Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel. keine Leistungspflicht für Fingerendgliedprothese. Begriff der Behinderung und Krankheit. Nichtberücksichtigung bei Feststellung des Grades einer Behinderung und des Grades der Schädigungsfolgen
Leitsatz (amtlich)
Eine Fingerendgliedprothese, die keine (wesentlichen) Gebrauchsvorteile bietet, keine Teilhabebeeinträchtigung ausgleicht, und deren Vorteile sich letztlich auf einen besseren Komfort und eine bessere Optik beschränken, fällt auch dann nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn damit unmittelbar ein fehlendes Körperteil ersetzt wird.
Orientierungssatz
1. Zum Begriff der Behinderung iS des SGB 9 bzw der UN-Behindertenrechtskonvention - UN-BRK (juris: UNBehRÜbk) und der Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. .
2. Durch das Fehlen eines Zeigefingerendgliedes tritt allenfalls eine ganz geringe Funktionsbeeinträchtigung der Greif- und Haltefunktion der Hand ein. Diese bleibt bei der Feststellung des Grades einer Behinderung sowie bei der Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen nach dem BVG unberücksichtigt.
Normenkette
SGB V § 12 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 3, § 33 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 Fassung: 2007-03-26, S. 5, § 34 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1991-12-20; SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 5 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 1, § 69 Abs. 1; BVG § 30 Abs. 16 Fassung: 2011-06-20; UNBehRÜbk Präambel Buchst e; UNBehRÜbk Art 1 Abs. 2; KVHilfsmV; VersMedV § 2; VersMedV Anlage Teil A Nr. 2; VersMedV Anlage Teil B
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit einer Silikonfingerprothese für den Zeigefinger ihrer rechten Hand.
Der 1966 geborenen Klägerin wurde das Endglied des Zeigefingers der rechten Hand amputiert. Am 2.2.2011 beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit einer individuell angefertigten Silikonfingerprothese unter Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Verordnung sowie eines Kostenvoranschlags eines Sanitätshauses in Höhe von 3513,77 Euro und Fotografien ihrer Hand. Sie trug vor, sie arbeite mit Kundenkontakt am Flughafenschalter und fühle sich in der Öffentlichkeit starrenden Blicken ausgesetzt. Beim Musizieren, beim Modellbau sowie bei der Bedienung der Tastatur und der Maus ihres Computers am Arbeitsplatz und zu Hause beeinträchtige sie das fehlende Fingerglied, und die Silikonprothese biete ihr einen erheblichen Funktionsgewinn. Zudem sei es ohne den Schutz durch eine Fingerprothese äußerst schmerzhaft, wenn der Finger beim Greifen an Gegenstände stoße.
Nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Klägerin durch den Verlust des Zeigefingerendgliedes nicht wesentlich beeinträchtigt sei, und die Fingerepithese funktionell weitgehend unbedeutend bleibe. Im Vordergrund stehe der kosmetische Aspekt, der eine Kostenzusage nicht rechtfertigen könne. Eine evtl Druckschmerzhaftigkeit könne durch eine Schutzkappe oder Verbandmaterial vermindert werden (Bescheid vom 11.4.2011, Widerspruchsbescheid vom 1.9.2011).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 5.12.2012); das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 24.1.2014): Körperersatzstücke wie Fingerprothesen seien auf den unmittelbaren Ausgleich der Behinderung durch den Ersatz des fehlenden Körperteils und dessen ausgefallene Funktionen gerichtet. Bei der Fingerprothese gehe es um das Grundbedürfnis einer möglichst sicheren Greif-, Halte- und Führungsfunktion der Hand. Auch im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs hätten die Krankenkassen aber nicht für solche Innovationen aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile bewirkten und sich auf einen besseren Komfort oder eine bessere Optik beschränkten. Einen wesentlichen Gebrauchsvorteil habe die Klägerin weder vorgetragen noch sei dies den Unterlagen zu entnehmen.