Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. arbeitstechnische Voraussetzung. bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. mehrere Berufskrankheiten. Einwirkung. Zusammenwirken. Synergie. Kausalität. Verursachungsanteile. Untrennbarkeit. gemeinsame MdE
Leitsatz (amtlich)
- Wirken bei der Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule berufliche Einwirkungen im Sinne der Nr 2108 und der Nr 2110 Anl BKV (juris Abkürzung: BKV Anl 1 Nr 2108, BKV Anl 1 Nr 2110) zusammen, können beide Berufskrankheiten nebeneinander vorliegen, auch wenn bei gesonderter Betrachtung die Orientierungswerte für die jeweiligen schädigenden Einwirkungen nicht erreicht sind.
- Erfüllt eine Krankheit die Tatbestände mehrerer Berufskrankheiten, so ist für alle Berufskrankheiten eine gemeinsame MdE festzusetzen.
Normenkette
BKV Anl. 1 Nrn. 2108, 2110; BKVO Anl. 1 Nr. 2108; SGB VII § 56
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) des Klägers als Berufskrankheit (BK) zu entschädigen ist und, wenn ja, ob die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) für Fahrzeughaltungen oder die beigeladene Großhandels- und Lagerei-BG dafür zuständig ist.
Der im Jahre 1940 geborene Kläger arbeitete im Beitrittsgebiet von 1954 bis 1958 als Bauarbeiter und von 1958 bis 1962 als Bergmann. Danach war er von 1962 bis 1990 im Kohlenhandel als Kraftfahrer mit Abtragetätigkeit in unterschiedlichen Mitgliedsunternehmen der Beigeladenen beschäftigt. Bis April 1988 bestand seine Tätigkeit überwiegend im Be- und Entladen von Kohle sowie deren Auslieferung. Als Kohlenträger hat er ab 1966 täglich Gesamtlasten von 5 Tonnen (t) gehoben und getragen. Bei einem Gewicht von mehr als 75 kg pro Kohlenkasten ergaben sich etwa 70 Hebe- und ebenso viele Absetz- und Tragevorgänge. Bei der Auslieferung von Bündelkohle wurden täglich etwa 6 t ausgeliefert, wobei die Bündelkohle mit Griffen seitlich am Körper (zwei Bündel auf einmal) getragen wurde. Außerdem musste alle zwei bis drei Tage zu zweit eine Wagonladung von 25 t Kohle mit der Kohlegabel auf LKW-Hänger geschaufelt werden. Zudem war der Kläger als Führer der Auslieferungsfahrzeuge ein bis zwei Stunden täglich vertikalen Ganzkörperschwingungen ausgesetzt. Ab Mai 1988 wurde er nur noch als Kraftfahrer mit einer täglichen Lenkzeit von 6 bis 8 Stunden eingesetzt. Nach der Wiedervereinigung war der Kläger bis 1992 als Kraftfahrer und seit 1992 als Bauhelfer bei Mitgliedsunternehmen der Beklagten beschäftigt. Seit dem 17. Oktober 1996 war er wegen einer Lumboischialgie arbeitsunfähig erkrankt.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1998 die Gewährung von Leistungen ab, weil die Tatbestandsvoraussetzungen der in Frage kommenden BKen nach der Nr 2108, 2109 oder 2110 der Anl 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 20. Dezember 1968 (BGBl I 729) im Fall des Klägers nicht erfüllt seien.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, eine BK nach Nr 2110 Anl 1 BKVO mit Versicherungsfall vom 1. September 1992 anzuerkennen und ihm ab 1. Dezember 1996 eine Verletztenteilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH zu gewähren. Außerdem hat er erklärt, dass er den Antrag auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der BKen nach Nr 2108 und Nr 2109 Anl 1 BKVO nicht weiter stelle. Gegenüber der Beigeladenen hat er beantragt, eine BK nach Nr 70 der Berufskrankheitenverordnung der DDR vom 21. April 1981 (BKV DDR) wegen der von ihm verrichteten Hebe- und Tragetätigkeiten anzuerkennen. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt; über den gegen die Beigeladene gerichteten Antrag hat es nicht entschieden (Urteil vom 14. November 2003).
Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte den Kläger wegen der Folgen der BKen nach Nr 2108 und Nr 2110 Anl 1 BKVO zu entschädigen habe (Urteil vom 7. Dezember 2004). Dem Kläger stehe Verletztenrente wegen der Folgen beider die LWS betreffender BKen zu, weil eine Aufteilung der Schäden im Bereich der Lendenwirbelsäule in solche, die durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten (Nr 2108) und solche, die durch vertikale Ganzkörperschwingungen (Nr 2110) verursacht worden seien, nicht möglich sei. Dass bei isolierter Betrachtung die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Nr 2110 Anl 1 BKVO nicht gegeben seien, sei unschädlich. Denn die BKen Nr 2108 und Nr 2110 verursachten im Wesentlichen die gleichen morphologischen Befunde und Beschwerden, sodass die jeweiligen Gefährdungszeiträume zusammengerechnet werden müssten und beide BK-Tatbestände nebeneinander erfüllt seien. Da beide BKen zusammen ein einheitliches Krankheitsbild zeigten, könne auch nur eine gemeinsame MdE gebildet werden.
Prozessuale Hindernisse stünden der Verurteilung auch zur Anerkennung der BK Nr 2108 Anl 1 BKVO nicht entgegen. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem SG abgegebenen Erklärungen beinhalteten bei sinnentsprechender Auslegung keine Teilklagerücknahme. Zuständig für die Entschädigung des Klägers sei die Beklagte. Nach einer zwischen den gewerblichen Unfallversicherungsträgern geschlossenen Verwaltungsvereinbarung vom 1. April 1994 komme es darauf an, in wessen Zuständigkeitsbereich die letzte gefährdende Tätigkeit ausgeübt worden sei. Das sei hier die Tätigkeit als Kraftfahrer in einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Zur Entschädigung einer BK nach Nr 2108 Anl 1 BKVO habe sie nicht verurteilt werden dürfen, denn insoweit sei der angefochtene Bescheid durch Klagerücknahme gegenüber dem SG bestandskräftig geworden. Zudem sei sie – die Beklagte – für die Entschädigung dieser BK nicht zuständig, nachdem der Kläger in ihrem Zuständigkeitsbereich keine einschlägig gefährdenden Tätigkeiten ausgeübt habe. Eine BK nach Nr 2110 Anl 1 BKVO liege entgegen der Ansicht des LSG nicht vor, weil die geforderten arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Eine aus der Nr 2108 und 2110 Anl 1 BKVO kombinierte BK, wie sie das Berufungsgericht zugrunde gelegt habe, sei in der BKVO nicht vorgesehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2004 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an. Sie teilt die Auffassung, dass die Expositionstage mit Einwirkungen im Sinne der Nr 2108 und der Nr 2110 Anl 1 BKVO zu addieren sind. Sie hält aber eine berufliche Verursachung der LWS-Erkrankung im konkreten Fall für unwahrscheinlich, weil das beim Kläger festgestellte Schadensbild nicht belastungskonform sei.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH wegen der Folgen der BKen Nr 2108 und Nr 2110 Anl 1 BKVO lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Nicht stichhaltig sind die gegen das angefochtene Urteil in prozessualer Hinsicht erhobenen Einwände. Die Rüge, das LSG habe über das Vorliegen einer BK Nr 2108 Anl 1 BKVO und etwaige daraus resultierende Leistungsansprüche nicht entscheiden dürfen, weil der Kläger insoweit seine Klage zurückgenommen habe, verkennt die Bedeutung der in der mündlichen Verhandlung vor dem SG abgegebenen Erklärungen. Ausdrücklich ist eine Klagerücknahme bezüglich der BK Nr 2108 nicht erklärt worden. Der Kläger hat allerdings zu Protokoll gegeben, dass er den Antrag auf Gewährung einer Verletztenteilrente wegen einer BK nach Nr 2108 und Nr 2109 Anl 1 BKVO nicht weiter stelle. Gleichzeitig hat er aber die Anerkennung einer BK nach Nr 70 BKVO DDR durch die Beigeladene beantragt und bekräftigt, dass auch die durch schweres Heben und Tragen verursachten Wirbelsäulenschäden als BK entschädigt werden müssten. Unter diesen Umständen kann die Beschränkung des Klageantrags auf die BK Nr 2110 für sich allein nicht als eindeutige Prozesserklärung im Sinne einer Klagerücknahme gewertet werden.
