Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG. hinreichender Nachweis der Wirksamkeit einer bestimmten Therapie. Benennung eines im EU-Ausland tätigen Arztes als Sachverständiger. Unzulässigkeit eines Antrags auf Feststellung überlanger Dauer des Verfahrens in einer Vorinstanz zur Vorbereitung von Entschädigungsansprüchen nach der EMRK (juris: MRK)
Leitsatz (amtlich)
1. Die allgemeine Frage nach dem hinreichenden Nachweis der Wirksamkeit einer bestimmten Therapie kann Gegenstand eines Antrags auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG sein.
2. Die Benennung eines im EU-Ausland tätigen Arztes als Sachverständiger nach § 109 SGG steht dem Antragsrecht jedenfalls dann nicht entgegen, wenn es besondere Gründe für die Auswahl gerade eines solchen Arztes gibt.
3. Ein Antrag auf Feststellung überlanger Dauer des Verfahrens in einer Vorinstanz zur Vorbereitung von Entschädigungsansprüchen nach der EMRK ist unzulässig.
Normenkette
SGG § 55 Abs. 1, § 103 Sätze 1-2, § 109 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2001-08-17; SGB 5 § 2 Abs. 1 S. 3, § 18 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1991-12-20; EWGRL 362/75; EWGRL 363/75; EWGRL 76/82; EWGRL 594/89; EGRL 16/93; MRK Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine auf Kuba durchgeführte Augenbehandlung sowie über die Feststellung einer Menschenrechtsverletzung durch überlange Verfahrensdauer.
Der 1984 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger leidet an Retinitis pigmentosa, einer Netzhauterkrankung, die zu Tunnelblick und in ihrem Endstadium zur Erblindung führt. Im Jahr 2002 beantragte der Kläger - ua auf seine nur noch 3 % bis 5 % betragende Sehfähigkeit hinweisend - die Kostenübernahme für eine sog Kuba-Therapie bei Prof. Dr. P. in Havanna (Kostenvoranschlag 11.741 Euro für Behandlung und Reise mit Begleitperson); dieser Arzt habe eine Therapie entwickelt, die das weitere Absterben der Netzhaut verhindere und das Sehvermögen verbessern könne. Nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK; Dipl.-Med. S.) lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die Behandlungsmethode schulmedizinisch nicht allgemein anerkannt sei (Bescheid vom 19.11.2002; Widerspruchsbescheid vom 5.2.2003).
Vom 10.1. bis 31.1.2003 ließ sich der Kläger auf Kuba auf eigene Kosten entsprechend behandeln.
Das SG hat die im Februar 2003 erhobene, auf Kostenerstattung gerichtete Klage - nach Ermittlungen - abgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 18 Abs 1 SGB V nicht vorlägen. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte führten zu keinem anderen Ergebnis; es fehle sowohl an einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit als auch an wissenschaftlich nachprüfbaren Hinweisen auf einen Behandlungserfolg (Gerichtsbescheid vom 24.3.2006).
Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Die Kuba-Therapie entspreche nicht dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse iS von § 18 Abs 1 SGB V. Nach Stellungnahmen des MDK lehne die überwiegende Mehrheit einschlägiger Fachleute die Methode ab; sie habe auch 20 Jahre nach ihrer Einführung keine nennenswerte Verbreitung gefunden und sei lediglich pauschal auf Kongressen vorgestellt, jedoch der Wissenschaft nicht im Einzelnen zugänglich gemacht worden; abgesehen von einem Ableger in Bologna werde sie nur auf Kuba praktiziert. Es fehlten wissenschaftliche Studien zu ihrer Wirksamkeit. Entsprechend den Ausführungen des SG komme dem Kläger die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) nicht zugute. Seinem Antrag, gemäß § 109 SGG Beweis durch den Sachverständigen Prof. M. /Universität Bologna zu erheben, habe nicht nachgekommen werden müssen, weil er unzulässig sei. Die Vorschrift eröffne kein Recht auf die begehrte Einholung eines Gutachtens über die allgemeine Wirksamkeit einer bestimmten Behandlungsmethode. Der im Berufungsverfahren zusätzlich gestellte Antrag auf Feststellung eines Verstoßes gegen Art 6 Abs 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; BGBl II 1952, 686, neu bekannt gemacht BGBl II 2002, 1054) dadurch, dass es mehr als drei Jahre bis zur Entscheidung des SG gedauert habe, sei unzulässig, weil er nur subsidiär zulässig sei und es für ihn keine Rechtsgrundlage gebe. Nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe eine solche Feststellungsbefugnis; auch sei die Dringlichkeit wegen der bereits durchgeführten Behandlung zweifelhaft (Urteil vom 1.8.2007).
