BAG, Urteil vom 28.2.2023, 2 AZR 194/22
Eine ernstliche Drohung von Beschäftigten mit Gefahren für Leib oder Leben von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen und/oder deren Verwandten, kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen.
Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten seit Mai 1998 als Busfahrer beschäftigt. Es war zwischen den Parteien streitig, ob der Kläger den Personaldisponenten der Beklagten und dessen Familie anlässlich des Einwurfs einer Abmahnung in den Briefkasten des Klägers am 12.2.2020 mit den Worten "Ihr Ochsen, wenn ich noch einmal einen von Euch vor meiner Haustür oder meinem Briefkasten sehe, werde ich Euch schlagen, dann kann nicht mal die Polizei Euch helfen" und "Ochse, Du musst in Zukunft auf Dich und Deine Familie 8." bedroht hatte.
Im Zuge einer geplanten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat an. Versehentlich gab sie hierbei an, der Kläger sei ledig und kinderlos. Allerdings war dem Gremium bekannt, dass der Kläger verheiratet war und ein Kind hat. Am 25.2.2020 widersprach der Betriebsrat in einer ausdrücklich als "abschließend" bezeichneten Stellungnahme den beabsichtigten Kündigungen u. a. unter Hinweis auf die Unterhaltspflichten des Klägers. Trotzdem kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 26.2.2020 dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Mit Schreiben vom 29.4.2020 kündigte sie – nach erneuter Anhörung des Betriebsrats – erneut ordentlich.
Der Kläger erhob Klage. Er begründete die Unwirksamkeit der Kündig u. a. wegen der fehlerhaften Unterrichtung des Betriebsrats.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das BAG entschied, dass die fristlose Kündigung wirksam sei; denn eine ernstliche Drohung von Beschäftigten mit Gefahren für Leib oder Leben von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen und/oder deren Verwandten, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreife, könne einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Aufgrund der vorgenommenen Zeugenvernehmung des Personaldisponenten bestünden keine Zweifel an der Tatsache, dass der Kläger ihn und seine Familie anlässlich des Einwurfs einer Abmahnung beim Kläger beschimpft und bedroht hatte. Eine vorherige Abmahnung habe der Arbeitgeber aufgrund der ernstlichen Drohung des Klägers nicht aussprechen müssen.
Nach Auffassung des Gerichts war auch die Beteiligung des Betriebsrats wirksam. Die Beklagte hatte das Gremium mit Schreiben vom 24.2.2020 zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung wegen des Vorfalls am 12.2.2020 angehört. Das Gremium hatte dazu am 25.2.2020 ausdrücklich "abschließend" Stellung genommen. Damit sei das Anhörungsverfahren vor Zugang der außerordentlichen Kündigung abgeschlossen gewesen. Die Anhörung sei auch nicht deshalb mangelhaft, weil die Beklagte im Anhörungsschreiben die Unterhaltspflichten des Klägers unzutreffend angegeben hatte; denn die fehlerhafte Angabe erfolgte lediglich versehentlich, womit es bereits an einer bewusst unrichtigen oder irreführenden Unterrichtung über die Person des zu kündigenden Beschäftigten, die schon für sich genommen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen konnte, fehlte. Zudem kannte das Betriebsratsgremium den tatsächlichen Familienstand des Klägers, sodass es durch die abweichenden Angaben im Unterrichtungsschreiben nicht "verunsichert" worden sei. Dies zeige auch die Tatsache, dass der Betriebsrat den beabsichtigten Kündigungen gerade auch unter Hinweis darauf widersprochen hatte, dass der Kläger verheiratet und einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig sei. Dies belege, dass ihm durch die versehentliche Falschangabe der Beklagten im Unterrichtungsschreiben kein Einwand abgeschnitten worden sei. Somit habe er sachgerecht zur Kündigungsabsicht Stellung nehmen können.