Prozesshandlungen können zwar grundsätzlich auch durch schlüssiges Verhalten vorgenommen werden, sodass eine Erklärung als Klagerücknahme auszulegen sein kann, auch wenn sie nicht explizit als solche bezeichnet ist. Eine stillschweigende Klagerücknahme kann insbesondere darin zu sehen sein, dass ein bisher gestellter Antrag nicht mehr aufrechterhalten wird. Das kommt aber nur in Betracht, wenn nach den gesamten Umständen unzweifelhaft ist, dass mit der Antragsbeschränkung das bisherige Klagebegehren fallen gelassen werden sollte (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 102 RdNr 4, 7b; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Kap VII, RdNr 168, 170). Eine solche Situation liegt hier nicht vor. Der Kläger hat sein Ziel, das Rückenleiden auch unter dem Aspekt der Verursachung durch die langjährige Hebe- und Tragetätigkeit als BK anerkannt zu bekommen, ausdrücklich aufrechterhalten und mit der Umstellung seiner Anträge lediglich auf Hinweise reagiert, dass eine derartige BK nicht von der Beklagten, sondern von der Beigeladenen nach dem Berufskrankheitenrecht der früheren DDR zu entschädigen sei. Ging es ihm aber nur um die Formulierung sachdienlicher Anträge, so kann aus den protokollierten Erklärungen allein nicht mit der erforderlichen Sicherheit geschlossen werden, er habe im Bewusstsein der prozessualen Konsequenzen bezüglich der BK Nr 2108 Anl 1 BKVO die Klage zurücknehmen und den Bescheid der Beklagten nicht mehr anfechten wollen.
Auch in der Sache selbst greifen die rechtlichen Einwände der Revision gegen das angefochtene Urteil nicht durch. Das LSG hat die Beklagte zu Recht zur Gewährung einer Verletztenteilrente wegen der Folgen der BKen Nr 2108 und Nr 2110 Anl 1 BKVO verurteilt. Dem Kläger steht der ausgeurteilte Rentenanspruch zu (1). Die Beklagte ist der für die Leistungsgewährung zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (2).
(1) Der Senat lässt offen, ob der Rentenanspruch des Klägers noch nach dem Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder bereits nach den Vorschriften des am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen SGB VII zu beurteilen ist. Nach der Übergangsregelung des § 214 Abs 3 SGB VII gelten – abweichend von der Grundregel des § 212 SGB VII – die Vorschriften über Renten, Beihilfen, Abfindungen und Mehrleistungen auch für Versicherungsfälle vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes, wenn diese Leistungen nach dem In-Kraft-Treten erstmals festzusetzen sind. Wie die zuletzt genannte Wendung zu verstehen ist, ob damit der Zeitpunkt gemeint ist, in dem die materiellen Voraussetzungen für den Leistungsbezug erfüllt sind, oder aber der Zeitpunkt, in dem erstmals durch Verwaltungsakt über die Leistung entschieden wird, ist umstritten und durch die Rechtsprechung bisher nicht geklärt (siehe dazu das Senatsurteil vom 20. Februar 2001 – B 2 U 1/00 R – HVBG-Info 2001, 839, wo die Frage ebenfalls offen gelassen wurde). Obwohl im vorliegenden Fall von der Beantwortung der Streitfrage abhängt, welches Recht anzuwenden ist, sieht der Senat auch weiterhin von einer Klärung ab, weil die für den Anspruch des Klägers maßgeblichen Vorschriften des alten und des neuen Rechts in den streitigen Punkten inhaltlich übereinstimmen.
Anspruch auf Rente haben gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII (früher §§ 580 Abs 1, 581 Abs 1 Nr 2 RVO) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) über die 26. (früher die 13.) Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger vor. Insbesondere handelt es sich bei seiner Wirbelsäulenerkrankung um eine BK.