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip, von Art 2 Abs 2 Satz 1 und Art 3 Abs 1 GG, von § 55 SGG iVm Art 6 Abs 1 und Art 13 EMRK von Art 6 Abs 1 EMRK sowie von § 109 SGG: Das LSG habe die verfassungsrechtlichen Maßstäbe einer Leistungsgewährung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verkannt, wie sie dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 zu entnehmen seien. Die Auslegung des Merkmals einer "nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Heilung oder eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf" durch das LSG überschätze zudem - wie ausführlich geltend gemacht wird - die Aussagekraft medizinischer Studien und die Beweiskraft von Statistiken; unter medizintheoretischen und biomathematisch-statistischen Gesichtspunkten sei praktisch jede Behandlung ein "Experiment"; auch müssten vermeintlich auf wissenschaftliche Weise gewonnene Ergebnisse mit Blick auf ökonomische Interessen hinterfragt werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH könnten bei nicht heilbaren Krankheiten erfolgreiche Vorbehandlungen anderer Personen die Wirksamkeit belegen. Hier seien zudem wissenschaftliche Veröffentlichungen über die Kuba-Therapie, ihre Entwicklung an der Universität Havanna und das weltweit hohe Ansehen der kubanischen Medizin Beleg der Erfolgsaussicht. - Das LSG habe Art 2 Abs 2 Satz 1 GG verletzt, weil der BVerfG-Beschluss vom 6.12.2005 auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit betreffe. Art 3 Abs 1 GG sei verletzt, da der BGH privat Krankenversicherten bei schweren und chronischen Krankheiten auch Anspruch auf experimentelle Therapien einräume; Versicherten der GKV dürfe Entsprechendes nicht vorenthalten werden. - Die Verletzung von § 55 SGG iVm Art 6 Abs 1 und Art 13 EMRK ergebe sich aus dem berechtigten Interesse an der Feststellung einer konventionswidrigen überlangen Verfahrensdauer. Liege ein solcher Sachverhalt bereits zu Beginn des Instanzenzuges vor, müsse dem Betroffenen eine wirksame Beschwerdemöglichkeit in Form eines Feststellungsantrags zur Verfügung stehen. Das bereits im Februar 2003 eingeleitete gerichtliche Verfahren leide hier - unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (SozR 4-1500 § 160a Nr 11) - unter einer überlangen Dauer iS von Art 6 Abs 1 EMRK. - Schließlich habe das LSG § 109 SGG verletzt, weil es das beantragte medizinische Gutachten nicht eingeholt habe. Ein entsprechender Antrag müsse sich nicht auf eine Untersuchung bzw Begutachtung des Gesundheitszustandes des Versicherten beziehen, sondern könne auch zur Frage der Wirksamkeitsnachweise einer Behandlungsmethode gestellt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1. August 2007 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 24. März 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2003 zu verurteilen, ihm die Kosten für die Behandlung auf Kuba in der Zeit vom 10.1. bis 31.1.2003 zu erstatten,
ferner,
unter Aufhebung des genannten Urteils des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern festzustellen, dass es einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK darstellt, dass es mehr als drei Jahre dauerte, bis das Sozialgericht entschieden hat, obwohl es selbst davon ausgeht, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist,
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung des genannten Urteils des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das LSG-Urteil vor dem Hintergrund des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 und der dazu ergangenen Rechtsprechung des 1. Senats des BSG für zutreffend und auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht für beanstandungsfrei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), soweit es den Antrag auf Verurteilung der beklagten Ersatzkasse zur Kostenerstattung für die sog Kuba-Therapie betrifft (dazu 1.). In Bezug auf die darüber hinaus begehrte Feststellung eines Verstoßes gegen Art 6 Abs 1 EMRK und die Rüge der Verletzung anderer Regelungen der EMRK durch die Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens ist das LSG-Urteil dagegen nicht zu beanstanden und die Revision insoweit unbegründet und zurückzuweisen (dazu 2.).
1. Das angefochtene LSG-Urteil ist teilweise aufzuheben, weil es zum Teil darauf beruht, dass das LSG es unter Verstoß gegen § 109 SGG abgelehnt hat, das vom Kläger beantragte Gutachten nach dieser Norm einzuholen. Der erkennende Senat kann daher nicht in der Sache selbst abschließend über den Erfolg der Berufung der Klägers gegen den Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG entscheiden.
