Entscheidungsstichwort (Thema)
Überzahlung von Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung wegen Zusammentreffens mit Unfallhinterbliebenenrente. Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Erhält der Berechtigte eine zu hohe Rente aus der Rentenversicherung, da für denselben Zeitraum Anspruch auf eine Unfallrente besteht (§ 93 SGB 6), so ist die Überzahlung wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB 10 als - rechtmäßige - Zahlung der Unfallrente anzusehen, soweit ein Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers besteht. Wegen dieser Überzahlung darf der Rentenversicherungsträger nicht den Bewilligungsbescheid nach § 45 SGB 10 zurücknehmen.
2. Der Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers gegen den Unfallversicherungsträger richtet sich bei dieser Fallgestaltung nach § 104 SGB 10.
Orientierungssatz
1. Mit der Erfüllungsfiktion in § 107 Abs 1 SGB 10 hat der Gesetzgeber sich aus Gründen der Rechtsklarheit und der Verwaltungsökonomie für eine unkomplizierte und im Rahmen des Sozialleistungsrechts einheitliche Form des Ausgleichs von Leistungsbewilligungen entschieden (vgl auch BVerwG vom 18.10.1990 - 5 C 51/86 = BVerwGE 87, 31), die eine Rückabwicklung im Verhältnis zwischen vorleistendem Träger und Leistungsberechtigten sowie ein Nachholen der Leistung im Verhältnis zwischen leistungspflichtigem Träger und Leistungsberechtigten ausschließen soll (vgl BVerwG vom 14.10.1993 - 5 C 10/91).
2. Die Erfüllungsfiktion tritt unabhängig davon ein, ob der Erstattungsanspruch vom berechtigten Träger geltend gemacht wird (vgl BSG vom 7.8.1986 - 4a RJ 33/85) oder ob er zB wegen Unterschreitens der Bagatellgrenze (§ 110 S 2 SGB 10) noch nicht einmal geltend gemacht werden kann (vgl BSG vom 6.2.1992 - 12 RK 14/90 = BSGE 70, 93 = SozR 3-2400 § 26 Nr 5). Es besteht demnach kein Wahlrecht des erstattungsberechtigten Trägers, auf einen Erstattungsanspruch nach den §§ 102ff SGB 10 und damit auf die Erfüllungsfiktion zu verzichten und sich statt dessen nach den §§ 45, 48, 50 SGB 10 an den Versicherten zu halten.
Normenkette
SGB VI § 93; SGB X §§ 45, 48 Abs. 1, §§ 50, 104 Abs. 1, § 107 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anrechnung einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf eine große Witwenrente.
Der Ehemann der Klägerin verstarb am 25. August 1973 an einer mit Wirkung ab 9. Januar 1969 als Berufskrankheit (BK) anerkannten Lungenerkrankung (BK Nr 32 der DDR-Verordnung über die Melde- und Entschädigungspflicht bei Berufskrankheiten vom 14. November 1957: "Schneeberger Lungenkrankheit"); ab Juni 1969 erhielt der Versicherte eine Unfallvollrente. Seine ab März 1970 bezogene Bergmannsaltersrente wurde wegen des Bezugs der höheren Unfallvollrente auf 50 % gekürzt.
Ab 1. Januar 1992 erhielt die Klägerin, neben ihrer weitergezahlten Regelaltersrente aus eigener Versicherung, eine große Witwenrente in Höhe von zunächst DM 787,72/Monat (brutto); der entsprechende Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 2. Dezember 1991 enthielt einen Abschnitt "Mitteilungspflichten". Hierin wurde einleitend mitgeteilt: "Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluß auf die Rentenhöhe haben." Was unter den Begriffen "Erwerbseinkommen" und "Erwerbsersatzeinkommen" zu verstehen war, wurde im Anschluß erläutert. Danach folgte der Satz: "Ferner ist auch der Bezug, das Hinzutreten oder die Veränderung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, deren Abfindung oder eine Heimaufnahme unverzüglich mitzuteilen." Nach weiteren Ausführungen schloß der Abschnitt mit folgendem Satz: "Wir werden den Bescheid - auch rückwirkend - ganz oder teilweise aufheben und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückfordern, soweit bestehende Mitteilungspflichten nicht erfüllt werden. Überzahlungen können vermieden werden, wenn Sie uns umgehend benachrichtigen."
