Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 14.07.1989) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 14. Juli 1989 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Leistungen wegen Arbeitslosigkeit für die Zeit ab 11. Juli 1986.
Sie ist 1950 in Breslau geboren und war von 1973 bis Juni 1981 als Bibliothekarin bei der Landwirtschaftlichen Akademie in Breslau beschäftigt. Am 23. Juni 1981 reiste sie mit ihrem Ehemann in Berlin-West ein. Ihr Ehemann erhielt am 3. Juli 1981 eine Bescheinigung des Berliner Senats, wonach er mit seinen Angehörigen nach ersten Feststellungen Aussiedler gem § 1 Abs 2 Nr 3 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes (BVFG) sei. Er könne voraussichtlich Rechte und Vergünstigungen gem § 10 Abs 2 Nr 2 BVFG in Anspruch nehmen. Unter dem 13. August 1981 wurde der Klägerin der Flüchtlings- und Vertriebenenausweis A erteilt. Die Verwaltungsbehörde hat die Einziehung dieses Ausweises angeordnet und die am 13. August 1981 ausgesprochene Anerkennung der Klägerin als polnische Ehefrau eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit aufgehoben. Das Verfahren hierüber war im Zeitpunkt des Urteils des Landessozialgerichts – LSG – (14. Juli 1989) noch nicht abgeschlossen.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin ab 26. Juni 1981 Arbeitslosengeld (Alg) unter Zugrundelegung einer Anspruchsdauer von 312 Tagen. Wegen der Teilnahme an einem Deutschkursus und der Bewilligung von Unterhaltsgeld wurde der Anspruch nicht ausgeschöpft. Am 16. November 1981 zog die Klägerin wieder nach Breslau, weil ihr dort lebender Vater erkrankt war. Dieser ist im Februar 1982 gestorben. Die Klägerin ging ihrer bisherigen Tätigkeit bis Juni 1986 nach. Anschließend zog sie wieder nach Berlin-West.
Am 11. Juli 1986 beantragte die Klägerin Arbeitslosenhilfe (Alhi). Mit Bescheid vom 17. Juli 1986 (Widerspruchsbescheid vom 13. August 1986) lehnte die Beklagte den Antrag mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit ab. Sie führte aus, die nach der Rückkehr nach Breslau ausgeübte Tätigkeit könne nicht zur Begründung eines Anspruchs auf Alhi führen. Die Klägerin sei aufgrund ihrer 1981 erfolgten Einreise nach Berlin-West als Deutsche zu betrachten. Ein deutscher Staatsangehöriger könne durch eine Beschäftigung im Ausland keinen Alhi-Anspruch begründen, da eine solche Beschäftigung nicht beitragspflichtig sei. Eine zweimalige Berücksichtigung von Zeiten nach § 107 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei nicht vorgesehen, da sie zu einer Bevorzugung gegenüber den im Geltungsbereich dieses Gesetzes ständig lebenden Deutschen führen würde.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 1986 und die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Alhi ab 11. Juli 1986 begehrte, mit Urteil vom 15. September 1987 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das LSG hat sein Urteil vom 14. Juli 1989 im wesentlichen wie folgt begründet: Voraussetzung für die Gewährung von Alhi sei ua, daß der Arbeitslose keinen Anspruch auf Alg habe, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe (§ 104 AFG). Die Anwartschaftszeit habe erfüllt, wer in der Rahmenfrist, die drei Jahre betrage, wenigstens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe. Beitragspflichtig seien nur solche Personen, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches beschäftigt seien. Allerdings stünden Zeiten einer Beschäftigung, die im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 – also auch in Breslau – ausgeübt worden seien, gem § 107 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich, wenn die Beschäftigung bei einer Ausübung im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Beitragspflicht des Arbeitnehmers begründen würde. Außerdem müsse der Arbeitnehmer Deutscher iS des Art 116 Grundgesetz (GG) sein. Das sei ua dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder dessen Ehegatte in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden habe. Als solcher habe die Klägerin hier Aufnahme gefunden und Alg erhalten. Dessen Bezugsdauer habe sie zwar nicht verbraucht. Sie könne aber den Alg-Anspruch nicht mehr geltend machen, weil am 11. Juli 1986 seit seiner Entstehung mehr als vier Jahre verstrichen gewesen seien (§ 125 Abs 2 AFG). Da die Erteilung des Vertriebenenausweises nach § 15 Abs 5 BVFG verbindlich sei, sei mit der Ausstellung des Vertriebenenausweises nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 5050 § 15 Nr 34) der Vertreibungsvorgang abgeschlossen. Daher könnten die danach im ehemaligen Breslau zurückgelegten Beschäftigungszeiten als Gleichstellungszeiten iS von § 107 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG nicht mehr berücksichtigt werden. Die Klägerin habe somit keinen Anspruch auf Alg, so daß die Anspruchsvoraussetzungen des § 134 Abs 1 Nr 2 AFG für die Alhi gegeben seien.
