Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerhaftung - Haftungsbegrenzung bei grober Fahrlässigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Übernimmt ein Arbeitnehmer in der Frühschicht (5 Uhr) das Steuer eines schweren Spezialfahrzeugs, obwohl er in der vorangegangenen Nacht erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen und nur wenig und schlecht geschlafen hat, und nickt infolge des Restalkohols und der Übermüdung schon in der ersten halben Arbeitsstunde ein, so beruht ein dadurch verursachter Unfall auf grober Fahrlässigkeit.
2. Von dem am Fahrzeug des Arbeitgebers entstandenen Schaden von DM 150.000.- hat er angesichts eines Monatsverdienstes von DM 2.400.- netto, eines Lebensalters von 24 Jahren und einer unfallfreien Betriebszugehörigkeit von drei Jahren lediglich DM 20.000.- zuzüglich 9% Verzugszinsen zu ersetzen (im Anschluß an BAG, Urteil vom 12.10.1989, 8 AZR 276/88 = AP Nr 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers.
Orientierungssatz
Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 8 AZR 893/95.
Normenkette
BGB §§ 254, 276, 823, 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 12.10.1994; Aktenzeichen 15 Ca 7348/94) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 12.10.1994 – 15 Ca 7348/94 – abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 20.000,– (i.W. zwanzigtausend Deutsche Mark) nebst 9 % Zinsen hieraus seit 18.5.1994 zu zahlen.
2. Im übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten erster Instanz hat die Klägerin 7/8, der Beklagte 1/8, von den Kosten zweiter Instanz hat die Klägerin 14/17, der Beklagte 3/17 zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist streitig, inwieweit der Beklagte der Klägerin, seiner Arbeitgeberin, einen an einem betrieblichen Fahrzeug der Klägerin von ihm verursachten Schaden in Höhe von DM 150.000,– zu ersetzen hat.
Der 19 geborene und inzwischen verheiratete Beklagte, der den Beruf des Schlossers erlernt hat, wurde mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 12.12.1990 als gewerblicher Arbeitnehmer für die Wartungsabteilung der Klägerin auf dem … ab 1.1.1991 eingestellt. Die Arbeit war in drei Schichten zu leisten, nämlich entweder von 5 Uhr bis 14.30 Uhr oder von 14 Uhr bis 23 Uhr oder von 22 Uhr bis 5.15 Uhr. Die vom Beklagten am 2.1.1991 unterschriebene Anlage zum Arbeitsvertrag enthält unter Ziffer 3 folgenden Hinweis:
„Der Genuß von Alkohol oder anderer berauschender Mittel im Dienst oder während eines angemessenen Zeitraums vor Dienstantritt gefährdet die Sicherheit und ist im Rahmen bestehender Vorschriften (Berufsgenossenschaft, Flughafengesellschaft u. a.m.) untersagt.”
Wegen eines vom Beklagten vom 22.1.1994 verursachten Unfalls im Betrieb wurde das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung der Klägerin durch Aufhebungsvertrag zum 31.1.1994 beendet. Der Beklagte hatte zuletzt mit Zulagen für Schicht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit durchschnittlich monatlich DM 3.500,– brutto verdient, was Auszahlungen von DM 2.400,– bis 2.500,– netto entsprach.
Am 22.1.1994 war der Beklagte etwas verspätet um 5.10 Uhr zum Arbeitsantritt erschienen. Er erhielt den Auftrag mit einem der Klägerin gehörenden Enteiserfahrzeug, welches in betanktem Zustand ein Gewicht von ca. 30 t hat, zum Enteisungskopf Süd im Flughafengelände zu fahren. Auf der entsprechenden Fahrt schlief der Beklagte vor einer Linkskurve kurz ein. Das Fahrzeug gelangte infolgedessen von der Fahrbahn ab, fuhr geradeaus weiter, beschädigte einen Lichtmast und durchbrach den Begrenzungszaun des Flughafens, wo es der aufgeschreckte Beklagte zum Stillstand brachte. An dem schweren Enteisungsfahrzeug war ein Sachschaden von unstreitig DM 150.000,– entstanden. Die von Repräsentanten der Klägerin herbeigerufene Flughafenpolizei nahm den Beklagten mit zur Wachstation. Eine dort von den Polizisten durchgeführte Messung mit dem Alkomat ergab eine Blutalkoholkonzentration beim Beklagten von 1,41 Promille.
Mit ihrer zum Arbeitsgericht München erhobenen Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Zahlung von DM 150.000,– in Anspruch genommen und außerdem hieraus 9 % Verzugszinsen wegen Inanspruchnahme von Bankkredit in entsprechender Höhe gefordert. Sie hat die Auffassung vertreten, daß der Beklagte infolge Alkoholgenusses und Übermüdung fahruntüchtig gewesen sei und den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Er habe deshalb den Schaden in vollem Umfang zu ersetzen.
Der Beklagte hat eingeräumt, daß er in der Nacht vor dem Unfall einige Weizenbier getrunken habe. Er habe dann schlecht geschlafen, weil er infolge des Schichtdienstes ohnehin unter Schlafstörungen gelitten habe. Sein Verhalten sei nicht als grob fahrlässig zu werten. Das Einnicken, welches für den Unfall ursächlich gewesen sei, geschehe unwillkürlich und sei vom Beklagten deshalb nicht vermeidbar gewesen. Ihm könne allenfalls vorgeworfen werden...