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Sie begehre eine Naturalfingerprothese mit der weitestgehend individuellen Anpassung an die gesunde Hand und mit der besten Griffigkeit. Denn es sei ein möglichst weitgehender Behinderungsausgleich geschuldet, der sowohl die Erhaltung der Vollständigkeit und Unversehrtheit des Körpers an sich umfasse, als auch die Vermeidung einer Stigmatisierung. Darüber hinaus biete ihr die Fingerprothese im gesamten täglichen Leben Gebrauchsvorteile, weil die im Wesentlichen durch Daumen und Zeigefinger gestaltete Greiffunktion der Hand durch die Verkürzung des Zeigefingers erheblich eingeschränkt werde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Januar 2014 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2012 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Naturalfingerprothese zu übernehmen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Klägerin stehe generell kein Anspruch auf eine Fingerprothese zu, auch nicht auf eine weniger hochwertige Ausführung im Sinne einer Basisversorgung. Es handele sich bei den Fingerprothesen, die grundsätzlich aus Silikon hergestellt würden, immer um steife Fingerstücke, die auf den Amputationsstumpf aufgesetzt würden. Dadurch komme es zu keinem wesentlichen Funktionsgewinn. Manche Tätigkeiten seien mit einem steifen künstlichen Fingergelenk weniger gut durchführbar, als ohne diese Prothese. Gerade eine verbesserte Feinmotorik sei mit der Prothese wegen der fehlenden Nerven nicht erreichbar. In der Amputationsstelle seien dagegen noch Nerven vorhanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet, die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Klägerin mit einer Fingerprothese zu versorgen.
1. Rechtsgrundlage des ungeachtet des auf Kostenübernahme lautenden Antrags der Sache nach geltend gemachten Sachleistungsanspruchs ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung von Art 1 Nr 17 Buchst a GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Blick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 - zweisitziges Elektrofahrzeug; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 40 - Unterschenkel-Sportprothese; BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 § 33 Nr 31 - Treppensteighilfe). Nicht entscheidend für den Versorgungsanspruch ist, ob das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) gelistet ist, denn es handelt sich bei diesem Verzeichnis nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16, 20, 27; BSGE 99, 197 = SozR 4-2500 § 33 Nr 16, RdNr 20; vgl zum Ganzen auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 - Perücke; BSG Urteil vom 8.7.2015 - B 3 KR 5/14 R - CGMS, vorgesehen für SozR 4, jeweils mwN).
2. Der Hilfsmittelbegriff wird seit dem Inkrafttreten des SGB IX (durch Art 1 des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046) zum 1.7.2001 für alle Träger von Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§ 6 Abs 1, § 5 Nr 1 SGB IX) durch § 31 Abs 1 SGB IX einheitlich definiert. Danach versteht der Gesetzgeber unter Hilfsmitteln Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel. Erfasst werden alle Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um (1.) einer drohenden Behinderung vorzubeugen, (2.) den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder (3.) eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Da sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe gemäß § 7 Satz 2 SGB IX nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten, ergibt sich der Rechtsanspruch der Versicherten weiterhin aus § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Bei der Definition des Hilfsmittelbegriffs in der medizinischen Rehabilitation hat sich der Gesetzgeber an der Rechtsprechung des BSG zum Hilfsmittelbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) orientiert. Eine Ausweitung der Leistungspflicht der GKV war bei der Hilfsmittelversorgung aber mit der Einführung des SGB IX nicht beabsichtigt (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 - Perücke; BSG Urteil vom 8.7.2015 - B 3 KR 5/14 R - CGMS, vorgesehen für SozR 4, jeweils mwN).
Die begehrte Fingerprothese gehört zu den Körperersatzstücken. Unerheblich ist, ob dieses Fingerendgliedersatzstück als "Prothese" oder als "Epithese" bezeichnet wird, denn diese Begriffe sind nicht eindeutig voneinander abgrenzbar. In der Regel werden unter "Prothesen" Körperersatzstücke aller Art verstanden (vgl zB Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl 2014), während mit dem Begriff der "Epithesen" - abgeleitet von dem griechischen Wort für "Herauflegen" - individuell modellierte Ersatzstücke aus Kunststoff, Silikonen, Gelatine ua zur Deckung von Oberflächendefekten, insbesondere im Gesicht bezeichnet werden (vgl zB Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl 2014; nach Zetkin/Schaldach, Lexikon der Medizin, 16. Aufl 1998, handelt es sich bei Epithesen um Kunststoffprothesen zum Ausgleich von Oberflächendefekten, welche äußerlich aufgelegt, aufgeklebt oder mit knöchern verankerten Stiften fixiert werden). Jedenfalls soweit damit - wie hier- ein fehlendes Körperstück ersetzt wird, kann auch mit dem Begriff der Epithese ein Körperersatzstück bezeichnet werden.
