Prof. Dr. Mark Lembke, Dr. Jens-Wilhelm Oberwinter
Rz. 90
Ungeachtet des unionsrechtlich determinierten Verständnisses des Betriebsbegriffs sind die von § 17 Abs. 2 KSchG geforderten Konsultationen bei unionsrechtskonformem Verständnis dieser Norm mit der nach nationalem Recht zuständigen "Arbeitnehmervertretung" durchzuführen; dies ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 lit b) MERL, der den Mitgliedstaaten Spielraum hinsichtlich der Frage des "Wie" (nicht des "Ob") der Bestellung der zuständigen Arbeitnehmervertretung einräumt. Besteht ein nach nationalem Recht gewähltes Gremium, das (auch) die Arbeitnehmer des Betriebs i. S. d. § 17 KSchG repräsentiert, muss der Arbeitgeber dieses Gremium beteiligen.
Rz. 91
Nach § 17 Abs. 2 KSchG besteht die Konsultationspflicht für den Arbeitgeber gegenüber dem "Betriebsrat". Soll die Massenentlassung in einem Betriebsteil durchgeführt werden, der betriebsverfassungsrechtlich einem Hauptbetrieb zugeordnet ist, ist wegen der Rückverweisung auf das nationale Recht der Betriebsrat des Hauptbetriebs, der auch die Arbeitnehmer des Betriebsteils repräsentiert, zu beteiligen. Dies gilt entsprechend für einen Gemeinschaftsbetrieb oder kollektivrechtlich errichtete Arbeitnehmervertretungen nach § 3 BetrVG. Das Konsultationsverfahren ist durchzuführen, wenn (noch) eine beteiligungsfähige Arbeitnehmervertretung besteht. Insoweit reicht ein Restmandat (§ 21b BetrVG) des zuständigen Betriebsrats im Falle der Betriebsstilllegung aus.
Rz. 92
Als Betriebsrat sind auch die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG gebildeten Arbeitnehmervertretungen (vgl. § 3 Abs. 5 Satz 2 BetrVG) bzw. die in Luftfahrtunternehmen nach § 117 Abs. 2 BetrVG errichteten Arbeitnehmervertretungen (z. B. Personalvertretung Cockpit für die Piloten und Personalvertretung Kabine für das Kabinenpersonal) anzusehen. Dies ergibt sich an sich bereits aus dem BetrVG selbst. Das BAG bemüht insoweit jedoch eine europarechtskonforme Auslegung von § 17 Abs. 2 KSchG im Sinne des "effet utile": Auch wenn § 17 Abs. 2 KSchG nur von "Betriebsräten" spreche, sei er unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass er in Regelungsbereichen, in denen das BetrVG nicht gelte und daher kein Betriebsrat gewählt werden könne, aber ein dem Betriebsrat vergleichbares Gremium vorgesehen sei, das die Interessen der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber vertrete, die Beteiligung dieses Gremiums anordne. Im Hinblick darauf vertritt das BAG, in Bezug auf die leitenden Angestellten (§ 5 Abs. 3 BetrVG) sei das Konsultationsverfahren mit dem Sprecherausschuss als der für diese Beschäftigtengruppe zuständigen Arbeitnehmervertretung durchzuführen. Diese Auffassung bewegt sich an der Grenze zum Verbot der europarechtskonformen Auslegung contra legem und lässt sich allenfalls vertreten, wenn man den Sprecherausschuss quasi als "Betriebsrat der leitenden Angestellten" ansieht. Dagegen ließe sich aber anführen, dass das BetrVG auch Unterrichtungsrechte des Betriebsrats im Hinblick auf leitende Angestellte kennt (vgl. § 105 BetrVG) und dass der Sprecherausschuss ohnehin nach §§ 31, 32 SprAuG zu unterrichten ist und die Interessen der leitenden Angestellten wahrnehmen kann. Eine entsprechende Diskussion lässt sich auch in Bezug auf Betriebe der öffentlichen Verwaltung führen, in denen zwar kein Betriebsrat, aber ein Personalrat besteht. Nach dem Ansatz des BAG wäre § 17 Abs. 2 KSchG wohl europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass das Konsultationsverfahren mit dem Personalrat durchzuführen ist. Entsprechendes gilt für die Mitarbeitervertretung in kirchennahen Betrieben. Nicht nach § 17 Abs. 2 KSchG zu beteiligen ist hingegen die Schwerbehindertenvertretung, sondern lediglich nach § 178 Abs. 2 SGB IX.
Rz. 93
Falls für einen Betrieb i. S. d. MERL mehrere Arbeitnehmervertretungen für verschiedene Beschäftigtengruppen gewählt sind (z. B. Betriebsrat und Sprecherausschuss), ist der Arbeitgeber nicht gehalten, ein einheitliches Konsultationsverfahren mit allen Vertretungen gemeinsam durchzuführen. Vielmehr können die Konsultationen nebeneinander stattfinden, inhaltlich unterschiedlich verlaufen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Ergebnissen beendet sein. Allerdings hat der Arbeitgeber der Arbeitnehmervertretung während des Konsultationsverfahrens neu erlangte Informationen mitzuteilen bzw. erteilte Auskünfte zu vervollständigen, soweit diese relevant oder zur ordnungsgemäßen Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung erforderlich sind. Daher ist der Arbeitgeber verpflichtet, in den Konsultationsverfahren über den Stand der Beratungen mit dem jeweils anderen Gremium rechtzeitig zu unterrichten, soweit hierzu Veranlassung besteht. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitgeber eines der mehreren Konsultationsverfahren abschließt oder aufgrund der Erörterung in einem der Verfahren seine Planungen überarbeitet. Insoweit handelt es sich um zweckdienliche Auskünfte i. S. d. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG.
Rz. 93a
Das Gesetz bestimmt nicht,...