AGG-Hopping vermeiden
In regelmäßigem Abstand liest man in den einschlägigen arbeits- und personalrechtlichen Zeitschriften von neuen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zu AGG-Hoppern. Diese werden allgemein definiert als Personen, die sich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zunutze machen, indem sie sich gezielt auf Stellen bewerben, ohne tatsächlich an einer Anstellung interessiert zu sein. Ziel ist es, abgelehnt zu werden, um sodann mittels arbeitsgerichtlicher Schritte gegen das Unternehmen Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüche aufgrund einer vermeintlichen Diskriminierung geltend zu machen.
AGG-Hopper: potenzielle Diskriminierungsfälle identifizieren
Die Taktik von AGG-Hoppern besteht darin, potenzielle Diskriminierungsfälle zu identifizieren, indem sie beispielsweise auf ungleiche Behandlungen bei Einstellungen, Beförderungen oder Entlassungen sowie auf unangemessene Verhaltensweisen am Arbeitsplatz achten. Sobald ein solcher Fall festgestellt wird, leiten sie die genannten rechtlichen Schritte ein.
Obwohl es keine kontinuierlichen oder spezifischen Daten darüber gibt, wie häufig AGG-Hopper in der Praxis vorkommen, bleibt die Frage der Missbrauchsmöglichkeiten des AGG stets ein Thema, das Unternehmen und Rechtsexperten beschäftigt. Auch die gerichtliche Praxis hat sich regelmäßig und erst kürzlich wieder vermehrt mit der Thematik auseinandergesetzt.
Ausgangspunkt für AGG-Hopper: das AGG
Gesetzlicher Ausgangspunkt ist das AGG, welches unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aufgrund bestimmter persönlicher Merkmale verhindern und gleiche Chancen sicherstellen soll. Es verbietet unter anderem die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuellen Orientierung (§§ 1, 7 AGG). Nur in Ausnahmefällen können Ungleichbehandlungen aufgrund beruflicher Anforderungen, der Religion oder Weltanschauung oder des Alters gerechtfertigt sein (§§ 8 bis 10 AGG). Vom Geltungsbereich des AGG umfasst sind nicht nur Arbeitnehmer, sondern – wie im Falle eines AGG-Hoppers regelmäßig relevant – auch Bewerber (siehe § 6 AGG).
Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot kann nach § 15 Abs. 1 AGG ein Schadensersatzanspruch sowie nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, ein Entschädigungsanspruch ("Schmerzensgeld") geltend gemacht werden. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. In der Praxis von besonderer Bedeutung ist der Umstand, dass anspruchsberechtigten Personen eine Beweiserleichterung nach § 22 AGG zugutekommt. Gelingt es ihnen, Indizien zu beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei, namentlich der Arbeitgeber, die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Das vielfach entscheidende Einfallstor für AGG-Hopper sind diskriminierende Stellenausschreibungen, die regelmäßig die Gerichte beschäftigen.
LAG-Fall: "Junges dynamisches Team mit Benzin im Blut"
In einer Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 17. Oktober 2023 (Az. 2 Sa 61/23) ging es um einen 50-jährigen IT-Systemtechniker, der sich auf die Stellenanzeige einer Tankstelle beworben hatte. Die Tankstelle hatte sich dort als "junges dynamisches Team mit Benzin im Blut" präsentiert. Ohne Angabe von Gründen lehnte die Tankstelle die Bewerbung des IT-Systemtechnikers ab und stellte stattdessen einen 48 Jahre alten Mitbewerber ein. Der abgelehnte IT-Systemtechniker forderte daraufhin eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 1,5 Bruttomonatsgehältern wegen vermeintlicher Altersdiskriminierung.
Letztlich ohne Erfolg. Dem Kläger sei es nicht gelungen, Indizien darzulegen, die eine unzulässige Benachteiligung aufgrund des Alters vermuten ließen. Die Formulierung "junges Team mit Benzin im Blut" in der Stellenanzeige sei lediglich als übertriebener, ironischer und nicht ernst gemeinter Werbespruch zu interpretieren. Zudem beschreibe der Begriff "jung" einen flexiblen Begriff, der relativ sei und keine spezifische Altersgruppe bezeichne.
"Digital Native" in der Stellenanzeige
Demgegenüber nahm das Arbeitsgericht Heilbronn in einer Entscheidung vom 18. Januar 2024 (Az. 8 Ca 191/23) eine Diskriminierung und in der Folge einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG an. Der Kläger, ein 1972 geborener Diplom-Wirtschaftsjurist mit jahrelanger Führungsverantwortung, hatte sich als "Manager Corporate Communication (m/w/d) Unternehmensstrategie" beworben. In der Stellenanzeige hieß es: "Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause". Nachdem der Kläger abgelehnt worden war, machte er einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 37.500 Euro geltend.
Das Gericht bejahte den geltend gemachten Anspruch und sprach dem Kläger eine Entschädigungszahlung zu, wenn auch "nur" in Höhe von 7.500 Euro. Die Formulierung in einer Stellenanzeige als "Digital Native" stelle nach Auffassung des Gerichts ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters dar. Durch die Ablehnung sei der Kläger auch unmittelbar benachteiligt worden. Die hiergegen beim LAG Baden-Württemberg seitens des Unternehmens eingelegte Berufung (Az. 17 Sa 2/24) steht noch aus.
AGG-Hopping auch bei Verstoß gegen Verfahrensvorschriften
Aber nicht nur Stellenanzeigen können Anlass für die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGG und damit ein Einfallstor für AGG-Hopper sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG begründet auch ein Verstoß gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen sind – so das BAG – nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein.
Der Achte Senat sprach in einer entsprechenden Entscheidung vom 14. Juni 2023 (Az. 8 AZR 136/22) einem schwerbehinderten Bewerber eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung aufgrund einer Schwerbehinderung zu. Der Kläger hatte sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung auf die bei der Beklagten ausgeschriebene Stelle eines "Scrum Master Energy (m/w/d)" beworben und wurde abgelehnt. Den geltend gemachten Entschädigungsanspruch begründete er damit, dass die Beklagte verschiedenen ihr obliegenden Pflichten aus dem SGB IX, insbesondere der Information des Betriebsrats über seine Bewerbung nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX, nicht nachgekommen sei.
Das BAG folgte der Auffassung des Klägers. Um die Vermutung nach § 22 AGG zu widerlegen, hätte der Arbeitgeber nachweisen müssen, dass der erfolglose Bewerber eine formale Qualifikation nicht aufgewiesen oder eine formale Anforderung nicht erfüllt hätte, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit oder des Berufs gewesen wäre. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Führt man sich vor Augen, dass die entsprechenden Verfahrenspflichten in der Praxis oftmals nur wenig Beachtung erfahren, stellt dies für Unternehmen ein erhebliches Risiko dar.
Einwand des Rechtsmissbrauchs gegen AGG-Hopper geltend machen
Eine mögliche Verteidigung von Unternehmen gegen die Forderung von Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüchen durch AGG-Hopper ist der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Dieser ist anzunehmen, sofern sich eine Person nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr einzig und allein darum ging, Ansprüche auf Schadensersatz und/oder Entschädigung geltend zu machen. Die Hürden für eine erfolgreiche Geltendmachung dieses Einwands in der Praxis sind jedoch hoch. Denn nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten führt stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Nur dann, wenn sich der Anspruchsteller die günstige Rechtsposition gerade durch treuwidriges Verhalten verschafft hat, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB vor.
Die Rechtsprechung verlangt hierfür das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Hinsichtlich des objektiven Elements muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregelung vorgesehenen Bedingung, welche dem AGG zugrunde liegt, das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Zu berücksichtigen sind hierbei sämtliche Umstände des Einzelfalls. Hierzu gehören bei AGG-Hoppern insbesondere sämtliche Schreiben des Bewerbers und auch sein Verhalten im Zusammenhang mit seiner Bewerbung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Stellenausschreibung. Kann das fragliche Verhalten eine andere Erklärung haben als nur die Erlangung eines Vorteils, ist das Missbrauchsverbot nicht relevant.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regelungen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast der Arbeitgeber. Die Darlegungslast ist jedoch abgestuft. Hat das Unternehmen hinreichende Tatsachen vorgetragen, die den Rechtsmissbrauch indizieren, so muss sich der Bewerber hierzu substantiiert, das heißt mit näheren positiven Angaben, äußern; mit bloßem schlichten Bestreiten darf er sich regelmäßig nicht begnügen.
LAG Hamm schiebt AGG-Hoppern einen Riegel vor
In einer aktuellen Entscheidung vom 5. Dezember 2023 (Az. 6 Sa 896/23) hat das LAG Hamm erfreulicherweise einem AGG-Hopper einen Riegel vorgeschoben. In dem zugrunde liegenden Fall hatte sich ein ausgebildeter Industriekaufmann in der Vergangenheit mit weitgehend identischen Nachrichten auf eine Vielzahl von Stellenausschreibungen für eine "Sekretärin" beworben und im Anschluss Entschädigungsprozesse wegen einer vermeintlichen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts geführt. Nachdem mehrere Klagen wegen Rechtsmissbrauchs abgewiesen worden waren, passte der Kläger seine Anschreiben und sein vorprozessuales Verhalten entsprechend an. Im Januar 2023 bewarb er sich auf eine Stellenanzeige als "Bürokauffrau/Sekretärin" bei der Beklagten. Nachdem er hierauf keine Rückmeldung erhalten hatte, erhob er Klage auf Geltendmachung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Wie schon die erste Instanz nahm das LAG Hamm jedoch an, dass der Geltendmachung der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehe. Objektive Anzeichen für diese Annahme ergäben sich neben der Entfernung zwischen Wohnort und potenzieller Arbeitsstelle (= rund 170 Kilometer), dem Inhalt und der Art und Weise der Bewerbung (Rechtschreib- und Grammatikfehler, die ihn als Bürokraft ungeeignet auswiesen, sowie Fehlen von aussagekräftigen Unterlagen, wie etwa Zeugnissen) sowie der Unvereinbarkeit einer Vollzeitstelle mit dem vom Kläger nach eigenen Angaben aufgenommenen Vollzeitstudium zum Wirtschaftsjurist, insbesondere aus dem Umstand, dass der Kläger sich auf eine Vielzahl entsprechender Stellen beworben und sein "Geschäftsmodell" gezielt an aus Vorprozessen gewonnene Erkenntnisse angepasst habe. Auch das subjektive Element für einen Rechtsmissbrauch liege vor. Dieses ergebe sich zum einen aus den genannten objektiven Umständen. Zum anderen habe der Kläger bis zuletzt nichts vorgetragen, aus dem sich ein anderes Motiv für die Bewerbung auf die konkrete Stelle als die Geltendmachung von Entschädigungszahlungen ergebe.