Letzteres wäre auch der Fall, wenn die Gleichstellung deshalb entfiele, weil die Klägerin nicht Deutsche iS von Art 116 GG wäre, weil die Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Das könne jedoch im Hinblick auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren vor dem Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben noch nicht abschließend festgestellt werden.
Weitere Voraussetzung für den Alhi-Anspruch sei nach § 134 Abs 1 Nr 4 AFG ua, daß der Arbeitslose innerhalb der einjährigen Vorfrist Alg bezogen habe, was hier nicht der Fall sei. Die Klägerin habe nicht mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können. Gemeint seien damit Beitragszeiten oder diesen gleichgestellte Zeiten. Diese habe die Klägerin nach ihrer Rückkehr nach Breslau nicht mehr zurückgelegt.
Schließlich könne die Klägerin ihr Begehren auch nicht auf § 134 Abs 3a AFG, der durch das 7. AFG-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (BGBl I S 2484) mit Wirkung vom 1. Januar 1986 eingefügt worden sei, stützen. Die Anwendung dieser Bestimmung scheitere auf jeden Fall am Fehlen der Voraussetzungen des Satzes 1 Nr 2. Hiernach müsse der Arbeitslose innerhalb der auf fünf Jahre erweiterten Vorfrist im Geltungsbereich dieses Gesetzes mindestens 540 Kalendertage rechtmäßig in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt haben, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können oder innerhalb der auf vier Jahre erweiterten Vorfrist Alg oder Alhi bezogen haben. Für die Erfüllung der Anwartschaftszeit müßte es sich um Zeiten handeln, die im Geltungsbereich des AFG zurückgelegt worden seien. Dies folge daraus, daß in Abs 3a Satz 1 Halbsatz 2 Nr 2 des § 134 AFG nicht auf Abs 3a Satz 1 Halbsatz 2 Nr 1 Bezug genommen werde. Die in § 107 Satz 1 Nrn 3 und 4 AFG genannten Zeiten seien hier daher nicht anzurechnen. Des weiteren habe die Klägerin in den vier Jahren vor dem 11. Juli 1986 Alg oder Alhi nicht bezogen. Die Berufung der Klägerin habe sonach keinen Erfolg haben können.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 107 Abs 1 Nr 3 AFG. Sie trägt vor, zu Unrecht stütze sich das LSG auf das Urteil des BSG vom 17. November 1987 (SozR 5050 § 15 Nr 34). Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Fremdrentengesetz (FRG) berechtigten zu keiner Anwendung auf die hier zu entscheidende Rechtsfrage. Dem Berufungsgericht sei darin zuzustimmen, daß § 107 AFG formal eine Gleichstellung bezwecke. Darüber hinaus sei aber eine Besserstellung nicht ausgeschlossen. Eine gegenteilige Ansicht lasse sich weder aus dem Vorläufer des AFG noch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes herleiten. Zudem sei auch hier auf den unterschiedlichen Charakter von Alg und Alhi hinzuweisen. Das Gericht habe, um einen Anspruch der Klägerin zu verneinen, auch den § 134 Abs 3a AFG herangezogen. Nach Auffassung der Klägerin ergebe sich ihr Anspruch aber direkt aus den §§ 134, 107 Abs 1 Nr 3 AFG. Abgesehen davon, daß § 134 Abs 3a einen nur bedingt mit § 107 AFG vergleichbaren Sachverhalt regele, ergebe sich daraus nicht die vom Berufungsgericht hergeleitete Auffassung. Vielmehr sei man von einer Gesetzeslücke im AFG ausgegangen, mit deren Schließung die Auslandstätigkeit gefördert werden sollte. Hätte der Gesetzgeber eine, wie das Berufungsgericht meine, hier vorliegende Gesetzeslücke angenommen, wäre sie im