BKen sind nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII (§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII (§§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO) genannten Tätigkeiten erleidet. Als BKen kommen solche Krankheiten in Betracht, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII; § 551 Abs 1 Satz 3 RVO). In der Anl 1 der BKVO waren seit In-Kraft-Treten der Zweiten Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2343) bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (Nr 2108) sowie durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen (Nr 2110) als BKen erfasst, jeweils unter der Voraussetzung, dass die Erkrankung zum Unterlassen aller Tätigkeiten gezwungen hatte, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein konnten. Beide BK-Tatbestände sind wortlautgleich mit denselben Ordnungsnummern in die Anlage der die BKVO ablösenden neuen Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31. Oktober 1997 (BGBl I S 2623) übernommen worden.
Ohne Rechtsverstoß hat das LSG die Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sowohl als BK nach Nr 2108 als auch als BK nach Nr 2110 Anl 1 BKVO gewertet und für beide BKen zusammen eine einheitliche MdE festgesetzt. Es hat damit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht eine aus den Tatbeständen der Nr 2108 und 2110 zusammengesetzte neue BK gebildet, sondern dem Umstand Rechnung getragen, dass in Bezug auf die Wirbelsäulenerkrankung die Tatbestandsvoraussetzungen beider BKen vorliegen. Wie der Senat in dem unveröffentlichten Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 22/03 R – näher ausgeführt hat, sind die in der Berufskrankheitenliste aufgeführten Krankheiten grundsätzlich getrennt zu betrachten, weil jede von ihnen einen eigenen Versicherungsfall bildet. Die Entscheidung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer BK bezieht sich stets auf eine bestimmte Krankheit, die der Verordnungsgeber aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs 1 SGB VII (§ 551 Abs 1 RVO) als BK bezeichnet und in der Anlage der BKV (früher: Anl 1 BKVO) unter einer eigenen Ordnungsnummer aufgelistet hat oder die nach § 9 Abs 2 SGB VII (§ 551 Abs 2 RVO) im Einzelfall wie eine BK zu behandeln ist. Kann wie im Fall der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ein bestimmtes Krankheitsbild durch verschiedene berufliche Einwirkungen verursacht werden, die jeweils für sich genommen Gegenstand einer eigenen BK sein können, so besteht bei entsprechender Exposition die Möglichkeit, dass die betreffende Krankheit die Voraussetzungen zweier oder mehrerer BKen gleichzeitig erfüllt, die dann nebeneinander anzuerkennen und zu entschädigen sind.
Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass beide streitigen BKen Nr 2108 und Nr 2110 Anl 1 BKVO beim Kläger vorliegen, begegnet in rechtlicher Hinsicht ebenfalls keinen Bedenken. Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil besteht eine deutliche Höhenminderung des Bandscheibenraumes bei L 4/5 sowie eine massive Höhenminderung bei L 5/S 1, verbunden mit deutlichen bis erheblichen Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke sowie einer erheblich über die Altersnorm hinausgehenden Funktionsminderung. Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen ist die rechtliche Würdigung des Rückenleidens als bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (zum Begriff siehe BSG Urteil vom 31. Mai 2005 – B 2 U 12/04 R – SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2) nicht zu beanstanden.
Dem LSG ist auch beizupflichten, soweit es das Vorliegen der für die BKen Nr 2108 und Nr 2110 Anl 1 BKVO geforderten “besonderen Einwirkungen” iS des § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII (§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) bejaht hat. Den Umstand, dass bei der BK Nr 2110 die im Merkblatt des BMA für die ärztliche Untersuchung festgelegten Richtwerte für Ganzkörperschwingungen beim Kläger möglicherweise nicht ganz erreicht worden sind, hat es zu Recht nicht als Hindernis angesehen, weil bei einem Zusammenwirken von Tätigkeiten mit schwerem Heben und Tragen auf der einen und Tätigkeiten mit Belastung durch vertikale Ganzkörperschwingungen auf der anderen Seite die Letzteren nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Der Senat hat bereits in früheren Entscheidungen (Urteil vom 12. Juni 1990 – 2 RU 14/90 – HV-Info 1990, 1906; Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 16/01 R – SGb 2002, 496) und zuletzt erneut in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R – darauf hingewiesen, dass bei der Festlegung von Belastungsgrenzwerten, die im Verlauf der versicherten Berufstätigkeit mindestens erreicht worden sein müssen, damit ein rechtlich relevanter Ursachenzusammenhang mit der späteren Erkrankung angenommen werden kann, synergetische und additive Wirkungen zu berücksichtigen sind, die sich beim Zusammentreffen mehrerer schädlicher Einwirkungen ergeben.
