Verfahrensgang
SG Hamburg (Urteil vom 08.06.1994) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Juni 1994 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger, der bis Ende 1992 als niedergelassener Arzt eine Privatpraxis betrieb, nahm in diesem Zeitraum an dem von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) organisierten ärztlichen Notfalldienst teil.
Die Beklagte wandelte in den Quartalen IV/91 bis IV/92 die vom Kläger abgerechneten Besuchsleistungen nach den Nrn 26, 27, 29 oder 30 BMÄ/E-GO unter Hinweis auf die Regelungen des BMÄ und der E-GO in die niedriger bewerteten Besuchsleistungen nach Nr 25 und Nr 27 BMÄ/E-GO um. Die Widersprüche des Klägers wies sie zurück. Im Quartal IV/91 erhielt der Kläger insgesamt 4.695,95 DM an Honorar für Notfallbehandlungen. Die Vergütungsregelung für Besuchsleistungen führte zu einer Verminderung seines Honoraranspruchs im Primärkassenbereich um 3.900 Punkte bzw im Ersatzkassenbereich um 349,65 DM.
Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Juni 1994) und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die von der Beklagten vorgenommenen Berichtigungen der Honoraranforderungen entsprächen den vertraglichen Bestimmungen des BMÄ und der E-GO. Danach seien im Rahmen des organisierten Notfalldienstes erbrachte Besuchsleistungen bei Tage nach Nr 25 und bei Nacht – bestellt und ausgeführt zwischen 20.00 und 8.00 Uhr – nach Nr 27 BMÄ zu berechnen, wenn der Notfalldienst nicht von einem niedergelassenen Kassen- bzw Vertragsarzt oder dessen persönlichem Vertreter wahrgenommen werde. Die niedrigere Vergütung der Besuchsleistungen in diesen Fällen verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Dies habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden (Hinweis auf BSGE 70, 240 = SozR 3-5533 Allg Nr 1). Eine unterschiedliche Behandlung des privatärztlich tätigen Klägers im Verhältnis zu Kassen- bzw Vertragsärzten sei schon deshalb gerechtfertigt, weil die bei ihm anfallenden Praxisvorhaltekosten anders und insgesamt günstiger ausgeglichen würden als beim Kassen- bzw Vertragsarzt. So rechne der Arzt, der privat liquidiere, bei gleicher ärztlicher Leistung nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) im Durchschnitt wesentlich höhere Vergütungsansprüche ab als der Kassen-/Vertragsarzt. Deshalb seien seine Praxiskosten, die mit den Gebühren abgegolten würden, schneller kompensiert als beim Kassen-/Vertragsarzt. Es sei daher zumindest vertretbar, wenn der Kläger für die streitbefangenen Quartale bezüglich seiner Praxisvorhaltekosten auf die vergleichsweise günstige Kompensationsmöglichkeit nach der GOÄ verwiesen werde.
Mit der Sprungrevision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Für die auf der Regelung in B II des BMÄ und der E-GO beruhende Ungleichbehandlung des niedergelassenen Nichtkassenarztes im Verhältnis zu dem niedergelassenen Kassenarzt bei der Vergütung der Besuchsleistungen lasse sich kein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund finden. Anders als in den der Rechtsprechung des BSG zugrundeliegenden Fällen bestehe hier gerade kein wesentlicher Unterschied zwischen seiner Situation und der eines Kassen- bzw Vertragsarztes. Insbesondere sei er durch seine Vergütung als Privatarzt nicht bessergestellt als die niedergelassenen Kassen- bzw Vertragsärzte. Jedenfalls seien die Unterschiede nicht von solcher Art und solchem Gewicht, daß sie die ungleiche Vergütungsregelung rechtfertigen könnten. Der mit ihr verbundene Eingriff in den Schutzbereich des Art 3 Abs 1 GG sei deshalb verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Juni 1994 und die Bescheide der Beklagten vom 25. Mai 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 1992, den Bescheid vom 14. September 1992 und vom 2. November 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 1992 sowie die Bescheide vom 17. Februar 1993 und 10. Mai 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die beanstandeten Besuchsleistungen nach den Nrn 26, 29 und 30 BMÄ/E-GO zu vergüten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Im Unterschied zu dem als Kassen- bzw Vertragsarzt tätigen Arzt habe der Kläger als niedergelassener Privatarzt die Vorhaltekosten für seine Privatpraxis nicht aus den von ihr, der Beklagten, zu verteilenden Gesamtvergütungen der Krankenkassen für die kassen- bzw vertragsärztliche Versorgung ihrer Mitglieder zu finanzieren. Die vertragliche Bestimmung zu Abschnitt B II „Besuche” des BMÄ und der E-GO knüpfe deshalb bei der Vergütung von Besuchsleistungen, die von Nichtkassenärzten im Rahmen des organisierten ärztlichen Notfalldienstes erbracht werden, an zwei unterschiedliche Sachverhalte an, nämlich den Kassen-/Vertragsarzt einerseits, der kraft seiner Zulassung auch an der der KÄV obliegenden Sicherstellung eines ausreichenden Notdienstes mitwirken müsse, und den Nichtkassenarzt, auf den die KÄV für ihren Sicherstellungsauftrag nur insoweit zurückgreifen könne, als er sich freiwillig hierfür zur Verfügung stelle. Der Kläger habe im übrigen ebenso wie die niedergelassenen Kassen- bzw Vertragsärzte, die am ärztlichen Notfalldienst teilnähmen, hierfür Anspruch auf den Bezug von Sprechstundenbedarf.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Honorarbescheide der Beklagten rechtmäßig sind.