Zweifel geregelt worden. Im Prinzip stelle sich jedoch eine Beschäftigungszeit im ehemaligen Vertreibungsgebiet wie eine nach § 134 Abs 3a AFG geförderte Auslandstätigkeit dar. Faktisch handele es sich um eine Gleichstellung der Auslandstätigkeiten mit Beschäftigungszeiten im Geltungsbereich des AFG. Von einer Besserstellung könne nicht gesprochen werden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin vom 11. Juli 1986 an Alhi zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Das beigeladene Land stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Der Senat versteht das Klagebegehren zugunsten der Klägerin dahin, daß sie vor allem die Gewährung von Alg begehrt. Sie hat zwar formell Alhi beantragt. Ihrem Vorbringen ist jedoch zu entnehmen, daß sie die ihr nach ihrer Ansicht zustehende Leistung begehrt. Hiernach will sie die Leistung haben, die ihr aufgrund einer versicherungsrechtlichen Gleichbehandlung ihrer Beschäftigung in Polen in der Zeit von November 1981 bis Juni 1986 mit einer beitragspflichtigen Beschäftigung im Inland zustehen würde. Das ist in erster Linie das Alg. Jedoch schließt der Antrag auf Alg nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung den Antrag auf Alhi mit ein. Davon ist hier schon deshalb auszugehen, weil auch die Beklagte den Leistungsantrag unter dem Gesichtspunkt der Alhi geprüft hat (BSGE 36, 120, 12; 44, 164, 167 = SozR 4100 § 44 Nr 14; 49, 114, 119 = SozR 4100 § 100 Nr 5). Hiernach sind die von der Klägerin von Anfang an geltend gemachten Ansprüche gem § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dahin zu verstehen, daß sie für die Zeit ab 11. Juli 1986 Alg und hilfsweise Alhi begehrt.
Prozessuale Hindernisse stehen diesem Begehren nicht entgegen. Da die Klägerin ihr Prozeßziel von Anfang an mit den vorstehend genannten Ansprüchen erreichen wollte, liegt keine Klageänderung vor, die im Revisionsverfahren unzulässig ist (§ 168 SGG).
Auch das nach § 78 SGG erforderliche Vorverfahren ist eingehalten. Die Beklagte hat zwar im Verwaltungsverfahren ausdrücklich nur über einen etwaigen Anspruch der Klägerin auf Alhi entschieden. Damit hat sie jedoch den Antrag der Klägerin insgesamt abgelehnt, wenn auch möglicherweise mit einer falschen Begründung. Damit ist den Anforderungen des § 78 SGG Genüge getan (BSGE 49, 114, 116 = SozR 4100 § 100 Nr 5).
Die Klägerin hat ab 11. Juli 1986 keinen Anspruch auf Alg. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie die Anspruchsvoraussetzungen des § 100 AFG erfüllt hatte, als ihr ab 26. Juni 1981 ein Anspruch auf Alg mit einer Dauer von 312 Tagen zugesprochen worden ist. Einen damals entstandenen Anspruch kann die Klägerin, auch soweit der Anspruch seinerzeit nicht verbraucht worden ist, nicht mehr geltend machen. Nach der Entstehung dieses Anspruchs am 26. Juni 1981 sind nämlich bei der Antragstellung am 11. Juli 1986 drei Jahre (§ 125 Abs 2 AFG in der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden ursprünglichen Fassung des Gesetzes), bzw vier Jahre (§ 125 Abs 2 AFG in der seit dem 1. Januar 1986 geltenden Fassung des 7. Gesetzes zur Änderung des AFG vom 20. Dezember 1983 – BGBl I 2484 –) verstrichen. Die Klägerin hat nach 1981 auch keinen neuen Anspruch erworben. Voraussetzung hierfür wäre gemäß § 100 AFG ua, daß sie die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Das ist indes nicht der Fall.
Die Anwartschaftszeit hat gem § 104 AFG erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168) gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre. Sie geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind oder, was hier nicht einschlägig ist, nach § 105 AFG als erfüllt gelten. Die Rahmenfrist lief, da die Klägerin die übrigen Voraussetzungen auf Alg erst mit der Antragstellung am 11. Juli 1986 erfüllen konnte, vom 11. Juli 1983 bis 10. Juli 1986. In dieser Zeit war die Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG in Breslau beschäftigt. Diese Beschäftigung begründet die Beitragspflicht nicht. Die Beitragspflicht tritt grundsätzlich nur hinsichtlich der Beschäftigungen solcher Personen ein, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches beschäftigt sind (§ 173a AFG, § 3 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeine Vorschriften – SGB IV). Vorschriften, nach denen Zeiten einer Beschäftigung außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin Ansprüche auf Alg begründen, bestehen im vorliegenden Fall nicht.
Beschäftigungen, die im Ausland ausgeübt werden, können zwar durch Rechtsverordnung mit Beschäftigungen gleichgestellt werden, die die Beitragspflicht begründen, wenn dies zur sozialen Sicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit im Inland erforderlich ist (§ 108 AFG). Regelungen dieser Art, die der Rechtsetzungsbefugnis des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zugewiesen worden sind, sind jedoch nicht ergangen. Selbst wenn die Klägerin in Breslau gegen Arbeitslosigkeit versichert gewesen sein sollte, was wegen Fehlens einer Arbeitslosenversicherung in der Volksrepublik Polen in der damaligen Zeit nicht der Fall gewesen sein dürfte, würde dies einen Anspruch auf Alg nicht begründen. Ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, aufgrund dessen polnische Versicherungszeiten einen Anspruch auf Alg begründen können, besteht nicht. Es gibt insoweit auch kein Verordnungsrecht. Bestimmungen, inwieweit die Zugehörigkeit zu einer Versicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit, die im Ausland aufgrund einer ausländischen Gesetzgebung eingeführt ist, der Zugehörigkeit zur Arbeitslosenversicherung nach dem AFG gleichsteht, wie sie nach § 109 AFG möglich sind, hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bislang nicht getroffen. Die Klägerin kann sich schließlich auch nicht auf § 107 Nr 3 AFG in der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung berufen.
Nach dieser Vorschrift stehen allerdings Zeiten einer Beschäftigung, die ein Deutscher iS des Art 116 GG im Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937, aber außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes ausgeübt hat, den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich. Indes kann die Klägerin solche Zeiten nicht aufweisen. Ob sie Deutsche iS des Art 116 GG ist – etwa als Ehegattin eines Vertriebenen oder Flüchtlings deutscher Volkszugehörigkeit – kann dahinstehen. Selbst wenn dies der Fall wäre, scheidet die Anwendung des § 107 Nr 3 AFG aF aus. Die Klägerin hat nämlich aufgrund dieser Vorschrift bereits 1981 Alg geltend gemacht und erhalten. Danach kann sie aber nicht erneut nach § 107 Nr 3 AFG begünstigte Zeiten zurückgelegt haben. Dagegen spricht die Systematik des Gesetzes und insbesondere der Zweck der Bestimmung, wie er sich aus ihrer historischen Entwicklung ergibt.
Nach der Gesetzes-Systematik, tritt Beitragspflicht grundsätzlich nur hinsichtlich der Beschäftigungen solcher Personen ein, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches beschäftigt sind. Zeiten einer Beschäftigung außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin sollen grundsätzlich die Beitragspflicht nur in den in §§ 108 und 109 AFG geregelten Fällen begründen. Schon hieraus ist ersichtlich, daß die Vergünstigung des § 107 Nr 3 AFG nicht bezweckt, es Deutschen ungeachtet dieser Regelungen zu ermöglichen, beliebig und ohne Beitragsleistung an die Beklagte im alten Reichsgebiet, aber außerhalb des Bundesgebiets Anwartschaftszeiten zurückzulegen. Wenn der Anwendungsbereich des § 107 Nr 3 AFG auch nicht wie der des § 107 Nr 4 AFG auf Vertriebene beschränkt ist, die nach den §§ 9 bis 12 BVFG Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen können, bezweckt § 107 Nr 3 AFG jedoch ebenso die Eingliederung von in das Bundesgebiet gekommenen Deutschen. Die Vorschrift steht mit 107 Nr 4 AFG in engem Zusammenhang und gehört zum Recht der Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge im weiteren Sinne, wie die historische Entwicklung zeigt.
