Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigung. Gewalttat. tätlicher Angriff. sexueller Kindesmißbrauch. Schwangerschaft. gesundheitliche Schädigung. Kind als Schaden. Unterhaltslast. mittelbarer Schaden. Härteausgleich
Leitsatz (amtlich)
Ein tätlicher Angriff iS von § 1 OEG liegt auch dann vor, wenn ein erwachsener Mann ohne Gewaltanwendung den Geschlechtsverkehr mit einem Kind unter 14 Jahren ausübt; es ist ohne Bedeutung, ob das Kind von sich aus dazu bereit und in der Lage ist, die Bedeutung des Geschehens zu erfassen.
Orientierungssatz
Eine Entschädigung nach OEG setzt eine gesundheitliche Schädigung voraus. Eine staatliche Entschädigung für eine durch Straftat aufgezwungene Unterhaltsverpflichtung, die nur mittelbar mit dem sexuellen Mißbrauch in Zusammenhang steht, ist ausgeschlossen und ist auch nicht als Härteausgleich zu gewähren.
Normenkette
OEG § 1 Abs. 1 S. 1; BVG § 89 Abs. 1; StGB § 176
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger begehren vom beklagten Land Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz ≪OEG≫). Die damals 13jährige Klägerin zu 1 unterhielt im Jahre 1980 eine freundschaftliche Beziehung zu dem damals 25jährigen G., in deren Verlauf es auch zum Geschlechtsverkehr kam. Die Klägerin zu 1 wurde dadurch schwanger und gebar am 29. August 1981 nach Kaiserschnitt den Kläger zu 2. G. wurde wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in einem besonders schweren Fall nach § 176 Abs 3 Nr 1 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Im Dezember 1989 beantragten die Kläger Versorgung nach dem OEG wegen der wirtschaftlichen Folgen des sexuellen Mißbrauchs, die die Klägerin zu 1 in ihrer eigenen Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kläger zu 2 sieht, während der Kläger zu 2 unregelmäßige Unterhaltsleistungen seitens des Kindesvaters geltend macht. Das Versorgungsamt lehnte die Anträge ab (Bescheid vom 15. März 1990; Widerspruchsbescheid vom 24. August 1990). Auch die Gewährung eines Härteausgleichs nach § 89 Bundesversorgungsgesetz (BVG) wurde abgelehnt (Bescheid vom 30. Oktober 1990; Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 1991). Klage und Berufung blieben ebenfalls ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 19. Februar 1993; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 30. September 1993). Während das SG einen Anspruch auf Versorgung verneint hat, weil die Kläger durch den sexuellen Mißbrauch keine gesundheitliche Schädigungen erlitten hätten, hat das LSG die Anspruchsvoraussetzung einer Gewalttat verneint, weil die Klägerin zu 1 den Geschlechtsverkehr mit G. freiwillig ausgeübt habe. Es habe auch an der nach der Rechtsprechung erforderlichen feindseligen Willensrichtung des G. gefehlt. Ein Härteausgleich komme nicht in Betracht, weil auf das Merkmal der Gewaltanwendung als Voraussetzung für eine Opferentschädigung nicht verzichtet werden könne.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision machen die Kläger geltend, daß in allen Fällen eines sexuellen Mißbrauchs von Kindern iS des § 176 StGB eine Gewaltanwendung zu bejahen sei, weil der physische und psychische Widerstand von Kindern gegenüber Erwachsenen deutlich eingeschränkt sei. Für den durch den sexuellen Mißbrauch eingetretenen Schaden in Form von Unterhaltsansprüchen habe der Staat aufzukommen, weil seine Schutzeinrichtungen in gleicher Weise wie bei sonstigen Gewalttaten versagt hätten. Das Eintreten des Staates mit Versorgungsleistungen sei auch als flankierende Maßnahme zum Schutz des ungeborenen Lebens geboten. Der Klägerin zu 1 dürfe es nicht zum Nachteil gereichen, daß sie sich in Übereinstimmung mit ihren Eltern entschlossen habe, das Kind auszutragen. Eine staatliche Versorgung sei jedenfalls bei einer Lückenhaftigkeit des bestehenden Entschädigungsrechts im Wege des Härteausgleichs geboten. Der Kläger zu 2 müsse beim Ausfall von Unterhaltsleistungen durch den Vater wie eine Waise angesehen werden und in entsprechender Anwendung des § 45 BVG Waisenrente erhalten. Daß das LSG dazu nichts ausgeführt habe, sei wegen Fehlens von Entscheidungsgründen iS des § 55 Nr 7 Zivilprozeßordnung ein absoluter Revisionsgrund.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und der zugrundeliegenden Bescheide den Beklagten zu verurteilen, den Klägern ab 1. Januar 1985 Versorgung nach dem OEG zu gewähren, hilfsweise im Wege des Härteausgleichs.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene schließt sich dem an.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen beider Kläger sind unbegründet.
