Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführung ohne Auftrag
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erfüllung der den Leistungsträgern der Sozialversicherung obliegenden Pflichten liegt im öffentlichen Interesse.
2. Die Vorschriften des BGB über die Geschäftsführung ohne Auftrag gelten im Recht der Sozialversicherung jedenfalls dann, wenn der Geschäftsführer kein Leistungsträger i. S. des § 102 SGB X ist.
3. Die Vorschriften des BGB über die Geschäftsführung ohne Auftrag gelten im Recht der Sozialversicherung jedenfalls dann, wenn der Geschäftsführer kein Leistungsträger i. S. des § 102 ff. SGB X ist.
Normenkette
BGB §§ 677, 679
Gründe
I. Der klägerische Krankenhauszweckverband, der Krankenhäuser unterhält, hat in einem seiner Krankenhäuser die Beigeladenen zu 2) bis 7) behandelt und begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt die Erstattung der ihm entstandenen Aufwendungen.
Die Beigeladenen zu 2) bis 7) sind bei der Beklagten rentenversichert. Sie sind alkohol- oder drogenabhängig und haben sich in einem Krankenhaus des Klägers einer sogenannten Entgiftungsbehandlung unterzogen. Sie waren zur Zeit der Behandlung nicht krankenversichert. Die Beklagte lehnte es in allen Fällen gegenüber dem Kläger ab, die Kosten der Entgiftung zu tragen, nachdem zuvor der Beigeladene zu 1) als zuständiger Sozialhilfeträger eine Kostenübernahme ebenfalls abgelehnt hatte. Im einzelnen handelt es sich um folgende Sachverhalte:
Der Beigeladene zu 2) - geboren 1949 - war alkoholabhängig. Er stellte bei der Beklagten einen Antrag auf berufliche Rehabilitation. Die Beklagte teilte ihm am 8. Januar 1985 mit, daß zunächst eine Entwöhnungsbehandlung notwendig sei. Er beantragte darauf medizinische Leistungen zur Rehabilitation. Die Beklagte gewährte ihm eine stationäre Heilmaßnahme für eine Dauer bis zu 26 Wochen (Bescheid vom 14. März 1985). Bevor diese Heilmaßnahme begann (26. März 1985), wurde er (vom 19. März 1985 bis 26. März 1985) in einem Krankenhaus des Klägers stationär behandelt. Er wurde entgiftet. Am 26. März 1985 begann die von der Beklagten bewilligte Entwöhnungsbehandlung.
Der Beigeladene zu 3) - geboren 1957 - war heroinsüchtig. Die Beklagte bewilligte ihm auf seinen Antrag hin eine stationäre Heilbehandlung für eine Dauer von bis zu 26 Wochen (Bescheid vom 14. November 1985). Der Kläger behandelte den Beigeladenen in der Zeit vom 12. November bis 15. November 1985 stationär (Entgiftung). Anschließend begann die von der Beklagten bewilligte stationäre Heilbehandlung.
Der Beigeladene zu 4) - geboren 1958 - war heroinsüchtig. Die Beklagte gewährte ihm auf seinen Antrag eine stationäre Heilbehandlung - Entwöhnung - (Bescheid vom 5. Februar 1985). Vom 12. Februar bis 17. Februar 1985 wurde er von dem Kläger stationär behandelt (Entgiftung). Die von der Beklagten bewilligte Behandlung begann am 18. Februar 1985.
Der Beigeladene zu 5) - geboren 1957 - war drogen- und alkoholabhängig. Die Beklagte bewilligte ihm auf seinen Antrag eine Entwöhnungsbehandlung. Vom 5. August bis 7. August 1986 wurde er vom Kläger stationär behandelt (Entgiftung). Am 7. August 1986 wurde er zu einer Entwöhnungsbehandlung von mindestens 9 Monaten Dauer aufgenommen. Der Versicherte brach die Behandlung am 28. August 1986 ab.
Die Beklagte bewilligte dem Versicherten auf seinen Antrag erneut eine stationäre Entwöhnungsbehandlung (Bescheid vom 3. Oktober 1986). Vom 8. Oktober bis 15. Oktober 1986 war der Versicherte im Krankenhaus des Klägers zur Entgiftung. Die Kosten beliefen sich auf 2.582,80 DM. Am 15. Oktober 1986 begann die Entwöhnungsbehandlung, die ihm die Beklagte bewilligt hatte.