§ 109 Abs 1 SGG begründet für die dort näher bezeichneten Berechtigten abweichend von § 103 Satz 2 SGG das antragsabhängige Recht darauf, dass das Gericht einen bestimmten Arzt gutachtlich hört (dazu a), wenn ein erhebliches, medizinischer Beurteilung zugängliches Beweisthema betroffen ist (dazu b), bei Benennung eines im Ausland tätigen Arztes ein besonderer Grund hierfür besteht (dazu c), das Antragsrecht nicht verbraucht ist und kein Fall des § 109 Abs 2 SGG (dazu d) vorliegt (vgl Hauck in: Zeihe, SGG, 8. Aufl, Stand 1.11.2009, § 109 RdNr 3a und 4a mwN). Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (§ 109 Abs 1 Satz 2 SGG). Das LSG hat verkannt, dass das vom Kläger benannte Beweisthema "Ist die Wirksamkeit der Kubatherapie ausreichend nachgewiesen?" medizinischer Beurteilung zugänglich und deshalb vom Antragsrecht nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG erfasst ist. Das LSG-Urteil kann auf diesem revisiblen Verfahrensfehler beruhen (dazu e).
a) Der Kläger ist Berechtigter iS des § 109 Abs 1 Satz 1 SGG und hat beim LSG eine Beweiserhebung nach dieser Norm beantragt. Er begehrt nämlich als "Versicherter" der Beklagten Kostenerstattung für seine Kuba-Therapie. Nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG in der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des LSG am 1.8.2007 noch einschlägig gewesenen Fassung (durch Art 17 6. SGG-Änderungsgesetz vom 17.8.2001, BGBl I 2144) muss auf Antrag ua eines Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Nach dem Tatbestand des LSG-Urteils hat der Kläger im Berufungsverfahren ausdrücklich beantragt, Beweis gemäß § 109 SGG durch den Sachverständigen Prof. M./Universität Bologna zu erheben. Er hat dabei auf seinen Schriftsatz vom 27.6.2003 Bezug genommen, in dem er sinngemäß das Beweisthema benannt hat: "Ist die Wirksamkeit der Kubatherapie ausreichend nachgewiesen?" Auch das LSG hat das Beweisthema in dieser Weise verstanden, indem es angenommen hat, dass es dem Kläger um die "Einholung eines allgemeinen Gutachtens" und die Einholung einer "gutachterlichen Stellungnahme zur Wirksamkeit der Methode" gegangen sei.
b) § 109 Abs 1 Satz 1 SGG erzwingt lediglich dann antragsgemäße Beweiserhebung, wenn - wie hier - ein erhebliches, medizinischer Beurteilung zugängliches Beweisthema betroffen ist. Das folgt aus Entstehungsgeschichte, Regelungssystem sowie Sinn und Zweck der Norm, auch wenn der Wortlaut - abgesehen vom Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 109 Abs 2 SGG - bloß verlangt, dass ein Berechtigter beantragt hat, einen bestimmten Arzt gutachtlich zu hören.
Wie schon § 1681 RVO und § 104 Gesetz über das Verfahren in Versorgungssachen vom 10.1.1922 (RGBl I 59) als Vorläufer des § 109 SGG zielt diese Regelung aus rechtsstaatlichen Gründen (vgl BSGE 2, 255, 256) auf die Gleichbehandlung der Beteiligten vor Gericht bei der Beschaffung von Beweismitteln (vgl bereits Reichsversicherungsamt ≪RVA≫ Entscheidung Nr 3129 AN 1928, IV 112; zur Entstehungsgeschichte näher: Gouder, SGb 1984, 89, 91 f). Im Interesse der "Waffengleichheit" und der Gleichbehandlung des betroffenen Rechtsuchenden mit seinem behördlichen Verfahrensgegner schafft § 109 SGG einen gewissen Ausgleich dafür, dass Leistungsträger durch die institutionelle Möglichkeit, zur Sachaufklärung auf eigene bzw beauftragte Sachverständige zurückzugreifen, in der Regel über einen "Beweisvorsprung" verfügen (vgl Hauck in: Zeihe, aaO, § 109 RdNr 1b; Pawlak in: Hennig, SGG, Stand April 2010, § 109 RdNr 5; Peters/Sautter/Wolff, SGG, Stand Mai 2009, § 109 Anm 5, S II/74-71 f; Roller, SGb 2005, 616, 619; Stoll, NZA 1988, 272, 273, 276).
Rechtssystematisch geht es bei § 109 SGG um eine Sonderregelung für das Recht der Beweiserhebung durch Sachverständige. Grundsätzlich erforscht das Gericht den Sachverhalt im sozialgerichtlichen Verfahren von Amts wegen und ist dabei an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 103 Satz 1 und 2 SGG; zur Aufklärungspflicht bereits vor der mündlichen Verhandlung vgl § 106, insbesondere Abs 2 und Abs 3 Nr 4 SGG). Als Ausnahme von der fehlenden Bindung an Beweisanträge regelt § 109 SGG die Pflicht des Gerichts, unter den dort näher genannten Voraussetzungen dennoch einen "bestimmten" Arzt gutachtlich zu hören (vgl zu diesem Zusammenhang zB Kolmetz SGb 2004, 83, 84). Die Ausnahmeregelung soll aber nicht von dem allgemeinen prozessrechtlichen Grundsatz entbinden, dass nur über solche Tatsachen Beweis zu erheben ist, die für die Entscheidung erheblich sind (BSGE 2, 255, 256 mwN). Das Antragsrecht, gerade einen bestimmten "Arzt" zu hören, richtet sich zudem nur an solchen Beweisthemen aus, die einer medizinischen Beurteilung zugänglich sind (vgl BSGE 2, 255, 256 f unter Hinweis bereits auf RVA zu § 1681 RVO, EuM 21, 129 Nr 53; Reichsversorgungsgericht RVGE 7, 279 zu § 104 Verfahrensgesetz vom 10.1.1922, aaO). Ob es um medizinische Tatsachen geht, die für die Entscheidung erheblich sind, bemisst sich nach der materiellen Rechtsauffassung der Tatsacheninstanz (vgl BSGE 2, 255, 257; Hauck in: Zeihe, aaO § 109 RdNr 3d), wobei das genaue Beweisthema nicht benannt werden muss (vgl zB BSG, Urteil vom 7.3.1962 - 9 RV 226/59 -, redaktioneller Leitsatz bei Breith 1962, 945), sondern sich durch Auslegung ergeben kann (zu den Auslegungsgrundsätzen vgl insoweit allgemein BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 6 mwN).
