Entscheidungsstichwort (Thema)
Alterssicherung der Landwirte. Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Unternehmensabgabe. Heimunterbringung. Pachtvertrag. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Hält sich der Ehegatte eines Landwirts auf Dauer in einem Pflegeheim auf, leben die Eheleute nur dann getrennt, wenn ein erkennbarer Trennungswille besteht.
2. Vollendet der Landwirt sein 65. Lebensjahr, steht der Fiktivlandwirtin nur dann weiterhin Rente aus der Alterssicherung der Landwirte zu, wenn das landwirtschaftliche Unternehmen auch tatsächlich abgegeben worden ist.
Orientierungssatz
Die Verknüpfung zwischen der Gewährung einer Rente und der Abgabe des Hofes durch den Ehemann in § 13 Abs 1 Nr 4 ALG (bzw bei der Altersrente in § 11 Abs 1 Nr 3 ALG) ist nicht verfassungswidrig; denn diese Regelung dient der Erreichung eines mit der landwirtschaftlichen Altersversicherung verfolgten strukturpolitischen Zieles, nämlich die Übergabe landwirtschaftlicher Unternehmen an jüngere Inhaber zu fördern (vgl BVerfG vom 1.3.2004 - 1 BvR 2099/03 = SozR 4-5868 § 1 Nr 3).
Normenkette
ALG § 1 Abs. 3 S. 1 Fassung: 2000-12-20, § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Fassung: 2000-12-20, § 11 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 2000-12-20, § 21 Abs. 1 Fassung: 2000-12-20, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Fassung: 2000-12-20, Nr. 3 Fassung: 2000-12-20, S. 2 Fassung: 2000-12-20, Abs. 9 S. 2 Fassung: 2000-12-20, S. 3 Fassung: 2000-12-20, S. 4 Fassung: 2000-12-20; BGB § 1567 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung einer Rente aus der Alterssicherung der Landwirte hat, nachdem ihr als Landwirt tätiger Ehemann sein 65. Lebensjahr vollendet hatte.
Die am 00.00.1939 geborene Klägerin ist die Ehefrau des am 00.00.1937 geborenen Landwirts D. Sie befindet sich seit dem 4.5.1987 wegen einer schweren psychotischen Erkrankung durchgehend in einem Pflegeheim.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin unter Zugrundelegung eines am 30.6.1984 eingetretenen Versicherungsfalles ab 1.4.1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) nach § 13 Abs 1 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG ) . Dabei wurde diese in dem Bewilligungsbescheid vom 19.10.1995 von der Beklagten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in ihrem Fall das landwirtschaftliche Unternehmen ausnahmsweise als abgegeben gelte, allerdings nur solange, bis ihr Ehemann sein 65. Lebensjahr vollendet habe oder selbst erwerbsunfähig werde. Sollte das landwirtschaftliche Unternehmen dann nicht nach den Vorschriften des ALG abgegeben sein, stehe ihr keine Rente mehr zu.
Diese Bewilligung hob die Beklagte (nach Anhörung der Klägerin) mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 7.5.2002 mit Wirkung ab 1.6.2002 auf, weil der Ehemann der Klägerin mit Ablauf des 17.5.2002 sein 65. Lebensjahr vollendet habe. Da das landwirtschaftliche Unternehmen nicht an Dritte abgegeben worden sei, fehle es nunmehr an der bis dahin fingierten Abgabe. Damit sei eine wesentliche Änderung iS des § 48 SGB X eingetreten.
Nachdem der Ehemann am 24.3.2005 die landwirtschaftlichen Flächen für 30 Jahre an einen Dritten verpachtet hatte, bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersrente ab 1.4.2005.
Am 26.1.2006 beantragte der Ehemann der Klägerin als deren Betreuer, ihr "die Rente wegen EU für die Zeit vom 1.6.2002 bis 31.3.2005 nachzuzahlen", weil der Hof seit 1996 nicht mehr bewirtschaftet werde. Er legte einen auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Pachtvertrag vom 1.8.1996 und einen auf 10 Jahre befristeten Vertrag (vom 1.6.1994) über die Übertragung von Milchreferenzmengen vor. Den "Antrag auf Nachzahlung der Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 1.6.2002 bis 31.3.2005" lehnte die Beklagte ab, weil die Abgabefiktion des § 21 Abs 9 Satz 3 ALG bei Weiterbewirtschaftung durch den Ehemann nur solange gelte, bis der Ehegatte sein 65. Lebensjahr vollendet habe. Die vorgelegten Verträge vom 1.6.1994 und 1.8.1996 erfüllten nicht die Voraussetzungen einer Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens iS des § 21 Abs 2 ALG (Bescheid vom 16.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheidesvom 24.5.2006).
