Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Sonderrechtsnachfolge. Erlöschen der Geldleistungen gem § 59 S 2 SGB 1. nicht anhängiges Verwaltungsverfahren im Zeitpunkt des Todes. Auslegung. Gesetzesmaterialien. Inhalt und Schranken des Erbrechts. Verhältnismäßigkeit. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. BK-Anzeigepflicht gem § 202 S 1 SGB 7. Verfassungsmäßigkeit. informationelles Selbstbestimmungsrecht. Menschenwürde. Recht auf Leben. Recht auf körperliche Unversehrtheit. staatliche Schutzpflichten. Ärzte des Deutschen Mesotheliomregisters. arbeitsteiliges Zusammenwirken. Funktionseinheit. unverzügliche Meldepflicht bei begründetem Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit. Zurechenbarkeit der ärztlichen Meldepflichtverletzung. wesentliche Ursache. "gegen sich selbst" gerichtetes Handeln des Versicherten: Veranlassen der behandelnden Ärzte zur Unterlassung einer BK-Anzeige. sozialrechtlicher Nachteil des Rechtsnachfolgers
Leitsatz (amtlich)
1. Handelt der Versicherte im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wissentlich "gegen sich selbst", indem er seine anzeigebereiten Ärzte zur Unterlassung der Meldung einer Berufskrankheit (BK) veranlasst, setzt er damit die rechtlich entscheidende Ursache für die Verletzung der BK-Anzeigepflicht und den sozialrechtlichen Nachteil für seine Rechtsnachfolger.
2. Wie alle Ärzte und Zahnärzte haben auch die Ärzte des Deutschen Mesotheliomregisters den begründeten Verdacht auf das Vorliegen einer BK unverzüglich anzuzeigen.
Normenkette
SGB I § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1, § 59 S. 2; SGB IV § 19 S. 2; SGB VII § 9 Abs. 1; BKV Anl 1 Nr. 4105; SGB VII § 9 Abs. 8, § 193 Abs. 8, § 202 S. 1; SGB X § 1 Abs. 2, §§ 8-9, 18 Sätze 1, 2 Nr. 1, § 31 S. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2, 14 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. März 2019 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin macht als Sonderrechtsnachfolgerin Ansprüche ihres Ehemannes auf Pflegegeld, Verletztengeld und Verletztenrente geltend, der als Versicherter 2016 an den Folgen einer Berufskrankheit (BK) verstorben ist.
Die Klägerin ist die Witwe des im Jahre 1964 geborenen Versicherten. Bis zu dessen Tod lebte sie mit ihm und den drei Kindern in einem gemeinsamen Haushalt. Der Versicherte kam bereits als Schüler und Student in dem Unternehmen seines Onkels und später als Architekt mit Asbest in Kontakt. Im September 2013 wurde ein Hodentumor festgestellt. Dieser Tumor wurde zunächst als Karzinom der Rete testis mit Infiltration des Nebenhodens und des Samenstrangs interpretiert. Der Pathologe Prof. Dr. B. übersandte im Oktober 2013 die histologischen Präparate "zur weiteren Abklärung" an das Deutsche Mesotheliomregister und teilte mit, der Versicherte sei als Architekt tätig, sodass möglicherweise eine Asbestexposition bestehe. Diesen Sachverhalt habe er noch nicht abklären können. Er sei für eine konsiliarische Mitbeurteilung auch vor dem Hintergrund einer möglichen BK dankbar. Beim Deutschen Mesotheliomregister wurde die Manifestation eines malignen Mesothelioms bestätigt und empfohlen, dass sich die behandelnden Ärzte in üblicher Form um die Meldung einer BK nach Nr 4105 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards; BK 4105) kümmern. Die Pathologin Prof. Dr. T. beim Deutschen Mesotheliomregister bat zudem um die Übersendung weiterer Informationen zur Ergänzung des Registers, falls diese verfügbar wären.
Erst nach dem Tod des Versicherten erstattete Prof. Dr. I. die BK-Anzeige und teilte ergänzend mit, der Versicherte habe zu Lebzeiten aus persönlichen Gründen gebeten, seine Erkrankung nicht zu melden. Die Beklagte gewährte der Klägerin und ihren Kindern Hinterbliebenenleistungen, lehnte es jedoch ab, ihr als Sonderrechtsnachfolgerin Verletztengeld und -rente sowie Pflegegeld zu zahlen (Bescheid vom 23.11.2016 und Widerspruchsbescheid vom 19.12.2016).