Die Klagen sind zulässig, obwohl es an bestimmten Klageanträgen fehlt. Nach den durchgängig gestellten Anträgen begehren die Kläger nur die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach dem OEG, ohne sich festzulegen, welche konkreten Leistungen sie begehren, obwohl durch die Verweisung des § 1 OEG auf die Vorschriften des BVG eine ganze Reihe von Leistungen in Betracht kommt. Nach § 9 BVG umfaßt die Versorgung neben anderen Leistungen, die hier ersichtlich nicht einschlägig sind, Heilbehandlung (Nr 1), Beschädigtenrente und Pflegezulage (Nr 3). Auf eine Konkretisierung der beanspruchten Leistungen kann im allgemeinen nicht verzichtet werden, weil sie von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängen. Während Heilbehandlung eine behandlungsbedürftige Gesundheitsstörung verlangt (§ 10 Abs 3 BVG), hängt die Gewährung einer Versorgungsrente gemäß §§ 30, 31 BVG davon ab, daß als Folge einer gesundheitlichen Schädigung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 vH besteht. Die Klägerin zu 1 hat bei Antragstellung überhaupt keine noch bestehenden Gesundheitsstörungen als Folge des sexuellen Mißbrauchs geltend gemacht; lediglich im Berufungsverfahren hat sie ohne weitere Substantiierung erklärt, sie habe auch noch 1989 an psychischen Folgen gelitten. Das LSG ist auf diese Behauptung nicht eingegangen, weil es nach seiner Rechtsauffassung darauf nicht ankam. Das nachgeschobene Vorbringen der Klägerin zu 1 läßt aber nicht erkennen, daß sie ernsthaft geltend machen will, einer psychiatrischen Behandlung zu bedürfen oder durch eine seelische Störung von Krankheitswert in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt zu sein. Gleichwohl läßt sich ihrem Vorbringen noch hinreichend deutlich entnehmen, daß sie von der Versorgungsverwaltung Geldleistungen für sich und den Kläger zu 2 begehrt und sich nicht nur mit der gerichtlichen Feststellung begnügen will, daß sie Opfer einer Gewalttat iS des § 1 OEG geworden ist, wozu ein besonderes Feststellungsinteresse vorliegen müßte (§ 55 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Schwierigkeit, ihr Klagebegehren näher zu konkretisieren, liegt im wesentlichen darin begründet, daß es dafür überhaupt an ausdrücklichen gesetzlichen Grundlagen fehlt. Der Senat sieht deshalb das Begehren, der Klägerin zu 1 eine Versorgungsrente in angemessener Höhe, dem Kläger zu 2 eine Waisenrente entsprechend § 45 BVG zu gewähren wegen der wirtschaftlichen Belastungen infolge der Geburt des Klägers zu 2, als Gegenstand des Rechtsstreits an. Für solche Leistungen fehlt es aber sowohl an einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage wie auch an den Voraussetzungen für eine Lückenfüllung im Wege des Härteausgleichs.
Der Senat folgt allerdings nicht der Rechtsauffassung des LSG, daß die Klägerin zu 1 schon nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 OEG geworden ist. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieser Vorschrift können auch dann erfüllt sein, wenn der Täter keine nennenswerte Kraft aufwendet, um einen Widerstand des Opfers zu überwinden, sondern sein Ziel dadurch erreicht, daß er den Widerstand seines Opfers durch Täuschung, Überredung oder sonstige Mittel ohne besonderen Kraftaufwand bricht oder gar nicht erst aufkommen läßt. Es ist auch in der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (BSGE 49, 98, 100 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG, Breithaupt 1984, 885 = SGb 1984, 592; BSGE 59, 46 = SozR 3800 § 1 Nr 6; Geschwinder, SGb 1985, 95) nicht verlangt worden, daß der Täter dem Opfer gegenüber feindlich gesinnt ist. Entscheidend ist die Rechtsfeindlichkeit, nicht ein aggressives Vorgehen. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 (zur Veröffentlichung vorgesehen) klargestellt. Selbst wenn der Täter subjektiv dem Opfer helfen will (vgl Bayerisches LSG, Breithaupt 1991, 414) oder aus Liebe handelt, liegt ein rechtswidriger tätlicher Angriff dann vor, wenn der Täter in strafbarer Weise die körperliche Integrität eines anderen rechtswidrig verletzt. Soweit das Opfer in die Tat einwilligt, ist die Handlung dennoch nicht gerechtfertigt, wenn dem Opfer die Einwilligung durch Täuschung entlockt wird oder es dem Opfer aus sonstigen Gründen an der Fähigkeit mangelt, Bedeutung und Tragweite seiner Einwilligung zu erkennen. An dieser Fähigkeit fehlt es insbesondere bei Kindern auf sexuellem Gebiet, jedenfalls solange sie nicht strafmündig sind. Der Senat hat deshalb die Voraussetzung des § 1 Abs 1 OEG in der erwähnten Entscheidung vom 18. Oktober 1995 - 9 RV 4/93 - bejaht, die den Fall eines sexuellen Mißbrauchs eines fünfjährigen Kindes ohne Gewaltanwendung betraf. Er hat darin im einzelnen ausgeführt, daß die Gewaltopferentschädigung nicht an das Vorliegen von Gewalt im strafrechtlichen Sinne, dessen Merkmale teils heftig umstritten sind, anknüpft; der Gesetzgeber hat es bewußt der sozialgerichtlichen, nicht der strafgerichtlichen Rechtsprechung überlassen, den Begriff des tätlichen Angriffs im OEG mit Inhalt zu erfüllen (BT-Drucks 7/2506, S 10; Geschwinder, SGb 1985, 95, 96). Die durch die neueren Forschungsergebnisse bestätigte Gefahr schwerer psychischer Schädigungen auch bei gewaltfreiem Mißbrauch von Kindern verlangt einen staatlichen Opferschutz auch im Hinblick auf diese Folgen, die gerade die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft treffen.
Nichts anderes gilt im Falle der Klägerin zu 1, die zur Tatzeit bereits 13 Jahre alt war. Auch sie befand sich noch in einem Alter, bei dem der Gesetzgeber ein strafrechtliches Schutzbedürfnis vor sexuellem Mißbrauch angenommen und in § 176 StGB unter erhebliche Strafandrohung gestellt hat. Die gesetzliche Wertung, daß auch ein nicht gewaltsam erzwungenes Mitwirken des kindlichen Opfers für den Täter keine Rechtfertigung darstellt, schließt es auch im Rahmen des OEG aus, näher zu untersuchen, welche konkrete Einsichtsfähigkeit oder welchen konkreten Reifegrad das Opfer hatte und inwieweit der Täter dem überlegene intellektuelle oder psychische Fähigkeiten bei der Verübung der Tat eingesetzt hat. Selbst wenn im einzelnen Fall die Feststellung getroffen werden könnte, daß die "Initiative" von dem jugendlichen Opfer ausgegangen ist, ändert dies nichts an der Rechtswidrigkeit des Verhaltens des erwachsenen Täters.
Die Zuerkennung von Ansprüchen nach dem OEG scheitert im vorliegenden Fall somit nicht schon daran, daß der erwachsene G. freundschaftliche Gefühle gegenüber der Klägerin zu 1 entwickelt hatte, die von ihr erwidert wurden, noch daran, daß die unmittelbare Initiative zum Geschlechtsverkehr möglicherweise von ihr ausgegangen ist. Es fehlt aber an der weiteren Voraussetzung, daß dadurch eine Gesundheitsschädigung eingetreten ist, für deren gesundheitliche oder wirtschaftliche Folgen Versorgung allein gewährt wird. Dabei kann offenbleiben, ob eine ungewollte Schwangerschaft allgemein auch bei komplikationslosem Verlauf als Gesundheitsschädigung angesehen werden kann, weil sie mit gewissen körperlichen Beschwerden und psychischen Belastungen verbunden ist (so BGH, NJW 1980, 1452 zum Schadensersatz bei fehlgeschlagener Sterilisation), oder ob dies jedenfalls dann gilt, wenn - wie hier - die Schwangerschaft und die Entbindung mit gesundheitlichen Komplikationen verbunden war. Denn die Schwangerschaft bestand zum Zeitpunkt der Antragstellung der Klägerin nicht mehr, und auch gesundheitliche Folgen der Kaiserschnittentbindung sind von der Klägerin zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht worden. Die wirtschaftlichen Folgen, die die Klägerin zu 1 nunmehr geltend macht, beruhen nicht auf der durchgemachten Schwangerschaft einschließlich der Entbindung, sondern allein auf der physischen Existenz des Klägers zu 2, die sowohl ihre eigene Unterhaltspflicht als auch diejenige des unehelichen Vaters ausgelöst hat. Ein solcher mittelbarer Zusammenhang mit dem sexuellen Mißbrauch reicht für eine Entschädigung nach dem OEG nicht aus. Diese ist kein Schadensersatz nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen (BSGE 49, 98, 103), der grundsätzlich auch alle mittelbaren Vermögensschäden umfassen kann. Das ergibt sich schon aus der Formulierung des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG. Der Wortlaut "wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen" setzt die zuvor genannte gesundheitliche Schädigung voraus und begnügt sich nicht mit dem schädigenden Vorgang. Dieser aus einer reinen Wortauslegung zu folgernde ursächliche Zusammenhang zwischen Gesundheitsschädigung und wirtschaftlichem Nachteil ergibt sich aber noch deutlicher aus der gesetzlichen Systematik. Denn alle Leistungen, die das BVG zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile zur Verfügung stellt, betreffen die Auswirkungen einer gesundheitlichen Schädigung. Dies gilt insbesondere für Rentenzahlungen einschließlich Berufsschadensausgleich (BSchA) und Pflegezulage. Hat nicht eine Gesundheitsstörung den Einkommensverlust verursacht, sondern zB die Dauer der Kriegsgefangenschaft, löst das keinen Anspruch auf BSchA aus. Nach § 35 BVG wird Pflegezulage nur gewährt, solange der Beschädigte infolge der Schädigung, dh der gesundheitlichen Folgen des schädigenden Vorganges, hilflos ist. Auch die Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach §§ 25 ff BVG setzen voraus, daß der wirtschaftliche Bedarf unmittelbare Folge einer gesundheitlichen Schädigung ist, wobei das Gesetz allerdings Beweiserleichterungen vorsieht (vgl § 25a Abs 2 Satz 1 BVG).
Diese unmittelbar für das Recht der Kriegsopferversorgung geltenden Vorschriften sind nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes auch auf die Opfer von Gewalttaten anzuwenden. Sinn und Zweck des OEG gebieten nicht eine Ausdehnung der staatlichen Leistungen auf den Ausgleich wirtschaftlicher Folgen jedweder Art, die aus strafbaren Handlungen herrühren. Der Gesetzgeber hat, um etwaige Entschädigungslasten in Grenzen zu halten, die staatlichen Leistungen für Opfer von strafbaren Handlungen an strenge tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft und auch den Leistungsumfang begrenzt. Dies ist durch die Bezugnahme auf das in jahrzehntelanger Praxis bewährte und stetig weiter ausgebaute Leistungssystem der Kriegsopferversorgung geschehen. Die Gesetzessystematik und die Entstehungsgeschichte bieten keine Anhaltspunkte, die Einstandspflicht des Staates auf jedwede Folgen wirtschaftlicher Art, die auf strafbare Handlungen zurückzuführen sind, auszudehnen.
Eine solche Leistungsbegrenzung ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Auf dem Gebiet der sozialen Entschädigung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. So wenig er verfassungsrechtlich gezwungen ist, für die Opfer von Straftaten staatliche Versorgungsleistungen vorzusehen, so wenig ist er gehindert, seine Leistungsverpflichtung mit Rücksicht auf die nur begrenzt zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel zu beschränken und auf den aus seiner Sicht dringlichsten Regelungsbedarf zu konzentrieren. Dem Ausschluß einer staatlichen Entschädigung für durch eine Straftat aufgezwungene Unterhaltsverpflichtungen steht deshalb nicht entgegen, daß zivilrechtliche Schadensersatzansprüche wegen Unterhaltsverpflichtungen aus ungewollter Schwangerschaft unter den Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung oder Vertragsverletzung bejaht werden (vgl BGHZ 124, 128, 136; dagegen BVerfGE 88, 203, 295). Daraus folgt nicht, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten wäre, in gleicher Weise wie im Zivilrecht mittelbare wirtschaftliche Folgeschäden auszugleichen.
Eine Entschädigung ist der Klägerin zu 1 auch nicht als Härteausgleich zu gewähren (§ 1 Abs 1 OEG iVm § 89 BVG). Härteausgleich ist nur dann zu gewähren, wenn wegen der Umstände des Einzelfalles, die der Gesetzgeber nicht vorhergesehen hat, die Auswirkung der Gesetzesanwendung dem Zweck der begehrten, aber abgelehnten Versorgung widerspricht und dies besonders unbillig ist (BSG SozR 3850 § 54 Nr 1; SozR 3100 § 89 Nr 11). Eine besondere Härte kann darin liegen, daß ein Geschädigter das Gesetz nicht in allen seinen Merkmalen erfüllt, aber eine Schädigung erlitten hat, für die die Allgemeinheit verantwortlich ist. Dabei kann sowohl von dem Fehlen einzelner Voraussetzungen im Tatbestand abgesehen werden als auch vom gesetzlichen Leistungskatalog abgewichen werden.
Der Ausschluß einer Entschädigung für die durch eine Straftat ausgelöste Unterhaltsverpflichtung ist keine besondere Härte, die sich im Einzelfall der Klägerin zu 1 aus der Anwendung der Vorschriften des OEG ergibt. Der Ausschluß beruht nicht auf einer Anwendung der Vorschriften des OEG auf einen Sonderfall, sondern folgt aus der Systematik des Gesetzes. Von einem gesetzgeberischen Versehen kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil Fälle wie der der Klägerin nicht nur selten vorkommen. Es mag zwar sein, daß bei der Einführung des OEG der Gesetzgeber noch nicht alle Fallgestaltungen hat überschauen können, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen sollten, und daß er auch die Auswirkungen einer Entschädigung nach den Grundsätzen der Kriegsopferversorgung für diese Fälle nicht endgültig überblicken konnte. So mag insbesondere die Entschädigung der Opfer von Sexualdelikten eher im Hintergrund gestanden haben. Das hat sich aber im Laufe der Jahre geändert, spätestens mit der Diskussion um die Neufassung des Abtreibungstatbestandes, bei der sowohl die Sondergruppe der durch eine Sexualstraftat schwanger gewordenen Frauen angesprochen worden ist, als auch insgesamt die wirtschaftliche Lage der ungewollt schwangeren Frauen unter dem Gesichtspunkt flankierender Maßnahmen zur Verhütung von Abtreibungen erörtert worden ist. Der Gesetzgeber hat die Notwendigkeit weitergehender sozialer Maßnahmen erkannt, wenn auch erst in einem Maße, das weithin noch als unbefriedigend angesehen wird. Für die durch eine Sexualstraftat schwanger gewordenen Frauen hat der Gesetzgeber dabei nicht die Notwendigkeit zu Sonderregelungen gesehen mit Ausnahme derjenigen, daß der Schwangerschaftsabbruch unter diesen Umständen grundsätzlich straffrei bleibt (vgl nunmehr § 218a Abs 3 StGB idF durch das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz ≪SFHÄndG≫ vom 21. August 1995 ≪BGBl I 1050≫). Soweit sich aber eine von einer Sexualstraftat betroffene Frau entschließt, das Kind auszutragen und von der Möglichkeit, die Schwangerschaft auf Kosten der Krankenkasse abzubrechen (vgl Art 5 SFHÄndG ≪Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen≫, insbesondere § 2), keinen Gebrauch zu machen, bestand aus der Sicht des Gesetzgebers keine Veranlassung, diese Gruppe von Frauen anders zu behandeln als die übrigen ungewollt Schwangeren. Allen diesen Frauen ist gemeinsam, daß die Geburt eines Kindes mit Unterhaltsverpflichtungen verbunden ist, die in gleicher Weise auch den Kindesvater treffen. Die Gefahr, daß der Kindesvater seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommt, mag bei Straftätern größer sein als bei unehelichen Vätern allgemein, ist aber auch bei diesen vorhanden. Es läßt sich danach schon nicht allgemein feststellen, daß die soziale Lage der