Das Sozialgericht (SG) Detmold hat der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der vorgenannten ablehnenden Verwaltungsentscheidung verpflichtet, den bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt vom 7.5.2002 aufzuheben und der Klägerin Rente wegen EU für den Zeitraum vom 1.6.2002 bis 31.3.2005 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu leisten (Urteil vom 13.3.2007). Das SG ist davon ausgegangen, dass das Antragsbegehren der Klägerin bei verständiger Auslegung als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu verstehen und auf Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des Aufhebungsbescheides gerichtet sei. Dieses Begehren sei begründet, weil die Beklagte bei der Aufhebung das Recht unrichtig angewandt habe. Sie habe nicht beachtet, dass die Klägerin schon seit 1987 in einem Pflegeheim untergebracht sei. Die Eheleute hätten im Juni 2002 dauernd getrennt gelebt, so dass die Klägerin keine Fiktivlandwirtin mehr gewesen sei; einer Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens hätte es daher nicht bedurft.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.8.2007). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Aufhebungsbescheides, denn die Beklagte habe zu Recht die Bewilligung gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung ab 1.6.2002 aufgehoben. Eine wesentliche Änderung sei dadurch eingetreten, dass der Klägerin nach dem 65. Geburtstag ihres Ehemannes mangels Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens kein Anspruch auf Rente wegen EU mehr zugestanden habe. Für die Klägerin habe zwar nach § 21 Abs 9 Satz 3 ALG die Abgabe ab 1.4.1995 als erfolgt gegolten. Diese Fiktion habe jedoch nach § 21 Abs 9 Satz 4 iVm Satz 2 ALG nur solange bestanden, bis der andere Ehegatte das 65. Lebensjahr vollendet habe. Dies sei hier mit Ablauf des 17.5.2002 der Fall gewesen. Auch die Voraussetzungen eines anderen Abgabetatbestandes des § 21 ALG lägen nicht vor. Der Pachtvertrag vom 1.8.1996 sei auf unbestimmte Zeit geschlossen worden. Der Vertrag über die befristete Übertragung von Milchreferenzmengen beziehe sich nicht auf die landwirtschaftlich genutzten Flächen. Ein dauerhaftes Getrenntleben von Eheleuten sei keine Abgabe und dieser auch nicht gleichzustellen. Im Übrigen lebten die Klägerin und ihr Ehemann trotz des dauerhaften Aufenthalts der Klägerin im Pflegeheim nicht dauerhaft getrennt, denn ein Trennungswille sei nicht erkennbar. Der Ehemann besuche die Klägerin regelmäßig im Pflegeheim. Auch steuerlich seien die Ehegatten durchgängig gemeinsam veranlagt worden.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 1, § 13 Abs 1 Sätze 1 und 2 und § 21 ALG. Im Hinblick auf ihren Aufenthalt im Pflegeheim seit 1987 liege ein dauerndes Getrenntleben von ihrem Ehemann vor, sodass sie nicht mehr als Fiktivlandwirtin iS des § 1 Abs 3 ALG anzusehen sei. Im Übrigen sei der Hof schon durch die am 1.6.1994 und 1.8.1996 geschlossenen Verträge abgegeben worden. 1994 sei zunächst eine Übertragung der Milchreferenzmengen für die Dauer von zehn Jahren erfolgt; an diese Befristung habe die Überlassung der landwirtschaftlichen Flächen angeknüpft. Der Vertrag vom 1.8.1996 hätte nicht vor Ablauf des 1.6.2004 gekündigt werden können.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 8.8.2007 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Detmold vom 13.3.2007 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dabei lässt es der Senat offen, ob SG und LSG das Antrags- und Klagebegehren verfahrensrechtlich zutreffend als Zugunstenantrag iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X nach bestandskräftiger Entziehung ausgelegt haben ( § 123 SGG) , denn die eine Nachzahlung von Rente aus der Alterssicherung der Landwirte für die Zeit vom 1.6.2002 bis 31.3.2005 ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 16.2.2006 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.5.2006) ist auch dann rechtmäßig, wenn man sie als einen von der früheren Entscheidung unabhängigen "Zweitbescheid" ansieht, der einer vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (zur Abgrenzung vgl Steinwedel, Kasseler Kommentar, Stand Mai 2006, § 44 SGB X RdNr 13 ff). N ach den Vorschriften des materiellen Rechts steht der Klägerin jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum mangels Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens kein Anspruch auf Zahlung einer Rente aus der Alterssicherung der Landwirte zu.
