Entscheidungsstichwort (Thema)
Wechsel der Berufsausbildung, Probezeitvereinbarung im zweiten Berufsausbildungsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
1. Jedes Ausbildungsverhältnis beginnt grundsätzlich mit einer Probezeit, § 20 BBiG.
2. Die Probezeit soll beiden Vertragspartnern – Auszubildenden und Ausbildenden – die Gelegenheit geben, die für das Ausbildungsverhältnis im konkreten Ausbildungsberuf wesentlichen Umstände eingehend zu prüfen (BT-Drucks. 15/4725, S. 35).
3. Die Notwendigkeit für eine solche wechselseitige Prüfung kann ausnahmsweise entfallen, wenn die Parteien nach einer rechtlichen Unterbrechung erneut ein Ausbildungsverhältnis begründen und zu dem vorangegangenen Ausbildungsverhältnis ein derart enger sachlicher Zusammenhang besteht, dass es sich tatsächlich um ein einheitliches Ausbildungsverhältnis handelt, teleologische Reduktion des § 20 BBiG.
4. Die Vereinbarung einer erneuten Probezeit ist dann unzulässig (BAG, Urteil vom 12.02.2015 – 6 AZR 831/13).
5. Einzelfallentscheidung zur Frage der Zulässigkeit der Vereinbarung einer Probezeit in einem Ausbildungsverhältnis zum Maschinen und Anlageführer nach abgebrochener Ausbildung zum Verfahrensmechaniker (im Streitfall bejaht)
Normenkette
BBiG §§ 20, 22 As. 1, § 22 As. 3
Nachgehend
LAG Köln (Aktenzeichen 11 Sa 105/20) |
Tenor
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 350,00 EUR (i. W. dreihundertfünfzig Euro, Cent wie nebenstehend) zu zahlen.
2.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4.
Streitwert: 12.606,80 EUR
5.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
6.
Kostenstreitwert: 13.810,40
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die außerordentliche Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses und deren Folgen. In diesem Zusammenhang streiten die Parteien insbesondere darüber, ob die Kündigung innerhalb einer wirksam vereinbarten Probezeit erfolgte.
Der Kläger und die Beklagte schlossen am 19.12.2016 einen Berufsausbildungsvertrag im Ausbildungsberuf „Verfahrensmechaniker Kunststoff- und Kautschuktechnik” (Blatt 4 der Akte). Die Ausbildungszeit des Berufs beträgt 36 Monate. Nach Ziffer A.) des Vertrages soll das Berufsausbildungsverhältnis vom 02.01.2017 bis zum 31.12.2019 laufen; in Ziffer B.) ist eine Probezeit von drei Monaten vereinbart.
Der Kläger, der an einer ADHS-Erkrankung leidet, war mit dem Inhalt der vorgenannten Ausbildung vor allem in der Berufsschule überfordert.
Am 18.01.2019 schlossen die Parteien einen Berufsausbildungsvertrag im Ausbildungsberuf „Maschinen- und Anlagenführer, Fachrichtung Metall- und Kunststofftechnik” (Blatt 5 der Akte). Die Ausbildungszeit des Berufs beträgt 24 Monate. Nach Ziffer A.) des Vertrages ist eine Verkürzung der Ausbildungszeit um sechs Monate beantragt wegen „Anrechnung der abgebrochenen Berufsausbildung” und das Ausbildungsverhältnis soll vom 21.01.2019 bis zum 31.07.2020 laufen; in Ziffer B.) ist eine Probezeit von drei Monaten vereinbart.
Im Betrieb der Beklagten sind mehrere Kameras installiert, unter anderem im Lager und in der Werkstatt. Die Kameras zeichnen auf.
Mit Schreiben vom 21.02.2019 (Blatt 6 der Akte) kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis „innerhalb der Probezeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist”. Ausführungen zum Kündigungsgrund enthält das Schreiben vom 21.01.2019 nicht.
Im Februar und März 2019 bezog der Kläger Arbeitslosengeld in Höhe von 11,69 EUR täglich (Blatt 55 der Akte).
Der Kläger rief am 18.03.2019 den bei der Industrie- und Handelskammer Aachen gebildeten Ausschuss zur Beilegung von Streitigkeiten an. In der Einigungsverhandlung am 10.04.2019 gab der Ausschuss dem Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses statt (Blatt 7 und 8 der Akte). Mit Schreiben vom 18.04.2019 (Blatt 9 der Akte) wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Beklagte den Spruch des Ausschusses nicht anerkannt habe und eine Klage beim zuständigen Arbeitsgericht binnen zwei Wochen nach Zustellung des Spruchs zulässig sei.
Die Beklagte erhob am 23.04.2019 gegen den Spruch des Ausschusses Aufhebungsklage (ArbG Aachen 8 Ca 1181/19) und nahm diese Klage mit am 19.05.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz zurück.
Mit seiner am 29.04.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen und mehrfach erweiterten Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung vom 21.02.2019, Vergütung für die Monate Februar bis April 2019, die Erteilung eines Zwischenzeugnisses und die Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen unberechtigter Videoaufnahmen geltend. Mit Schriftsatz vom 24.10.2019 begehrt der Kläger darüber hinaus die Feststellung, dass die Beklagte ihm wegen vorzeitiger Beendigung des Ausbildungsverhältnisses erlittene Schäden zu ersetzen hat und nimmt die Anträge auf Vergütungszahlung für die Monate Februar und März 2019 teilweise, für den Monate April 2019 insgesamt zurück.
Der Kläger hält die fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses für unwirksam. Dies folge bereits aus der Tatsache, dass die Beklagte die zunächst erho...