Demgemäß ist auch die Rechtsprechung des BSG schon in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass alle Fragen dem Antragsrecht des § 109 SGG unterliegen, die zu beantworten Aufgabe eines ärztlichen Sachverständigen ist; dazu gehört zB auch die Frage, ob eine bestimmte Heilbehandlung Aussicht auf Erfolg hat (so BSG, Urteil vom 20.8.1963 - 11 RV 430/61 = SozEntsch I/4 BSG § 109 Nr 17 = KOV 1964, 152). Es ist erforderlich, reicht aber auch aus, dass es um eine Tatsachenfrage geht, die einer medizinischen Beurteilung zugänglich ist bzw nur mit Hilfe ärztlichen Fachwissens beantwortet werden kann (vgl zB BSG SozR Nr 31 zu § 109 SGG; BSG SozR 1500 § 109 Nr 1 S 2; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, Stand 48. Lieferung August 2007, § 109 SGG RdNr 16 mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap III RdNr 75). Unzutreffend ist dagegen die in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung anzutreffende Ansicht, ein Antrag nach § 109 SGG über die Eignung einer durchgeführten Heilbehandlung gehe in einem Rechtsstreit über krankenversicherungsrechtliche Leistungspflichten ins Leere, wenn die dabei angewandte Methode nicht wissenschaftlich anerkannt sei (so LSG Rheinland-Pfalz, Breith 1977, 399 ≪Akupunkturbehandlung zur Schmerztherapie≫).
Diese Voraussetzungen waren nach dem insoweit maßgeblichen Rechtsstandpunkt des LSG erfüllt. Die Tatsache, dass die Wirksamkeit der Kuba-Therapie zum Zeitpunkt der Behandlung (vgl zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8, RdNr 23 mwN - Brachytherapie) ausreichend nachgewiesen war, ist nach seiner Sicht nämlich im Rechtsstreit entscheidungserheblich gewesen. Grundsätzlich ruhen nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V (hier anzuwenden idF durch Art 1 Nr 4 Buchstabe a Zweites Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.1991, BGBl I 2325) Ansprüche auf krankenversicherungsrechtliche Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit im SGB nichts Abweichendes bestimmt ist. Ausnahmen können sich ua aus inter- und supranationalem Vertragsrecht ergeben (vgl zB BSGE 98, 257 = SozR 4-6928 Allg Nr 1, RdNr 13 ff mwN). Als eine weitere Ausnahme hiervon bestimmt § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V (hier anzuwenden idF durch Art 1 Nr 6 Buchstabe b Zweites Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.1991, BGBl I 2325): "Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen."
Daran anknüpfend hat das LSG die Frage als entscheidungserheblich angesehen, ob die sog Kuba-Therapie dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse iS von § 18 Abs 1 SGB V entsprach und hat diese Frage, für deren Beantwortung es keine eigene Sachkunde besaß, unter Zuhilfenahme der eingeholten MDK-Gutachten bzw Stellungnahmen des Dipl.-Med. S. verneint. Schon das Tätigwerden und der Rückgriff des Gerichts auf die mit medizinischen Gesichtspunkten untermauerte Stellungnahme eines Arztes belegen hinreichend, dass hier eine nur mit ärztlichem Fachwissen zu beantwortende Frage im Raum stand. Gerade weil es der gutachtlichen Einschätzung des MDK-Arztes folgen wollte und den Sachverhalt als geklärt ansah, musste das LSG - bei entsprechendem Antrag wie hier - dann auch Beweis durch einen ärztlichen Sachverständigen nach § 109 SGG erheben.
c) Der Pflicht, Sachverständigenbeweis nach § 109 SGG zu erheben, stand nicht der Umstand entgegen, dass der Kläger mit Prof. M./Universität Bologna nicht einen in Deutschland, sondern einen in Italien tätigen Arzt als Sachverständigen benannt hat.
Soweit nach überkommener Rechtsprechung "auch Ausländer unter § 109 SGG" fallen, wenn sie als "besonders geeignet" erscheinen, und soweit in diesem Zusammenhang von "im Ausland wohnenden" Ärzten die Rede ist (vgl insgesamt BSG, Urteil vom 27.1.1970 - 9 RV 80/69 - SozR Nr 38 zu § 109 SGG, Leitsatz und Bl Da 27), steht ein solcher Ansatz jedenfalls mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaften (vgl zB Richtlinien 75/362 und 75/363/EWG ≪EWGRL≫ des Rates vom 16.6.1975 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeit von Ärzten ≪ABlEG L 167, 1; 14≫ und die Nachfolgeregelungen in EWGRL 82/76 vom 26.1.1982 ≪ABlEG L 43, 21≫;EWGRL 89/594 vom 30.10.1989 ≪ABlEG L 341, 19≫; EWGRL 93/16 vom 5.4.1993 ≪ABlEG L 165, 1≫) mittlerweile nicht mehr in Einklang und kann nicht mehr beibehalten werden. Sachlicher Anknüpfungspunkt für eine einengende Auslegung des Begriffs "Arzt" in § 109 Abs 1 SGG kann danach weder die Staatsangehörigkeit noch der Wohnsitz des Arztes sein, sondern lediglich der Ort seiner Tätigkeit.
Nach der zitierten Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 27.1.1970 - 9 RV 80/69 - SozR Nr 38 zu § 109 SGG, Bl Da 27) geht es nämlich im Kern allein um die Möglichkeit, den nach § 109 SGG zum Sachverständigen ernannten Arzt notfalls mit Zwangsmitteln dazu zu bringen, pflichtgemäß - nach seiner Bereiterklärung - das Gutachten zu erstatten. § 109 SGG schränkt danach lediglich die Freiheit des Gerichts ein, eine ihm spruchreif erscheinende Sache zu entscheiden; alle übrigen Regeln über den Beweis durch Sachverständige bleiben jedoch unberührt (vgl bereits Teutsch, SGb 1954, 101). Der ernannte Sachverständige ist somit nach den §§ 407, 407a, 409, 411 ZPO zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet, er kann im Weigerungsfalle mit einem Ordnungsgeld belegt und notfalls durch Wiederholung zur Erstattung des Gutachtens sowie zum Erscheinen vor Gericht gezwungen werden. Der nach § 109 SGG zum Sachverständigen ernannte Arzt muss deshalb in diesem Sinne für die deutsche Gerichtsbarkeit erreichbar sein. Dies ist aber bei einem im Ausland befindlichen Arzt grundsätzlich nicht der Fall. Denn die deutsche Gerichtsbarkeit macht an den Grenzen Deutschlands halt (vgl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl 2010, § 363 RdNr 2). Es kann daher nicht der Sinn des § 109 SGG sein, das deutsche Gericht zur Anhörung eines Sachverständigen im Ausland zu zwingen, obwohl dieser nicht den Vorschriften des deutschen Prozessrechts unterliegt und deshalb die Beweisaufnahme nach den geltenden Verfahrensvorschriften nicht durchgeführt werden kann oder das Gericht zumindest die ordnungsgemäße Prozessführung aus der Hand geben müsste. Damit kann aber eine uneingeschränkte Pflicht des Gerichts, nach § 109 SGG auch einen lediglich im Ausland tätigen Arzt entweder unmittelbar oder durch Vermittlung einer ausländischen Behörde (§§ 363, 402 ZPO) mit der Erstattung eines Gutachtens zu beauftragen, nicht anerkannt werden. Das Recht auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG findet daher weiterhin grundsätzlich dort seine Grenze, wo auch der deutschen Gerichtsbarkeit Schranken gesetzt sind, nämlich an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland.
Ob insoweit durch die Regelung der §§ 1072 ff ZPO aufgrund der Verordnung (EG) Nr 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (ABl EG L 174, 1) für alle Verfahren nach dem SGG eine Erweiterung stattgefunden hat, weil der Begriff der Zivil- oder Handelssachen europarechtskonform weit auszulegen ist, bedarf hier indes keiner Vertiefung. Auch soweit diese Regelungen nicht über § 202 SGG in Verfahren nach dem SGG einbezogen sind, muss das Gericht dem Antrag auf Anhörung eines im Ausland wohnhaften Arztes jedenfalls dann entsprechen, wenn besondere Gründe für die Auswahl gerade eines solchen Arztes vorliegen (so BSG SozR Nr 38 zu § 109 SGG; Hauck in: Zeihe, aaO, § 109 RdNr 4a; Pawlak in: Hennig, aaO, § 109 RdNr 25; weitergehend Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 109 RdNr 5a; Roller in: Lüdtke, Hk-SGG, 3. Aufl 2009, § 109 RdNr 7). Das ist zB anzunehmen, wenn eine Spezialfrage zu beantworten ist und der ausländische Arzt hierfür eine besondere Sachkunde aufweist (so: Keller und Roller, ebenda). Vergleichbares macht auch vorliegend der Kläger geltend, indem er sich darauf stützt, dass gerade ua dieser Arzt in Bologna die gewünschte "Kuba-Therapie" im Kern ebenfalls in Europa mit Erfolg angewandt habe.
d) Das Antragsrecht des Klägers nach § 109 SGG war im LSG-Verfahren auch nicht verbraucht, da bisher kein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt wurde (vgl hierzu allgemein zB BSG SozR Nr 18 zu § 109 SGG; Hauck in: Zeihe, aaO, § 109 RdNr 4a). Nach den unangegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) liegt auch kein Fall des § 109 Abs 2 SGG vor.
e) Der erkennende Senat kann die Revision des Klägers auch nicht deshalb zurückweisen, weil die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung ergeben, die Entscheidung sich selbst aber aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG). Vielmehr kann das LSG-Urteil auf dem revisiblen Verfahrensfehler beruhen.
aa) Das LSG hat durch die unterlassene Beweisaufnahme §109 Abs 1 SGG verletzt und so die Verfahrensrechte des Klägers als Versicherter auf Einholung eines Gutachtens verkürzt. Ein Verstoß gegen § 109 SGG stellt - anders als im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG) - einen im Revisionsverfahren beachtlichen Verfahrensfehler dar (so schon BSGE 2, 255, 258 und Leitsatz 1; ebenso zB BSG SozR 3-1500 § 109 Nr 1).
bb) Das LSG-Urteil stellt sich selbst auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Allerdings hat das LSG in verfahrensrechtlicher Hinsicht schon nicht beachtet, dass eine Klage auf Kostenerstattung beziffert werden und vom Gericht auf einen entsprechenden Antrag hingewirkt werden muss (vgl zB zuletzt BSG, Urteil vom 30.6.2009 - B 1 KR 5/09 R, RdNr 14, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 vorgesehen). Weil das LSG hierauf aber bisher nicht hingewirkt hat, ist dem Kläger Gelegenheit zur Bezifferung seines Erstattungsbegehrens zu geben.
Entgegen dem Revisionsvorbringen des Klägers führt die - hier in Betracht kommende - grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 SGB V nicht dazu, dass unabhängig von wissenschaftlichen Maßstäben allein die entfernte Hoffnung auf eine positive Einwirkung der "Kuba-Therapie" zu einer Kostenerstattung zwingt, sodass - nach Bezifferung des Begehrens - ohne weitere Beweisaufnahme der Klage stattgegeben werden könnte.
Grundsätzlich setzt ein Kostenerstattungsanspruch aus § 18 SGB V nach der Rechtsprechung des Senats ua voraus, dass die Leistung im Ausland den Kriterien des Qualitätsgebots (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V ) entsprochen hat. Das wiederum ist der Fall, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSGE 84, 90 , 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f - Kozijavkin I; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23 ff - Kozijavkin II; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 22 - Kozijavkin III).
Abmilderungen dieser Anforderungen kommen indes infolge grundrechtsorientierter Auslegung der Regelungen des Leistungsrechts der GKV im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) und die dazu inzwischen ergangene umfangreiche Folgerechtsprechung des Senats (vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 und 30 f mwN - Tomudex; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 20 ff mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16, RdNr 9 mwN - ICL; vgl zu weiteren Anwendungsfällen zB: Kretschmer, MEDSACH 2009, 54 ff) auch im Anwendungsbereich des § 18 SGB V in Betracht (vgl Hauck in: Festschrift 50 Jahre saarländische Sozialgerichtsbarkeit, 2009, S 49, 67). Ist für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der GKV zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich, besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach § 18 SGB V.
Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21, 29 mwN - Tomudex), sondern abweichend von der Rechtsauffassung des LSG auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden - hier auch vom Kläger geltend gemachten - Erblindung in Betracht (vgl BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose); hochgradige Sehstörungen reichen demgegenüber nicht schon aus (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 13 ff mwN - ICL).
Die Folge der verfassungskonformen Auslegung ist es indessen, dass selbst bei Vorliegen einer notstandsähnlichen behandlungsbedürftigen Situation zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten bei neuen Behandlungsmethoden ebenso die Einhaltung des Arztvorbehalts (§ 15 SGB V) und die Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich bleiben. Gleichermaßen ist das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (vgl näher BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 22 ff mwN - LITT). Dies ändert mithin nichts an der Heranziehung und Maßgeblichkeit allein wissenschaftlicher Maßstäbe zur Beurteilung eines Behandlungserfolgs im Recht der GKV, wie sie sich zB in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V und auch in § 18 Abs 1 SGB V niederschlagen und in Sondersituationen evidenzbezogen abgestuft zur Anwendung gelangen können (vgl auch BVerfG, Beschluss vom 28.8.2007 - 1 BvR 1617/05 - zur "Kuba-Therapie" bei Retinitis pigmentosa, Verfassungsbeschwerde ua gerichtet gegen den Beschluss des Senats vom 15.6.2005 - B 1 KR 111/04 B und das Urteil des Bayerischen LSG vom 11.11.2004 - L 4 KR 296/03).
Ebenso führt das Vorbringen des Klägers zu keinem anderen Ergebnis, dass Art 3 Abs 1 GG verletzt sei, weil die zivilgerichtliche Rechtsprechung (BGH, VersR 1982, 285; BGH, NJW 1993, 2369) privat Krankenversicherten bei schweren und chronischen Krankheiten auch Anspruch auf experimentelle Therapien einräume und Versicherten der GKV Entsprechendes nicht vorenthalten werden dürfe. Dem BVerfG war in seinem Beschluss vom 6.12.2005 (aaO) die Rechtslage in der privaten Krankenversicherung durchaus bewusst (vgl BVerfGE 115, 25, juris RdNr 44, 45, insoweit in SozR nicht abgedruckt); gleichwohl hat das BVerfG angesichts der Besonderheiten der GKV von Verfassungs wegen keine uneingeschränkte Übertragung von Maßstäben aus dem Leistungsrecht der privaten Krankenversicherung angeordnet, sondern hierfür bereichsspezifische Grundsätze aufgestellt. Leistungs- und Erstattungsansprüche des Klägers über diese Rechtsprechung und die konkretisierenden, verfassungsgerichtlich nicht beanstandeten Maßstäbe der Folgerechtsprechung des BSG hinaus scheiden damit aus.
f) Nach alledem ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Bei seiner ggf neu zu treffenden Entscheidung ist das LSG an die unter a) bis e) dargestellte Beurteilung der Rechtslage durch den Senat gebunden (§ 170 Abs 5 SGG). Das gilt sowohl hinsichtlich der Pflicht und der Grenzen zur Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG als auch in Bezug auf die Ausführungen unter e) bb) zu den materiell-rechtlichen Anforderungen an eine hier vom Kläger geltend gemachte verfassungskonforme Auslegung der leistungsrechtlichen Regelungen des Rechts der GKV sowie zu den Anforderungen an einen auf § 18 SGB V gestützten Anspruch, der auch im Lichte dieser Grundsätze zu würdigen ist.
2. Die Revision des Klägers ist indessen spruchreif und zurückzuweisen, soweit der Kläger die Verletzung von § 55 SGG und Regelungen der EMRK rügt. Der Antrag, "festzustellen, dass es einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK darstellt, dass es mehr als drei Jahre dauerte, bis das SG entschieden hat, obwohl es selbst davon ausgeht, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist", ist unzulässig, wie das LSG im Kern zutreffend entschieden hat.
Für den erstmals im Berufungsverfahren gestellten Feststellungsantrag fehlt es - unbeschadet der Frage, ob es sich dabei um eine zulässige Klageerweiterung (§ 99 SGG) handelte - an einem allgemeinen Rechtsschutz- und Feststellungsinteresse (zum fehlenden Anspruch auf förmliche Feststellung einer Menschenrechtsverletzung durch überlange Verfahrensdauer bereits: BSG ≪9. Senat≫ SozR 4-3100 § 60 Nr 4 Leitsatz 3 und RdNr 66 ff). Ein solches Interesse ist generell zu verneinen, wenn (außerhalb von Spezialregelungen) einzelne Verfahrensakte und vermeintliche Verfahrensfehler des Gerichts isoliert neben dem Hauptbegehren des Rechtsuchenden (hier: Aufhebung des Berufungsurteils und Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung) zur Überprüfung durch ein Rechtsmittelgericht gestellt werden sollen (vgl § 172 Abs 1 und 2, § 177 SGG; § 153 SGG iVm § 512 ZPO; § 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO). Unselbstständige verfahrensbezogene gerichtliche Akte sind vielmehr im Zusammenhang mit der instanzabschließenden Entscheidung vom Rechtsmittelgericht im Rahmen der Regelungen des Prozessrechts regelmäßig ohnehin rechtlich mit zu überprüfen. Speziell bezogen auf ein gesondertes, vom Kläger hervorgehobenes Feststellungsinteresse gilt, dass ein einzelnes Element eines Rechtsverhältnisses nur ausnahmsweise Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann, nämlich dann, wenn durch diese der zwischen den Beteiligten bestehende Streit im Ganzen bereinigt wird (vgl zuletzt zB BSG, Urteil vom 27.10.2009 - B 1 KR 4/09 R - RdNr 36 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG SozR 3-2500 § 124 Nr 9 S 58 mwN; Keller in: Meyer-Ladewig, ua, aaO, § 55 RdNr 9, 9a mwN); nichts anderes gilt erst recht, wenn das streitige Rechtsverhältnis in prozessualen Fragen im Rahmen eines ohnehin anhängigen Rechtsstreits besteht. Welches über die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen hinausgehende rechtliche Interesse der Kläger an der Entscheidung des Senats über den Feststellungsantrag haben könnte, ist auch nicht ersichtlich. So macht er selbst nicht etwa geltend, dass ihm der in der Hauptsache begehrte (materielle) krankenversicherungsrechtliche Kostenerstattungsanspruch deshalb zustehe, weil das SG-Verfahren überlang gedauert habe. Insgesamt hat die in einem Revisionsverfahren erhobene Rüge der überlangen Verfahrensdauer letztlich keinen Sinn, weil entsprechende Mängel im Vorgehen eines Gerichts sowieso nicht mehr behoben werden können und eine - denkbare - darauf gestützte Zurückverweisung zu einer weiteren Verfahrensverzögerung führen würde (vgl Klaus, jurisPR-SozR 8/2008 Anm 3 unter C.).
Eine Anspruchsgrundlage für einen durch eine überlange gerichtliche Verfahrensdauer eingetretenen Schaden, der schon in dem zugrunde liegenden Rechtsstreit selbst geltend gemacht werden könnte, kennt das nationale Recht im Übrigen aktuell nicht (vgl dagegen zur Möglichkeit von Ansprüchen des Betroffenen aus Amtshaftung ≪§ 839 BGB≫ sowie aus enteignungsgleichem Eingriff bei vermeidbaren Verzögerungen durch gerichtliche Entscheidungen: BGHZ 170, 260 = NJW 2007, 830). Lediglich Art 41 EMRK eröffnet einer verletzten Partei schon im Zuge eines noch laufenden Rechtsstreits einen Anspruch auf "eine gerechte Entschädigung", wenn der EGMR feststellt, dass die EMRK verletzt worden ist und das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung gestattet; in einem solchen Fall spricht der EGMR eine solche Entschädigung zu, "wenn dies notwendig ist". Die richterrechtliche Anerkennung außerordentlicher Rechtsbehelfe im nationalen Recht zur Vorbereitung der Durchsetzung derartiger Entschädigungsansprüche nach der EMRK scheidet aus. Denn gesetzlich nicht vorgesehene, richterrechtlich geschaffene Rechtsmittel verstoßen im deutschen Recht gegen das Gebot der Rechtsmittelklarheit und sind somit nicht statthaft (vgl BVerfGE 107, 395, 416 ff = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 RdNr 56 ff; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 11; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 18 RdNr 18 f; Leitherer in: Meyer-Ladewig, ua, aaO, § 172 RdNr 8 mwN; abweichend in Bezug auf überlange Verfahrensdauer im Rahmen einer Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde: BSG ≪4. Senat≫ SozR 4-1500 § 160a Nr 11).
Selbst wenn man indessen unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (SozR 4-3100 § 60 Nr 4 Leitsatz 3 und RdNr 68) das Revisionsgericht für berechtigt hält, bei seiner Revisionsentscheidung über das Vorliegen einer überlangen Verfahrensdauer in den Vorinstanzen mit zu befinden, führt dies hier zu keinem dem Kläger günstigen Ergebnis. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass vorliegend entgegen der Ansicht des Klägers nicht ohne Weiteres davon auszugehen ist, dass das im Februar 2003 eingeleitete sozialgerichtliche Verfahren unter einer verfahrensfehlerhaften überlangen Dauer iS von Art 6 Abs 1 EMRK gelitten hat. Der EGMR macht das Vorliegen einer angemessenen Verfahrensdauer nicht von einem schematischen Zeitablauf abhängig, sondern beurteilt die Angemessenheit im Lichte der Umstände der Rechtssache, des Verhaltens der Beschwerdeführer und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für die Beschwerdeführer und auch unter Berücksichtigung der Komplexität und Schwierigkeit des Falles (vgl zB EGMR, Urteil vom 22.12.2009 - Individualbeschwerde Nr 10053/08, RdNr 41; EGMR, Urteil vom 26.4.2007 - Individualbeschwerde Nr 30979/96, RdNr 43, ECHR 2000-VII; vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig, ua, aaO, RdNr 3f Vor § 143 mwN). Das SG-Verfahren hat hier bis zur Entscheidung durch den Gerichtsbescheid vom 24.3.2006 etwa drei Jahre gedauert und ist in eine Zeit gefallen, in der erst der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (aaO) Klarheit über die höchst umstritten gewesenen maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze bei der Behandlung schwerster Krankheiten und die sich daraus ergebenden Folgerungen für Leistungsansprüche von Versicherten der GKV brachte.
3. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 2342456 |
BSGE 2011, 81 |
DB 2010, 19 |