LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.4.2024, L 1 U 2085/23
Unabdingbare Mindestvoraussetzung für die Anerkennung einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 als Arbeitsunfall ist ein Kontakt mit einer Indexperson, d. h. einer Person, die nachweislich bereits vor dem Versicherten mit dem Virus SARS-CoV-2 infiziert war, während einer versicherten, ggfs. betrieblichen Verrichtung.
Sachverhalt
Der Kläger wurde im März 2021 mittels PCR-Test positiv auf Covid-19 getestet. Er erkrankte mit den Symptomen einer Corona-Infektion und litt später an dem sog. Long-Covid-Syndrom.
Die Beteiligten streiten sich nun darüber, ob eine nachgewiesene Corona-Infektion einen Arbeitsunfall darstellt.
Die Entscheidung
Sowohl das SG wie auch das LSG lehnten eine Anerkennung der Infektion des Klägers als Arbeitsunfall ab; denn es konnte nicht festgestellt werden, dass sich der Unfall (Infektion mit dem Covid-19-Virus mit behandlungsbedürftigen Symptomen) bei der versicherten Tätigkeit und nicht im privaten Bereich ereignet hatte. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Das Gericht führte aus, dass es sich bei der Infektion mit dem Coronavirus zwar um einen "Unfall" handele, da auch eine bakterielle oder virale Infektion ein Unfallereignis i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII darstellen könne; allerdings scheiterte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall daran, dass nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls, also in dem Moment, in dem er sich mit dem Coronavirus infizierte, einer versicherten Tätigkeit nachging. Denn unabdingbare Mindest- und Ausgangsvoraussetzung für ein feststellbares, konkretes "Unfallereignis" im Sinne eines Arbeitsunfalls durch eine erlittene Infektion sei, dass der Betroffene im Rahmen einer versicherten Verrichtung im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Infektion persönlichen Kontakt mit einer/m nachweisbar zeitlich vor dem Betroffenen infizierten Person (sog. Indexperson) hatte. Nicht ausreichend sei dagegen die erhöhte Gefahr einer Einwirkung auf den Körper festzustellen oder Wahrscheinlichkeiten einer privaten oder beruflichen Ansteckung gegeneinander abzuwägen. Hierbei sei grundsätzlich ein intensiver persönlicher Kontakt innerhalb von etwa 2 Wochen vor dem Eintritt der Erkrankung mit einer mit dem Corona-Virus infizierten Person (sog. Indexperson) geeignet, eine Infektion mit dem Corona-Virus auszulösen, dagegen nicht der Kontakt mit einer Person mit unspezifischen Erkältungssymptomen.
Und im vorliegenden Fall war ein Kontakt mit einer Indexperson im Vorfeld der Infektion des Klägers nicht feststellbar.
Weiter urteilte das Gericht, dass in diesem Zusammenhang nicht die vom RKI entwickelten Maßstäbe zur Bestimmung von engen Kontaktpersonen mit erhöhtem Infektionsrisiko ausschlaggebend seien; denn diese Maßstäbe bewerteten das Risiko einer (erfolgten) Übertragung als Voraussetzung für eine mögliche Isolierung und hätten daher in erster Linie eine präventive Funktion, um weitere Infektionen möglichst im Vorfeld zu verhindern. Sie seien jedoch nicht geeignet, um aus einer Ex post-Perspektive gesicherte Infektionsketten festzustellen.
Zu Gunsten des Klägers griffen vorliegend auch keine Beweiserleichterungen, insbesondere lagen die Voraussetzungen des sog. prima-facie-Beweises nicht vor. Im Rahmen einer weltweiten Pandemie mit Millionen erkrankter Menschen fehlte es bereits an einem typischen Geschehensablauf, der die Infektion typischerweise einer betrieblichen Verrichtung zuordnete. Dass sich der Kläger bei einer betrieblichen Verrichtung angesteckt habe, sei zwar möglich, liege aber typischerweise nicht näher als eine Infektion im außerberuflichen Bereich.