Der Vergütungsanspruch eines nicht an der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes für Notfallbehandlungen, die er bei Versicherten der Primär-und Ersatzkassen erbringt, beträgt grundsätzlich 100 vH der Sätze der maßgeblichen Gebührenordnungen für die jeweiligen Leistungen (BSGE 71, 117, 118 f = SozR 3-2500 § 120 Nr 5; BSGE 75, 184, 185 = SozR 3-2500 § 120 Nr 4; BSG – Urteil vom 1. Februar 1995 – 6 RKa 32/94 – nicht veröffentlicht). Eine niedrigere Vergütung entsprechender Leistungen ist danach rechtlich nur zulässig, sofern hierfür sachliche Gründe gegeben sind. Das hat der Senat für die in Anwendung der Bestimmung zu Abschnitt B II „Besuche” des BMÄ bzw der E-GO geringer vergüteten Besuchsleistungen für den Fall bejaht, daß ein nicht niedergelassener Nichtkassenarzt im Rahmen eines von der KÄV organisierten ärztlichen Notfalldienstes solche Leistungen erbringt (BSGE 70, 240 ff = SozR 3-5533 Allg Nr 1). Eine sachliche Rechtfertigung für eine niedrigere Vergütung der genannten Besuchsleistungen durch einen niedergelassenen Nichtvertragsarzt hat der Senat auch in dem Umstand erblickt, daß die Mitglieder der KÄV die bei der Organisation und Durchführung des Notfalldienstes entstehenden Kosten zu tragen verpflichtet sind (Urteil vom 1. Februar 1995 – 6 RKa 32/94 –).
Die der Honorarminderung bei den Besuchsleistungen zugrundeliegende vertragliche Bestimmung zu B II „Besuche” des BMÄ/E-GO ist in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung verfassungsgemäß. Nach dieser Regelung sind Besuche im Rahmen des organisierten Notfalldienstes, wenn der Notfalldienst nicht von einem niedergelassenen Kassen- bzw Vertragsarzt oder dessen persönlichem Vertreter wahrgenommen wird, bei Tage nach Nr 25 und bei Nacht – bestellt und ausgeführt zwischen 20.00 Uhr und 8.00 Uhr – nach Nr 27 BMÄ/E-GO zu berechnen. Damit tritt an die Stelle der Besuchsleistungen der Nr 26, die im Quartal IV/91 im Primärkassenbereich mit 390 Punkten bewertet bzw im Ersatzkassenbereich mit 43,30 DM vergütet wurde (Quartal II/92: 500 Punkte bzw 56,25 DM), der Nr 27 – Sofortbesuch aus der Sprechstunde – (Quartal IV/91: 550 Punkte bzw 61,05 DM; II/92 – 720 Punkte bzw 81 DM) und der Nr 30 BMÄ/E-GO (IV/91: 450 Punkte bzw 49,95 DM; II/92: 450 Punkte bzw 50,65 DM) die Leistung Nr 25 BMÄ/E-GO. Diese wurde im Quartal IV/91 mit 285 Punkten (Primärkassenbereich) bewertet bzw mit 31,65 DM (Ersatzkassenbereich) vergütet (Quartal II/92: 285 Punkte bzw 32,05 DM). An die Stelle der Leistung Nr 29 BMÄ/E-GO (IV/91: 700 Punkte bzw 77,70 DM; II/92: 900 Punkte bzw 101,25 DM) tritt die Leistung Nr 27 BMÄ/E-GO. Bei den sonstigen Nachtbesuchen verbleibt es bei der Anwendung der Nr 27 BMÄ/E-GO. Alle anderen von einem Nichtkassen- bzw Nichtvertragsarzt im Rahmen von Notfalldiensten, die von einer KÄV organisiert werden, erbrachten ärztlichen Leistungen werden nach den für Kassenärzte/Vertragsärzte geltenden Bestimmungen ohne Abschläge vergütet. Die Vergütungskürzung wirkt sich damit lediglich auf den Teilbereich der Besuchsleistungen aus.
