Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachversicherung. Referendar. Beamter auf Widerruf. Wahlrecht. öffentlich-rechtliche Versorgungseinrichtung. sozialrechtlicher Hersleitungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Hat der Nachzuversichernde sein „Wahlrecht:.” (§ 124 Abs. 6b AVG) nicht binnen Jahresfrist ausgeübt und der Arbeitgeber die Beiträge an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte entrichtet, kann der Versicherte von dieser die Übertragung der Beiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk auch nicht aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlanden (Anschluß an und Ergänzung zu BSG SozR 2400 § 124 Nr. 6).
Normenkette
AVG §§ 6, 9, 82, 124, 143; SGB IV § 26; SGB I §§ 14-15
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Mai 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist im Revisionsverfahren nur noch, ob die vom Beigeladenen zu 2 an die Beklagte im Wege der Nachversicherung für den Kläger entrichteten Beiträge auf die Beigeladene zu 1 zu übertragen sind.
Der Kläger war in der Zeit vom 1. November 1979 bis 25. Februar 1982 als Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst Beamter auf Widerruf im Dienste des Beigeladenen zu 2. Am 12. August 1982 wurde er als Rechtsanwalt in O. zugelassen. Er ist aufgrund des Gesetzes über das Niedersächsische Versorgungswerk der Rechtsanwälte vom 14. März 1982 (GVBl 1982, 65) Mitglied der Beigeladenen zu 1 und zahlt seit dem 1. Januar 1984 Versicherungsbeiträge als Pflichtmitglied.
Mit Schreiben vom 8. März 1983 bat der Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) C. den Kläger wegen der für die Dauer der Referendarzeit durchzuführenden Nachversicherung um Angabe seiner Tätigkeit. Einen Hinweis auf die Wahlmöglichkeit zwischen einer Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer berufsständischen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung nach § 124 Abs. 6a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und die einjährige Ausschlußfrist nach § 124 Abs. 6b AVG enthielt das Schreiben nicht. Nachdem der Kläger dem OLG seine Zulassung als Rechtsanwalt mitgeteilt hatte, überwies der Beigeladene zu 2 im Mai 1983 an die Beklagte Nachversicherungsbeiträge für die Referendarzeit und erteilte dem Kläger eine entsprechende Bescheinigung nach § 124 Abs. 6 AVG.
Die Beigeladene zu 1 unterrichtete den Kläger am 5. Dezember 1983 über die bei ihr satzungsgemäß vorgesehene Möglichkeit einer Nachversicherung ab 1. Januar 1983, von der der Kläger keinen Gebrauch machte.
Am 17. September 1990 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung der an sie ua für die Zeit vom 1. November 1979 bis 25. Februar 1982 gezahlten Beiträge im Hinblick auf eine Überweisung an die Beigeladene zu 1. Die Beklagte faßte dies als Antrag auf Beitragserstattung nach § 82 AVG auf und lehnte eine solche durch Bescheid vom 9. November 1990 ab, weil die Beiträge allein von dem damaligen Dienstherrn getragen worden seien. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1991).
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger ua beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die vom Beigeladenen zu 2 zu seinen Gunsten geleisteten Nachversicherungsbeiträge auf sein Konto bei der Beigeladenen zu 1 zu übertragen, hilfsweise diese Beiträge an ihn auszuzahlen. Durch Urteil vom 13. Oktober 1992 hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg die Beklagte dem vorgenannten Hauptantrag des Klägers entsprechend verurteilt und ausgeführt, die Beiträge seien unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu übertragen, weil der Präsident des OLG C. seine aus § 87 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Beamtengesetzes folgende Pflicht verletzt habe, den Kläger über die Wahlmöglichkeit des § 124 Abs. 6a AVG und den Ablauf der Ausschlußfrist des § 124 Abs. 6b AVG zu informieren. Das gemeinsame Ziel von Beamtenversorgung und gesetzlicher Rentenversicherung, eine effektive Alterssicherung zu gewährleisten, rechtfertige es, daß die Beklagte sich im Rahmen des Herstellungsanspruchs die Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht durch das beigeladene Land zurechnen lassen müsse.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Berufung hat die Beklagte vorgetragen, die Pflichtverletzung des Präsidenten des OLG sei ihr im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht zurechenbar, weil der Präsident des OLG nicht als Behörde iS des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I), sondern als Arbeitgeber gehandelt habe. Dieser Auffassung hat sich das Landessozialgericht (LSG) angeschlossen, das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Mai 1993).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und ist weiterhin der Ansicht, daß die Beklagte unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verpflichtet sei, die vom Beigeladenen zu 2 geleisteten Nachversicherungsbeiträge an die Beigeladene zu 1 zu überweisen. Der Beigeladene zu 2 habe es unterlassen, ihn, den Kläger, rechtzeitig auf die in § 124 Abs. 6a AVG geregelte Wahlmöglichkeit bei der Durchführung der Nachversicherung hinzuweisen. Dieses Fehlverhalten des Beigeladenen zu 2 sei der Beklagten zuzurechnen. Bei Kenntnis der Wahlmöglichkeit hätte er, der Kläger, den Antrag auf Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 rechtzeitig gestellt und damit eine Verbesserung seiner Altersversorgung erreicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Mai 1993 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. Oktober 1992 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene zu 1 hat sich im Revisionsverfahren zur Sache nicht geäußert. Der Beigeladene zu 2 schließt sich sinngemäß dem Antrag und Vorbringen der Beklagten an.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf hat, daß die von dem Beigeladenen zu 2 zur Nachversicherung des Klägers entrichteten Beiträge an die Beigeladene zu 1 überwiesen werden.