Die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft (BG) gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 3. September 1992 eine Unfallhinterbliebenenrente ab Januar 1992 in Höhe von zunächst DM 650,58/Monat; den Nachzahlungsbetrag (in Höhe von DM 4.632,80) behielt sie für einen eventuellen Erstattungsanspruch der Beklagten ein. Unter Punkt V des dem Bescheid beigefügten Merkblatts gab die BG Hinweise zum Zusammentreffen einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Schreiben vom 24. November 1992 kündigte die Beklagte der Klägerin die Anwendung der Anrechnungsvorschriften nach § 93 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) an; ab Dezember 1992 gelangte zunächst eine große Witwenrente in Höhe von nur noch DM 242,02 zur Auszahlung.
Unter dem 6. Mai 1993 erließ die Beklagte einen Bescheid über die Rücknahme des Bescheides vom 2. Dezember 1991 und der nachfolgend erteilten Rentenanpassungsbescheide nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 93 SGB VI sowie über die Geltendmachung eines Erstattungsanspruches nach § 50 SGB X, den sie der Klägerin zusammen mit einer Rentenneuberechnung vom 16. Februar 1993 zustellte. Bei den bislang erteilten Umwertungs- bzw Rentenanpassungsbescheiden sei § 93 SGB VI nicht angewandt worden, so daß diese Bescheide iS des § 45 SGB X anfänglich rechtswidrig seien. Der Klägerin stehe nur ein Rentenzahlbetrag von anfänglich DM 214,98/Monat (brutto) zu. Der von dem Unfallversicherungsträger erteilte Bescheid über die Bewilligung der Unfallrente ab 1. Januar 1992 habe einen eindeutigen Hinweis dahingehend enthalten, daß sich die Bewilligung der Rente der Unfallversicherung auf die Höhe der Rente der Rentenversicherung auswirke. Von daher habe die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Umwertungsbescheides und der Rentenanpassungsbescheide gekannt bzw habe die Rechtswidrigkeit kennen müssen. Auch auf dem Ermessenswege habe man nicht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis kommen können. Hinsichtlich des seit Januar 1992 überzahlten Rentenbetrages in Höhe von DM 7.010,03 werde (unter Anrechnung der von der BG einbehaltenen Nachzahlung sowie der Einbehaltungen an Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit von Dezember 1992 bis März 1993) ein Erstattungsanspruch in Höhe von DM 485,45 geltend gemacht. Der Widerspruchsbescheid vom 3. November 1993 begründete die in § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X vorausgesetzte Kenntnis bzw grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts mit dem, als eindeutig bezeichneten, Hinweis im Bescheid vom 2. Dezember 1991, daß sich weitere bzw höhere "Einkünfte" auf die Rentenhöhe auswirkten; insoweit sei, ebenso eindeutig, auch die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung benannt worden.
Das Sozialgericht (SG) Chemnitz hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Mai 1994). Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei nicht § 45, sondern § 48 SGB X. Denn der Bescheid vom 2. Dezember 1991 sei nicht von Anfang an rechtswidrig gewesen, sondern erst mit dem Bescheid der BG vom "20.07." (richtig: 3. September) 1992 rechtswidrig geworden. Die Klägerin habe nach Antragstellung oder Erlaß des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X); abzustellen sei auf den Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs 1 Satz 3 SGB X). Ein atypischer Fall, aufgrund dessen der Beklagten für die Aufhebungsentscheidung ein Ermessen zugestanden hätte, liege nicht vor. Deshalb sei der Bescheid vom 2. Dezember 1991 mit Wirkung sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit aufzuheben gewesen. Damit seien nach § 50 SGB X auch die zu Unrecht erbrachten Leistungen zu erstatten. Die Anrechnungsvorschrift des § 93 SGB VI sei nicht verfassungswidrig.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) - unter Abänderung des SG-Urteils - den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben, als damit die Witwenrente bereits für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 30. September 1992 neu berechnet und eine entsprechende Erstattung gefordert wurde. Hinsichtlich des Zeitraums ab Oktober 1992 ist die Berufung zurückgewiesen worden (Urteil vom 19. Juli 1995). Die Beklagte habe den angefochtenen Bescheid zu Recht auf § 45 SGB X gestützt. Für den Eintritt der Rechtsfolgen des Zusammentreffens beider Hinterbliebenenrentenansprüche sei allein der Zeitpunkt entscheidend, von dem an die Voraussetzungen für den materiell-rechtlichen Anspruch auf beide Leistungen vorlägen (Hinweis auf BSGE 33, 234 sowie BSG SozR 1300 § 45 Nr 29). Damit sei der Bescheid vom 2. Dezember 1991 bereits bei seinem Erlaß rechtswidrig gewesen. Die Klägerin sei jedoch erst mit der Bekanntgabe des Bescheides der BG vom 3. September 1992 über die rückwirkende Bewilligung der Unfallhinterbliebenenrente ab dem 1. Januar 1992 iS des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X bösgläubig geworden. Hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligung der Witwenrente für den Zeitraum ab Oktober 1992 sei der angefochtene Bescheid jedoch nicht zu beanstanden, insbesondere habe die Beklagte insoweit auch ihr Ermessen richtig ausgeübt; die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Rückforderung folge aus § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung der §§ 45, 48 und 50 SGB X. Sie hält die Begründung des erstinstanzlichen Urteils für zutreffend. Ihr Bescheid vom 2. Dezember 1991 sei erst mit Erteilung des Bewilligungsbescheides der BG am "20.07." (richtig: 3. September) 1992 rechtswidrig geworden. Das vom LSG herangezogene Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. November 1971 (BSGE 33, 234) könne nach dem Inkrafttreten des SGB X nicht mehr maßgebend sein. Damals habe das BSG mit seiner Auslegung, der ursprüngliche Bewilligungsbescheid sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, die grundsätzliche Möglichkeit der Neufeststellung der Rente ohne irgendwelche Vorbehalte erreichen wollen. Dieses Ergebnis lasse sich heute nicht aus § 45, sondern aus § 48 SGB X erzielen (Hinweis auf die Urteile des BSG vom 27. Februar 1984, USK 8411 sowie vom 9. Juni 1988, SozR 2200 § 1255a Nr 19). Hilfsweise rügt die Beklagte die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 3 Halbsatz 2 SGB X iVm einer Verletzung des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung. Auf der Grundlage der Hinweise im Bescheid vom 2. Dezember 1991 habe die Klägerin spätestens mit ihrem Antrag auf Unfallhinterbliebenenrente im März 1992 nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit der knappschaftlichen Witwenrente vertrauen können und müsse sich insoweit grobe Fahrlässigkeit vorhalten lassen. Dadurch, daß das LSG die Hinweise im Bescheid vom 2. Dezember 1991 nur unvollständig gewürdigt habe, habe es die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1995 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. Mai 1994 zurückzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Im Revisionsverfahren ist lediglich noch insoweit über die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 6. Mai 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 1993 zu entscheiden, als die Beklagte hierin ihren Rentenbescheid vom 2. Dezember 1991 mit Wirkung ab einem Zeitpunkt vor dem 1. Oktober 1992 zurückgenommen (nach § 45 SGB X) bzw - nach eventueller Umdeutung - aufgehoben (nach § 48 Abs 1 SGB X) hat. Hinsichtlich des Zeitraums ab dem 1. Oktober 1992 ist der angefochtene Bescheid bindend geworden, da die Klägerin das Berufungsurteil nicht angefochten hat.
Das LSG hat den Bescheid der Beklagten im hier noch streitigen Umfang als rechtswidrig erachtet. Dem ist im Ergebnis, nicht jedoch in der vom LSG gegebenen Begründung, beizupflichten. Das LSG meint, der Rentenbescheid vom 2. Dezember 1991 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen; seiner Rücknahme mit Wirkung für den streitigen Zeitraum nach § 45 SGB X stehe jedoch entgegen, daß die Klägerin erst durch den Bescheid der BG vom 3. September 1992 iS des Abs 2 Satz 3 Nr 3 dieser Vorschrift bösgläubig geworden sei.