Der Beigeladene zu 6) - geboren 1957 - war drogenabhängig. Die Beklagte gewährte ihm auf seinen Antrag eine stationäre Entwöhnungsbehandlung (Bescheid vom 26. Mai 1986). Zuvor unterzog er sich im Krankenhaus des Klägers vom 30. August bis 2. September 1986 einer stationären Entgiftung. Vom 2. September 1986 bis 2. Oktober 1987 dauerte die von der Beklagten bewilligte Entwöhnungsbehandlung.
Der Beigeladene zu 7) - geboren 1941 - litt an chronischem Alkoholismus. Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte ihm eine stationäre Entwöhnungsbehandlung (Bescheid vom 30. Dezember 1986). Der Versicherte befand sich zur Entgiftung im Krankenhaus des Klägers vom 2. März bis 10. März 1987. Vom 10. März bis 8. September 1987 dauerte die Entwöhnungsbehandlung, die ihm die Beklagte bewilligt hatte.
Vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Entgiftungsbehandlungen der Beigeladenen zu 2) bis 7) an den Kläger zu zahlen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Dezember 1988) und hat im wesentlichen ausgeführt: Es handele sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung, über die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden hätten (§ 51 des Sozialgerichtsgesetzes - Sozialgerichtsgesetz (SGG) -). Daran ändere auch nichts, daß sich Ansprüche des Klägers nur aus Geschäftsführung ohne Auftrag herleiten ließen, also einem Institut des Bürgerlichen Rechts (§§ 677 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte bestünde nur, wenn der Kläger mit der Entgiftung der Beigeladenen ein Geschäft der Beklagten geführt hätte, wenn er also in einer Angelegenheit tätig geworden wäre, für die im Gesetz vorgesehen sei, daß die Beklagte der richtige Kostenträger sei. Das sei aber nicht der Fall. Zwar bestehe zwischen den Beteiligten Einigkeit darüber, daß mit einer Alkohol- oder Drogenentziehungskur erst begonnen werden könne, wenn die Entgiftung durchgeführt sei. Dennoch stelle die Entgiftung alkohol- oder drogenabhängiger Versicherter keine Leistung dar, die die Beklagte im Rahmen der §§ 1236, 1237 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu erbringen habe. Denn es handele sich um Krankenhausbehandlung i.S. des § 184 RVO, für die keine Leistungspflicht der Beklagten bestehe. Die Tatsache, daß die Beigeladenen nur rentenversichert, nicht jedoch krankenversichert gewesen seien, dürfe nicht dazu führen, daß dem Rentenversicherungsträger Leistungen auferlegt würden, die nicht zu seinem Bereich gehörten.
Der Kläger hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt.
Er trägt vor: Eine Aufteilung in Rehabilitationsbehandlung und Krankenhausbehandlung nach §§ 184, 184a Reichsversicherungsordnung (RVO) sei sachfremd. Auch die im Krankenhaus durchgeführten Entgiftungen seien Maßnahmen, die die Beklagte in Ausübung ihres Ermessens im Rahmen der von ihr durchzuführenden medizinischen Rehabilitation zu gewähren habe. Da eine Entwöhnungsbehandlung medizinisch ohne eine Entgiftungsbehandlung nicht erfolgversprechend sei, die Entgiftung also zur Erreichung des Rehabilitationserfolges notwendig sei, sei sie Bestandteil der Gesamtrehabilitationsmaßnahme. Soweit zwei Versicherungsträger dafür in Betracht kämen, eine derartige Maßnahme durchzuführen, erscheine eine Trennung und geteilte Zuständigkeit hinsichtlich der Kostenübernahme unbedenklich, da der Gesamterfolg dadurch nicht beeinträchtigt werde. Sei aber nur ein Versicherungsträger vorhanden, sei er allein zuständig. Der Sozialhilfeträger sei dagegen kein Träger der Rehabilitation.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die stationären Krankenhauspflegekosten für nachfolgend aufgeführte Versicherte zu zahlen:
U., W., DM 2.240,-- L., B., DM 1.220,-- S., A., DM 1.830,-- St., R., DM 645,70 St., R., DM 2.582,80 D., K. T., DM 1.291,40 Sch., K., DM 2.966,40, jeweils zuzüglich Zinsen;
hilfsweise beantragt der Kläger, die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II.
Die Sprungrevision des Klägers ist dem Grunde nach begründet (§ 130 Satz 1 SGG).
Beim Kläger handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art 2 Abs 3 des - Bayerischen - Gesetzes über die Kommunale Zusammenarbeit vom 12. Juli 1966, BayRS 2020-6-1-I), die nach § 166 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht dem Vertretungszwang vor dem BSG unterliegt.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der Kosten, die er für die Entgiftung der Beigeladenen aufgewendet hat. Der Anspruch folgt aus Geschäftsführung ohne Auftrag.
Für diesen Anspruch des Klägers ist der Rechtsweg vor den Sozialgerichten eröffnet. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten ua in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Darum handelt es sich hier.
Rechtlich im einzelnen geregelt ist das Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag zwar im bürgerlichen Recht (§§ 677 ff BGB). Die Grundsätze, die in diesen Bestimmungen des BGB ihren Niederschlag gefunden haben, gelten aber auch im öffentlichen Recht (BVerwG in BVerwGE 80, 170; NJW 1989, 922). Die öffentliche Natur des Anspruchs ergibt sich hier daraus, daß zwei öffentlich-rechtlich organisierte Körperschaften beteiligt sind, die gerade aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Auftrages tätig geworden sind bzw tätig sind und die gerade aufgrund ihrer öffentlichen Rechte und Pflichten in den anhängigen Rechtsstreit verwickelt worden sind. Eine öffentlich-rechtliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen liegt immer dann vor, wenn ein Hoheitsträger oder eines seiner Organe aufgrund besonderer, speziell sie berechtigender oder verpflichtender Rechtsvorschriften beteiligt ist (vgl BSG Nrn 54 Da 23 und 61 Da 31 zu § 51 SGG). Es handelt sich auch um eine Angelegenheit der Sozialversicherung. Denn der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte wird darauf gegründet, daß es gemäß den §§ 1236 ff Reichsversicherungsordnung (RVO) Aufgabe der Beklagten ist, die Entgiftung der Beigeladenen zu gewährleisten, so daß aus diesem Grund der Kläger ein Geschäft der Beklagten geführt habe, wenn er seinerseits bis jetzt die Kosten der Entgiftung getragen hat.
Die materiellen Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag liegen auch vor.
Die Vorschriften des BGB über eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff BGB) sind im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden (BVerwG in BVerwGE 80, 170; NJW 1989, 922). Für den Bereich der Sozialversicherung muß dies jedenfalls dann gelten, wenn der Geschäftsführer - wie hier der Kläger - kein Leistungsträger iS der §§ 102 ff SGB X ist, mithin ein Erstattungsanspruch nach diesen Vorschriften ausscheidet, der Geschäftsführer indes mit der Geschäftsführung gleichwohl eine Aufgabe eines sozialrechtlichen Leistungsträgers übernommen hat (vgl BSGE 6, 197; 15, 56).
Gemäß § 683 BGB kann der Geschäftsführer wie ein Beauftragter (§ 670 BGB) Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. In den Fällen des § 679 BGB, also wenn durch die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn erfüllt wird, die im öffentlichen Interesse liegt, besteht dieser Ersatzanspruch auch dann, wenn die Übernahme der Geschäftsführung mit dem Willen des Geschäftsherrn in Widerspruch steht.
Der Kläger hat ein fremdes Geschäft geführt, als er die Kosten getragen hat, die durch die Entgiftung der Beigeladenen zu 2) bis 7) angefallen sind. Aufgabe des Klägers ist es zwar gewesen, die Entgiftung durchzuführen und die Kosten vorzustrecken, jedoch nur vorübergehend und für einen anderen. Krankenhausträger nehmen zwar auch, insbesondere soweit sie öffentlich-rechtlich organisiert sind, öffentliche Aufgaben wahr. Das letztliche Tragen der Kosten für die Behandlung gehört jedoch nicht zu ihren Aufgaben. Obwohl das SG keine entsprechenden Feststellungen getroffen hat, kann davon ausgegangen werden, daß der Kläger nicht nur tätig geworden ist aufgrund seiner Erwartung, das Geschäft eines öffentlich-rechtlichen Kostenträgers zu führen, sondern auch im Hinblick auf entsprechende Vereinbarungen mit den Beigeladenen zu 2) bis 7). Ohne deren ausdrückliche Zustimmung und ohne ihren Auftrag wäre ihre Behandlung gar nicht möglich und auch nicht Rechtens gewesen. Daß der Kläger für die Beigeladenen zu 2) bis 7) tätig geworden ist, schließt aber nicht aus, daß er auch ein Geschäft der Beklagten geführt hat. Selbst ein eigenes Geschäft kann gleichzeitig ein fremdes sein. Ein zugleich eigenes und fremdes Geschäft (auch-fremdes) Geschäft besorgt der Handelnde, wenn die Übernahme zugleich im eigenen und im Interesse eines anderen liegt, also wenn er ein objektiv-fremdes Geschäft mitbesorgt. Die Wahrung auch eigener Interessen schließt einen Fremdgeschäftsführungswillen nicht aus (BGH in BGHZ 63, 167, 169). Der Wille, ein fremdes Geschäft mitzubesorgen, wird vermutet, wenn es sich um ein auch-fremdes Geschäft handelt (BGHZ 65, 354, 358; NJW 1979, 598). Ebenso ist es nicht ausgeschlossen, daß die Geschäftsführung im Interesse verschiedener fremder Personen liegt und für sie erfolgt. Auch wenn der Geschäftsführer einem Dritten zur Besorgung verpflichtet ist oder dies irrtümlich annimmt, liegt Geschäftsführung ohne Auftrag für einen anderen vor, wenn der Geschäftsführer nicht lediglich im eigenen Interesse, nämlich in Erfüllung seiner eigenen Verpflichtung, sondern auch willentlich im Interesse des anderen handelt (BGHZ 16, 12, 16). Ein rein eigenes Geschäft des Klägers könnte zB dann hier vorliegen, wenn es dem Kläger (ursprünglich) nur um eine Vereinbarung mit den Beigeladenen und um sein (entgeltliches) Geschäft (Dienst- oder Werkvertrag) mit den Beigeladenen gegangen wäre. Es liegt jedoch auf der Hand, daß es einem Krankenhausträger nicht darum geht, aus Erwerbsgründen mit Drogenabhängigen oder sonstigen Suchtkranken entgeltliche Verträge abzuschließen. Die Notwendigkeit der Kostentragung durch Dritte ist gerade in diesen Fällen offensichtlich und wird seitens der Beklagten auch nicht bestritten. Es ist richtig, daß der Kläger zunächst offengelassen hat, ob ihm die Kosten vom Sozialhilfeträger oder von der Beklagten zu erstatten seien. Gestützt auf mehrere Urteile von Verwaltungsgerichten in anderen Fällen hat er sich erst später - nach Abschluß seiner Tätigkeit - die Rechtsmeinung gebildet, daß nicht der Sozialhilfeträger, sondern die Beklagte der richtige Geschäftsherr gewesen sei, für den er tätig geworden war. Das ist indes unschädlich. Ist der Geschäftsführer über die Person des Geschäftsherrn im Irrtum, so wird der wirkliche Geschäftsherr aus der Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet (§ 686 BGB).
Der Kläger hat insofern ein Geschäft der Beklagten geführt, als er Verpflichtungen der Beklagten gegenüber den Beigeladenen zu 2) bis 7) nach §§ 1236 ff Reichsversicherungsordnung (RVO) erfüllt hat. Die Bezahlung fremder Schulden zB ist typischerweise ein fremdes Geschäft (BGH in BB 1969, 194). Daß es Aufgabe des Rentenversicherungsträgers ist, dem Rentenversicherten, der in der Krankenversicherung nicht versichert ist, nicht nur die Entwöhnungsbehandlung, sondern auch die Entgiftung zu bezahlen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der §§ 1236 ff Reichsversicherungsordnung (RVO) gegeben sind, hat der Senat in dem Urteil vom 16. November 1989 (BSGE 66, 87 = SozR 2200 § 1237 Nr 23) bereits entschieden (ebenso Urteil des Senats vom 5. Dezember 1989 - 5 RJ 19/88). Die allgemeinen Voraussetzungen der §§ 1236 ff Reichsversicherungsordnung (RVO) sind von der Beklagten in den vorliegenden Fällen geprüft und bejaht worden. Denn sie hat den Beigeladenen zu 2) bis 7) eine Entwöhnungsbehandlung gewährt. Diese Voraussetzungen sind auch nicht im Streit. Die Beklagte ist lediglich weiter der Meinung, daß es nicht ihre Aufgabe sei, Entgiftungsbehandlungen zu gewähren. Insoweit hält indes der Senat an seiner gegenteiligen Rechtsauffassung in den eingehend begründeten Entscheidungen vom 16. 11. und 5. Dezember 1989 aaO fest.