Ob der Kläger den sog Hälfteanteil der von dem Beigeladenen zu 2 an die Beklagte geleisteten Versicherungsbeiträge an sich selbst gemäß § 82 Abs. 1 AVG erstattet verlangen kann, hatte der Senat nicht zu entscheiden, weil der diesbezüglich in erster Instanz gestellte Hilfsantrag nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.
Zwar hat das LSG in seinem Urteil nicht geprüft, ob die Klage nach dem Hilfsantrag begründet gewesen wäre. Der Kläger hat aber in seinem Revisionsvorbringen nicht erkennen lassen, daß er weiterhin zumindest die Erstattung der Beiträge an sich selbst verlange. Aus seinem Revisionsantrag und seiner Revisionsbegründung ergibt sich vielmehr, daß er der Sache nach nur die Wiederherstellung des zu seinen Gunsten ergangenen erstinstanzlichen Urteils, dh die Verurteilung der Beklagten zur Überweisung der Beiträge an die Beigeladene zu 1 begehrt. Einen solchen Anspruch hat das LSG im Ergebnis zu Recht verneint.
Im geltenden deutschen Recht gibt es keine Vorschrift, die es zuläßt, daß die von dem Beigeladenen zu 2 an die Beklagte entrichteten Beiträge entweder unmittelbar an die Beigeladene zu 1 überwiesen oder an den Kläger erstattet und dann von ihm an die Beklagte weitergeleitet werden. Da der Kläger vor dem 1. Januar 1992, aus den Diensten des Beigeladenen zu 2 ausgeschieden ist, war die Nachversicherung nach den Vorschriften des AVG durchzuführen (§ 233 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung –), § 124 AVG, der iVm § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG und § 9 Abs. 1 und 2 AVG die Nachversicherung von Referendaren regelt, enthielt keine Bestimmung, die die Übertragung von Beiträgen von der Beklagten auf die Beigeladene zu 1 zulassen würde. Vielmehr enthielt diese Vorschrift in § 124 Abs. 6 AVG nur die Regelung, daß der Kläger nach dem Ausscheiden aus dem Referendardienst grundsätzlich bei der Beklagten „nachzuversichern” war. Gemäß § 124 Abs. 6a und ob AVG hätte er statt dessen die Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 beantragen können. Einen solchen Antrag hat der Kläger aber innerhalb der vorgeschriebenen Jahresfrist nicht gestellt. Damit war das Wahlrecht zur Nachversicherung bei der Beigeladenen zu 1 erloschen. Zu dieser Rechtsfolge hat der 4, Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 1. September 1988 (4 RA 18/88 – SozR 2400 § 124 Nr. 6) Näheres ausgeführt. Dem schließt sich der erkennende Senat nach eigener Überprüfung an. Nachdem der Kläger keinen wirksamen Antrag gestellt hatte, war der Beigeladene zu 2 verpflichtet, die Nachversicherung bei der Beklagten durchzuführen. Die demzufolge geleisteten Beiträge galten gemäß § 124 Abs. 4 Satz 1, § 9 Abs. 5a AVG als rechtzeitige Pflichtbeiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit.
Es lag auch nicht etwa eine Zahlung an einen unzuständigen Versicherungszweig vor mit der Folge, daß die Beiträge in Anwendung von § 143 Abs. 1 AVG beanstandet und nach § 143 Abs. 2 AVG an die Beigeladene zu 1 überwiesen werden könnten. Denn der Beigeladene zu 2 hat die Beiträge – mangels anderen Antrags des Klägers, wie oben ausgeführt – zu Recht an die Beklagte als für die Rentenversicherung der Angestellten zuständigen Versicherungszweig abgeführt. Falls Beiträge aus anderen Gründen fehlerhaft entrichtet worden sind – etwa weil die Zahlung wie im vorliegenden Fall nicht nach § 124 Abs. 6a Satz 1 AVG erfolgt ist –, so würde dies nach § 143 AVG nicht geheilt.