Da Körperersatzstücke bereits im Wortlaut des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V und des § 31 Abs 1 SGB IX ausdrücklich aufgeführt sind, erübrigen sich bezüglich der begehrten Fingerendgliedprothese weitere Ausführungen zur Hilfsmitteleigenschaft oder eine Abgrenzung von den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens.
3. Ein Anspruchsausschluss nach § 34 Abs 4 Satz 1 SGB V greift nicht ein. Nach dieser Vorschrift (idF durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.1991, BGBl I 2325) kann das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. In der auf Grund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 13.12.1989 (BGBl I 2237), die in der Fassung der Verordnung vom 17.1.1995 (BGBl I 44) gilt, sind Fingerprothesen oder Fingerepithesen nicht erfasst.
4. Der Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel gegen die GKV setzt darüber hinaus das Vorliegen der Voraussetzungen einer der in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V sowie in § 31 Abs 1 SGB IX teleologisch differenzierten Versorgungsvarianten voraus; dh das Hilfsmittel muss der Vorbeugung einer drohenden Behinderung, der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung oder dem Ausgleich einer Behinderung dienen.
Die von der Klägerin begehrte Fingerprothese dient keinem dieser Zwecke. Die Variante "Abwendung einer drohenden Behinderung" kommt nach der Sachlage ohnehin nicht in Betracht. Das Hilfsmittel dient auch weder dem Ausgleich einer Behinderung (dazu a)) noch der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung (dazu b)). Aus diesen Gründen hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf eine weniger hochwertige Fingerprothese (dazu c)).
a) Als Körperersatzstück soll die Fingerprothese im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs eingesetzt werden, in dem die GKV die Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung einer beeinträchtigten Körperfunktion zu bewirken hat (dazu aa)). Das Fehlen des Zeigefingerendgliedes stellt aber allenfalls eine ganz geringfügige Behinderung (zum Begriff der Behinderung siehe bb)) der Klägerin dar. Soweit überhaupt Handfunktionen beeinträchtigt sind, können diese durch die begehrte Fingerprothese nicht in einer dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechenden Weise ausgeglichen werden (dazu cc)). Eine Behinderung der Klägerin ergibt sich auch nicht aus der äußerlichen Wirkung des fehlenden Fingergliedes, da hier keine teilhaberechtlich relevante erhebliche oder außergewöhnliche Auffälligkeit vorliegt (dazu dd)).
aa) Hinsichtlich der Bestimmung eines Hilfsmittels zum Ausgleich einer Behinderung iS des § 33 Abs 1 Satz 1 dritte Variante SGB V wird zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Behinderungsausgleich unterschieden. Beim unmittelbaren Behinderungsausgleich dient das Hilfsmittel unmittelbar dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, während im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs das Hilfsmittel zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird. Diese Differenzierung ist notwendig, weil unter Einbeziehung einer historischen Betrachtung unzweifelhaft ist, dass der Ausfall einer Körperfunktion den Krankheitsbegriff in der GKV erfüllt, und es daher zum Aufgabenbereich der GKV gehört, ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktionen soweit wie möglich wiederherzustellen oder zu verbessern. Beim mittelbaren Behinderungsausgleich geht es demgegenüber darum, einem behinderten Menschen, dessen Beeinträchtigung durch medizinische Leistungen einschließlich des Einsatzes von Hilfsmitteln nicht weiter behoben werden kann, das Leben mit den Folgen dieser Beeinträchtigung zu erleichtern. Dabei liegt es auf der Hand, dass es nicht Aufgabe der GKV ist, jegliche Behinderungsfolgen in allen Lebensbereichen auszugleichen. So ist es beispielsweise Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme, einen Ausgleich für spezielle berufliche Anforderungen zu schaffen. Es kann auch nicht Aufgabe der GKV sein, alle Auswirkungen der Behinderung etwa im Hinblick auf spezielle Sport- oder Freizeitinteressen durch Hilfsmittel auszugleichen. Auch nach dem der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen gewidmeten SGB IX ist die GKV nur für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, nicht aber für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig (§ 6 Abs 1 Nr 1, § 5 SGB IX). Um hier den Aufgabenbereich der GKV abzugrenzen, ist ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich von der Krankenkasse nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören danach das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 30 RdNr 12 - Lichtsignalanlage; BSG Urteil vom 8.7.2015 - B 3 KR 5/14 R - CGMS, vorgesehen für SozR 4, jeweils mwN). Zu Wertungswidersprüchen führt die Differenzierung zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Behinderungsausgleich nicht, da die durch den unmittelbaren Behinderungsausgleich bewirkte Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung einer beeinträchtigten Körperfunktion bereits als solche ein Grundbedürfnis darstellt. Beim unmittelbaren Behinderungsausgleich kommt daher der Frage nach der Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens erst dann Bedeutung zu, wenn es nicht um die erstmalige Behebung eines Funktionsdefizits geht und auch nicht um die reine Ersatzbeschaffung, sondern um die Versorgung eines für den Behinderungsausgleich bereits ausreichend ausgestatteten Versicherten mit einem zweiten Hilfsmittel gleicher Art als Zweitausstattung, als Ausstattung für einen speziellen Zweck in Abgrenzung zur Ausstattung für das tägliche Leben oder mit einem technisch weiterentwickelten Hilfsmittel. Dabei kommt es auf den Umfang der mit dem neuen Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile an (zB computergestütztes statt mechanisches Kniegelenksystem). Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26; BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr 42, RdNr 16 ff - Rauchwarnmelder; BSG Urteil vom 8.7.2015 - B 3 KR 5/14 R - CGMS, vorgesehen für SozR 4, jeweils mwN); anderenfalls sind die Mehrkosten gemäß § 33 Abs 1 Satz 5 SGB V (ebenso § 31 Abs 3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 - C-Leg; BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr 42, RdNr 16 bis 20 - Rauchwarnmelder; BSG Urteil vom 8.7.2015 - B 3 KR 5/14 R - CGMS, vorgesehen für SozR 4, mwN).
bb) Allein aus dem Umstand, dass durch die Fingerprothese unmittelbar ein fehlendes Körperglied ersetzt wird und es daher um einen unmittelbaren Ausgleich einer körperlichen Beeinträchtigung geht, ergibt sich aber noch nicht, dass die Klägerin wegen des fehlenden Fingerendgliedes "behindert" ist. Vielmehr wird der Begriff der Behinderung in § 2 Abs 1 SGB IX ausdrücklich gesetzlich definiert und diese Begriffsdefinition gilt gemäß § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 und § 31 SGB IX auch für das SGB V und damit für die Krankenkassen. Nach § 2 Abs 1 SGB IX sind Menschen teilhaberechtlich behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (Satz 1). Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (Satz 2). Dabei entspricht der erste Teil der Definition der "Behinderung" iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX, also die dauerhaft regelwidrige Körperfunktion bzw das Funktionsdefizit, dem herkömmlichen rein medizinischen Behinderungsbegriff, während der zweite Teil der Definition, also die Teilhabebeeinträchtigung als Folge des Funktionsdefizits, die durch das SGB IX erfolgte Erweiterung des herkömmlichen Behinderungsbegriffs darstellt (vgl dazu auch Löbner, Der gesetzliche Behinderungsbegriff im Wandel der Zeit, Behindertenrecht 2015, 1 ff; vgl zum Ganzen auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 - Perücke; BSG Urteil vom 8.7.2015 - B 3 KR 5/14 R - CGMS, vorgesehen für SozR 4). Der Betonung der Teilhabebeeinträchtigung auch unter dem Gesichtspunkt, dass sich eine (körperliche, seelische oder geistige) Abweichung von der Regel insbesondere deshalb für die Betroffenen nachteilig auswirkt, weil die Umwelt im Hinblick auf die Bedürfnisse von Menschen ohne diese Abweichung gestaltet wird, kommt mit Rücksicht auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und dem sich aus Art 1 Abs 2 UN-BRK ergebenden Begriff der Behinderung besondere Bedeutung zu. Danach zählen zu den Menschen mit Behinderungen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. An diesem Begriff orientiert sich auch die Rechtsprechung des EuGH (vgl EuGH Urteil vom 18.12.2014 - C-354/13 - RdNr 59 - zur Kündigung wegen Adipositas). Danach wird Behinderung nicht als ein fest definiertes Konzept verstanden, sondern ist dynamisch und von den jeweiligen Wechselbeziehungen mit umweltbezogenen und personenbedingten Kontextfaktoren abhängig (Präambel lit. e) und Art 1 Abs 2 UN-BRK). Der Behinderungsbegriff entwickelt sich somit fortlaufend weiter und passt sich an die jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen an. Daher ist jeweils im konkreten Einzelfall zu überprüfen, ob eine Beeinträchtigung der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe vorliegt. Schließlich ist zwar die Regelwidrigkeit und die Funktionsstörung nach medizinischen Maßstäben zu beurteilen, die Beeinträchtigung der Teilhabe kann jedoch auch nach soziologischen und pädagogischen Maßstäben bestimmt werden (vgl hierzu auch Papadopoulou, Anmerkung zu EuGH Urteil vom 18.12.2014 - C 354/13, Forum B, Beitrag B9-2015 unter www.reha-recht.de, 10.7.2015).
cc) Durch das Fehlen des Zeigefingerendgliedes werden die Handfunktionen der Klägerin allenfalls geringfügig beeinträchtigt. Soweit dies bereits zu einer Teilhabebeeinträchtigung führt, kann diese jedenfalls nicht durch die begehrte Fingerprothese in einer dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechenden Weise ausgeglichen werden.
Regelmäßig tritt durch das Fehlen des Zeigefingerendgliedes allenfalls eine ganz geringe Funktionsbeeinträchtigung der Greif- und Haltefunktion der Hand ein. Diese bleibt bei der Feststellung des Grades einer Behinderung (vgl § 69 Abs 1 SGB IX iVm der Rechtsverordnung nach § 30 Abs 16 Bundesversorgungsgesetz - BVG) sowie bei der Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen nach dem BVG (vgl § 30 Abs 1 BVG iVm der Rechtsverordnung nach § 30 Abs 16 BVG) unberücksichtigt. Nach § 30 Abs 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Nach der Anlage zu § 2 der Rechtsverordnung, die nach § 30 Abs 16 BVG für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlassen wurde (Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 - VersMedV), werden der GdS und der Grad der Behinderung (GdB) nach gleichen Grundsätzen bemessen. Beide Begriffe haben die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt. GdS und GdB sind ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens (Teil A 2. der Anlage zu § 2 VersMedV). Anhaltswerte für den GdS und den GdB enthält die in Teil B der Anlage zu § 2 VersMedV aufgeführte GdS-Tabelle. Danach führt der Verlust des Zeigefingers, Mittelfingers, Ringfingers oder Kleinfingers, auch mit Teilen des dazugehörigen Mittelhandknochens zu einem GdS/GdB von 10, der Verlust eines Daumens zu dem GdS/GdB von 25, aber der Verlust des Daumenendgliedes zu einem GdS/GdB von 0 (vgl unter 18.13 Schäden der oberen Gliedmaßen Teil B der Anlage zu § 2 VersMedV). Führt schon der Verlust des Daumenendgliedes nicht zu einem GdS/GdB, kann der Verlust des Zeigefingerendgliedes allenfalls mit ganz geringen Funktionsbeeinträchtigungen verbunden sein. Denn der Daumen hat die wichtigste Funktion unter den Fingern, weshalb sein Verlust zu einem erheblich höheren GdS/GdB führt als der Verlust eines anderen Fingers.