(1) Dem LSG ist zuzustimmen, daß der Bewilligungsbescheid über eine anrechnungsfreie große Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung dann von Anfang an rechtswidrig ist, wenn der Rentenbezieherin daneben auch eine - nach § 93 Abs 1 bis 3 SGB VI - anzurechnende Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht. Die Bewilligung der großen Witwenrente wird nicht erst durch die Bewilligung der Rente aus der Unfallversicherung - teilweise - iS des § 48 Abs 1 SGB X rückwirkend rechtswidrig (vgl zum früheren Recht BSG vom 25. November 1971, BSGE 33, 234, 235 f). Auch § 93 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 SGB VI stellt nicht darauf ab, ob für einen bestimmten Zeitraum eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt festgestellt ist, sondern lediglich darauf, ob - nach materiellem Recht - "Anspruch" auf eine Hinterbliebenenrente (s hierzu § 34 Abs 1 SGB VI) und eine entsprechende Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung "besteht" (vgl auch § 40 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫). Damit wäre - hätte man zwischen beiden Vorschriften zu entscheiden - die große Witwenrente nicht etwa wegen einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs 1 SGB X (teilweise) zu entziehen, sondern nach § 45 SGB X wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit des Rentenbewilligungsbescheides. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an.
(2) Denn bereits die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X steht einer (teilweisen) Rücknahme bzw Aufhebung (nach § 45 bzw § 48 Abs 1 SGB X) der Rentenbewilligung im Bescheid vom 2. Dezember 1991 für den hier noch streitigen Zeitraum entgegen.
Da der Beklagten in Höhe der von ihr im streitigen Zeitraum überzahlten Rente ein Erstattungsanspruch gegenüber der BG als Unfallversicherungsträger zusteht, gilt in Höhe dieser Überzahlung der Anspruch der Klägerin gegen die - eigentlich - zur Leistung verpflichtete BG als erfüllt (§ 107 Abs 1 SGB X). Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß die Klägerin im streitigen Umfang im Ergebnis nicht etwa zu Unrecht eine große Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten hat, sondern zu Recht eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit der Erfüllungsfiktion in § 107 Abs 1 SGB X hat der Gesetzgeber sich aus Gründen der Rechtsklarheit und der Verwaltungsökonomie für eine unkomplizierte und im Rahmen des Sozialleistungsrechts einheitliche Form des Ausgleichs von Leistungsbewilligungen entschieden (vgl auch BVerwG vom 18. Oktober 1990, BVerwGE 87, 31, 35), die eine Rückabwicklung im Verhältnis zwischen vorleistendem Träger und Leistungsberechtigten sowie ein Nachholen der Leistung im Verhältnis zwischen leistungspflichtigem Träger und Leistungsberechtigten ausschließen soll (BVerwG vom 14. Oktober 1993, Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 22 S 28).
Die Erfüllungsfiktion tritt unabhängig davon ein, ob der Erstattungsanspruch vom berechtigten Träger geltend gemacht wird (s BSG vom 7. August 1986 - 4a RJ 33/85 -, USK 86122) oder ob er zB wegen Unterschreitens der Bagatellgrenze (§ 110 Satz 2 SGB X) noch nicht einmal geltend gemacht werden kann (s BSG vom 6. Februar 1992, BSGE 70, 93, 96 f = SozR 3-2400 § 26 Nr 5). Es besteht demnach kein Wahlrecht des erstattungsberechtigten Trägers, auf einen Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff SGB X und damit auf die Erfüllungsfiktion zu verzichten und sich statt dessen nach den §§ 45, 48, 50 SGB X an den Versicherten zu halten (vgl Graßl, SGb 1985, 145 f; Hauck/Haines, SGB X 3, K § 107 RdNr 9, Stand 1995; Kater in: Kasseler Komm, § 107 SGB X RdNr 11, Stand: 1993; s auch das erläuternde Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung an die Bundesanstalt für Arbeit vom 25. Oktober 1994, BKK 1985, 20; diese Frage konnte das BSG bisher offenlassen: zB BSG vom 24. Januar 1990 - 2 RU 29/89 = HV-INFO 1990, 852, 857; BSG vom 4. Juli 1991, SozR 3-4100 § 118 Nr 2 S 9; BSG vom 31. Oktober 1991, SozR 3-1300 § 45 Nr 10 S 35; wie hier jedoch bereits BVerwG vom 14. Oktober 1993, Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 22 S 28).
In Höhe der Überzahlung hat die Beklagte gegen die BG einen Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 SGB X. Ein anderer der Erstattungstatbestände der §§ 102 ff SGB X ist nicht erfüllt.
Die Beklagte hat nicht iS des § 102 Abs 1 SGG aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht. Denn es besteht keine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift, die die Beklagte verpflichtet, vorläufig eine große Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu erbringen, solange die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht bewilligt ist. Aus Programmsätzen wie § 17 Abs 1 Nr 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) läßt sich eine Pflicht zur vorläufigen Leistung iS des § 102 Abs 1 SGB X nicht ableiten (Kater in: Kasseler Komm, § 102 SGB X RdNr 12, Stand: 1993). Für andere als aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift gewährte vorläufige Leistungen gilt § 102 SGB X nicht (BSG vom 22. Mai 1985, BSGE 58, 119, 121 = SozR 1300 § 104 Nr 7; BSG vom 27. April 1989, SozR 3100 § 11 Nr 18 S 22).
Ebensowenig besteht ein Erstattungsanspruch nach § 103 Abs 1 SGB X (aA zB Przetak, Erstattungsansprüche im Sozialrecht, 1990, S 115 ff zu § 1278 RVO mwN; zu § 93 SGB VI zB Kater in: Kasseler Komm, § 103 SGB X, RdNr 82 - Stand: 1993 - sowie anscheinend die Verwaltungspraxis: s Prestel/Brendel, Erstattungsansprüche der Leistungsträger, 1993, S 46; ferner SG Frankfurt, SozVers 1996, 275 mit Anm Heimrich sowie Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Rundschreiben vom 9. Dezember 1994, HV-INFO 1994, 2924); dieser würde voraussetzen, daß der Anspruch auf die von der Beklagten erbrachten Sozialleistungen (die große Witwenrente) "nachträglich ganz oder teilweise entfallen" ist. Dies ist jedoch schon deshalb nicht der Fall, da (wie oben unter ≪1≫ ausgeführt) der Klägerin von vornherein nur ein Anspruch auf Auszahlung der großen Witwenrente unter Anrechnung des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustand und nicht etwa ein ursprünglich unbeschränkter Anspruch erst ("nachträglich") durch die Bewilligung jener Rente mit Bescheid der BG vom 3. September 1992 (teilweise) entfiel.
Eine Anwendung des § 105 Abs 1 SGB X scheitert jedenfalls daran, daß die Beklagte iS dieser Vorschrift nur teilweise unzuständig war, diese Erstattungsregelung jedoch voraussetzt, daß nur ein einziger Leistungsträger zuständig und verpflichtet ist (BSG vom 22. Mai 1985, BSGE 58, 119, 123 f = SozR 1300 § 104 Nr 7).
Ein Erstattungsanspruch der Beklagten gegen die BG kann sich jedoch auf § 104 Abs 1 SGB X stützen; die Beklagte war iS dieser Vorschrift ein "nachrangig verpflichteter Leistungsträger". Wie sich aus den vom LSG in Bezug genommenen Akten der BG ergibt, war dieser auch bereits im Zeitpunkt ihrer ersten Zahlung an die Klägerin (Vorschuß von DM 1.500,00 lt Zahlungsanordnung vom 6. April 1992) deren Bezug einer Witwenrente aus der Rentenversicherung iS des § 104 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB X bekannt.
Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, "soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre" (§ 104 Abs 1 Satz 2 SGB X). Man könnte zwar meinen, daß ein derartiges Verhältnis zwischen der Beklagten und der BG deshalb nicht bestand, da die Beklagte, wie bereits dargestellt, von Anfang an nur zur Leistung einer in Höhe der Anrechnung nach § 93 Abs 1 bis 3 SGB X gekürzten großen Witwenrente verpflichtet war. Die Legaldefinition des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X allein ist jedoch nicht geeignet, den Regelungsbereich des § 104 SGB X klar abzugrenzen (Kater in: Kasseler Komm, § 104 SGB X, RdNr 10, Stand: 1993; vgl ferner Przetak, Erstattungsansprüche im Sozialrecht, 1990, S 68 ff). Es muß vielmehr für eine nachrangige Leistungsverpflichtung gemäß § 104 Abs 1 SGB X ausreichen, wenn - iS einer "Einzelfallsubsidiarität" (hierzu BSG vom 22. Mai 1985, BSGE 58, 119, 123 = SozR 1300 § 104 Nr 7 mwN) - die Zuständigkeit und Verpflichtung des nachrangigen Leistungsträgers (hier: Bundesknappschaft) schon im Zeitpunkt der Leistungsgewährung originär subsidiär war, dh von Anfang an der Höhe nach von der Leistungsverpflichtung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers (hier: BG) abhängig war und außerdem der nachrangig verpflichtete Leistungsträger (Bundesknappschaft) durch die Leistung des vorrangig verpflichteten Trägers (BG) nicht endgültig von seiner Leistungspflicht befreit wird (BSG aa0).