Richtig ist, daß es zwar dem Willen der Beklagten entsprochen hat, wenn die Beigeladenen entgiftet wurden. Denn diese Behandlung war Voraussetzung der von der Beklagten bezahlten Entwöhnungsbehandlung. Die Beklagte war aber nicht einverstanden, daß der Kläger diese Entgiftung als Geschäft für sie, die Beklagte, führte. Dieser Wille ist indessen unbeachtlich, da die Beklagte aus öffentlich-rechtlichen Gründen heraus zu der Leistung verpflichtet war, die der Kläger an ihrer Stelle erbracht hat. Die Erfüllung ihrer Pflicht lag im öffentlichen Interesse (§ 679 BGB). Thomas bei Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch (48. Aufl 1989, § 679 Anm 2b) will das Merkmal des öffentlichen Interesses dahin einschränken, daß es nur gegeben sei, wenn dringende konkrete Belange der Allgemeinheit gefährdet oder beeinträchtigt seien. Meist gehe es um Gefahren für Leben und Gesundheit. Zwar wäre es nicht auszuschließen, bei der Entgiftung eines Suchtkranken anzunehmen, daß es in diesem Sinne um Leben und Gesundheit geht. Doch kann dies dahingestellt bleiben, weil die von Thomas aaO vorgenommene Einschränkung des § 679 BGB nicht dem Gesetz entspricht. § 679 BGB spricht von einem öffentlichen Interesse und nicht von einem dringenden öffentlichen Interesse. Die von Thomas vorgenommene Einschränkung ist von der höchstrichterlichen Rechtspr nicht übernommen worden, was Thomas auch erkennt, da er (aaO) ausdrücklich ein Urteil des BGH (BGHZ 7, 346, 355) nennt, das er ablehnt. In dieser Entscheidung ist in der Erfüllung von Steuerschulden schon ein Fall des § 679 BGB - Erfüllung im öffentlichen Interesse - gesehen worden.
Die Erfüllung im öffentlichen Interesse iS des § 679 BGB darf somit nicht zu eng gesehen werden. Dies ergibt sich auch daraus, daß der Inhalt dieser Vorschrift ebenso aus den Grundsätzen von Treu und Glauben herleitbar wäre. Es erscheint treuwidrig, wenn sich jemand darauf beruft, die Erfüllung seiner Pflichten habe nicht seinem Willen entsprochen. Da aber offenbar nicht jeder einen anderen zur Erfüllung von dessen Pflichten soll anhalten dürfen, enthält § 679 BGB gewissermaßen eine Einschränkung dieses Grundsatzes durch die Beschränkung auf die Erfüllung von Pflichten im öffentlichen Interesse. Bei öffentlichem Interesse darf man gegen den Willen des Verpflichteten für ihn handeln, ihn damit einerseits zur Erfüllung seiner Verpflichtungen anhalten und andererseits dafür sorgen, daß Verpflichtungen, die im öffentlichen Interesse liegen, nicht unerfüllt bleiben. Eine weitere Einschränkung auf dringendes öffentliches Interesse oder auf die Gefährdung öffentlicher Interessen ist weder dem Gesetz zu entnehmen noch sinnvoll.
Gerade in der rechtzeitigen Erfüllung der Verpflichtung eines sozialrechtlichen Leistungsträgers hat das BSG bereits in einer früheren Entscheidung einen Fall der §§ 679, 683 BGB - Erfüllung einer Verpflichtung im öffentlichen Interesse - gesehen und dabei betont, daß es keiner näheren Darlegung bedarf, daß die Erfüllung der durch Gesetz und Satzung den Krankenkassen auferlegten Pflichten im öffentlichen Interesse liegt (BSGE 6, 197, 201). Nicht anders ist es zu beurteilen, wenn ein Krankenhausträger für die - in den vorliegenden Fällen der Beklagten obliegenden - Entgiftung Suchtkranker rechtzeitig sorgt, so daß die nachfolgende von der Beklagten als Rentenversicherungsträger selbst gewährte Entwöhnungsbehandlung noch sinnvoll durchgeführt werden kann. Daß gerade bei Suchtkranken auch die rechtzeitige Behandlung von Bedeutung ist, insbesondere die Behandlung zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kranken die Kraft zur Mitwirkung an der Maßnahme aufbringen, ist allgemein bekannt.
Da somit die Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag zu Gunsten des Klägers vorliegen, besteht sein Anspruch dem Grunde nach zu Recht.
Fundstellen
Haufe-Index 1455832 |
BSGE, 100 |
NJW 1991, 2373 |