Die Klägerin wird durch das Fehlen des Zeigefingerendgliedes auch nicht in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft gehindert. Auch wenn sie durch die Verkürzung des Zeigefingers möglicherweise die von ihr angegebenen filigranen Greifbewegungen beim Musizieren, beim Modellbauen oder bei der Bedienung einer Computer-Tastatur oder der Maus nicht so uneingeschränkt und geschickt ausführen kann wie mit einem unversehrten Zeigefinger, so kann die begehrte Fingerprothese diese allenfalls minimale Funktions- und Teilhabebeeinträchtigung weder ausgleichen noch verringern. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den insoweit überzeugenden Ausführungen im Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung gefolgt ist und hierzu kein weiteres Gutachten eingeholt hat. Denn es ist nachvollziehbar, dass eine unbewegliche Fingerendgliedprothese bei den von der Klägerin angegebenen filigranen Greifbewegungen beim Musizieren, beim Modellbauen und bei der Bedienung einer Computer-Tastatur oder der Maus keine Gebrauchsvorteile bietet, die über die Nutzung einer entsprechend angefertigten Schutzkappe hinausgehen.
Das gleiche gilt für die von der Klägerin angegebenen Schmerzen beim Anstoßen des betroffenen Fingers an Gegenständen. Mit Empfindungsstörungen an den Fingern, besonders an Daumen und Zeigefinger, kann sogar eine wesentliche Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Hand verbunden sein, und Fingerstümpfe im Mittel- und Endgelenk können eine schmerzhafte Narbenbildung und ungünstige Weichteildeckung zeigen (vgl unter 18.13 Schäden der oberen Gliedmaßen Teil B der Anlage zu § 2 VersMedV). Doch stellt die begehrte Fingerprothese keine dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechende Versorgungsmöglichkeit zur Abwendung oder Verringerung von Schmerzen im Fingerstumpf dar. Denn ein Schutz vor Schmerzen beim Anstoßen an Gegenständen kann wirtschaftlicher durch eine Schutzkappe erreicht werden.
dd) Die Klägerin wird in ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auch nicht durch eine erhebliche oder außergewöhnliche äußerliche Auffälligkeit beeinträchtigt. Eine solche teilhaberechtlich relevante äußerliche Auffälligkeit liegt erst dann vor, wenn der Betroffene aufgrund seines Erscheinungsbildes zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird, er sich nicht mehr frei und unbefangen unter Mitmenschen bewegen kann und daher sein Rückzug aus dem Leben in der Gesellschaft droht (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 - Perücke).
Der Verlust des Zeigefingerendgliedes ist nach den Feststellungen des LSG bei der Klägerin jedoch weder eine erhebliche noch eine außergewöhnliche Auffälligkeit. Die Klägerin wird schon deshalb nicht zum Objekt besonderer Beachtung anderer, weil die Abweichung vom Normalzustand nur bei einem Blick auf die betroffene Hand sichtbar wird, die Abweichung dort nur das letzte Glied eines Fingers betrifft und es letztlich lediglich um eine Verkürzung, nicht um eine besondere Wunde oder außergewöhnliche Verwachsung oder sonstige Anomalie geht. Der Verlust dieses Fingerendgliedes kann allenfalls die Wirkung einer kleineren ästhetischen Unregelmäßigkeit entfalten, deren Beseitigung bzw Kaschierung als kosmetische Maßnahme ohne Krankheitswert in die Eigenverantwortung des Betroffenen fällt. Das freie und unbefangene Bewegen unter Mitmenschen wird dadurch nicht eingeschränkt. Ein Anspruch gegen die Krankenkasse auf die Herstellung eines völlig unversehrten Körperbildes kann dadurch nicht ausgelöst werden.
Insoweit ergeben sich zwischen Männern und Frauen keine Unterschiede. Während ein haarloser Kopf in der Öffentlichkeit unterschiedliche Reaktionen hervorruft, je nachdem ob ein Mann oder eine Frau betroffen ist (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 - Perücke), löst der Verlust eines Fingergliedes nicht generell nach Geschlecht unterscheidbare Reaktionen aus. Beim Haarverlust beruht dies darauf, dass dieser bei Männern - im Gegensatz zu Frauen - ab einem bestimmten Alter ein natürlicher Vorgang ist. Bezüglich des Verlustes eines Fingergliedes bestehen solche von der Natur vorgegebenen Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht. Entscheidend für die Reaktionen der Öffentlichkeit auf den Verlust eines Fingergliedes sind daher in erster Linie Form, Ausmaß und Aussehen der Anomalie im Handbereich, nicht das Geschlecht des Betroffenen.
Der Umstand, dass die Klägerin den Verlust ihres Zeigefinderendgliedes offenbar als psychische Belastung empfindet, kann nicht den Anspruch auf die Versorgung mit einer Fingerprothese auslösen; denn es kommt auf die Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Beseitigung einer objektiv eingetretenen entstellenden Wirkung an (vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 - Perücke, mwN; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14). Selbst ein Zustand mit Krankheitswert würde die Krankenkasse lediglich zu medizinisch notwendigen Behandlungsmaßnahmen verpflichten und nicht dazu, jede vom Versicherten gewünschte, von ihm für optimal gehaltene Maßnahme zur Heilung oder Linderung des krankhaften Zustands zu gewähren. Daran hat auch das am 1.7.2001 in Kraft getretene SGB IX nichts geändert, denn in Bezug auf die Zuständigkeit des Leistungsträgers und die Leistungsvoraussetzungen verweist § 7 Satz 2 SGB IX ausdrücklich auf die speziellen Leistungsgesetze, hier also das SGB V (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 8). Danach sind die Ansprüche des Versicherten auf diejenigen Maßnahmen begrenzt, die nach objektiven Maßstäben als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich anzusehen sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs 1 SGB V).
b) Ein Anspruch kommt auch nicht zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung in Betracht. Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte nur dann Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zum Anspruch auf Krankenbehandlung gehört auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V). Den Krankheiten gleichgestellt sind in weitgehendem Umfang Behinderungen (vgl § 2 Abs 1 SGB IX, § 33 SGB V). Das Gesetz macht keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 6).
Unter einer Krankheit iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V wird allgemein ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand verstanden, der ärztlicher Heilbehandlung bedarf oder - zugleich oder allein - den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr vgl zuletzt BSG Urteil vom 22.4.2015 - B 3 KR 3/14 R - Juris, mwN; sowie zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 10; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 4; BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38). Da aber nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit auch Krankheitswert zukommt, hat die Rechtsprechung diese Grundvoraussetzung dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 - Perücke mwN; sowie BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 11 - zu Brustangleichungsoperationen; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6 - zu kosmetischen Brustvergrößerungen; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4, RdNr 16 - zu Feuermalen der Haut; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f - zu einer Hodenprothese; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 zur Dauerpigmentierung bei fehlenden Augenbrauen und Wimpern). Der Gesetzgeber selbst hat bewusst davon abgesehen, den Begriff der Krankheit im Gesetz zu definieren, da sein Inhalt ständigen Änderungen unterliegt. Stattdessen hat er in der Gesetzbegründung Bezug genommen auf die herrschende Rechtsprechung und Praxis (Begründung des Entwurfs zum Gesundheits-Reformgesetz, BT-Drucks 11/2237, S 170). Trotz der vom Gesetzgeber angenommenen ständigen Änderungen des Krankheitsbegriffs ist aber die grundlegende Begriffsdefinition gleich geblieben. Die Anpassung an die fortschreitende medizinische Entwicklung erfolgt in der Regel im Rahmen der einzelnen Begriffsmerkmale. Die Ausweitung der therapeutischen Möglichkeiten schlägt sich insbesondere in dem Begriffsmerkmal der "Behandlungsbedürftigkeit" nieder (Fahlbusch in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 27 RdNr 31 und 42 mwN).