Hierzu hat das Berufungsgericht auf der Grundlage des vom SG eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachtens festgestellt, dass es nach dem derzeitigen Stand der arbeitsmedizinischen Erkenntnisse nicht möglich ist, bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule die unterschiedlichen Einwirkungen im Sinne der BKen Nr 2108 und Nr 2110 hinsichtlich ihres Beitrags zur Entstehung der Krankheit sowie den Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten voneinander zu trennen. Dass diese Einschätzung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zutreffend wiedergibt, ist im Verfahren von keiner Seite bezweifelt worden und wird durch die einschlägige Fachliteratur belegt (vgl Brandenburg, BG 1993, 791, 794; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl 2003, 8.3.5.5.3.1, S 570; Dupuis/Hartung, BG 1994, 346, 348; Schäfer/Hartung, ASUmed 34 ≪1999≫, 143; Dupuis, ASUmed 36 ≪2001≫, 422, 427; Konsensempfehlungen “Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten BKen der LWS”, Trauma und Berufskrankheit 3/2005, 211 ff, 1.1.2; Konietzko/Dupuis/Letzel, Handbuch der Arbeitsmedizin, Abschn IV, 3.5.2, S 5). In dem vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung neu gefassten Merkblatt zur BK Nr 2110 Anl BKV (Bekanntmachung vom 1. Juni 2005, BArbBl 7/2005, 43, 44) werden die für die BKen Nr 2108 und Nr 2110 kennzeichnenden Belastungen als synergetisch wirkend bezeichnet. Die Arbeitshinweise zu der in § 2 der Verwaltungsvereinbarung der Unfallversicherungsträger über die Zuständigkeit bei Berufskrankheiten vom 1. April 1994 idF vom 1. Januar 1997 (VbgBK) sehen, worauf die Beigeladene zutreffend hingewiesen hat, unter den Ziffern 5.1.3 zu der BK Nr 2108 bis 2110 vor, dass – für die Zuständigkeitsbeurteilung – die Expositionstage der BK 2108 und der BK 2110 “zu addieren sind” (HVBG-Rdschr VB 065/2004 vom 26. Juli 2004).
Die weitere zum Tatbestand sowohl der BK Nr 2108 als auch der BK Nr 2110 Anl 1 BKVO gehörende Voraussetzung, dass der Versicherte jedwede belastende Tätigkeit dauerhaft aufgegeben haben muss, liegt ebenfalls vor. Den Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, dass der Kläger alle mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten und alle mit der Einwirkung von Ganzkörperschwingungen verbundenen Tätigkeiten vor dem 1. Dezember 1996 endgültig aufgegeben hat. Die Tätigkeit als Kraftfahrer endete am 31. August 1992. Die mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten verbundene Tätigkeit als Kohlenträger hatte der Kläger bereits mit Ablauf des April 1988 aufgegeben. Ob seine noch nach August 1992 ausgeübte Tätigkeit als Bauhelfer mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten verbunden war, konnte offen bleiben, da er diese Tätigkeit mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im Oktober 1996 ebenfalls dauerhaft aufgegeben hat.
