Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit von im Zusammenhang mit einem Arbeitskampf stehenden Maßnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Blockaden, auch teilweise, Menschenmauern, Streikbrechergassen schikanöser Art und ähnliche behindernde Kampfmaßnahmen, die anlässlich eines (rechtmäßigen) Streiks vor dem bestreikten Betrieb durchgeführt werden und dessen Auswirkungen steigern sollen, sind von dem Recht zur Durchführung von Arbeitskämpfen nicht gedeckt. Es besteht ein Anspruch darauf, dass Arbeitswillige weder durch körperliche noch durch psychische Gewalt behindert werden
2. Das Aufstellen eines Metalltors, an dem ein Schild „Streikbrecher” befestigt ist und durch das Kunden und Arbeitswillige hindurchgehen müssen, um in den Betrieb zu gelangen, ist bei einer Art. 1 GG einbeziehenden wertenden Betrachtung kein durch Art. 9 Abs. 3 gedecktes zulässiges Streikmittel.
3. Der Aufruf auf einer Website, „Filialen dichtzumachen” und „zu blockieren” zielt auf eine Aktion, die nicht von Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt ist. Ist dieser Aufruf bewusst auch an eine unbestimmte Personenzahl gerichtet, die von der Tarifauseinandersetzung nicht betroffen ist, werden die Rechte des Arbeitgebers aus § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 9 Abs. 3 GG verletzt.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3, Art. 1; BGB § 1004 Abs. 1
Tenor
I. Der Verfügungsbeklagten wird bis zu einer Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren untersagt,
- Streikende, Streikposten und von ihr von der Arbeitskampfmaßnahme nicht ausgeschlossene unterstützende Personen vor Eingängen, Ausgängen, Zu- und Ausfahrten von Mitgliedsunternehmen des Antragstellers, deren Filialen und sonstigen Betriebsstätten so aufzustellen bzw. diese sich selbst so aufstellen zu lassen, dass nicht eine mindestens drei Meter breite Gasse während der gesamten Zeit der Arbeitskampfmaßnahme durchgehend im Luftraum und auf dem Erdboden frei von jeglichen Hindernissen (auch Personen) sichergestellt ist,
- arbeitswillige Arbeitnehmer und Betriebsangehörige, Lieferanten, Kunden und Besucher dieser Einrichtungen beim Passieren in diese und aus diesen Einrichtungen zu behindern,
- Fahrzeuge, gleich welcher Art, bei der Ein- oder Ausfahrt aus oder zu diesen Einrichtungen zu behindern,
- Tore mit der Aufschrift „Streikbrecher” so vor dem Eingangsbereich aufzustellen, dass diese durch Mitarbeiter oder Kunden passiert werden müssen,
- dazu aufzurufen, Mitgliedsunternehmen des Antragstellers, deren Filialen und sonstigen Betriebsstätten „dichtzumachen”,
- dazu aufzurufen, „Streikbruch zu verhindern”,
- dazu aufzurufen, Mitgliedsunternehmen des Antragstellers, deren Filialen und sonstigen Betriebsstätten zu „blockieren”, ohne explizit und in dem jeweiligen Aufruf darauf hinzuweisen, dass stets eine mindestens 3 Meter breite Gasse vor allen Zugängen freizuhalten ist, die während der gesamten Dauer der Arbeitskampfmaßnahmen von jeglichen Hindernissen so freizuhalten ist, dass der ungehinderte Zugang und die ungehinderte Zufahrt von Menschen und Fahrzeugen, gleich welcher Art, von und aus diesen Einrichtungen sichergestellt ist.
- dazu aufzurufen, bei Mitgliedsunternehmen des Antragstellers mit dem Ziel anzurufen, das Telefon zu blockieren und die Mitarbeiter von der Arbeit abzuhalten.
II. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
III. Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000,00 EUR (Zweihundertfünfzigtausend) angedroht, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern der Verfügungsbeklagten.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits haben bei einem Gesamtstreitwert von 72.000,00 EUR die Verfügungsklägerin 10 % und die Verfügungsbeklagte 90 % zu tragen.
V. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 64.000,00 EUR festgesetzt.
VI. Die Berufung für die Verfügungsklägerin wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit von im Zusammenhang mit einem Arbeitskampf stehenden Maßnahmen der Verfügungsbeklagten.
Der Verfügungskläger ist der H. Berlin Brandenburg e. V. (HBB). Seine Mitglieder sind Einzelhandelsunternehmen im Raum Berlin-Brandenburg. Zu den Mitgliedern zählt auch die O. R. Supermarkt GmbH, die in Berlin so genannte „R.”-Filialen betreibt. Die Verfügungsbeklagte führt derzeit über ihren rechtlich unselbständigen Landesbezirk Berlin Brandenburg einen Arbeitskampf im Einzelhandel.
Am Donnerstag den 5. Juni 2008 war ab nachmittags auf einer Homepage mit dem Namen http://d…org in dem mittleren, hellgrau unterlegten Teil der Seite ein Link mit dem Titel „Unterstützt den Streik im Einzelhandel!” angebracht. Hierunter stand Do, 06/05/2008 – 14:24 – solikunde” Weiterhin wurde u. a. ausgeführt:
„Freitags, dem 6. Juni, 6:00 bis 13:00 Uhr gemeinsam mit den Streikenden eine Filiale bestreiken und dichtmachen!
…
In Berlin haben sich linke AktivistInnen und Gruppen, GewerkschafterInnen, prekär Beschäftigte und Erwerbslose zusammen geschlossen, um den Streiks im Einzelhandel durch Mobilisierung gesellschaftlicher Unte...