Der krankenversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff ist enger als der Krankheitsbegriff im allgemein-medizinischen Sinne, der jede "Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen bzw objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen" bzw "eine definierbare Einheit typischer ätiologisch, morphologisch, symptomatisch oder nosologisch beschreibbarer Erscheinungen, die als eine bestimmte Erkrankung verstanden werden" umfasst. Bei dem medizinischen Krankheitsbegriff kommt es insbesondere auf Behandlungsbedürftigkeit bzw Arbeitsunfähigkeit nicht an. Ebenfalls nicht maßgeblich für das Krankenversicherungsrecht ist der weite sozialpolitische Krankheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation, die den Gegenbegriff der Gesundheit definiert als "Zustand völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlempfindens" (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 - Perücke; Fahlbusch, aaO, § 27 RdNr 34).
Das Fehlen des Zeigefingerendgliedes kann schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil es - wie ausgeführt - nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Körperfunktionen führt und zudem weder die Fingerprothese noch ein anderes Mittel der Krankenbehandlung der Klägerin das verlorene Zeigefingerendglied wieder zu beschaffen oder die insoweit geringfügig beeinträchtigte Körperfunktion auszugleichen vermag. Zur Behandlung möglicherweise beim Anstoßen an Gegenständen auftretender Schmerzen, denen danach Krankheitswert zukommen kann, reicht eine entsprechend angefertigte Schutzkappe aus. Auch bei der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung ist das nach § 12 Abs 1 SGB V für alle Leistungen der GKV geltende Wirtschaftlichkeitsgebot zu berücksichtigen. Wie bereits zur Behinderung dargelegt, zeigt das Fehlen des Zeigefingerendgliedes bei der Klägerin auch keine entstellende Wirkung und ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht krankheitswertig.
c) Ohne entsprechende Gebrauchsvorteile und ohne den Ausgleich einer Teilhabebeeinträchtigung bewirken zu können, überschreitet die begehrte Fingerprothese die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung.Die letztlich auf einen bloß besseren Komfort und vor allem eine bessere Optik beschränkten Vorteile der Fingerendgliedprothese lösen auch dann keine Leistungspflicht der Krankenkasse aus, wenn durch das Hilfsmittel unmittelbar ein fehlendes Körperteil ersetzt wird. Nach dem Wortlaut des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V sowie des § 31 Abs 1 SGB IX fallen auch Körperersatzstücke nicht ohne Weiteres in die Leistungspflicht der Krankenversicherung, sondern nur unter den Voraussetzungen einer der drei teleologisch differenzierten Versorgungsvarianten: zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung, zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung oder zum Ausgleich einer Behinderung. Der Leistungsanspruch ergibt sich - soweit ausnahmsweise mit dem fehlenden Körperglied keine Funktionsbeeinträchtigung verbunden ist - nicht bereits zur Wiederherstellung der vollständigen körperlichen Integrität bzw eines vollständigen, unversehrten Körpers.
Liegt - wie hier - allenfalls eine unwesentliche Funktionsbeeinträchtigung vor und kann die Funktion durch das begehrte Hilfsmittel nicht weiter verbessert oder ausgeglichen werden, kann das Hilfsmittel nicht zum Behinderungsausgleich oder zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung erforderlich sein. Deshalb ist auch eine weniger hochwertige Fingerprothese nicht vom Versorgungsanspruch umfasst, solange damit kein funktioneller Nachteilsausgleich verbunden ist, weil die Prothese keine wesentlichen Gebrauchsvorteile, sondern lediglich einen besseren Komfort und eine bessere Optik als beispielsweise eine Schutzkappe bietet. Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, dass ihr Begehren hilfsweise auch eine solche Schutzkappe umfassen sollte. Dies hätte die Klägerin deutlicher zum Ausdruck bringen und hierzu insbesondere ihre Empfindungsstörungen genauer darlegen und ggf seitens der Beklagten genauer prüfen lassen müssen. Es ist ihr allerdings nicht verwehrt, dies in einem neuen Verfahren noch zu tun. Sollte sich eine Schutzkappe als erforderlich erweisen, könnte die Klägerin auch von der Möglichkeit nach § 33 Abs 1 Satz 5 SGB V Gebrauch machen und die Fingerprothese als höherwertiges Hilfsmittel wählen, wenn sie die damit verbundenen Mehrkosten selbst trägt und die Fingerendgliedprothese im Hinblick auf die Schmerzempfindlichkeit denselben Schutz bietet, wie eine Schutzkappe.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen