BAG, Urteil v. 27.5.2020, 5 AZR 387/19
Leitsätze (amtlich)
Der Arbeitgeber hat gem. § 242 BGB gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB.
Sachverhalt
Im Zusammenhang mit einer Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert die Beklagte Auskunft über von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter dem Kläger übermittelte Stellenangebote.
Dem Kläger, welcher bei der Beklagten seit Juni 1996 als Bauhandwerker beschäftigt war, wurde von der Beklagten seit dem Jahr 2011 mehrmals gekündigt, im Jahr 2013 zudem außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Da diese Kündigungen allesamt vom Kläger erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen wurden, besteht das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fort. Seit Februar 2013 zahlte die Beklagte jedoch keine Vergütung an den Kläger. Dieser erhob Klage auf Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs unter Anrechnung bezogenen Arbeitslosengeldes und Arbeitslosengeldes II. Hiergegen erhob die Beklagte den Einwand, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitig Verdienst zu erzielen, und begehrte von diesem Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter in der Zeit Februar 2013 bis November 2015 dem Kläger unterbreiteten Stellenangebote Dritter.
Die Entscheidung
Die Widerklage der Beklagten hatte Erfolg. Das BAG entschied, dass diese einen Anspruch auf schriftliche Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter dem Kläger unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung aufgrund der Nebenpflicht des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis gem. § 242 BGB habe.
Das Gericht führte hierzu aus, dass grds. keine aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung für die Parteien des Rechtsstreits bestehe. Jedoch könne wie vorliegend eine von diesem Grundsatz abweichende Auskunftspflicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) bestehen, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen sei und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben könne.
Voraussetzung des Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB sei hierbei:
- das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung,
- die dem Grunde nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner,
- die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte,
- die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner und dass
- durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden.
Das Gericht führte zu den genannten Voraussetzungen aus, dass die für den Auskunftsanspruch erforderliche Sonderrechtsbeziehung u. a. auf einer vertraglichen Beziehung der Beteiligten oder auf der Abwicklung einer vertraglichen Beziehung beruhen könne.
Mit dem erforderlichen, dem Grunde nach feststehenden Leistungsanspruch sei gemeint, dass derjenige, der Auskunft fordert, durch das Verhalten desjenigen, von dem er Auskunft verlangt, bereits in seinem bestehenden Recht so betroffen sei, dass nachteilige Folgen für ihn ohne die Auskunftserteilung eintreten könnten. Soweit die begehrte Auskunft einen vertraglichen Anspruch belegen soll, müsse dieser jedoch nicht bereits dem Grunde nach feststehen, sondern es sei der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung ausreichend.
Der Auskunftsberechtigte müsse des Weiteren in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen sein und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen können. Voraussetzung sei somit, dass er zunächst alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternehmen müsse, die Auskunft auf andere Weise zu erlangen, und dass kein anderer, näherliegender und leichterer Weg zur Beseitigung seines Informationsdefizits bestehe.
Die Auskunftserteilung sei dem Anspruchsgegner dann zumutbar, wenn er die Auskunft unschwer erteilen könne, d. h. wenn die mit der Vorbereitung und Erteilung der Auskunft verbundenen Belastungen entweder nicht ins Gewicht fallen oder dem Schuldner in Anbetracht der Darlegungs- und Beweisnot des Gläubigers und der Bedeutung zumutbar seien und er hierdurch nicht unbillig belastet werde. Erforderlich sei insoweit eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls.
Zuletzt dürfe die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche die Darlegungs- und Beweissituation nicht unzulässig verändern.
Nach diesen Grundsätzen war der Kläger nach Auffassung des Gerichts der Beklagten zur Erteilung der begehrten Auskunft verpflichtet. Inhaltlich müsse dieser ...