Der Kläger kann das von ihm erstrebte Ziel auch nicht über § 26 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – mit dem Begehren erreichen, daß die von dem Beigeladenen zu 2 an die Beklagte entrichteten Beiträge als „zu Unrecht entrichtete Beiträge” an den Beigeladenen zu 2 zurückerstattet und sodann an die Beigeladene zu 1 weitergeleitet werden. Ein solcher Anspruch scheitert schon daran, daß die Nachversicherungsbeiträge nach den vorherigen Ausführungen rechtmäßig entrichtet worden sind.
Ferner kann der Kläger seine Ansprüche nicht auf eine über den Wortlaut des § 124 AVG hinausgehende, eine Regelungslücke füllende Anwendung dieser Vorschrift stützen. Zwar hat der 11. Senat des BSG in seinem Urteil vom 19. November 1981 (11 RA 88/80 – SozR 1500 § 75 Nr. 39) ausgeführt, er habe keine Bedenken, die in § 124 AVG nur unvollkommen geregelten Rechtsbeziehungen zwischen den vier Beteiligten (wie hier Kläger, Beklagte sowie Beigeladene zu 1 und 2) dahin auszulegen, daß der Rentenversicherungsträger, soweit an ihn zu Unrecht gezahlt worden ist, verpflichtet sei, die Nachversicherungsbeiträge unmittelbar an das berufsständische Versorgungswerk auszukehren. Wenn auch die Beklagte in dieser Weise praktisch verfährt, so hält der erkennende Senat gleichwohl die Auslegung des 11. Senats für bedenklich. Ungeachtet dessen lassen sich aber die rechtlichen Überlegungen des 11. Senats nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Denn wie ausgeführt wurde, hat der Beigeladene zu 2 den Kläger bei der Beklagten nach rentenrechtlichen Vorschriften rechtmäßig nachversichert, also keine Beiträge zu Unrecht gezahlt.
Zutreffend hat das LSG schließlich im Ergebnis entschieden, daß der Kläger sein Begehren nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen kann. Bei diesem Anspruch handelt es sich um ein von der Rechtsprechung im Wege der Fortbildung des geschriebenen Rechts entwickeltes Rechtsinstitut iS des öffentlich-rechtlichen Nachteilsausgleichs. Dieser Anspruch setzt voraus, daß ein Sozialleistungsträger eine ihm dem Versicherten gegenüber aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I) verletzt hat. Außerdem muß zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Da das Sozialrechtsverhältnis so hergestellt werden soll, wie es dem Versicherten ohne die Pflichtverletzung zugestanden hätte, läßt sich mit Hilfe des Herstellungsanspruchs ein pflichtwidriges Verwaltungshandeln nur insoweit berichtigen, als die begehrte Amtshandlung rechtlich zulässig ist (vgl zB BSG, Urteile vom 15. Mai 1985 – 7 RAr 103/83 – SozR 4100 § 103 Nr. 36, vom 22. November 1988 – 5/4a RJ 79/87 – SozR 5750 Art. 2 § 4 Nr. 4, vom 23. April 1990 – 5 RJ 65/89 – SozSich 1991, 32, vom 25. Januar 1994 – 7 RAr 50/93 – SozR 3-4100 § 249e Nr. 4 und vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 64/93 – SozR 3-2600 § 58 Nr. 2). Daran mangelt es im Falle des Klägers. Die Beklagte kann die an sie von dem Beigeladenen zu 2 entrichteten Beiträge nicht in rechtlich zulässiger Weise an die Beigeladene zu 1 überweisen. Das diesbezügliche Begehren des Klägers hat – wie ausgeführt – keine rechtliche Grundlage, so daß ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch schon deshalb nicht gegeben ist.
Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob der Anspruch auch daran scheitert, daß der Beklagten eine Pflichtverletzung des Beigeladenen zu 2 mangels einer sog Funktionseinheit nicht zuzurechnen wäre, worauf der 4. Senat des BSG seine in einem vergleichbaren Fall für den Versicherten negative Entscheidung gestützt hat (vgl Urteil vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 66, 93 – Die Beiträge 1996, 309). Ebenso kann offenbleiben, ob der Kläger vom Beigeladenen zu 2, falls dieser ihn falsch beraten haben und die Pflichtverletzung für das Unterlassen einer rechtzeitigen Antragstellung ursächlich gewesen sein sollte, auf dem zuständigen Rechtsweg verlangen kann, daß der Beigeladene zu 2 ihn erneut – diesmal bei der Beigeladenen zu 1 – nachversichert.
Nach alledem war die Revision des Klägers zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1049465 |
NJW 1997, 1461 |
Breith. 1997, 661 |
SozSi 1997, 198 |