Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen MfS-Tätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist seit der letzten Tätigkeit eines Arbeitnehmers für das MfS ein langer Zeitraum vergangen, kann dies der Unzumutbarkeit eines weiteren Festhaltens am Arbeitsverhältnis entgegenstehen. Maßgeblich ist auf der einen Seite auf den Zeitpunkt der letzten Tätigkeit und nicht auf den der Archivierung der IM-Akte abzustellen und auf der anderen Seite bei einer wahrheitswidrigen Verneinung der entsprechenden Frage in einem Personalfragebogen auf den Zeitpunkt, zu dem dieser auszufüllen gewesen wäre. Ansonsten käme es zu einer nicht zu rechtfertigenden Schlechterstellung der den Fragebogen wahrheitsgemäß ausfüllenden Arbeitnehmer. Dabei gelten keine starren Fristen, entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles.
2. Der bloße Zeitablauf ist nicht isoliert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit der Intensität der Tätigkeit und insbesondere mit dem Grund für die Beendigung der Tätigkeit. Dabei stellt es ein wichtiges Indiz gegen die Unzumutbarkeit dar, wenn sich der Arbeitnehmer einer weiteren Zusammenarbeit mit dem MfS entzogen hat, etwa durch Nichtwahrnehmung vereinbarter Treffen.
3. Auch bei lange zurückliegender MfS-Tätigkeit steht dem Arbeitnehmer kein Recht zur falschen Beantwortung dieser Frage zu. Eine Analogie zu den §§ 46 Abs 1, 53 Abs 1 Ziff 2 Bundeszentralregistergesetz (juris: BZRG) ist abzulehnen. Diese regeln die Rechte von Personen, deren Schuld durch Strafe und deren Verbüßung abgegolten ist, während es hier um Arbeitnehmer geht, die lediglich hoffen, daß ihr früheres Verhalten nicht offenbar wird.
4. Die unwahre Beantwortung der entsprechenden Frage kann zusammen mit anderen Punkten die Unzumutbarkeit eines weiteren Festhaltens am Arbeitsverhältnis begründen. Maßgeblich sind dabei ua Art, Dauer und Intensität der Zusammenarbeit mit dem MfS, Aufgaben der Beschäftigungsstelle und die konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers in dem gekündigten Arbeitsverhältnis. Unerheblich ist hingegen die Behauptung des gekündigten Arbeitnehmers, er habe durch seine Tätigkeit für das MfS niemanden geschadet. Er konnte nicht vorhersehen, wie das MfS seine Informationen mit anderen vernetzen würde und welche Nachteile dem Betroffenen hieraus hätten entstehen können.
5. Eine Einzelfallabwägung muß zwar bei Kündigungen wegen MfS-Tätigkeit stattfinden. Jedoch ist die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung; entscheidend ist, ob tatsächlich im Einzelfall vorliegende Umstände die Kündigung unwirksam machen (im Anschluß an BAG vom 22.04.1993 - 8 AZR 655 und 656/92 - nv).
6. Ein erheblicher Zeitraum zwischen dem Zugang des Einzelberichtes des Bundesbeauftragten beim Arbeitgeber und der Einleitung des Beteiligungsverfahrens beim Personalrat kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen (im Anschluß an BVerfG vom 21.04.1994, 1 BvR 14/93 = EzA Art 20 EV Nr 32 und BAG vom 28.04.1994, 8 AZR 157/93 = DB 1994, 1881). Der Arbeitgeber muß substantiiert darlegen, wofür er eine längere Zeit benötigt hat. Dabei gibt es keine festen Regeln für die zulässige Dauer. Ein Zeitraum von sechs Wochen bis zur Anhörung des Arbeitnehmers und von weiteren drei Monaten bis zur Einleitung des Beteiligungsverfahrens führt aber zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn keine ausreichende Begründung hierfür vorgebracht wird.
7. Die Sonderkündigungsvorschriften des Einigungsvertrages finden auf die Telekom AG auch nach ihrer Umwandlung Anwendung.
Orientierungssatz
Berufung eingelegt beim LArbG Berlin unter den Aktenzeichen 12 Sa 22/95 und 12 Sa 23/95.
Normenkette
EinigVtr Anlage I Kap. XIX A III Nr. 1 A
Nachgehend
Fundstellen
ArbuR 1995, 222 (S1) |
Bibliothek, BAG (LT1-7) |