Schließlich ist es nicht zu beanstanden, dass das LSG die Auswirkungen der BKen des Klägers auf seine Erwerbsfähigkeit nicht getrennt, sondern einheitlich festgestellt hat. Aus den genannten arbeitsmedizinischen Äußerungen ergibt sich, dass die in der Nr 2108 und 2110 der Anl 1 BKVO genannten schädlichen Einwirkungen nicht nur hinsichtlich ihres Verursachungsbeitrages für die entstandene bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, sondern auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nicht getrennt werden können. Anders als bei der Feststellung, welche BK (Versicherungsfall) bei dem Versicherten besteht, ist es für die Frage der durch die BKen bedingten MdE rechtlich nicht erforderlich, eine getrennte Bemessung vorzunehmen, weil es bei den BKen Nr 2108 und Nr 2110 Anl 1 BKVO nur eine in ihren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit einheitlich zu beurteilende Erkrankung gibt (zu der vergleichbaren Problematik bei einer Krebserkrankung eines Organs nach zwei verschiedenen schädlichen Einwirkungen siehe Becker, Synkanzerogenese aus sozialjuristischer Sicht, MedSach 2005, 115, 116). Auch der erkennende Senat hat bereits in der Vergangenheit hinsichtlich der Bemessung der MdE bei BKen nach Nr 2108 und Nr 2110 Anl 1 BKVO zu erkennen gegeben, dass für beide BKen eine Gleichartigkeit der Funktionsausfälle und damit der MdE angenommen werden kann (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8, S 42).
(2) Die Beklagte ist der für die Erfüllung des Rentenanspruchs des Klägers zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies folgt aus der bereits erwähnten Verwaltungsvereinbarung über die Zuständigkeit bei BKen vom 1. April 1994 (abgedruckt in Lauterbach, Unfallversicherung, Stand: 2005, Anhang 2 zu § 134 SGB VII), die inhaltlich dem seit dem 1. Januar 1997 geltenden § 134 Abs 1 Halbs 1 SGB VII entspricht . Nach deren § 3 ist für den Fall, dass bei einer BK die gefährdende Tätigkeit für mehrere Unternehmen ausgeübt wurde, für die verschiedene Unfallversicherungsträger zuständig sind, der Träger für das Feststellungsverfahren zuständig, auf den die letzte gefährdende Tätigkeit vor der Meldung im Sinne dieser Vereinbarung entfällt. Diese Vorschrift ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Regelungen über die Zuständigkeit von Versicherungsträgern für die leistungsrechtliche Abwicklung eines bestimmten Versicherungsfalls bei Konkurrenz zweier oder mehrerer Versicherungsträger waren in der RVO nicht vorhanden (Koch in: Lauterbach, Unfallversicherung, Stand 2005, § 134 SGB VII RdNr 1). Der Abschluss einer Verwaltungsvereinbarung in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages lag nahe. Gründe für eine Nichtigkeit oder Unwirksamkeit dieses Vertrages sind nicht ersichtlich. Die Abgrenzung der Zuständigkeit an das rein formale und damit in der Regel einfach zu beurteilende Merkmal der letzten gefährdenden Tätigkeit des Versicherten zu knüpfen, war sachgerecht. Auch die Beklagte hat insoweit rechtliche Angriffe gegen die Normen zur Zuständigkeitsbestimmung nicht vorgetragen.
Die vom Kläger zuletzt in den Jahren 1990 jedenfalls bis August 1992, möglicherweise noch bis Oktober 1996, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer bzw Bauhelfer war iS der BK Nr 2110 bzw 2108 der Anl 1 BKVO gefährdend (vgl § 2 VbgBK). Auch dies hat das LSG bindend festgestellt.
Daran, dass die Beklagte für die Feststellung und Entschädigung der BKen der Nr 2108 und der Nr 2110 des Klägers zuständig ist, ändert sich auch nichts deswegen, weil der Kläger die weit überwiegende Zeit seiner beruflich belastenden Tätigkeit bei Unternehmen zugebracht hat, die nicht zum Zuständigkeitsbereich der Beklagten gehören. Im Gegenteil haben die Vertragspartner der VbgBK in deren § 5 vereinbart, dass ein Lastenausgleich nicht stattfindet. Diese Norm unterstreicht das aus § 3 VbgBK gewonnene Ergebnis, dass sich die vertragschließenden Unfallversicherungsträger darin einig gewesen sind, dass auch in Fällen wie dem vorliegenden auf lange Sicht gerade durch § 3 VbgBK ein Ausgleich unter allen Trägern herbeigeführt werden wird.
Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen