Rz. 17
Eine "hinzugetretene Krankheit" i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 2 liegt dann vor, wenn zeitgleich mit dem Vorliegen oder Wiedervorliegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden ersten Erkrankung unabhängig von dieser Krankheit zugleich eine weitere Krankheit die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten bedingt. Es reicht insoweit aus, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten von mindestens 2 begründenden Krankheiten zumindest an einem Tag zeitgleich nebeneinander bestanden haben (vgl. BSG, Urteil v. 8.11.2005, B 1 KR 27/04 R).
Tritt eine neue Arbeitsunfähigkeit am Tag nach Beendigung der bisherigen Arbeitsunfähigkeit ein, so liegt keine hinzugetretene Krankheit i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 2 vor (vgl. BSG, Urteile v. 8.11.2005, B 1 KR 27/04 R, und v. 21.6.2011, B 1 KR 15/10 R); dies gilt selbst dann, wenn zwischenzeitlich die Arbeit nicht wieder aufgenommen wurde (vgl. auch BSG, Urteil v. 7.12.2004, B 1 KR 10/03 R, was hierzu auf die Rechtsprechung zur Entgeltfortzahlung und insbesondere hier auf das Urteil des BAG v. 11.10.1966, 2 AZR 464/65, verweist).
Rz. 18
Bezüglich der Frage, was in diesem Zusammenhang als die erste Erkrankung/Krankheit zu verstehen ist, wird auf den Begriff derselben Krankheit (hierzu: Rz. 10 f.) verwiesen. Somit handelt es sich bei den Diagnosen Bluthochdruck (Hypertonie), Koronare Herzkrankheit (KHK), Herzinfarkt, Herzschwäche, Endokarditis, Herzklappenfehler, Herzrhythmusstörungen, Perikarditis und zu niedriger Blutdruck (Hypotonie) um lediglich eine Krankheit; die Ursache ist nämlich dieselbe, nicht behobene Krankheitsursache der Herz-Kreislauferkrankung. Erscheint also bei einem Versicherten während der Arbeitsunfähigkeit wegen Herzrhythmusstörungen irgendwann eine neue Diagnose – nämlich Herzinfarkt –, handelt es sich nicht um eine hinzugetretene Krankheit, sondern immer noch um dieselbe Krankheit.
Rz. 18a
Erleidet ein Versicherter etwa bei einem schweren, sich in einem Sekundenbruchteil realisierenden Unfallereignis zusammenhanglos Gesundheitsschäden in mehreren Körperregionen, sind die Voraussetzungen für die Leistungsdauer des Krankengeldes daher nicht gesondert anhand jedes einzelnen gesundheitlichen Defizits zu ermitteln, sondern es kommt auf eine Gesamtwürdigung der Beeinträchtigungen an, sodass es auch hier insgesamt bei der Anspruchshöchstdauer von 78 Wochen innerhalb einer Blockfrist von drei Jahren verbleibt.
Gleiches gilt bei Versicherten, bei denen wegen des Nebeneinanders verschiedener gravierender akuter oder chronischer Leiden von Anfang an eine Multi- oder Polymorbidität bzw. Polypathie besteht. Begründet wird dieses durch das Urteil des BSG v 8.11.2005 (1 KR 27/04 R) a. a. O., in dem es heißt: ... "Denn wenn der Gesetzgeber sogar das zeitlich nachfolgende Hinzutreten einer weiteren Krankheit zur fortbestehenden ersten Krankheit als rechtliche Einheit – bzw. wie "dieselbe"" Krankheit – bewertet, muss diese Wertung angesichts der Ausführungen zum erstmaligen zeitgleichen Auftreten mehrerer Erkrankungen erst recht gelten, wenn beide Leiden nicht nacheinander in Erscheinung treten, sondern in ihrer Entstehung und in ihrer jeweiligen Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sogar zeitlich zusammenfallen."
Rz. 19
Aufgrund des von der WHO eingeführten ICD-10-Codes – "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems" – verschlüsselt der Arzt auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. auf den Datenträgern die Diagnose. Der Schlüssel kann von der Krankenkasse ausgelesen werden. Jeder ICD-Klasse wird ein bis zu fünfstelliger Code zugeordnet. Zum Beispiel bezeichnet der Code F40.01 "Phobische Störungen kombiniert mit Panikstörung". Wenn irgendwann während der Arbeitsunfähigkeit der Arzt auf der Arbeitsunfähigkeitsmeldung den ICD-Code F43.2x (Angststörungen) verwendet, bedeutet das nicht, dass es sich bei der F 43.2x um eine hinzugetretene Krankheit handelt. Es handelt sich nämlich immer noch um die gleiche Krankheitsursache (psychische Störung) – also um dieselbe Krankheit (Rz. 10 f.).
Vermerkt der Arzt im Laufe der Arbeitsunfähigkeit wegen dem Code F40.01 zusätzlich den Code M16.0 (Primäre Coxarthrose des Hüftgelenkes, beidseitig), wird es sich um eine andere Krankheit – also um eine hinzugetretene Krankheit – handeln. In der Praxis wird man dann ab dem Tag, ab dem die hinzugetretene Krankheit mit auf der Arbeitsunfähigkeitsmeldung vermerkt ist (Feststellungstag), eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer "hinzugetretenen Krankheit" unterstellen. In diesem Fall löst die "hinzugetretene Arbeitsunfähigkeit" eine jeweils für sie geltende Blockfrist aus (falls nicht schon wegen ihr eine Kette aufeinander folgender Blockfristen läuft). Außerdem wird die Zeit der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der "hinzugetretenen" Krankheit auf die für sie laufende Blockfrist auch dann angerechnet, wenn sie allein keine eigene Arbeitsunfähigkeit ausgelöst hat (Ziff. 3.2.2 der Gemeinsamen Verlautbarung, Rz. 35).
Erschwert wird die Beurteilung, ob eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Krankh...