Die vertragliche Bestimmung zu B II „Besuche” des BMÄ/E-GO verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) nicht. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus Wortlaut und Sinn des Art 3 Abs 1 GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen. Da der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Normgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung (vgl BVerfGE 55, 72, 88; 89, 365, 375). Diese ist jedoch nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Dem Gestaltungsspielraum des Normgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (BVerfGE 88, 87, 96). Außerhalb des aufgezeigten Bereichs läßt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Die Grenze bildet insoweit allein das Willkürverbot (BVerfGE 9, 334, 337; 55, 72, 89 f).
Die vertragliche Regelung der Besuchsleistung im BMÄ und der E-GO, bei der es sich um Normsetzungsverträge handelt (vgl dazu BSGE 70, 240, 244 = SozR 3-5533 Allg Nr 1), hält den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Anforderungen stand. Ihr liegt die Bewertung zugrunde, daß die Teilnahme von Nichtkassen- bzw Nichtvertragsärzten an einem von der KÄV organisierten Notdienst für diese Arztgruppe typischerweise eine freiwillig übernommene nebenberufliche Tätigkeit darstellt. Soweit angestellte Krankenhausärzte am Notfalldienst mitwirken, fallen bei ihnen von vornherein keine Kosten für das Vorhalten einer Kassen- bzw Vertragsarztpraxis an, die anteilig mit den regulären Besuchsgebühren abgegolten werden (vgl hierzu bereits Urteil des Senats in BSGE 70, 240, 245 = SozR 3-5533 Allg Nr 1). Zudem kann im nicht organisierten ärztlichen Notfalldienst der zeitliche Aufwand für einen einzelnen Besuch eines Kassen- bzw Vertragsarztes größer sein als für den Einsatz bei einem Patienten im Rahmen eines organisierten und vielfach von einer Notdienstzentrale koordinierten Notdienstes. Hier kann der den Notdienst verrichtende Arzt regelmäßig auf einer Fahrt mehrere Patienten aufsuchen und so in kürzerer Zeit mehr Besuche abwickeln als ein Hausarzt, für den typischerweise jeder Besuch bei einem seiner Patienten mit einer eigenen zeitaufwendigen Anfahrt verbunden ist. Die Einschränkungen der Abrechnungsmöglichkeiten der auf den Einzelbesuch zugeschnittenen Besuchsleistungen bei der Notdienstteilnahme von Nichtkassen- bzw Nichtvertragsärzten trägt diesen Unterschieden Rechnung, zumal nur bei einem Teil der zu vergütenden Besuchsleistungen Honorarminderungen erfolgen. Soweit die Abrechnungseinschränkungen an den Status des Arztes – Kassen- bzw Vertragsarzt oder anderer Arzt – und nicht an den Umstand anknüpfen, ob ein Besuch im Rahmen des organisierten Notfalldienstes ausgeführt worden ist, ist das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt. Der Normgeber durfte im Rahmen einer notwendigerweise typisierenden und pauschalierenden Regelung berücksichtigen, daß bei Kassen- bzw Vertragsärzten die Einzelbesuche außerhalb des organisierten Notfalldienstes den Schwerpunkt der Besuchstätigkeit bildend, während alle anderen am organisierten Notfalldienst teilnehmenden Ärzte gegenüber der KÄV Honoraransprüche nur für Besuche im Rahmen dieses Notfalldienstes haben können. Die begrenzte Besserstellung der Honorierung der von Kassen- bzw Vertragsärzten im organisierten Notfalldienst erbrachten Besuchsleistungen rechtfertigt sich daraus, daß diese sich als Mitglieder der KÄV regelmäßig an der Finanzierung von Durchführung und Organisation des Notfalldienstes über die Verteilung der von den Krankenkassen zu leistenden Gesamtvergütung und ggf durch zusätzliche Verwaltungskostenbeiträge beteiligen (vgl Urteil des Senats vom 1. Februar 1995 – 6 RKa 32/94).
Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174402 |
SozSi 1997, 238 |