Mütter von aus Straftaten hervorgegangenen Kindern soviel schlechter ist, daß der Gesetzgeber dem besonders hätte Rechnung tragen müssen. Aber auch im besonderen Fall der Klägerin zu 1 zeigt sich, daß ihre soziale Situation nicht wesentlich anders ist als die der Mutter eines unehelichen Kindes allgemein. Nach ihrem eigenen Vorbringen hat der Kindesvater zunächst Unterhalt in gesetzlicher Höhe geleistet, die Zahlungen aber dann wegen Arbeitslosigkeit oder aus sonstigen Gründen eingestellt, schließlich aber wieder aufgenommen. Auch daß sie ihre eigene Erwerbstätigkeit wegen der Kindesbetreuung zeitweilig hat unterbrechen müssen, ist für eine alleinerziehende Mutter nicht untypisch. Abgesehen davon, daß die Klägerin zu 1 nicht deutlich gemacht hat, ob sie Entschädigungsleistungen auch für die Zeit begehrt, in der sie selbst erwerbstätig war und der Kindesvater Unterhalt geleistet hat, ist auch für die Zeiten, in denen dies nicht der Fall war, nicht zu erkennen, daß die Versagung einer staatlichen Entschädigung eine besondere Härte darstellt. Weil die Folgen der Straftat bei ihr selbst keine körperlichen oder seelischen Dauerfolgen von Krankheitswert zurückgelassen haben, ist eine möglicherweise insoweit zunächst bestehende staatliche Einstandspflicht entfallen. Wegen der sonstigen wirtschaftlichen Folgen teilt sie das Schicksal der Mütter unehelicher Kinder.
Die Revision des Klägers zu 2 ist ebenfalls unbegründet. Die Rüge fehlender Urteilsgründe greift nicht durch. Es ist zwar zutreffend, daß in den Urteilsgründen des LSG der entscheidende Satz fehlt, der Anspruch des Klägers zu 2 sei aus denselben Gründen wie derjenige der Klägerin zu 1 unbegründet, nämlich wegen Fehlens einer Gewalttat. Das Fehlen dieses Satzes ist jedoch unschädlich, weil die auch insoweit tragende Begründung auf der Hand liegt.
Entgegen der Auffassung des LSG scheitert auch der Anspruch des Klägers zu 2 nicht am Fehlen einer Gewalttat, sondern daran, daß er nicht selbst Opfer einer Gewalttat iS einer gesundheitlichen Schädigung geworden ist und auch nicht Hinterbliebener eines Gewaltopfers ist. Der von ihm geltend gemachte Schaden durch Verletzung der Unterhaltspflicht seitens des unehelichen Vaters ist nicht durch Leistungen nach dem OEG auszugleichen. Der Kläger zu 2 macht auch in diesem Zusammenhang nicht deutlich, ob er den Anspruch auf eine der Waisenrente entsprechende Leistung durchgehend erhebt oder nur für solche Zeiträume geltend macht, in denen der Kindesvater tatsächlich keinen Unterhalt geleistet hat. Aber auch im letzteren Fall bestünde keine Veranlassung, dem Kläger zumindest im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 BVG eine staatliche Entschädigung zu gewähren. Seine soziale Lage unterscheidet sich in nichts von der anderer unehelicher Kinder, deren Väter ihrer Unterhaltspflicht nicht oder nur unzureichend nachkommen. Der Umstand, daß er durch eine strafbare Handlung seines Vaters gezeugt worden ist, begründet keine besondere Härte, die ein staatliches Eintreten für den Kindesunterhalt gebieten würde, auch nicht iS einer Ausfallbürgschaft. Im Zusammenhang mit der Abtreibungsdiskussion hat der Gesetzgeber die Sondergruppe der durch eine Sexualstraftat gezeugten Kinder nicht übersehen. Wenn er dennoch für diese Gruppe keine besonderen sozialen Leistungen vorgesehen hat, ist dies zu respektieren und nicht durch die Gewährung eines Härteausgleichs welcher Art auch immer in Frage zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 946356 |
BSGE, 11 |
NJW 1996, 1620 |
JuS 1996, 945 |
Breith. 1996, 659 |
SozSi 1997, 76 |