Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterschiedliche Jahressonderzahlung für Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit in Berlin
Leitsatz (redaktionell)
1. Die von den Tarifvertragsparteien getroffene differenzierende Regelung zur unterschiedlichen Jahressonderzahlung in den Tarifgebieten Ost und West (§ 22 Abs. 2 und 3 TV-BA) ist nicht wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam; als selbständigen Grundrechtsträgern kommt den Tarifvertragsparteien aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum und eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen zu, die nicht zwingend für alle Beschäftigten zur "besten" Regelung führen kann.
2. Verfassungsrechtlich stoßen tarifvertragliche Regelungen dann an die Grenze des Gleichbehandlungsgebotes, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird, wobei grundsätzlich die Tarifvertragsparteien anhand von ihnen gesetzter Merkmale bestimmen können, was "wesentlich gleich" ist; bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist ein Gruppenvergleich vorzunehmen und festzustellen, ob Unterschiede solcher Art und solchen Gewichts bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können.
3. Unterschiede in der Wirtschaftskraft der Tarifgebiete können die unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Vergütung einschließlich der Sondervergütung beeinflussen, wenn diese nicht nur in der Vergangenheit vorhanden waren sondern noch anhalten.
4. Im Land Berlin führt die historisch entstandene Differenzierung zwischen den Tarifgebieten Ost und West entlang der ehemaligen Mauer dazu, dass trotz weitgehend vereinheitlichter Lebens- und Arbeitsbedingungen im gesamten Stadtgebiet ein Unterschied besteht; der TV-BA ist jedoch nicht ausschließlich für Beschäftigte im Land Berlin abgeschlossen sondern gilt bundesweit für sämtliche bei der Bundesagentur für Arbeit tätigen Beschäftigten, so dass die Tarifvertragsparteien berechtigterweise eine typisierende Betrachtung für das gesamte Bundesgebiet angestellt haben, die bei typisierendem Vergleich der im Tarifgebiet Ost tätigen Beschäftigten mit den im Tarifgebiet West tätigen Beschäftigten zwangsläufig unter Berücksichtigung der Wirtschaftskraft zu treffen ist.
5. Eine Einzelfallgerechtigkeit wird durch die tarifliche Regelung des § 22 Abs. 2 und 3 TV-BA insbesondere im Land Berlin nicht herbeigeführt; bei der Überprüfung von Tarifverträgen anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes kommt es jedoch nicht auf diese Einzelfallgerechtigkeit an sondern auf die generellen Auswirkungen der Regelung.
Normenkette
TV-BA § 22 Abs. 2-3; GG Art. 3, 9 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.01.2015; Aktenzeichen 60 Ca 7514/14) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.01.2015 - Az. 60 Ca 7514/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über um einen Anspruch der Klägerin auf Jahressonderzahlung nach Maßgabe des TV-BA für das Tarifgebiet West bei einer Tätigkeit der Klägerin im räumlichen Geltungsbereich des Tarifgebiets Ost.
Die Klägerin war seit Oktober 2007 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge sowie zuletzt unbefristet aufgrund Arbeitsvertrages vom 27.07.2011 als in die Tätigkeitsebene V eingruppierte Mitarbeiterin beschäftigt. Dabei wohnte die Klägerin durchgehend in Berlin-N. (Tarifgebiet West) und war durchgehend eingesetzt in Berlin-T.-K. (Tarifgebiet Ost).
Die Beklagte ist tarifschließende Arbeitgeberin des Tarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) mit bundesweiter Geltung und einer Differenzierung zwischen den Tarifgebieten Ost und West.
Gemäß § 2 sämtlicher von den Parteien abgeschlossener Arbeitsverträge bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem TV-BA und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für die Beklagte jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung mit der Maßgabe, dass für das Arbeitsverhältnis der Parteien die Regelungen für das Tarifgebiet Ost maßgeblich sind.
Gemäß § 22 Abs. 2 und 3 TV-BA in der Fassung des 12. Änderungs-TV von Juni 2013 wird hinsichtlich der zu beanspruchenden Jahressonderzahlung für die Beschäftigten der Beklagten der Höhe nach zwischen den Tarifgebieten Ost und West dahingehend differenziert, dass sich im Tarifgebiet Ost ein geringerer Anspruch für die Arbeitnehmer ergibt als im Tarifgebiet West (Bemessungssatz von 75 % anstelle von 90 %). Für die Klägerin ergibt sich ein der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitiger Differenzbetrag von 563,70 € brutto für das Jahr 2013 sowie von 631,39 € brutto für das Jahr 2014bei der Berechnung der Jahressonderzahlung auf der Basis der Regelungen für das Tarifgebiet Ost anstelle des Tarifgebiets West.
Zur Bestimmung der Tarifgebiete Ost und West regelt § 40 TV-BA das...