Im Klageverfahren hat Prof. Dr. I. als Zeuge bekräftigt, der Versicherte sei zu Lebzeiten mehrfach über das mögliche Vorliegen einer BK und das Verfahren (TAD-Gutachten etc) informiert worden. Er habe eine entsprechende Anzeige gegenüber allen behandelnden Ärzten mehrfach entschieden abgelehnt, keinerlei Dokumentation darüber gewünscht und Sorge gehabt, dass Informationen nach außen dringen könnten. Der Versicherte selbst sei überzeugt gewesen, dass es bei ihm keine relevante Asbestbelastung gegeben habe. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des SG vom 28.3.2018 und des LSG vom 21.3.2019). Das LSG hat im Wege der Sonderrechtsnachfolge übergegangene Ansprüche auf Pflege- und Verletztengeld sowie Verletztenrente verneint, weil diese Ansprüche des Versicherten mit dessen Tod erloschen seien. Zum Todeszeitpunkt sei iS des § 59 Satz 2 SGB I weder eine Entscheidung über die Gewährung der Geldleistungen getroffen noch ein Verwaltungsverfahren über diese Ansprüche anhängig gewesen. Ein solches Verwaltungsverfahren könne auch nicht mithilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden. Dass die behandelnden Ärzte ihre Anzeigepflicht nach § 202 Satz 1 SGB VII verletzt hätten, könne der Beklagten nicht zugerechnet werden, weil diese Ärzte nicht im Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren "arbeitsteilig" eingeschaltet gewesen seien. Zudem habe der Versicherte selbst durch die strikte Ablehnung der Verdachtsmeldung den Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Ärzte durch die versäumte Einleitung eines BK-Verwaltungsverfahrens und dem eingetretenen Nachteil unterbrochen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzungen des § 59 SGB I und der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Bereits mit der Kenntnis des Vorgangs durch das Deutsche Mesotheliomregister als berufsgenossenschaftlicher Einrichtung sei ein Verwaltungsverfahren über die Versichertenansprüche anhängig geworden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. März 2019 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. März 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen C. G. Verletztengeld, Verletztenrente und Pflegegeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die Ablehnungsentscheidung im Bescheid der Beklagten vom 23.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2016 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig. Die geltend gemachten Verletzungen des § 59 Satz 2 SGB I und der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs liegen nicht vor. Die Klägerin hat als Sonderrechtsnachfolgerin (§ 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Alt 1 SGB I) des verstorbenen Versicherten keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente, Verletztengeld und Pflegegeld aus übergegangenem Recht. Soweit diese Ansprüche zu Lebzeiten des Versicherten entstanden waren, sind sie gemäß § 59 Satz 2 SGB I erloschen, weil sie im Todeszeitpunkt weder festgestellt noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig war (dazu I.). Mangels planwidriger Regelungslücke kann diese Vorschrift auch nicht analog auf den Fall erstreckt werden, dass das Fehlen eines anhängigen Verwaltungsverfahrens auf pflichtwidriges Verwaltungshandeln zurückzuführen ist (dazu II.). Der Ausschluss der Rechtsnachfolge ist mit der verfassungsrechtlichen Garantie des Erbrechts (Art 14 Abs 1 Satz 1 GG) vereinbar (dazu III.). Die Klägerin ist auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob ein Verwaltungsverfahren über die Ansprüche des Versicherten im Zeitpunkt seines Todes anhängig gewesen wäre (dazu IV.).
I. Soweit in der Person des Versicherten kraft Gesetzes Ansprüche auf Pflegegeld, Verletztengeld und -rente entstanden waren, weil ihre im Gesetz bestimmten Voraussetzungen (§§ 44, 45 ff, 56 SGB VII) zu seinen Lebzeiten vorlagen (§ 40 Abs 1 SGB I), sind sie mit seinem Tod erloschen und weder im Wege der Sonderrechtsnachfolge (§ 56 SGB I) noch nach den Vorschriften des BGB (§ 58 Satz 1 SGB I iVm §§ 1922, 1937, 1941 BGB) auf die Klägerin übergegangen. Wann eine Rechtsnachfolge in Sozialleistungsansprüche überhaupt möglich ist, regelt § 59 SGB I(BSG Urteil vom 5.2.2008 - B 2 U 18/06 R - SozR 4-1200 § 56 Nr 3 RdNr 17) . Danach erlöschen Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen mit dem Tode des Berechtigten (Satz 1). Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen gemäß § 59 Satz 2 SGB I nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes weder festgestellt sind (dazu 1.) noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist (dazu 2.). Allein von diesen beiden, alternativ im Zeitpunkt des Todes erreichten Verfahrenslagen hängt die materielle Rechtsfolge des Anspruchsübergangs ab (BSG Urteil vom 25.10.1984 - 11 RA 18/84 - BSGE 57, 215, 216 = SozR 1200 § 59 Nr 6 S 14). Beide Voraussetzungen liegen aber hier nicht vor.
1. Die Geldleistungsansprüche auf Zahlung von Pflegegeld, Verletztengeld und -rente waren im Todeszeitpunkt noch nicht behördlich festgestellt, weil die Beklagte zu Lebzeiten des Versicherten keine entsprechenden, feststellenden Verwaltungsakte (§ 31 Satz 1 SGB X) erlassen hatte.
2. Es waren über diese Ansprüche auf Geldleistungen im Todeszeitpunkt auch keine Verwaltungsverfahren anhängig, weder bei einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (dazu a) noch beim Deutschen Mesotheliomregister (dazu b). Das Verwaltungsverfahren ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein (§ 8 SGB X). Jedenfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung, in der Leistungen grundsätzlich von Amts wegen erbracht werden (§ 19 Satz 2 SGB IV), wird ein Verwaltungsverfahren - ähnlich wie im Prozessrecht die Klage - bereits "anhängig", sobald dem Unfallversicherungsträger durch Versicherte und Hinterbliebene, Unternehmer (§ 193 SGB VII), Ärzte (§§ 202, 34 Abs 3 SGB VII iVm Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger) oder auf andere Weise potentiell leistungsrelevante Umstände bekannt werden (BSG Urteil vom 17.2.2009 - B 2 U 34/07 R - juris RdNr 12). Folglich kommt es weder auf den Entschluss des Unfallversicherungsträgers, ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, noch auf sein (erstes) Tätigwerden mit Außenwirkung an. Vielmehr wandelt sich seine Befugnis, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und wann er ein Verwaltungsverfahren durchführt (§ 18 Satz 1 SGB X), mit dem Eingang möglicherweise leistungserheblicher Informationen in die Rechtspflicht, aufgrund des bereits damit anhängigen Verwaltungsverfahrens tätig zu werden (§ 18 Satz 2 Nr 1 SGB X).
a) Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben erst nach dem Tod des Versicherten durch den Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenleistungen von dem Verdacht des Vorliegens einer BK erfahren, sodass im Todeszeitpunkt noch kein Verwaltungsverfahren iS des § 59 Satz 2 SGB I anhängig war, das auf die Prüfung der Voraussetzungen von Pflege- und Verletztengeld sowie Verletztenrente gerichtet sein konnte.
b) Auch beim Deutschen Mesotheliomregister war kein Verwaltungsverfahren iS des § 59 Satz 2 SGB I anhängig. Das Deutsche Mesotheliomregister wird vom Institut für Pathologie - einer gemeinnützigen rechtsfähigen Stiftung des bürgerlichen Rechts und Teil der medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum (RUB) - auf dem Gelände der Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil gGmbH geführt und vom Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallkassen (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung eV - DGUV) finanziell gefördert. Obgleich das Deutsche Mesotheliomregister seit Oktober 2013 durch die Übersendung der histologischen Präparate des Versicherten die Möglichkeit eines BK-Verdachts kannte, war dort zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten 2016 jedenfalls kein Verwaltungsverfahren iS des § 8 SGB X anhängig. Denn weder das Institut für Pathologie noch das Deutsche Mesotheliomregister sind Behörden iS des § 1 Abs 2 SGB X. Danach ist Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Zu diesen Verwaltungsaufgaben zählt ua die Durchführung von Verwaltungsverfahren (§§ 8, 9 SGB X). Privatrechtssubjekte, wie rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts, sind indes nur befugt, Verwaltungsverfahren durchzuführen und durch Erlass von Verwaltungsakten oder durch Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge zu beenden, wenn ihnen diese hoheitlichen Aufgaben durch Beleihungsakt (Verwaltungsakt, öffentlich-rechtlicher Vertrag oder Rechtsnorm) übertragen wurden und der beleihende Verwaltungsträger zu dieser Delegation durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes ermächtigt ist (BSG Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 1/10 R - BSGE 107, 123 = SozR 4-2500 § 132a Nr 5, RdNr 15). Vorliegend existiert jedoch weder ein Beleihungsakt noch eine gesetzliche Grundlage, sodass weder dem rechtsfähigen Institut für Pathologie an der RUB noch dem dort angesiedelten, nichtrechtsfähigen Deutschen Mesotheliomregister die hoheitliche Befugnis verliehen ist, die Voraussetzungen des Vorliegens von BKen zu prüfen und durch Verwaltungsakt festzustellen oder abzulehnen. Ein Beleihungsakt liegt auch nicht darin, dass sich das Institut für Pathologie räumlich auf dem Gelände einer berufsgenossenschaftlichen Einrichtung befindet und die DGUV das Mesotheliomregister im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabe (§ 9 Abs 8 SGB VII) finanziell fördert, das BK-Recht unter Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben fortzuentwickeln. Mithin kann die noch zu Lebzeiten des Versicherten erfolgte Untersuchung und Charakterisierung der von seinem Tumor gefertigten histologischen Präparate durch das Deutsche Mesotheliomregister nicht als Verwaltungsverfahren iS des § 8 SGB X angesehen werden.
II. Mit der Verwendung des Indikativs stellt der Wortlaut des § 59 Satz 2 SGB I klar auf die tatsächlichen Gegebenheiten und nicht darauf ab, welche Verfahrenslage im Todeszeitpunkt hätte bestehen müssen (normative Lage), wenn die beteiligten Ärzte ihren Anzeigepflichten nach § 202 Satz 1 SGB VII "unverzüglich" nachgekommen und dadurch Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Leistungsansprüche des Verletzten eröffnet worden wären. Die Einbeziehung einer solchen fiktiven normativen Lage lässt sich weder durch eine erweiternde Auslegung noch durch eine analoge Anwendung des § 59 Satz 2 SGB I erreichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der - nach dem allgemeinen Sprachgebrauch - mögliche Wortsinn des Gesetzes die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation markiert (BSG Urteile vom 30.1.2020 - B 2 U 19/18 R - juris RdNr 24 ≪BSGE und SozR 4-1300 § 105 Nr 8 vorgesehen≫, vom 6.9.2018 - B 2 U 18/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 47 RdNr 22 und vom 8.5.2007 - B 2 U 10/06 R - BSGE 98, 219 = SozR 4-2700 § 129 Nr 2, RdNr 30; BVerfG Urteile vom 21.5.1952 - 2 BvH 2/52 - BVerfGE 1, 299, 312 und vom 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 ua - BVerfGE 73, 206, 235 sowie Beschlüsse vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 12 und vom 25.1.2011 - 1 BvR 918/10 - BVerfGE 128, 193, 210). Jenseits dieser Grenze kann der Rechtsanwender nur rechtsfortbildend tätig werden, was im Falle der Analogie eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz voraussetzt (BSG Urteil vom 30.1.2020 - B 2 U 19/18 R - juris RdNr 28 f ≪BSGE und SozR 4-1300 § 105 Nr 8 vorgesehen≫).
Eine planwidrige Unvollständigkeit des § 59 Satz 2 SGB I ist nicht erkennbar. Erfordert die Vorschrift das "Anhängigsein" eines Verwaltungsverfahrens, so erfasst der mögliche Wortsinn der Norm gerade keine Fälle, in denen dem Unfallversicherungsträger im Todeszeitpunkt des Versicherten keine leistungserheblichen Tatumstände bekannt waren. Eine unbewusste Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit der Norm wäre nur anzunehmen, wenn der zu beurteilende Sachverhalt vom historischen Gesetzgeber anfänglich übersehen wurde oder er sich erst nachträglich (dh nach Erlass des Gesetzes) durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (BSG Urteile vom 30.1.2020 - B 2 U 19/18 R - juris RdNr 30 ≪BSGE und SozR 4-1300 § 105 Nr 8 vorgesehen≫, vom 20.3.2007 - B 2 U 19/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 23 RdNr 17 und vom 28.4.2004 - B 2 U 20/03 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 4 RdNr 15 mwN). Das ist hier nicht der Fall.
Für die Beantwortung der Frage, welche Sachverhalte der historische Gesetzgeber berücksichtigt oder übersehen hat, kommt neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BVerfG Urteil vom 19.3.2013 - 2 BvR 2628/10 - BVerfGE 133, 168, RdNr 66 und Beschluss vom 6.6.2018 - 1 BvL 7/14 - BVerfGE 149, 126 RdNr 74). Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - sollten "aus rechtssystematischen und verwaltungspraktischen Gründen" (BT-Drucks 7/868 S 33) nur verfahrensmäßig schon "gefestigte" Ansprüche auf Rechtsnachfolger übergehen. Rechtssystematisch betrachtet erlöschen die nicht vererbbaren Stammrechte auf Verletztenrente, Verletztengeld und Pflegegeld mit dem Tod des Versicherten und können deshalb nicht auf den Rechtsnachfolger übergehen. Dagegen sind bereits festgestellte Einzelansprüche auf Zahlung dieser Geldleistungen vererblich und gehen deshalb vorrangig auf Sonderrechtsnachfolger über, weil sie in aller Regel nicht nur zur Lebensführung des (verstorbenen) Leistungsberechtigten, sondern aller Familienangehörigen bestimmt sind, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben (zum Gedanken der "Übergangshilfe" vgl Groth in jurisPK-SGB I, 3. Aufl 2018, Stand 2.12.2019, § 56 RdNr 13; Gutzler in BeckOK Sozialrecht, 57. Aufl, Stand 06/20, § 56 SGB I RdNr 1).
Derart gefestigte und verfassungsrechtlich bereits als Eigentum geschützte Einzelansprüche (Art 14 Abs 1 Satz 1 GG) bleiben bestehen, auch wenn sie vor dem Tod des Versicherten nicht (rechtzeitig) erfüllt werden konnten. Ebenso sollen Einzelansprüche nicht deshalb untergehen, weil das zu Lebzeiten des Versicherten eingeleitete Verwaltungsverfahren, in dem die aus dem Stammrecht resultierenden Einzelansprüche konkretisiert und zahlbar gemacht werden, vor dessen Tod nicht abgeschlossen werden konnte. Ist die Behörde bereits von Amts wegen oder auf Antrag tätig geworden (§ 18 Satz 2 Nr 1 SGB X) und deshalb ohnehin mit dem Sachverhalt befasst, sind weder rechtssystematische noch verwaltungspraktische Gründe erkennbar, den (Sonder-)Rechtsnachfolgern die Feststellung und Auszahlung der Einzelansprüche aus dem Stammrecht zu versagen.
Dagegen soll die Verwaltung nach dem Tod des originär Berechtigten, dem die Leistungen primär zu Gute kommen sollen, nicht erstmals mit ggf schwierigen Rechtsfragen und aufwändigen Ermittlungen zu den Ansprüchen Verstorbener konfrontiert werden, um das Vermögen von Rechtsnachfolgern zu mehren. Insofern stellt § 59 Satz 2 SGB I sicher, dass sozialrechtliche Geldleistungen zweckentsprechend gezahlt werden. Zudem schließt der klare Wortlaut des Gesetzes den Anspruchsübergang in bestimmten Fällen aus und schneidet damit notwendigerweise begründete Ansprüche ab. Auch dies muss der historische Gesetzgeber bedacht haben. Hat er somit den Übergang von Ansprüchen auf Geldleistungen bewusst auf das Erreichen bestimmter Stadien des Verwaltungsverfahrens begrenzt und einen "schützenswerten Vertrauenstatbestand" verneint, wenn zu Lebzeiten des Versicherten noch keine "gefestigte Erwartungshaltung" auf Zahlung bestimmter Geldleistungen bestand, liegt keine anfängliche Regelungslücke vor. An diesen Rechtstatsachen hat sich auch nach Normerlass - zB durch eine Änderung der Lebensverhältnisse oder des Normumfelds - nichts geändert, sodass auch nachträglich keine Regelungslücke entstanden ist.
III. Dieses Ergebnis ist verfassungsgemäß (vgl auch BSG Urteil vom 25.10.1984 - 11 RA 18/84 - BSGE 57, 215, 217 = SozR 1200 § 59 Nr 6 S 15). Zwar greift § 59 Satz 2 SGB I in das verfassungsrechtlich garantierte "Erbrecht" (Art 14 Abs 1 Satz 1 Var 2 GG) ein, das die (Gesamt-)Rechtsnachfolge in alle Vermögensgegenstände schützt, die dem Erblasser zu Lebzeiten zugeordnet waren (zum Umfang des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs vgl Axer in Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 43. Aufl, Stand 12/19, Art 14 RdNr 146 f; Papier/Shirvani in Maunz/Dürig, GG, 90. EL, Stand 02/20, Art 14 RdNr 406). § 59 Satz 2 SGB I bestimmt jedoch Inhalt und Schranken des Erbrechts (Art 14 Abs 1 Satz 2 GG) im Hinblick auf seine legitimen Ziele (zweckgerechte Zahlung an die primär Berechtigten, Verwaltungsentlastung) in verhältnismäßiger Weise (zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vgl BVerfG Urteile vom 26.2.2020 - 2 BvR 2347/15 - juris RdNr 223, vom 27.2.2008 - 1 BvR 370/07 - BVerfGE 120, 274, 318 f sowie Beschluss vom 30.6.2020 - 1 BvR 1679/17 - juris RdNr 99). Die Regelung ist geeignet, die genannten Ziele zu fördern, und auch erforderlich, weil keine weniger belastende Regelung ersichtlich ist, die die Zweckverfehlung von Sozialleistungen genauso effektiv verhindert und die Entlastung der Verwaltung genauso wirkungsvoll erreicht, wie das Erlöschen von Geldleistungsansprüchen, die verfahrensrechtlich noch nicht verfestigt sind. Der Eintritt dieser Rechtsfolge ist mit Blick auf das Individualinteresse der Klägerin auch angemessen. Der Ausschluss der Rechtsnachfolge in die Ansprüche des Versicherten betrifft nur einen sehr kleinen, abgrenzbaren Teilbereich des Rechts auf (Gesamt-)Rechtsnachfolge in alle dem Versicherten zuvor zugeordneten Vermögensgegenstände. Zudem handelt es sich bei diesen der Rechtsnachfolge entzogenen Vermögensgegenständen um öffentlich-rechtliche Ansprüche, die für einen spezifischen Zweck - nämlich den Ausgleich von finanziellen Nachteilen des Versicherten aufgrund des Eintritts des Versicherungsfalls - bestimmt sind. Dieser sozial(versicherungs)rechtliche Zweck kann nach dem Tod des Versicherten nicht mehr eintreten, sodass der Übergang dieser Ansprüche lediglich das Vermögen seiner Rechtsnachfolger mehrt, deren soziale Sicherung im Übrigen auch durch Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährleistet wird (vgl §§ 63 ff SGB VII).
IV. Die Klägerin ist auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob ein Verwaltungsverfahren über die Ansprüche des Versicherten im Zeitpunkt seines Todes anhängig gewesen wäre. Dieses richterrechtliche Rechtsinstitut erfordert nach der Rechtsprechung des BSG eine (behördliche) Pflichtverletzung, dh einen dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Fehler, der beim Berechtigten einen sozialrechtlichen Nachteil kausal bewirkt hat und den der Träger durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung in der Weise beseitigen kann, dass der Zustand wiederhergestellt wird, der bestünde, wenn die Pflichtverletzung unterblieben wäre (BSG Urteile vom 23.10.2014 - B 11 AL 7/14 R - SozR 4-4300 § 125 Nr 5 RdNr 35, vom 3.4.2014 - B 5 R 5/13 R - SozR 4-2600 § 137b Nr 1 RdNr 37, vom 2.2.2006 - B 10 EG 9/05 R - BSGE 96, 44 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2, RdNr 28, vom 18.2.2004 - B 10 EG 10/03 R - BSGE 92, 182 = SozR 4-6940 Art 3 Nr 1 RdNr 25 sowie vom 2.5.2001 - B 2 U 19/00 R - juris RdNr 19; zum Prüfschema der Rspr: Spellbrink, Kasseler Komm, Stand Juli 2020, SGB I, Vor §§ 13-15 RdNr 34).
Die behandelnden Ärzte haben im vorliegenden Fall ihre Anzeigepflicht gemäß § 202 SGB VII verletzt. Diese Pflicht trifft die Ärzte auch dann, wenn der betroffene Versicherte einer Übermittlung an die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ausdrücklich widerspricht (dazu 1.). Es kann hier allerdings offenbleiben, ob sich die Beklagte die Anzeigepflichtverletzungen der behandelnden Ärzte gemäß § 202 SGB VII im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zurechnen lassen muss, weil fraglich ist, ob insofern eine "Funktionseinheit" zwischen den behandelnden Ärzten und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung bestand (dazu 2.). Ebenso kann dahinstehen, ob das im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs allerdings den Unfallversicherungsträgern grundsätzlich zurechenbare Verhalten des Deutschen Mesotheliomregisters tatsächlich fehlerhaft war (dazu 3.). Denn alle potentiell zurechenbaren Pflichtverletzungen der beteiligten Ärzte waren nicht kausal für das fehlende Tatbestandsmerkmal des anhängigen Verwaltungsverfahrens iS des § 59 Satz 2 SGB I, weil der Versicherte hierfür selbst die entscheidende Ursache gesetzt hat, indem er die von verschiedenen Ärzten angebotene Erstattung einer BK-Anzeige mehrfach abgelehnt bzw jeden Asbestkontakt verneint hat (dazu 4.).
1. Gemäß § 202 Satz 1 SGB VII haben Ärzte oder Zahnärzte den begründeten Verdacht, dass bei Versicherten eine BK besteht, dem Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle in der für die Anzeige von BKen vorgeschriebenen Form (§ 193 Abs 8 SGB VII) unverzüglich anzuzeigen. Diese bundesgesetzliche Offenbarungspflicht erfasst alle approbierten Ärzte und Zahnärzte ausnahmslos, verdrängt ihre ärztlichen Schweigepflichten, wie sie in den Berufsordnungen der Landes(zahn)ärztekammern geregelt sind (vgl zB § 9 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 2 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg idF vom 24.10.2012, ÄBW 2012, 501), und geht auch ggf einem entgegenstehenden Willen des Versicherten vor (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Mai 2020, § 202 SGB VII Anm 3.1). Der damit verbundene Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art 1 Abs 1 iVm Art 2 Abs 1 GG) ist durch Allgemeinwohlinteressen verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die gesetzliche Grundlage, aus der sich Zweck (Information über den BK-Verdacht) und Umfang der Anzeigepflicht (§ 202 Satz 1, § 193 Abs 8 SGB VII iVm § 3 Abs 1 und Anl 3 der Verordnung über die Anzeige von Versicherungsfällen in der gesetzlichen Unfallversicherung - Unfallversicherungs-Anzeigeverordnung - UVAV vom 23.1.2002, BGBl I 554) klar ergeben, wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl dazu BVerfG Urteile vom 26.2.2020 - 2 BvR 2347/15 - juris RdNr 223 und vom 27.2.2008 - 1 BvR 370/07 - BVerfGE 120, 274, 318 f sowie Beschluss vom 30.6.2020 - 1 BvR 1679/17 - juris RdNr 99).
Das Mittel der Anzeigepflicht in § 202 SGB VII ist verfassungskonform. Mit ihm verfolgt der Gesetzgeber legitime Zwecke. Durch die Anzeigepflicht der Ärzte wird einerseits das Individualinteresse der Versicherten geschützt, dass BKen und die daraus resultierenden Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zügig festgestellt und gewährt werden (vgl Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 01/18, § 202 RdNr 1). Andererseits dient sie dem Allgemeininteresse, BKen zu verhüten, entsprechende Gefahren für die Volksgesundheit abzuwehren und den präventiven Arbeitsschutz für eine Vielzahl von Personen zu gewährleisten (vgl Kranig, aaO, RdNr 6; Ricke in Kasseler Komm, SGB VII, Stand 05/20, § 202 RdNr 2; Schlaeger in BeckOK SozR, SGB VII, Stand 06/20, § 202 RdNr 2). Die Anzeigepflicht des § 202 SGB VII ist auch geeignet, diese öffentlichen Zwecke zu fördern, und zugleich erforderlich, um diese Ziele zu erreichen, weil mit Blick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht keine milderen Mittel existieren, die das Allgemeininteresse genauso effektiv (oder effektiver) erreichen können.
Die Anzeigepflicht und die damit verbundene Übermittlung hochsensibler Gesundheitsdaten an die Unfallversicherungsträger und die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen stehen auch noch in einem angemessenen Verhältnis zum erstrebten Gesundheits- und Lebensschutz. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 Satz 1 GG) steht dem Schutz der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 Satz 1 GG) besonders nahe und löst deshalb entsprechende staatliche Schutzpflichten aus (Art 1 Abs 1 Satz 2 GG; grundlegend BVerfG Urteil vom 25.2.1975 - 1 BvF 1/74 - BVerfGE 39, 1, 41 f). Im Hinblick darauf erscheint es angemessen, wenn der Gesetzgeber durch § 202 SGB VII eine Anzeigepflicht auch gegen den ausdrücklichen Willen des Versicherten zum Schutz von Leib und Leben Dritter einführt, zumal der damit verbundene Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht auf das insoweit Notwendige begrenzt ist. Ein begründeter Verdacht iS des § 202 Satz 1 SGB VII liegt vor, wenn der Arzt Krankheitserscheinungen wahrnimmt, die aus seiner subjektiven Sicht mit (irgend-)einer versicherten Tätigkeit plausibel zusammenhängen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Mai 2020, § 202 SGB VII Anm 3.2). Erforderlich sind ernsthafte, konkrete Anhaltspunkte; bloße Vermutungen genügen nicht (BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 19/00 R - juris RdNr 20). Die BK-Anzeige hat "unverzüglich", dh ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen.
Diesen Anforderungen des § 202 SGB VII ist hier mit der erst am 10.2.2016 - nach dem Tod des Versicherten - erfolgten Anzeige nicht Rechnung getragen worden. Die behandelnden Ärzte des Versicherten hatten nach den unangefochtenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) spätestens seit Jahresbeginn 2014 den "begründeten Verdacht" auf das Vorliegen einer BK.
2. Es kann offenbleiben, ob der Fehler der behandelnden Ärzte der Beklagten hier im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs überhaupt zugerechnet werden könnte. Hierfür müssten die in § 202 SGB VII genannten Ärzte in den Verwaltungsablauf der Beklagten arbeitsteilig eingeschaltet sein. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung müssten sich der behandelnden Ärzte also zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben bedienen (BSG Urteile vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, vom 6.5.2010 - B 13 R 44/09 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 13 und vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7; hierzu Spellbrink, Kasseler Komm, Stand 07/20, SGB I, Vor §§ 13-15 RdNr 39 ff). Der frühere 8. Senat des BSG hat eine solche Zurechenbarkeit des Fehlverhaltens einzelner Ärzte zu Lasten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung uneingeschränkt bejaht und ausgeführt, die Ärzte würden mit ihrer Meldepflicht "geradezu exemplarisch" in das Verwaltungsverfahren der Unfallversicherung einbezogen (BSG Urteil vom 8.10.1998 - B 8 KN 1/97 U R - BSGE 83, 30, 35 f = SozR 3-5670 § 5 Nr 1 S 7 f; offengelassen allerdings von BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 19/00 R - juris RdNr 19). Ob dem in dieser Allgemeinheit uneingeschränkt zu folgen ist, kann hier offenbleiben, weil der (Herstellungs-)Anspruch der Klägerin jedenfalls an der fehlenden Kausalität des Fehlverhaltens der Ärzte für den sozialrechtlichen Nachteil scheitert (dazu unter 4.).
3. Auch die mit dem sog Mesotheliomregister befassten Ärzte sind gemäß § 202 Satz 1 SGB VII anzeigepflichtig, wenn der begründete Verdacht einer BK vorliegt. Ob die Ärzte des Mesotheliomregisters hier diese, sie grundsätzlich wie alle anderen Ärzte treffende, Anzeigepflicht gemäß § 202 SGB VII verletzt haben, kann aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend entschieden werden (dazu a). Würde eine Pflichtverletzung der Ärzte des Mesotheliomregisters aber zu bejahen sein, so müssten die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sich diesen Fehler auch zurechnen lassen (dazu b).
a) Ob die Ärzte am Mesotheliomregister eine Pflichtverletzung begangen haben, lässt sich nicht abschließend klären. Zwar haben sie den behandelnden Ärzten ausdrücklich empfohlen, "sich in üblicher Form um die Meldung" einer BK 4105 zu "kümmern". Als Spezialisten für Mesotheliomerkrankungen wussten sie zudem, dass nach dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK 4105 (Bekanntmachung des BMA vom 8.11.1993, BArBl 1/1994, 67) ein entsprechender BK-Verdacht "bereits bei jedem Mesotheliom" begründet ist, wie der 66. Kongress der Nordrhein-Westfälischen Gesellschaft für Urologie im März 2020 (https://www.egms.de/static/en/meetings/nrwgu2020/20nrwgu52.shtml, abgerufen am 23.6.2020) auch für Mesotheliome der Tunica vaginalis des Hodens nochmals betont hat. Es ist jedoch bereits unklar, auf welcher Rechtsgrundlage die Ärzte des Mesotheliomregisters die Präparate des Versicherten erhalten haben und ob sie objektiv verpflichtet sind, jede Mesotheliomerkrankung zu melden, die ihnen (irgendwie) bekannt wird, selbst wenn ihnen Präparate - ohne Kenntnis und ggf gegen den Willen des Versicherten - unbefugt übermittelt werden. Ebenso wäre zu erwägen, ob das Mesotheliomregister mit der BK-Anzeige noch abwarten durfte, weil - wovon das LSG ausgeht - zum Zeitpunkt der Beurteilung des Präparats überhaupt noch keine Kenntnisse über einen Asbestkontakt des Versicherten vorlagen und dieser lediglich aufgrund des Berufs des Erkrankten (Architekt) von dem das Präparat übersendenden Arzt vermutet wurde. Auch ist vom LSG nicht festgestellt, ob das Mesotheliomregister zu einem späteren Zeitpunkt vor dem Tod des Versicherten hinreichende Kenntnis vom Asbestkontakt hatte, was ggf dann zu diesem Zeitpunkt eine Anzeigepflicht gemäß § 202 Satz 1 SGB VII ausgelöst hätte.
b) Etwaige Anzeigepflichtverletzungen der Ärzte, die das Mesotheliomregister führen, müsste sich die Beklagte aber im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zurechnen lassen, weil sie in die Aufgabenerfüllung der Unfallversicherungsträger im Sinne einer Funktionseinheit arbeitsteilig eingebunden sind (zu den Voraussetzungen oben unter 2. und Spellbrink, Kasseler Komm, Stand 07/20, SGB I, Vor §§ 13-15 RdNr 39 ff). Nach § 1 SGB VII gehört es ua zu den Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung, mit allen geeigneten Mitteln BKen zu verhüten und nach Eintritt von BKen die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und sie oder ihre Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen. Ohne ärztliche BK-Anzeigen könnten die Unfallversicherungsträger diese gesetzlichen Aufgaben nur unzureichend erfüllen und entsprechende Verwaltungsverfahren häufig erst verspätet einleiten, wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt. Die Ärzte des Mesotheliomregisters stehen aufgrund ihrer Anzeigepflicht nach § 202 Satz 1 SGB VII und aufgrund der finanziellen Förderung durch die DGUV zu den Unfallversicherungsträgern in einer besonders engen Beziehung, die über die Beziehung der DGUV zu normalen niedergelassenen Ärzten weit hinausgeht und die es damit rechtfertigt, grundsätzlich von einer arbeitsteiligen Funktionseinheit im Sinne des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auszugehen.
4. Letztlich kann dies aber dahinstehen, ebenso wie die Frage, ob auch die behandelnden Ärzte, bei denen zweifelsohne ein Fehler vorlag, in das Verwaltungsverfahren der Beklagten eingebunden sind (soeben 3.a), denn die Pflichtverletzungen aller beteiligten Ärzte waren nicht kausal für das fehlende anhängige Verwaltungsverfahren iS des § 59 Satz 2 SGB I. Vielmehr hat das (selbstschädigende) Verhalten des Versicherten, das sich die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin zurechnen lassen muss, die eigentliche (im weitesten Sinne: wesentliche) Ursache für den entstandenen Nachteil gesetzt (dazu Spellbrink, Kasseler Komm, Stand 07/20, SGB I, Vor §§ 13-15 RdNr 30). Bei wertender Betrachtungsweise fehlt es an der für die Bejahung eines Herstellungsanspruchs erforderlichen Kausalität der Pflichtverletzung für den Nachteil, weil der Versicherte durch sein eigenes, wiederholtes Verhalten seine behandelnden und anzeigebereiten Ärzte zu der unterlassenen Meldung veranlasst hat. Der Versicherte hat damit durch wiederholte Ablehnung einer Verdachtsanzeige bzw das Abstreiten jeden Asbestkontakts selbst die entscheidende Ursache für die Verletzung der ärztlichen Anzeigepflicht gesetzt. Hat der Versicherte damit wissentlich "gegen sich selbst" gehandelt, so kann weder er noch seine Sonderrechtsnachfolgerin die Herstellung des ihm eigentlich zustehenden sozialen Rechts verlangen, weil er selbst und nicht die Behörde die rechtlich entscheidende Bedingung für den sozialrechtlichen Nachteil gesetzt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 14187416 |
BSGE 2021, 226 |