BAG, Urteil vom 28.10.2021, 8 AZR 371/20
Leitsätze (amtlich)
1. Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte gewährleisten. Danach kommt ein Absehen von einer Entschädigung bzw. die Festsetzung einer Entschädigung auf "Null" nicht in Betracht.
2. Nach § 31 AGG kann von den Vorschriften des AGG nicht zu Ungunsten der geschützten Personen abgewichen werden. Danach verstoßen sämtliche Vereinbarungen gegen § 31 AGG, durch die Ansprüche aus dem AGG im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. § 31 AGG steht jedoch einer Vereinbarung über Ansprüche aus dem AGG im Nachhinein nicht entgegen.
Sachverhalt
Die Klägerin war als Pflegekraft für den Beklagten in Teilzeit beschäftigt. Der auf das Beschäftigungsverhältnis anwendbare Tarifvertrag sah einen Überstundenzuschlag für geleistete Überstunden vor. Auf dem für die Klägerin geführten Arbeitszeitkonto stand für den Monat Februar 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 225 Stunden und 59 Minuten. Es handelte sich hierbei um Stunden, die von ihr über die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistet worden waren. Für diese Stunden hatte der Beklagte der Klägerin weder Überstundenzuschläge gezahlt noch auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin eine den Zuschlägen entsprechende Zeitgutschrift vorgenommen.
Sie klagte nun auf Erteilung einer den Überstundenzuschlägen entsprechenden Zeitgutschrift sowie auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG i. H. v. drei Bruttomonatsverdiensten. Sie vertrat die Auffassung, der Beklagte habe sie dadurch, dass er weder Überstundenzuschläge an sie gezahlt noch eine entsprechende Zeitgutschrift auf ihrem Arbeitszeitkonto vorgenommen habe, unzulässig als Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Zugleich sei sie als Teilzeitbeschäftigte mittelbar wegen des Geschlechts benachteiligt worden, da der Beklagte überwiegend Frauen in Teilzeit beschäftigte. Ende Juni 2020 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag. Hiernach wurde das Beschäftigungsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung unter sofortiger Freistellung mit Ablauf des 31.12.2020 beendet. U.a. hieß es im Aufhebungsvertrag: "Mit vollständiger Erfüllung dieses Aufhebungsvertrages sind sämtliche wechselseitige Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrunde, gleich ob bekannt oder unbekannt, abgegolten und erledigt."
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das BAG führte u. a. aus, dass der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraussetze, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen i. S. d. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG verbiete. Während eine unmittelbare Benachteiligung dann vorliege, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfahre als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation, liege eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren seien durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel seien zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Das BAG betonte, dass die Haftung nach § 15 Abs. 2 AGG verschuldensunabhängig sei; es komme somit weder auf ein Verschulden als Voraussetzung an, noch sei ein fehlendes Verschulden oder ein geringer Grad des Verschuldens des Arbeitgebers bei der Bemessung der Entschädigung zulasten der benachteiligten Person bzw. zugunsten des benachteiligenden Arbeitgebers berücksichtigungsfähig. Dies entspreche auch dem Willen des nationalen Gesetzgebers (BT-Drucksache 16/1780, Seite 38).
Für die Bestimmung der angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG stehe den Tatsachengerichten ein weiter Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falls zu berücksichtigen haben. Revisionsrechtlich sei dies nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die Rechtsnorm zutreffend ausgelegt, ein Ermessen ausgeübt bzw. die Ermessensgrenze nicht überschritten worden sei und ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen einen fehlerfreien Gebrauch gemacht habe, indem es sich mit allen für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und nicht von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen. Die Höhe der Entschädigung müsse jedoch der Schwere des Verstoßes entsprechen und in angemessenem Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleiste, zugleich aber auch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre. Eine rein symbolische Entschädigu...