Entscheidungsstichwort (Thema)
Waisenrente. Auffüllbetrag. umgewandelte DDR-Rente. freiwilliges soziales Jahr
Leitsatz (amtlich)
Ist eine nach dem Recht der DDR rechtmäßig gewährte (Halb-)Waisenrente ab 1.1.1992 in eine SGB VI-Rente umgewandelt worden, und ist die neue Rente niedriger als der bisherige Zahlbetrag, so fällt der gewährte Auffüllbetrag nicht schon dann fort, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Rente nach DDR-Recht wegen einer Änderung der Verhältnisse (hier: Ableisten eines freiwilligen sozialen Jahres) nicht mehr vorliegen.
Normenkette
SGB VI §§ 48, 302, 307a, 315a S. 1, §§ 319a, 319b; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1; RÜG; Rü-ErgG; SozPflVRV § 21 Abs. 2, § 18 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die erneute Zahlung eines zuvor weggefallenen Auffüllbetrags zu seiner Halbwaisenrente.
Der im Januar 1984 geborene Kläger bezog ab 1988 nach der (Ersten) Rentenverordnung der DDR vom 23. November 1979 (RentV-DDR) aus der Sozialpflichtversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) eine Halbwaisenrente; diese wurde nach der Wiedervereinigung nach Maßgabe des Einigungsvertrags (EinigVtr) zunächst weitergezahlt. Ab Januar 1992 erhielt der Kläger neben der in eine Halbwaisenrente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) umgewerteten Rente einen Auffüllbetrag; ab 1. Juli 2000 ergab sich insgesamt ein Zahlbetrag in Höhe von DM 458,16/Monat (SGB VI-Rente: DM 314,71; Auffüllbetrag: DM 182,20; insgesamt: DM 496,91 brutto). Nach Beendigung der Schulausbildung leistete er ab 1. September 2000 ein freiwilliges soziales Jahr ab. Mit Wirkung ab diesem Tage hob die Beklagte (mit Bescheid vom 12. Juli 2000 und Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2000; letztinstanzlich bestätigt durch das Sächsische Landessozialgericht ≪LSG≫, Urteil vom 7. Mai 2002 – L 5 RJ 319/01) die Bewilligung des Auffüllbetrags mit der Begründung auf, dass während des freiwilligen sozialen Jahres die Anspruchsvoraussetzungen für eine Waisenrente nach der RentV-DDR nicht mehr erfüllt seien.
Am 3. September 2001 begann der Kläger eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Seinen im Oktober 2001 gestellten Antrag auf erneute Auszahlung des Auffüllbetrags lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, zwar habe der Kläger vor Vollendung des 18. Lebensjahres eine Lehrausbildung aufgenommen und erfülle damit an sich wieder die Voraussetzungen der RentV-DDR für eine Waisenrente; sei jedoch ein Anspruch nach altem Recht der ehemaligen DDR einmal entfallen, könne ein erneuter Anspruch auf einen Auffüllbetrag nicht mehr entstehen (Bescheid vom 16. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Dezember 2001).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Oktober 2001 Halbwaisenrente unter Berücksichtigung eines Auffüllbetrags nach § 315a SGB VI zu bewilligen (Gerichtsbescheid vom 1. April 2003). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 27. Januar 2004). Es hat sein Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Aufhebung der Bewilligung eines Rechts auf Auffüllbetrag ab Beginn des freiwilligen sozialen Jahres habe nur bewirkt, dass hieraus keine Zahlungsansprüche hätten abgeleitet werden können, solange keiner der einschlägigen Verlängerungstatbestände der RentV-DDR vorgelegen habe. Das subjektive Recht auf den Auffüllbetrag bestehe jedoch solange fort, wie aus dem “Quellrecht”, dem im Jahre 1988 zuerkannten Recht auf Halbwaisenrente, noch Ansprüche entstehen könnten. Die einzelnen Tatbestände der RentV-DDR stellten nicht jeweils eine “Halbwaisenrente sui generis” dar.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 315a SGB VI. Dass ein einmal weggefallener Anspruch auf einen Auffüllbetrag nicht wieder auflebe, folge bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, weil hierin vorausgesetzt werde, dass der Anspruch “weiterhin” bestehen müsse. Dies entspreche auch dem Normzweck. Es handele sich um eine Übergangsregelung, die eng auszulegen sei. Nach dem Wegfall des Auffüllbetrags liege kein erneutes Schutzbedürfnis des Klägers vor. Im Übrigen werde hierdurch die Gleichbehandlung von Bestandsrentnern mit solchen Berechtigten gewahrt, deren Rente erst in der Übergangszeit von Januar 1992 bis Dezember 1996 beginne.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 1. April 2003 sowie das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt ua vor, das freiwillige soziale Jahr habe lediglich eine Zwangspause ausgefüllt, weil die Ausbildung entsprechend seinem Berufswunsch erst mit Vollendung des 17. Lebensjahres habe beginnen können. Der Sinn der Übergangsvorschrift des § 315a SGB VI liege darin, eine durch die Rechtsüberleitung bedingte finanzielle Schlechterstellung zu vermeiden. Dies erfordere jedoch die erneute Zahlung des Auffüllbetrags auch dann, wenn seine Voraussetzungen vorübergehend nicht vorgelegen hätten. Er (der Kläger) würde sonst schlechter behandelt als jene Bestandsrentner, bei denen die Voraussetzungen zur Zahlung des Auffüllbetrags niemals weggefallen seien.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zu Recht ist die Beklagte verurteilt worden, dem Kläger ab 1. Oktober 2001 Halbwaisenrente einschließlich eines Auffüllbetrags zu leisten.
Streitgegenstand ist allein der Anspruch des Klägers auf den Auffüllbetrag als solchen zu seiner Halbwaisenrente, nicht die gewährte Halbwaisenrente selbst, denn so genannte Zusatzleistungen (wie der Auffüllbetrag) sind nicht Bestandteil der SGB VI-Rente, sondern Leistungen eigener Art; das Recht auf einen Auffüllbetrag ist daher gegenüber dem Recht auf Rente ein besonderer Streitgegenstand (vgl BSG SozR 3-2600 § 319b Nr 1; Bundessozialgericht ≪BSG≫ Urteil vom 6. März 2003 – B 4 RA 13/02 R). Zeitlich ist streitgegenständlich nur der Anspruch des Klägers auf einen Auffüllbetrag ab Oktober 2001, weil er gegen die Entscheidung des SG vom 1. April 2003, mit der die Klage auf Halbwaisenrente bereits ab September 2001 insoweit abgewiesen worden ist, keine Berufung eingelegt hat und im vorliegenden Verfahren für Zeiträume davor keine Klage erhoben hatte.
Dem Kläger steht der streitige Anspruch auf Zahlung des Auffüllbetrags ab 1. Oktober 2001 zu, weil ihm diese Leistung bereits auch für den Unterbrechungszeitraum von September 2000 bis September 2001 zu erbringen gewesen wäre. Der Senat hatte über das Begehren auch in dieser Hinsicht zu entscheiden, weil der Antrag des Klägers auf (erneute) Bewilligung des Auffüllbetrags zugleich als Antrag auf Überprüfung des Aufhebungsbescheids zu werten war, wenn er – wie hier – nur so sein Ziel erreichen kann. Im Zweifel muss nämlich auch ein Leistungsträger davon ausgehen, dass ein Antragsteller alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zustehen könnte (vgl Senatsurteil vom 23. Mai 2006 – B 13 RJ 38/05 R – mwN).
Der Anspruch des Klägers richtet sich nicht nach § 48 Abs 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X), sondern nach § 44 des Gesetzes. Denn mit der Aufnahme seiner Ausbildung im September 2001 war keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen des Klägers eingetreten; vielmehr war bereits die Zahlung des Auffüllbetrags zu Unrecht ab September 2000 eingestellt worden. § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X lautet: “Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.” Abs 4 der Vorschrift lautet: “Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkende Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.”
Der Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Dezember 2001 hat zu Unrecht die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts vom 12. Juli 2000 abgelehnt. Mit seinem Antrag vom 9. Oktober 2001, ihm den Auffüllbetrag erneut zu gewähren, hat der Kläger sinngemäß auch einen Antrag auf Überprüfung des den Auffüllbetrag einstellenden Verwaltungsakts gestellt. Denn ihm geht es darum, diese Leistung zu erhalten; der rechtliche Gesichtspunkt zur Begründung des entsprechenden Anspruchs (ob ihm die Leistung im streitigen Zeitraum “wieder” – § 48 Abs 1 SGB X – oder aber “nach wie vor” – § 44 SGB X – zusteht) kann ihm einerlei sein (vgl auch Steiner, SGb 2006, 316, 318). Die Einstellung des Auffüllbetrags wegen Ableisten eines freiwilligen sozialen Jahres durch den Aufhebungsbescheid vom 12. Juli 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2000 war von Anfang an rechtswidrig. Denn dem Kläger stand der Auffüllbetrag weiterhin zu, weil er unverändert Anspruch auf Waisenrente hatte und seine SGB VI-Rente – jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG – niedriger war als der ihm im Dezember 1991 zustehende Rentenbetrag. Der Umstand, dass die Klage gegen den Aufhebungsbescheid rechtskräftig abgewiesen wurde (letztinstanzlich durch das Urteil des LSG vom 7. Mai 2002 – L 5 RJ 319/01), ändert hieran nichts (vgl BSG vom 28. Januar 1981, BSGE 51, 139, 142 = SozR 3900 § 40 Nr 15; BSG vom 22. April 1986, SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 94).
Der Anspruch auf den Auffüllbetrag richtet sich nach § 315a SGB VI. Satz 1 der Vorschrift lautet: “Ist der für den Berechtigten nach Anwendung des § 307a ermittelte Monatsbetrag der Rente für Dezember 1991 niedriger als der für denselben Monat ausgezahlte und nach dem am 31. Dezember 1991 geltenden Recht oder nach § 302a Abs 3 weiterhin zustehende Rentenbetrag einschließlich des Ehegattenzuschlags, wird ein Auffüllbetrag in Höhe der Differenz geleistet.”
Bei der Halbwaisenrente des Klägers handelt es sich um eine Rente, die in diesem Sinne umgewandelt worden ist. Dem Kläger stand im Dezember 1991 Halbwaisenrente aus der Sozialpflichtversicherung und der FZR nach § 21 iVm § 18 Abs 3 der RentV-DDR zu. Sie war ihm mit Bescheiden der Staatlichen Versicherung der DDR vom 7. September 1988 bewilligt worden. Für die Dauer der Zahlung der Waisenrente galten gemäß § 21 Abs 2 RentV-DDR die gleichen Voraussetzungen, die gemäß § 18 Abs 3 dieser Verordnung für die Dauer der Zahlung des Kinderzuschlags maßgebend waren. Hiernach wiederum wurde der Kinderzuschlag bis zur Beendigung des Besuchs der dort genannten Schulen gewährt, mindestens jedoch bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres (§ 18 Abs 3 Buchst a, letzter Teilsatz RentV-DDR). Der damals 7-jährige Kläger erfüllte im Dezember 1991 diese Voraussetzungen. Umgewandelte Bestandsrenten werden ab 1. Januar 1992 als SGB VI-Renten geleistet (BSG SozR 3-2600 § 319b Nr 3). Der Anspruch auf Waisenrente nach § 48 SGB VI bestand – jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG – noch. Dies ist auch unter den Beteiligten nicht streitig; so hat die Beklagte dem Kläger die Halbwaisenrente durchgängig gewährt.
Die Höhe des Auffüllbetrags ab Januar 1992 ergibt sich aus einem Vergleich der in Anwendung von § 307a SGB VI (fiktiv für Dezember 1991) ermittelten SGB VI-Rente mit der zuletzt für den Monat Dezember 1991 nach dem bis dahin anzuwendenden Rentenrecht des Beitrittsgebiets gezahlten “Beitrittsgebietsrente” (BSG vom 21. April 1999, SozR 3-2600 § 315a Nr 1 S 3 f; entsprechend bereits BSG vom 30. Juni 1998, SozR 3-2600 § 319b Nr 1 S 5 f). Die Leistung des Auffüllbetrags setzt voraus, dass die sich aus der Umwertung nach § 307a SGB VI ergebende SGB VI-Rente (hier: in Höhe eines fiktiven Monatsbetrags für Dezember 1991; fiktiv deshalb, weil das SGB VI erst zum 1. Januar 1992 in Kraft getreten ist und der einschlägige Personenkreis deshalb für Dezember 1991 noch Rente nach dem bisher maßgeblichen Recht erhielt) niedriger war als der Rentenbetrag, der dem Berechtigten für Dezember 1991 ausgezahlt worden war (zu der in § 315a Satz 2 Halbsatz 1 SGB VI geregelten Erhöhung dieses Zahlbetrags um 6,84 vH s Senatsurteil vom 29. Juni 2000, SozR 3-2600 § 307a Nr 15 S 91 f mwN). Dies war beim Kläger – seit 1992 unverändert – auch in dem streitbefangenen Zeitraum der Fall. Denn trotz des ab 1. Januar 1996 erfolgten Abschmelzens des Auffüllbetrags (§ 315a Satz 4 und 5 SGB VI) stand ihm zum Zeitpunkt der Einstellung des Auffüllbetrags mit Beginn des freiwilligen sozialen Jahres ab 1. September 2000 auch noch nach der Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 ein Auffüllbetrag zu der Halbwaisenrente in Höhe von DM 182,20 zu.
Im Gegensatz zur Rechtsmeinung des LSG und der Beklagten ist nicht Anspruchsvoraussetzung des § 315a SGB VI, dass die Voraussetzungen für die ehemalige DDR-Rente (hier nach der RentV-DDR) fortwährend vorliegen müssen. Vielmehr ist der Auffüllbetrag weiter zu gewähren, solange die Voraussetzungen für die SGB VI-Rente vorliegen und soweit sich nach dem zulässigen “Abschmelzen” bei den Rentenanpassungen ein Unterschiedsbetrag errechnet. Auf die von der Beklagten problematisierte Frage, ob der Auffüllbetrag auch wieder zu leisten ist, wenn er einmal weggefallen ist, kommt es somit nicht mehr an. Unmaßgeblich ist jedenfalls ein – wie hier – rechtswidriges zeitweises Einstellen des Auffüllbetrags.
Zu Unrecht leiten das LSG und die Beklagte aus der Formulierung des § 315a Satz 1 SGB VI “… nach dem am 31. Dezember 1991 geltenden Recht … weiterhin zustehenden Rentenbetrag” ab, dass für die Zahlung des Auffüllbetrags auch über den 1. Januar 1992 hinaus die Voraussetzungen nach DDR-Recht (hier der RentV-DDR) vorliegen müssen. Auch in der Literatur wird durchgängig die Rechtsansicht vertreten, dass sich der Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen nach dem Recht der DDR, dh nach der RentV-DDR richte; dies wird in der Regel nicht näher begründet, sondern in der Regel wird formal aus dem Wortlaut auf ein Weitergelten des DDR-Rechts geschlossen (vgl Maier/Heller in Berliner Komm, § 315a SGB VI RdNr 10, Stand 1995; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, § 315a Anm 2, Stand 1998; D. Eyrich in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 3 – Rentenversicherungsrecht, 1999, § 71 RdNr 63; Polster in Kasseler Komm, § 315a SGB VI RdNr 13, Stand 1999; Kees in GemeinschaftsKomm-SGB VI, § 315a RdNr 29, Stand 2000; VerbandsKomm SGB VI, § 315a SGB VI Anm 2.1, Stand 2002; Kreikebohm in ders, SGB VI, 2. Aufl 2003, § 315a RdNr 15; Diel in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 315a RdNr 24, Stand 2004; Brettschneider in Jahn, SGB VI für die Praxis, § 315a SGB VI RdNr 7).
Diese Meinung beruht jedoch auf einem irrigen Verständnis der entsprechenden Rechtsgrundlagen. Der Auslegung des LSG und der Beklagten stehen allgemeine gesetzessystematische Erwägungen entgegen. Nach der Grundregel der Rentenüberleitung hat das Recht der DDR mit dem 31. Dezember 1991 seine Geltung verloren. Die nach dem früheren Recht der DDR begründeten Rechte, Ansprüche und Anwartschaften sind seit dem 1. Januar 1992 im Wege (abermaliger) gesetzlicher Novation grundsätzlich durch die entsprechenden Rechte, Ansprüche und Anwartschaften (originär) bundesdeutschen Rechts, insbesondere nach dem SGB VI, ersetzt worden. Die hierin liegende Systementscheidung (grundlegend BSG vom 27. Januar 1993, BSGE 72, 50, 65 = SozR 3-8570 § 10 Nr 1; BSG vom 5. März 1996, BSGE 78, 41, 50 = SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr 9 Nr 5) hat Bedeutung nicht nur für die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen, sondern auch für solche aus der Sozialpflichtversicherung und der FZR der DDR (vgl BSG vom 24. März 1998, BSGE 82, 64, 65 = SozR 3-2600 § 307a Nr 11; BSG vom 30. Juni 1998, SozR 3-2600 § 319b Nr 1 S 5; BSG vom 24. Februar 1999, SozR 3-2600 § 319b Nr 2 S 14; BSG vom 21. April 1999, SozR 3-2600 § 315a Nr 1 S 4; Senatsurteile vom 29. Juni 2000, SozR 3-2600 § 307a Nr 15 S 93 f, und vom 17. August 2000 – B 13 RJ 5/00 R), wie beim Kläger.
Dies schließt aus, dieses Recht, zB das der RentV-DDR, für die Entscheidung über das (Fort-)Bestehen eines Leistungsanspruchs nach dem 31. Dezember 1991 als Maßstabsnorm neu heranzuziehen. Ausnahmen hiervon erfordern einen ausdrücklichen “Anwendungsbefehl” des Bundesrechts (s zB BSG vom 27. Januar 1999, SozR 3-2600 § 248 Nr 3 S 13 f; BSG vom 6. März 2003 – B 4 RA 13/02 R, unter II 2a der Gründe). Ein solcher liegt hier nicht vor. Die RentV-DDR galt gemäß Art 9 Abs 2 EinigVtr Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr 6 – als partielles, sekundäres Bundesrecht (vgl zB BSG vom 16. November 2000, SozR 3-2600 § 248 Nr 7 S 39 mwN) – nur bis 31. Dezember 1991. Ab 1. Januar 1992 sind ihre Vorschriften durch die des SGB VI ersetzt worden; an die Stelle der im Beitrittsgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften ua aus der Sozialpflichtversicherung und der FZR sind die entsprechenden Ansprüche und Anwartschaften nach dem SGB VI getreten. Für den vorliegenden Fall ausnahmsweise einen Anwendungsbefehl in einer bundesrechtlichen Norm anzunehmen, ist nicht möglich. Ein pauschaler Rückgriff auf das Recht der DDR verbietet sich insbesondere deshalb, weil dies in vielen Bereichen, insbesondere bei den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, keine verlässliche Rechtsgrundlage zur Prüfung der fortdauernden Rentenberechtigung darstellt (BSGE 80, 149, 153 = SozR 3-8585 § 2 Nr 2).
Damit ist es auch nicht möglich, aus Regelungen, die ähnlich wie § 315a SGB VI für spätere Rentenzugänge Rechtsvorteile des früheren DDR-Rentenrechts sichern sollen, Hinweise für die Auslegung des § 307a SGB VI zu entnehmen. Für die ab 1. Januar 1992 beginnenden Renten ordnen die §§ 319a und 319b SGB VI ausdrücklich an, dass die einschlägigen bestandsschützenden Leistungen (Renten- bzw Übergangszuschlag, wenn die Rente nach Art 2 Renten-Überleitungsgesetz ≪RÜG≫ diejenige nach dem SGB VI übersteigt) nur zu zahlen sind, “solange die rentenrechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen” (§ 319a Satz 1 SGB VI); dies ist in § 319b Satz 1 SGB VI dadurch ausgedrückt, dass ein Anspruch auf SGB VI-Leistungen und solche nach dem Übergangsrecht “für denselben Zeitraum” bestehen muss. Die Vorschriften verweisen jedoch beide auf das Recht des Art 2 RÜG, das auf den Personenkreis des § 315a SGB VI von vornherein nicht anwendbar ist (Art 2 § 1 Abs 1 Nr 3 RÜG).
Die Auslegung des Senats, wonach der besitzgeschützte Zahlbetrag der Waisenrente zum Dezember 1991 in Form des Auffüllbetrags so lange zusteht, bis ein Beendigungstatbestand für die SGB VI-Halbwaisenrente nach § 48 SGB VI erfüllt ist, lässt sich auch mit dem Wortlaut der Vorschrift des § 315a Satz 1 SGB VI idF des Renten-Überleitungsgesetzes (vom 25. Juli 1991, BGBl I 1606 ≪RÜG≫) vereinbaren. Wenn dieser voraussetzt, dass der (fiktive) SGB VI-Rentenbetrag für Dezember 1991 niedriger ist “als der für denselben Monat ausgezahlte und nach dem am 31. Dezember 1991 geltenden Recht weiterhin zustehende Rentenbetrag”, ist hieraus zunächst nur abzuleiten, dass auch noch am 31. Dezember 1991 die DDR-Rente rechtmäßig zugestanden haben muss. Damit war eine den Personenkreis wie den des Klägers begünstigende Rechtslage geschaffen. Es deutet nichts darauf hin, dass die Einfügung der Worte “oder nach § 302a Abs 3” durch das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz (vom 24. Juni 1993, BGBl I 1038 ≪Rü-ErgG≫) diese Rechtslage beseitigen wollte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 315a SGB VI durch das Rü-ErgG den Eindruck erweckt, als hätte nach dem 31. Dezember 1991 die Weiterzahlung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, die auf einer früheren DDR-Invalidenrente beruhte, vom Fortbestand der Voraussetzungen der Invalidenrente abgehangen (vgl BT-Drucks 12/4810 S 25 ff). Auch dies ist eine Fehlvorstellung, die im Widerspruch zu den oben erläuterten grundsätzlichen Entscheidungen des Rentenüberleitungsrechts steht. Geht man aber hiervon aus, kann das Rü-ErgG an der im vorliegenden Fall einschlägigen Rechtslage nichts geändert haben.
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien zum RÜG herleiten. Insoweit enthält der Allgemeine Teil der Entwurfsbegründung (BT-Drucks 12/405 S 111 unter f) zwar Hinweise, dass die Rentner im Beitrittsgebiet nicht je nach Rentenbeginn vor oder nach der Überleitung der Regelungen des SGB VI ungleich behandelt werden sollten. Dies ist dem Gesetzgeber jedoch, wie die unterschiedlichen Formulierungen in § 315a SGB VI einerseits, §§ 319a, 319b SGB VI andererseits zeigen, nicht in vollem Umfang geglückt (s hierzu oben). Aus dieser Diskrepanz aber können keine Bedenken gegen die vom Senat gefundene Auslegung hergeleitet werden. Denn eine Bevorzugung von Bestandsrentnern zum 31. Dezember 1991 gegenüber Zugangsrentnern ab dem 1. Januar 1992 ist nicht sachwidrig. Jedenfalls macht auch die Einzelbegründung zu § 315a SGB VI (BT-Drucks 12/405 S 136) deutlich, dass diese Vorschrift in erster Linie das Vertrauen auf den bisherigen Zahlbetrag schützen wollte, ohne dass eine Abhängigkeit von den Anspruchsvoraussetzungen nach DDR-Recht erwähnt oder sonst vorausgesetzt wurde.
Damit steht die Auslegung des Senats auch in Übereinstimmung mit Sinn und Zweck der Vorschrift. Der Auffüllbetrag nach § 315a SGB VI stellt eine tatsächlich und rechtlich eigenständige Ergänzung der SGB VI-Rente dar. Er gehört zu den “Zusatzleistungen” (vgl die “amtliche”, dh vom Gesetzesbeschluss des Bundestages mit umfasste, Überschrift zum Sechsten Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des Fünften Kapitels des SGB VI). Er soll die umgewandelte Rente unter bestimmten Voraussetzungen aufstocken, wobei gleichzeitig das Ziel einer schrittweisen Abschmelzung solcher Rentenleistungen verfolgt wurde, die auf strukturellen Eigenarten der Sozialversicherung der DDR beruhten. Die Beitragszahler in den alten und neuen Bundesländern sollten auf längere Sicht von der Finanzierung solcher Vorteile des Rentenversicherungssystems der DDR entlastet werden, die ihnen im System des SGB VI nicht mehr zugute kommen konnten; gleichzeitig sollte die Anpassung der Bestandsrenten in behutsamer Weise vorgenommen werden (Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫, Beschluss vom 11. Mai 2005 – 1 BvR 368/97 ua –, BVerfGE 112, 368, 397, 399 = SozR 4-2600 § 307a Nr 3 RdNr 46, 49). Diese Aufgabe erfüllt die Regelung des § 315a SGB VI auch in der Auslegung des Senats.
Mangels Berufung bzw Klage war über einen vor Oktober 2001 zustehenden Auffüllbetrag nicht zu entscheiden; soweit der Gerichtsbescheid die Klage hinsichtlich der Zeit vom 1. September bis 30. September 2001 abgewiesen hat, hat der Kläger hiergegen keine Berufung eingelegt; hinsichtlich der Zeit davor fehlt es bereits an einer Klage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1566398 |
BSGE 2007, 227 |