Bis zum BVFG vom 19. Mai 1953 (BGBl I 201), das am 5. Juni 1953 in Kraft getreten ist, gab es keine bundeseinheitlichen Vorschriften, nach denen durch vorangegangene Beschäftigungen außerhalb des Bundesgebietes die Anwartschaft auf Arbeitslosenunterstützung (heute: Alg) erworben werden konnte (vgl BSGE 4, 108, 111). Erst § 90 Abs 1 BVFG stellte Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge in der Arbeitslosenversicherung mit den Berechtigten im Bundesgebiet mit der Folge gleich, daß als versicherungspflichtige Beschäftigung auch eine außerhalb des Bundesgebietes ausgeübte Beschäftigung galt, sofern sie im Bundesgebiet versicherungspflichtig gewesen wäre (vgl BSGE 4, 102). Dem lag die Erwägung zugrunde, Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge in das wirtschaftliche und soziale Leben im Bundesgebiet einzugliedern, als ob sie im Bundesgebiet beschäftigt gewesen wären. Es wurden damit nicht nur Einbußen ausgeglichen, die dieser Personenkreis durch die durch Krieg und Kriegsende eingetretenen völker- und staatsrechtlichen Verhältnisse hinnehmen mußte; denn die Gleichstellung erfolgte auch dann, wenn der Arbeitslose mangels Arbeitslosenversicherung in seinem Herkunftsland dort keine Anwartschaftszeit zurückgelegt hatte. Vorausgesetzt wurde jedoch, daß der Arbeitslose als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling anerkannt war. Die bloße Zuwanderung (Übersiedlung) von Deutschen aus den Vertreibungsgebieten, aus der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands oder dem sowjetisch besetzten Sektor Berlins genügte nicht (vgl BSGE 4, 102, 106). Die durch § 90 Abs 1 BVFG geschaffene Vergünstigung verbesserte der durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 23. Dezember 1956 (BGBl I 1018) in das AVAVG eingefügte § 95a (= 86 AVAVG idF vom 3. April 1957, BGBl I 321). Hiernach wurden Beschäftigungen von Deutschen außerhalb des Geltungsbereichs des AVAVG, aber innerhalb des alten Reichsgebiets, gleichgestellt, wenn sie bei einer Ausübung im Bundesgebiet der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlägen hätten. Ein Vertreibungs- oder Flüchtlingsschicksal, wie es für die Anerkennung als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling erforderlich war, wurde nicht gefordert. Die Vorschrift begünstigte vor allem den großen und weiter wachsenden Kreis von Personen, die in das Arbeits- und Wirtschaftsleben des Bundesgebiets eingegliedert werden mußten, weil sie die sowjetische Besatzungszone oder den sowjetisch besetzten Sektor von Berlin verlassen hatten, aber nicht geltend machen konnten, sie hätten sich einer von ihnen nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage entziehen müssen (vgl § 3 Abs 1 BVFG). Die sozialpolitische Bedeutung der Vorschrift erhellt die Tatsache, daß während ihrer parlamentarischen Beratung monatlich durchschnittlich 21000 bis 24000 Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungszone im Bundesgebiet aufgenommen werden mußten (vgl „Deutschland im Wiederaufbau”, Tätigkeitsbericht der Bundesregierung für das Jahr 1956, S 423). Auch diese Bestimmung bezweckte also die Eingliederung der Betroffenen auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung, und zwar im Zeitpunkt der Zuwanderung. Beide Regelungen hat das AFG in § 107 Nr 3 und 4 übernommen und neu gefaßt. Nr 4 beschränkt sich dabei auf den Personenkreis, der nicht schon durch Nr 3 erfaßt worden ist. Werden deshalb bei § 107 Nr 4 AFG nur Beschäftigungszeiten vor der Vertreibung (Aussiedlung) oder Flucht begünstigt, deren Ende durch die Aushändigung des Vertriebenenausweises festgestellt wird (vgl BSG SozR 5050 § 15 Nr 34), sind bei § 107 Nr 3 AFG nur solche Zeiten zu berücksichtigen, die vor der ersten Zuwanderung in das Bundesgebiet zurückgelegt sind. Damit ist die beabsichtigte Gleichstellung mit dem Ende der Vertreibung, der Aussiedlung oder der Zuwanderung vollzogen. Es besteht daher keine Veranlassung mehr, wegen des Krieges oder der Kriegsfolgen die Gleichstellung zu wiederholen, wenn der Betroffene in sein Herkunftsland zurückkehrt und dann ein zweites Mal in das Bundesgebiet zieht. Die Zuwanderung ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn der Zuwanderer aufgrund der Vergünstigung des § 107 Nr 3 AFG Alg oder Alhi beantragt und erhalten hat. § 107 Nr 3 AFG aF war hiernach nicht gedacht für Fälle, in denen ein im Bundesgebiet oder West-Berlin ansässiger Deutscher in den begünstigten Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs des AFG gearbeitet hat und danach zurückkehrt. Folglich kann sich auf sie auch nicht berufen, wer – wie die Klägerin – diese Vergünstigung bereits bei erstmaliger Zuwanderung in Anspruch genommen hat, wenn er danach in sein Herkunftsland zurückkehrt, um dann erneut in den Geltungsbereich des AFG einzureisen. Auf die Gründe für die Rückkehr kommt es dabei nicht an, sondern nur auf den Status des schon einmal Zugewanderten. Hiernach kann die Klägerin keinen Anspruch auf Alg haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Alhi.
Nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes -AFKG- vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) ist für den Anspruch auf Alhi ua Voraussetzung, daß der Antragsteller innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht. Sie hat zwar in der Zeit vom 11. Juli 1985 bis 10. Juli 1986 wenigstens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden. Jedoch können diese nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen, da es sich, wie bereits ausgeführt wurde, nicht um beitragspflichtige Beschäftigungen gehandelt hat. Zeiten, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können, sind auch die in § 107 Nrn 3 und 4 AFG aF aufgezeigten Gleichstellungszeiten. Indessen können diese der Klägerin nicht zugute kommen, wie bereits dargelegt wurde.
Die Klägerin kann ihr Begehren auf Gewährung von Alhi auch nicht auf § 134 Abs 3a AFG – eingefügt durch das 7. AFG-ÄndG vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) – stützen. Hiernach steht eine Beschäftigung außerhalb des Geltungsbereichs des AFG, die bei Ausübung im Geltungsbereich des AFG zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen könnte, einer Beschäftigung iS des Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG gleich, wenn der Arbeitslose ua innerhalb der auf fünf Jahre erweiterten Vorfrist im Geltungsbereich dieses Gesetzes mindestens 540 Kalendertage rechtmäßig in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können, oder innerhalb der auf vier Jahre erweiterten Vorfrist Alg oder Alhi bezogen hat. Das ist hier nicht der Fall. Die Klägerin hat innerhalb der oa Vorfrist nicht mindestens 540 Kalendertage rechtmäßig in einer Beschäftigung gestanden, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können. Das könnten nur, wie bereits ausgeführt wurde, beitragspflichtige Beschäftigungen sein. Solche hat die Klägerin nicht zurückgelegt. Die Klägerin hat nach den vorstehenden Gründen auch keine Gleichstellungszeit iS von § 107 Abs 3 und 4 AFG zurückgelegt. Schließlich hat sie auch nicht innerhalb der Zeit vom 11. Juli 1982 bis 10. Juli 1986 Alg oder Alhi bezogen.
Da die Klägerin hiernach keinen Anspruch auf Alg oder Alhi haben kann, muß die Revision zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174471 |
BSGE, 123 |