Die der Klägerin durch Bescheid vom 19.10.1995 für die Zeit ab 1.4.1995 zuerkannte Rente wegen EU galt seit der Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 95a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 ALG idF des Art 10 Nr 24 Gesetz vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) ab 1.1.2001als Rente wegen voller Erwerbsminderung. Auch für diese Rente eines Landwirts sah § 13 Abs 1 Satz 1 Nr 4 ALG idF des Art 10 Nr 4 Buchst b Gesetz vom 20.12.2000 (aF) als allgemeine Anspruchsvoraussetzung vor, dass das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist. Entsprechendes galt nach § 11 Abs 1 Nr 3 ALG (in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung ≪aF≫) für die bei der Klägerin nach Vollendung ihres 65. Lebensjahres ab März 2004 (vgl § 30 ALG iVm § 99 SGB VI) in Betracht kommende Regelaltersrente. Ob dieses Abgabeerfordernis in dem streitigen Zeitraum erfüllt war, bestimmte sich nach § 21 ALG idF des Art 10 Nr 8 Gesetz vom 20.12.2000 (ab 1.8.2001 geändert durch Gesetz vom 17.7.2001, BGBl I 1600,- aF) .
Entgegen der Auffassung des SG war das Abgabeerfordernis nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Klägerin seit 1987 auf Dauer in einem Pflegeheim aufgehalten hat. Sie verlor dadurch nicht ihre Eigenschaft als Fiktivlandwirtin iS des § 1 Abs 3 Satz 1 ALG idF des Art 10 Nr 2 Gesetz vom 20.12.2000 (aF), denn der Aufenthalt im Pflegeheim führte - wie schon das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht zu einem dauernden Getrenntleben der Ehegatten. Das in § 1 Abs 3 Satz 1 ALG verwendete Tatbestandsmerkmal des Nicht-dauernd-Getrenntlebens wird in diesem Gesetz nicht näher umschrieben. Der Gesetzgeber konnte jedoch insoweit auf ein in der Rechtsordnung bereits vorhandenes Begriffsverständnis zurückgreifen; denn zum Begriff des Getrenntlebens von Ehegatten gab es bereits eine umfangreiche zivil- und steuergerichtliche Rechtsprechung (vgl Loytved, Zum Nicht-dauernd-Getrenntleben von Landwirtsehegatten, SdL 2002, 371, 372 ff). Dabei sprechen gewichtige Gründe dafür, sich - wie das LSG - bei der Auslegung des § 1 Abs 3 Satz 1 ALG an dem Begriff des Getrenntlebens iS des § 1567 Abs 1 BGB zu orientieren, zumal die Versicherung einer Fiktivlandwirtin keine tatsächliche Mitarbeit des Ehegatten voraussetzt (vgl BSGE 81, 294 = SozR 3-5868 § 1 Nr 1; BSGE 83, 145 = SozR 3-5868 § 1 Nr 2; BSG SozR 4-5868 § 1 Nr 1; BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2).
Nach § 1567 Abs 1 BGB leben die Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und zumindest ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Das Getrenntleben setzt demnach nicht nur das Nichtbestehen der häuslichen Gemeinschaft, sondern auch einen erkennbaren Trennungswillen voraus. Ein dauernder Aufenthalt in einem Pflegeheim erfüllt damit für sich allein noch nicht die Voraussetzungen des § 1567 Abs 1 BGB. In diesem Fall kommt vielmehr dem subjektiven Element besondere Bedeutung zu. Maßgebend ist insoweit, ob ein erkennbarer Trennungswille besteht, der die Aufgabe der bisher noch rudimentär verwirklichten Lebensgemeinschaft betrifft (hierzu BGH FamRZ 1989, 479, 480; OLG Hamm FamRZ 1990, 166, 167; vgl auch BSG SozR 4-2600 § 46 Nr 3 RdNr 25). Ein solcher erkennbarer Trennungswille lag nach den nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffenen und damit den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG im vorliegenden Fall nicht vor.
