kassenart überhaupt auf Falschabrechnungen bei der anderen Kassenart geschlossen werden kann, nicht mehr. Entsprechend dem Revisionsbegehren der Beklagten war daher die Berufung des Klägers, soweit sie die Rücknahme der Honorarbescheide im Ersatzkassen-Bereich für die Quartale II/84 bis I/85 zum Gegenstand hatte, zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Neufestsetzung des Honorars und der Rückforderung des Differenzbetrages ist hingegen auf die Revision des Beigeladenen zu 5) eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht erforderlich. Zwar wird es, wie oben ausgeführt, in Fällen der vorliegenden Art in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn die KÄV das Honorar in der Höhe des Durchschnitts der Fachgruppe festsetzt. Auch sind Anhaltspunkte dafür, daß dieses Vorgehen im Falle des Klägers erkennbar unangemessen sein könnte, auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ersichtlich. Dem Senat ist es dennoch verwehrt, in diesem Sinne durchzuentscheiden. Das Berufungsgericht durfte sich nämlich nicht mit der Feststellung begnügen, die von der Beklagten in Ausfüllung ihres Beurteilungsspielraums vorgenommene Schätzung sei nicht zu beanstanden. Bei Schätzungen besteht nach der Rechtsprechung kein der Gerichtskontrolle entzogener Beurteilungsspielraum (vgl BSG SozR 4100 § 115 Nr 2, S 14 f). Sie gehören zu den Tatsachenfeststellungen, für die die Tatsacheninstanzen ihrerseits zuständig sind (BSG SozR 4100 § 115 Nr 2 S 15; BSGE 74, 44, 51 = SozR 3-1300 § 45 Nr 21). Das Gericht hat deshalb die Schätzung selbst vorzunehmen bzw jedenfalls selbst nachzuvollziehen. Die Verpflichtung zur eigenen Schätzung bedeutet allerdings nicht, daß das Gericht nunmehr erneut alle Schätzungsgrundlagen erhebt und eine völlig eigene Schätzung vornimmt. Sofern der Verwaltungsakt überzeugende Ausführungen zur Schätzung enthält, reicht es aus, wenn das Gericht sich diese Ausführungen zu eigen macht und sie in seinen Entscheidungsgründen nachvollzieht. Da das LSG indessen davon ausgegangen ist, daß die Beklagte einen Beurteilungsspielraum habe und deshalb ihm, dem Gericht, eine eigene Bewertung nicht möglich sei, war das Urteil des LSG insoweit aufzuheben und der Rechtsstreit zur Vornahme der Schätzung des dem Kläger zustehenden Honorars zurückzuverweisen. Bei der Honorarneufestsetzung wird es auch die Auswirkungen möglicherweise bestandskräftig durchgeführter Wirtschaftlichkeitsprüfungen zu beachten haben.
Aus der Rechtmäßigkeit des Honorarrücknahmebescheides wegen Vorliegens von Falschabrechnungen ergibt sich zugleich, daß die Anschlußrevision des Klägers, die er bezüglich des Ersatzkassen-Quartals I/85 aufrecht erhalten hat und mit der er die Aufhebung des Honorarrücknahmebescheides wegen Fehlens nachgewiesener Falschabrechnungen begehrt, nicht begründet ist.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Entscheidung des Berufungsgerichts vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1174426 |
NJW 1998, 3445 |
ArztR 1999, 69 |
MedR 1998, 338 |
SozR 3-5550 § 35, Nr.1 |
SozSi 1998, 438 |