Strafbarkeit von AGG-Hopping
Neben dem Einwand des Rechtsmissbrauchs sollten Unternehmen bei dem dringenden Verdacht eines AGG-Hoppers auch stets eine Strafanzeige in Erwägung ziehen. Schließlich können Bewerbungen auf diskriminierende Stellenangebote mit dem (alleinigen) Ziel, einen Entschädigungsanspruch zu erlangen, einen strafbaren Betrug im Sinne von § 263 StGB darstellen. Wie der BGH in einer Entscheidung vom 4. Mai 2022 (Az. 1 StR 3/21) festgestellt hat, ist dies dann der Fall, wenn der AGG-Hopper damit rechnet, dass durch sein Vorbringen die auf Beklagtenseite auftretenden Personen getäuscht werden und diese irrtumsbedingt zu einer Vermögensverfügung veranlasst werden.
In Fällen, in denen der Arbeitgeber im Verfahren den Rechtsmissbrauchseinwand erhoben hat, liegt eine Täuschung nach Auffassung des Gerichts durch ausdrückliche Erklärung vor, wenn der AGG-Hopper dieses Vorbringen explizit bestritten und sich nicht nur auf die Beweislastregelungen zurückgezogen hat. Gleiches soll gelten, wenn der AGG-Hopper im Prozess vorträgt, er habe sich subjektiv ernsthaft beworben.
AGG-Hopping vermeiden: Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber
Zur Vorbeugung von AGG-Klagen sowie im Umgang mit AGG-Hoppern sollten Unternehmen Folgendes beachten:
- Mitarbeiter – insbesondere im Personalbereich – sollten regelmäßig zu den Grundsätzen des AGG geschult und für potenzielle Diskriminierungssituationen sensibilisiert werden. Hierzu können auch Verhaltensrichtlinien beitragen. Dies ermöglicht es, potenzielle Diskriminierungsfälle frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.
- Relevante Entscheidungen und Prozesse sollten schriftlich festgehalten und sorgfältig dokumentiert werden ("Dokumentation und Transparenz"). Nur dies ermöglicht es, sich erfolgreich gegen eine AGG-Klage zu verteidigen.
- Des Weiteren sollten regelmäßig Risikobewertungen durchgeführt werden, um potenzielle Diskriminierungsrisiken im Unternehmen zu identifizieren. Dies gilt insbesondere für Einstellungs-, Beförderungs- und Entlassungsverfahren.
- Beschwerden über mögliche Diskriminierungen sollten ernst genommen und darauf angemessen und transparent reagiert werden.
- Besteht der Verdacht einer missbräuchlichen Geltendmachung von Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüchen, sollten Arbeitgeber auf entsprechende Forderungen hin schon außergerichtlich die ausdrückliche Frage nach der Ernsthaftigkeit der Bewerbung stellen und die Antwort dokumentieren. Im Fall der gerichtlichen Geltendmachung sollte sodann der Einwand des Rechtsmissbrauchs erhoben werden. Denn dieser zwingt den Anspruchsteller dazu, "Farbe zu bekennen" und erhöht mithin den – auch strafrechtlichen – Druck auf den mutmaßlichen AGG-Hopper.
Fazit: Unternehmen müssen Angriffsflächen vermeiden
Das Risiko aus Unternehmenssicht, Opfer von AGG-Hoppern zu werden, ist nach wie vor hoch. Und die Möglichkeiten, sich gegen entsprechende Schadensersatz- und/oder Entschädigungsansprüche mit Erfolg wehren zu können, sind überschaubar. Zwar sieht die Rechtsprechung bisweilen das Problem; die genannte Entscheidung des LAG Hamm stellt insoweit einen Lichtblick dar, der hoffen lässt. Gleichwohl hängen die Trauben für die erfolgreiche Durchsetzung des Einwands des Rechtsmissbrauchs nach wie vor hoch. Umso wichtiger ist es in der Praxis, mögliche Angriffsflächen sorgsam im Blick zu behalten und jeglichen Anschein diskriminierender Verhaltensweisen von vornherein zu vermeiden.
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