Gemäß § 13 Abs 1 Nr 4, § 11 Abs 1 Nr 3 ALG aF iVm § 21 ALG aF setzte deshalb auch im vorliegenden Fall der Anspruch auf Rente aus der Alterssicherung der Landwirte für die Klägerin die Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens voraus. Beide Landwirts-Ehegatten mussten sich grundsätzlich von dem Unternehmen trennen und es nach den Vorschriften des § 21 Abs 1, Abs 2 oder Abs 4 ALG aF abgeben, indem sie entweder das Eigentum an einen Dritten übertrugen (Abs 1), die landwirtschaftlich genutzten Flächen mindestens neun Jahre an einen Dritten verpachteten (Abs 2 Satz 1 Nr 1 und Satz 2) , zugunsten eines Dritten die landwirtschaftlich genutzten Flächen mit einem mindestens neunjährigen Nießbrauch belasteten (Abs 2 Satz 1 Nr 2 und Satz 2) , die landwirtschaftliche Nutzung für die Dauer von mindestens neun Jahren unmöglich machten (Abs 2 Satz 1 Nr 3 und Satz 2) oder die landwirtschaftlich genutzten Flächen stilllegten (Abs 4) .
Abweichend von diesem Grundsatz sah § 21 Abs 9 ALG aF bei Ehegatten Ausnahmen vor. Nach Satz 3 dieser Vorschrift galt bei einem Fiktivlandwirt iS des § 1 Abs 3 ALG die Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens ua dann als erfolgt, wenn dieser unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage (vor dem 1.1.2001) erwerbsunfähig oder (ab dem 1.1.2001) voll erwerbsgemindert war. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin jedenfalls seit der Bewilligung der Rente ab 1.4.1995 vor. Diese fingierte Abgabe ermöglicht es dem Landwirt trotz Rentenbezuges des Ehegatten das landwirtschaftliche Unternehmen weiter zu betreiben. Die Abgabefiktion galt nach Satz 4 iVm Satz 2 allerdings nur solange, bis der andere (übernehmende) Ehegatte sein 65. Lebensjahr vollendet hatte oder selbst erwerbsunfähig bzw vollerwerbsgemindert war. Ab diesem Zeitpunkt endete die Abgabefiktion und erlosch der Anspruch des Fiktivlandwirts auf Rente, sofern nicht bis dahin das landwirtschaftliche Unternehmen nach den Bestimmungen des § 21 Abs 1, Abs 2 oder Abs 4 ALG aF tatsächlich abgegeben worden war. So liegt der Fall hier.
Der Ehemann der Klägerin hat mit Ablauf des 17.5.2002 sein 65. Lebensjahr vollendet. Damit endete mangels tatsächlicher Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens der Anspruch der Klägerin auf Rente nach § 30 Abs 1 Satz 1 ALG iVm § 100 Abs 3 Satz 1 SGB VI, § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X mit Ablauf des Monats Mai 2002.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass der Ehemann der Klägerin das landwirtschaftliche Unternehmen tatsächlich nicht vor dem 24.3.2005 abgegeben hat. Unerheblich ist insoweit, ob dieser das landwirtschaftliche Unternehmen im streitigen Zeitraum vom 1.6.2002 bis 31.3.2005 noch selbst betrieben hat. Die Tätigkeit eines selbständigen landwirtschaftlichen Unternehmers iS des § 1 Abs 2 Satz 1 und 2 ALG wird nicht dadurch bestimmt, dass dieser durch den persönlichen Einsatz seiner Arbeitskraft noch selbst im Unternehmen körperlich mitarbeitet. Entscheidend ist insbesondere, dass er das wirtschaftliche Risiko des Unternehmens, nämlich Gewinn und Verlust, selbst trägt (hierzu zB BSG, Urteil vom 30.3.2006 - B 10 KR 2/04 R, SozR 4-5420 § 2 Nr 1 RdNr 20 f mwN).
Eine (tatsächliche) Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens erfordert einen prinzipiell endgültigen Verlust der Unternehmereigenschaft (so schon BSG SozR 5850 § 2 Nr 15 S 34 zu § 2 Abs 3 Satz 1 GAL). Mit der gesetzlich vorgegebenen Langfristigkeit der Abgabe (mindestens neun Jahre) soll das Ziel erreicht werden, für den Abgebenden in Zukunft eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung der Flächen auszuschließen und so eine sinnvolle Weiterbewirtschaftung durch den Übernehmer zu gewährleisten (vgl BSG SozR 3-5868 § 21 Nr 1 S 3 f; BSG SozR 3-5868 § 21 Nr 2 S 9).
Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG davon ausgegangen ist, dass weder der Vertrag vom 1.6.1994 über die Übertragung von Milchreferenzmengen noch der Pachtvertrag vom 1.8.1996 für sich betrachtet die Voraussetzungen einer Abgabe iS des § 21 Abs 1, Abs 2 oder Abs 4 ALG aF erfüllten. Das Berufungsgericht hat den Vertrag vom 1.6.1994 ohne Verstoß gegen Bundesrecht (§ 162 SGG) dahingehend ausgelegt, dass dieser lediglich eine Regelung über die befristete Übertragung von Milchreferenzmengen für die Dauer von 10 Jahren enthält, sich mithin nicht auf die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen bezieht. Zum Inhalt des Pachtvertrages vom 1.8.1996 hat das LSG festgestellt, dass er auf unbestimmte Zeit (ohne Regelung einer Kündigungsmöglichkeit) abgeschlossen worden ist. Diese Feststellungen zum Inhalt der Verträge sind für den Senat bindend (§ 163 SGG), denn es sind insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht worden. Das Revisionsgericht darf die Würdigung von Verträgen durch ein Tatsachengericht nur bezüglich der Rechtsanwendung, also daraufhin prüfen, ob dieses Gericht die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl BSGE 75, 92, 96 = SozR 3-4100 § 141b Nr 10 S 47 mwN). Dabei hat es die in den Urteilen der Tatsacheninstanzen getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu beachten. Nur den Tatsachengerichten obliegt es, den Willen der Vertragsparteien festzustellen.
Ausgehend von seinen (für den Senat bindenden) tatsächlichen Feststellungen zum Inhalt der Verträge ist das LSG im Rahmen der Rechtsanwendung zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Verträge nicht geeignet waren, den Abgabetatbestand des § 21 Abs 2 Satz 1 Nr 1 ALG aF zu erfüllen. § 21 Abs 2 Satz 2 ALG aF verlangt eine langjährige (mindestens neunjährige) Verpachtung landwirtschaftlich genutzter Flächen, die es also dem Verpächter für längere Zeit unmöglich macht, die Flächen landwirtschaftlich zu nutzen. Dies ist vorliegend nicht der Fall, wenn man die Verträge jeweils für sich betrachtet. Der eine Vertrag bezog sich nicht auf Flächen, sondern auf Milchreferenzmengen. Der andere konnte nach § 594 Abs 1 Satz 1 BGB spätestens am dritten Werktag eines Pachtjahres für den Schluss des nächsten Pachtjahres gekündigt werden.
Auch die von der Klägerin mit der Revision in den Vordergrund gerückte Zusammenschau beider Verträge ergibt nichts anderes. Sollte das (vom LSG nicht als Inhalt des Vertrages festgestellte) Vorbringen der Klägerin, der Pachtvertrag vom 1.8.1996 habe nicht vor dem 1.6.2004 (Ablauf des Milchreferenzmengenvertrages) gekündigt werden können, tatsächlich zutreffen, handelte es sich ebenfalls nicht um einen Pachtvertrag, der den Mindestabgabezeitraum von neun Jahren erfüllen würde. Denn es wäre dann von einer Laufzeit des Pachtvertrages vom 1.8.1996 bis 31.5.2004, also von einer Verpachtung für weniger als acht Jahre, auszugehen.
Zutreffend ist das LSG auch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen des Auffangtatbestandes des § 21 Abs 2 Satz 1 Nr 3 und Satz 2 ALG aF ebenfalls nicht gegeben sind, denn es ist nicht ersichtlich, dass durch die vorgenannten Verträge oder sonstige Umstände "die landwirtschaftliche Nutzung (der Flächen) auf eigenes Risiko auf längere Dauer (mindestens neun Jahre) unmöglich gemacht" worden ist. Das LSG hat keine Gegebenheiten festgestellt, die dazu geführt haben können, dass der Ehemann der Klägerin im streitigen Zeitraum auf mindestens neun Jahre keine reale Möglichkeit mehr hatte, sein Unternehmen fortzuführen (so schon BSG SozR 5850 § 2 Nr 15 S 33 f zum sonstigen Verlust der Unternehmereigenschaft iS des § 2 Abs 3 Satz 1 GAL).
Mangels Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens bestand mithin in der Zeit vom 1.6.2002 bis 31.3.2005 kein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw nach Vollendung des 65. Lebensjahres im Februar 2004 auf Altersrente. Dieses Ergebnis begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Verknüpfung zwischen der Gewährung einer Rente und der Abgabe des Hofes durch den Ehemann in § 13 Abs 1 Nr 4 ALG (bzw bei der Altersrente in § 11 Abs 1 Nr 3 ALG) ist nicht verfassungswidrig; denn diese Regelung dient der Erreichung eines mit der landwirtschaftlichen Altersversicherung verfolgten strukturpolitischen Zieles, nämlich die Übergabe landwirtschaftlicher Unternehmen an jüngere Inhaber zu fördern (vgl BVerfG SozR 4-5868 § 1 Nr 3 RdNr 18).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2158003 |
DStR 2009, 1156 |