Der Anwendung der Verfahrensvorschrift des § 104 SGB X kann auch nicht entgegengehalten werden, daß nach dieser Vorschrift ein Erstattungsanspruch nicht entstehen kann, wenn der nachrangig verpflichtete Leistungsträger (Bundesknappschaft) materiell-rechtswidrige Leistungen erbracht hat (s Hauck/Haines, SGB X 3, K § 107 RdNr 9 und § 104 RdNr 9). Denn dieses Argument trifft nur dem Grunde nach rechtswidrige Leistungen, um eine Abgrenzung zum Erstattungsanspruch eines unzuständigen Leistungsträgers nach § 105 SGB X zu ermöglichen. Zwar war die Beklagte aufgrund materiellen Rentenrechts (§ 93 Abs 1 bis 3 SGB X) nicht zur Zahlung des Anrechnungsbetrages verpflichtet. Eine solche Verpflichtung bestand aber nur deshalb nicht, weil neben dem Anspruch der Klägerin auf eine Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch ein entsprechender Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestand, und nicht etwa, weil die Anspruchsvoraussetzungen für die große Witwenrente insgesamt nicht vorlagen (vgl das Beispiel bei Kummer, DAngVers 1986, 397, 402: Kein Erstattungsanspruch einer Krankenkasse, die Krankengeld zahlt, obwohl keine Arbeitsunfähigkeit besteht).
Letztlich spricht für eine Anwendung des § 104 SGB X auf die vorliegende Fallgestaltung auch, daß der Gesetzgeber bereits unter Geltung der RVO davon ausgegangen war, daß in derartigen Fällen (irgend) ein Erstattungsanspruch des Renten- gegen den Unfallversicherungsträger besteht (vgl Langenheim, DRV 1983, 578, 586 f), § 104 SGB X noch den "sachnächsten" Erstattungstatbestand regelt (auch Przetak, aa0 S 116, Fn 331 mwN hält die Einordnung der bei § 1278 Abs 1, Abs 4 RVO entstehenden Erstattungslage unter § 104 SGB X für "möglich") und schließlich die hier anzuwendende Neuregelung des § 93 SGB VI grundsätzlich dem bisher geltenden Recht entsprechen sollte (Gesetzesbegründung, BT-Drucks 11/4124 S 174 zu § 92 des Entwurfs).
Daraus, daß ein Erstattungsanspruch der Beklagten gegen die BG nach § 104 Abs 1 SGB X bestand, folgt jedoch auch, daß die Voraussetzungen der Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs 1 SGB X vorliegen. Dies gilt für den gesamten hier noch streitigen Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 30. September 1992. Damit hat die Klägerin nach wie vor keinen Anspruch auf (teilweise) Auszahlung der von der BG zugunsten der Beklagten zurückbehaltenen Nachzahlung laut Bescheid vom 3. September 1992: Gerade diese wird vom Erstattungsanspruch der Beklagten gegenüber der BG erfaßt. Ebensowenig hat die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides für den noch streitigen Zeitraum Folgen für die von der Beklagten im Bescheid vom 6. Mai 1993 von der Klägerin geforderte Erstattung des überzahlten Rentenbetrages in Höhe von DM 485,45. Denn der geforderte Betrag beruht auf Überzahlungen nach dem 30. September 1992. Aus der Anlage zum Bescheid vom 6. Mai 1993 ergibt sich, daß der angeforderte Erstattungsbetrag in Höhe von DM 485,45 bereits durch die noch ab dem 1. Oktober 1992 angefallenen Überzahlungen erreicht und überschritten wird (nach den vom LSG in Bezug genommenen Rentenakten der Beklagten war allein für Januar 1993 eine Überzahlung in Höhe von DM 644,88 angefallen, da in diesem Monat eine vorgesehene Einbehaltung von der Rente - anders als in den Monaten Dezember 1992 sowie Februar und März 1993 - nicht durchgeführt wurde: Bl 32, 35, 49, 94 Bekl-Akte).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174646 |
SozR 3-1300 § 107, Nr.10 |
SozSi 1998, 240 |