BAG, Urteil vom 16.4.2024, 9 AZR 165/23
§ 24 Satz 2 MuSchG, demzufolge die Arbeitnehmerin den vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhaltenen Erholungsurlaub auch noch nach Ablauf der Verbote im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen kann, steht einem Verfall von Urlaub während der Mutterschutzfristen entgegen. Während der Elternzeit gehen die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BEEG den allgemeinen Befristungsregelungen in § 7 Abs. 3 BUrlG vor.
Sachverhalt
Die Klägerin war bei der Beklagten von 2009 bis 2020 als Therapeutin beschäftigt. Ihr arbeitsvertraglicher Jahresurlaub betrug 29 Arbeitstage. Ab dem 24.8.2015 befand sich die Klägerin im Mutterschutz. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch einen Arbeitstag Urlaub aus dem laufenden Jahr. Nach ihrem Mutterschutz ging die Klägerin unmittelbar in Elternzeit, woran sich nahtlos die Mutterschutzfristen sowie Elternzeit bis zum 25.11.2020 anlässlich der Geburt eines weiteren Kindes anschlossen. Zum Ende dieser Elternzeit hatte die Klägerin dann das Arbeitsverhältnis gekündigt.
Die Beklagte hatte bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erklärt, den auf die Elternzeit bezogenen Urlaub zu kürzen. Deshalb forderte die Klägerin sie im März 2021 auf, den Resturlaub aus den Jahren 2015 bis 2020 abzugelten. Nachdem dies ohne Erfolg war, erhob sie Klage auf Abgeltung von insgesamt 146 Arbeitstagen Urlaub aus den Jahren 2015 bis 2020. Sie war der Ansicht, die Urlaubsansprüche seien während der Mutterschutzfristen und der Elternzeit in voller Höhe entstanden. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne die Beklagte den Urlaub nicht mehr kürzen.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg.
Das Gericht entschied, dass die Klägerin gem. § 7 Abs. 4 BUrlG, § 17 Abs. 3 BEEG Anspruch auf Abgeltung von 146 Arbeitstagen Urlaub habe; denn die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2015 bis 2020 waren vor dem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, nicht gem. § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen.
Das Gericht führte hierzu aus, dass das Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG während der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote und der Elternzeit keine Anwendung finde; denn § 24 Satz 2 MuSchG, wonach die Arbeitnehmerin den vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhaltenen Erholungsurlaub auch noch nach Ablauf der Verbote im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen könne, stünde einem Verfall von Urlaub während der Mutterschutzfristen entgegen, da während der Elternzeit die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BEEG den allgemeinen Befristungsregelungen in § 7 Abs. 3 BUrlG vorgingen (BAG, Urteil v. 5.7.2022, 9 AZR 341/21; v. 19.3.2019, 9 AZR 495/17). Im vorliegenden Fall bestanden die Urlaubsansprüche der Klägerin somit wegen der nahtlos aneinander anschließenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten nach dem Ende der zweiten Elternzeit fort.
Die Urlaubsansprüche waren hier auch nicht aufgrund einer Kürzungserklärung der Beklagten gem. § 17 Abs. 1 BEEG teilweise untergegangen; denn im bestehenden Arbeitsverhältnis hatte die Beklagte keine Kürzungserklärung abgegeben und im anhängigen Rechtsstreit konnte sie sich dann auf ihr Kürzungsrecht nicht mehr berufen, da einem Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr das Recht zustehe, die auf die Elternzeit entfallenden Urlaubsansprüche zu kürzen. "Möchte der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG kürzen, muss er die entsprechende Erklärung im bestehenden Arbeitsverhältnis abgeben. Das Kürzungsrecht setzt somit voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub bei Zugang der Kürzungserklärung noch besteht. Es kann nicht mehr ausgeübt werden, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat" (s. BAG, Urteil v. 19.5.2015, 9 AZR 725/13).
Der Anspruch war nach Auffassung des Gerichts auch nicht verjährt, da die 3-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien noch nicht abgelaufen war; denn der Urlaubsanspruch werde nicht vor Ablauf der Mutterschutzfristen bzw. Beendigung der Elternzeit fällig; somit könne während des Beschäftigungsverbots bzw. der suspendierten Arbeitspflicht keine Verjährung eintreten.
Anmerkung:
Das BAG hat in seinem Urteil bestätigt, dass auch während der Elternzeit Urlaub entsteht, der nicht dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG unterliegt. Für jeden vollen Kalendermonat, in dem ein Beschäftigter Elternzeit erhält, kann der Arbeitgeber den – gesetzlichen Mindesturlaub i. S. d. § 3 BUrlG – um 1/12 kürzen, § 17 Abs. 1 BEEG.
Strittig und höchstrichterlich nicht geklärt ist dagegen, ob es für den tariflichen Urlaub gem. § 26 TVöD/TV-L ebenfalls einer solchen Kürzungserklärung bedarf. Hintergrund der Diskussion ist die Kürzungsregelung des § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD. Nach dieser Norm kürzt sich der Erholungsurlaub des Beschäftigten im Fall eines ruhenden Arbeitsverhält...