Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung im Tendenzunternehmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Versetzung eines Redakteurs in einem Zeitschriftenverlag bedarf in der Regel nicht der Zustimmung des Betriebsrats. Der Betriebsrat ist jedoch vor der Durchführung der Versetzung zu unterrichten, so daß er binnen 1 Woche dazu Stellung nehmen kann.
2. Hat der Arbeitgeber eine Versetzung eines Redakteurs ohne vorherige Unterrichtung und Anhörung des Betriebsrats durchgeführt, kann der Betriebsrat verlangen, daß der Arbeitgeber die Versetzung aufhebt.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 05.02.1986; Aktenzeichen 12 TaBV 145/85) |
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 13.06.1985; Aktenzeichen 7 BV 4/85) |
Gründe
A. Die R Verlags GmbH (Arbeitgeber) gibt eine Tageszeitung, die R, heraus.
Beim Arbeitgeber ist seit 1980 der Arbeitnehmer K. als Redakteur beschäftigt (im folgenden nur: Redakteur). Er hat in der politischen Redaktion in D vor allem Fragen des Wohnungs- und Städtebaus sowie Fragen der Gewerkschaft bearbeitet. Von 1982 bis Anfang 1984 war er als Mitglied des Betriebsrats von der beruflichen Tätigkeit freigestellt und hat in dieser Zeit nur den Sonntagsdienst in der politischen Redaktion wahrgenommen. Nach Beendigung der Freistellung war er wieder in der politischen Redaktion mit den früher schon wahrgenommenen Aufgaben beschäftigt. Er war weiter Mitglied des Betriebsrats und dessen stellvertretender Vorsitzender.
Am 21. Dezember 1984 schrieb der Arbeitgeber in der Person des Herausgebers und Chefredakteurs der Zeitung an den Redakteur wie folgt:
Unter Bezug auf die mit Ihnen geführten Gespräche
am heutigen Tage und am 18. 12. und unter ausdrücklichem
Hinweis auf die in § 15 des Anstellungsvertrags
vom 7. 3. 1980 getroffene Vereinbarung
spreche ich Ihre Versetzung in die Lokalredaktion
B zum 1. Januar 1985 aus.
Eine Fotokopie des Schreibens sandte der Arbeitgeber am gleichen Tage an den Betriebsrat, dessen Vorsitzender zu dieser Zeit im Urlaub war. In dem Anschreiben an den Betriebsratsvorsitzenden heißt es u.a.:
Herr K., zur Zeit Ihr amtierender Vertreter,
konnte von uns schlecht in eigener Sache auch
als Betriebsrat unterrichtet werden.
Die Lokalredaktion in B bildet mit der Zentralredaktion in D einen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, für den ein Betriebsrat, der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens, gewählt worden ist. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1984 beanstandete der Betriebsrat, daß er vor der Versetzung nicht unterrichtet und angehört und daß für die Versetzung keine Gründe genannt worden seien. Er habe daher keine Möglichkeit zu überprüfen, ob tendenzbedingte, persönliche oder sonstige Gründe für die Versetzung maßgeblich sein sollen. Damit werde es ihm unmöglich gemacht, eine fundierte Stellungnahme zu einer beabsichtigten Versetzung abzugeben. Der Arbeitgeber nahm dazu mit Schreiben vom 15. Januar 1985 Stellung. In diesem Schreiben heißt es u.a.:
..., daß es für die Versetzung des Herrn K. ausschließlich
tendenzbedingte Gründe gibt. Herr K.
bestreitet ja selbst nicht, daß sich seine politischen
und sozialpolitischen Vorstellungen von
meinen als Verleger und Herausgeber der R unterscheiden.
Da uns diese politische Auffassung des
Herrn K. seit seiner Tätigkeit in der politischen
Redaktion zunehmend bewußt wurde, haben wir daraus
die Konsequenz gezogen. Zunächst wurde Herr
K. gebeten, sich um die in B frei gewordene
Stelle zu bewerben und als er hierauf nicht einging,
wurde ihm unsere Absicht einer Versetzung
mitgeteilt. Zuvor war aber bereits seit Monaten
Herrn K. nicht mehr die Möglichkeit gegeben worden,
einen Kommentar in den R zu veröffentlichen.
Auch wurden ihm bestimmte Themen zur Bearbeitung
nicht anvertraut. In der gesamten Redaktionsleitung
fehlt das notwendige, uneingeschränkte
Vertrauen, das Herr K. sowohl beim Redigieren
von Nachrichten als auch Kommentieren
von Ereignissen haben müßte.
In der Lokalredaktion B besteht dagegen die
Möglichkeit, unpolitische Themen zu bearbeiten.
Die Position, die Herr K. in B innehat, ist
tariflich der in der politischen Redaktion gleichgestellt.
Da Herr K. in B wohnt, bedeutet das
außerdem eine Erleichterung für den Weg zur täglichen
Arbeit. Für seine Arbeit in der Lokalredaktion
bringt Herr K. darüber hinaus Kenntnisse
aus seiner früheren Tätigkeit für die Lokalredaktion
B mit.
...
Der Betriebsrat ist der Ansicht, daß der Arbeitgeber anläßlich der Versetzung des Redakteurs seine Mitbestimmungsrechte verletzt habe. Er sei vor der Versetzung nicht ordnungsgemäß unterrichtet und angehört worden. Auf einen Tendenzschutz könne sich der Arbeitgeber nicht berufen, da er die Tendenz der Zeitung zu keiner Zeit festgelegt habe, wie es der Arbeitsvertrag und der Manteltarifvertrag für Redakteure erfordere. Eine Versetzung sei nur dann eine tendenzbedingte Maßnahme, wenn dargelegt werde, daß sie zur Aufrechterhaltung der Tendenz erforderlich sei. Dazu habe der Arbeitgeber nichts vorgetragen.
Der Betriebsrat hat zunächst beantragt,
dem Arbeitgeber aufzugeben, die Versetzung
des Redakteurs in die Lokalredaktion
B aufzuheben.
Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Versetzung habe nicht der Zustimmung des Betriebsrats bedurft, da es sich um eine tendenzbedingte Maßnahme gehandelt habe. Vor der Versetzung sei der Betriebsrat durch Gespräche vom 12., 18. und 21. Dezember mit dem Redakteur, der damals gleichzeitig amtierender Betriebsratsvorsitzender gewesen sei, ausreichend unterrichtet worden.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Gegen diese Entscheidung haben sowohl der Betriebsrat als auch der Redakteur Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdeinstanz hat der Betriebsrat hilfsweise beantragt
festzustellen, daß die Versetzung des Redakteurs
in die Lokalredaktion B das
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt
hat.
Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Redakteurs als unzulässig, die des Betriebsrats als unbegründet zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, die allein der Betriebsrat eingelegt hat, verfolgt dieser seine vor dem Landesarbeitsgericht gestellten Anträge weiter, während der Arbeitgeber um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bittet.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Betriebsrats auf Aufhebung der Versetzung des Redakteurs in die Lokalredaktion B verneint.
1. Nach § 101 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat verlangen, daß der Arbeitgeber eine Versetzung aufhebt, die er ohne Zustimmung des Betriebsrates oder ohne daß diese gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG vom Arbeitsgericht ersetzt worden ist, durchgeführt hat.
Im vorliegenden Fall hat der Betriebsrat seine Zustimmung nicht erteilt. Sie ist auch nicht auf Antrag des Arbeitgebers hin vom Arbeitsgericht ersetzt worden. Die Zustimmung des Betriebsrats gilt auch nicht als erteilt.
Nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG gilt die Zustimmung als erteilt, wenn der Betriebsrat die Verweigerung seiner Zustimmung dem Arbeitgeber nicht innerhalb einer Woche unter Angabe von Gründen schriftlich mitteilt. Der Betriebsrat hat am 21. Dezember 1984 durch den Arbeitgeber von der Versetzung erfahren. Innerhalb der Wochenfrist hat er allein mit seinem Schreiben vom 27. Dezember 1984 reagiert. In diesem Schreiben hat er nicht seine Zustimmung unter Angabe von Gründen verweigert, vielmehr gerügt, daß er nicht vor der Versetzung angehört worden sei, und sein Mitbestimmungsrecht geltend gemacht. Gleichwohl gilt die Zustimmung des Betriebsrats damit nicht als erteilt. Der Eintritt dieser Fiktion setzt voraus, daß der Arbeitgeber zuvor gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG den Betriebsrat nicht nur im vorgeschriebenen Umfang unterrichtet hat, sondern auch die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme erbeten hat. Erst wenn das geschehen ist, weiß der Betriebsrat, daß der Arbeitgeber das Mitbestimmungsverfahren eingeleitet hat und seine Erklärung erwartet. Eine bloße, mehr oder weniger zufällige Kenntnis von einer geplanten personellen Maßnahme setzt die Wochenfrist für eine Verweigerung der Zustimmung nicht in Lauf (Beschluß des Senats vom 15. April 1986 - 1 ABR 55/84 - AP Nr. 36 zu § 99 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Hier hat der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht über die geplante Versetzung des Redakteurs unterrichtet und um die Zustimmung des Betriebsrats gebeten, diesen vielmehr lediglich von einer bereits durchgeführten Maßnahme in Kenntnis gesetzt. Der Betriebsrat war daher nicht gehalten, innerhalb einer Woche seine Zustimmung schriftlich unter Angabe von Gründen zu verweigern, um zu vermeiden, daß seine Zustimmung als erteilt gilt.
2. Die Vorschrift des § 101 Satz 1 BetrVG gilt auch dann, wenn eine personelle Einzelmaßnahme im Einzelfalle nicht der Zustimmung des Betriebsrates bedarf, der Arbeitgeber jedoch seine Pflicht zur vorherigen Unterrichtung und Anhörung des Betriebsrates verletzt hat.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Versetzung des Redakteurs in die Lokalredaktion B nicht der Zustimmung des Betriebsrates bedurfte.
aa) Der Arbeitgeber betreibt einen Zeitungsverlag und ist damit ein Unternehmen im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, das Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dient (Beschluß vom 19. Mai 1981, BAGE 35, 278 = AP Nr. 18 zu § 118 BetrVG 1972 und Beschluß vom 31. Mai 1983, BAGE 43, 35 = AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972). Bei dem von der Versetzung betroffenen Redakteur handelt es sich auch um einen sogenannten Tendenzträger, d.h. um einen Arbeitnehmer, der selbst unmittelbar für die Berichterstattung und/oder Meinungsäußerung der Zeitung tätig ist und damit inhaltlich auf die Tendenzverwirklichung Einfluß nehmen kann. Der Senat hat daher auch wiederholt ausgesprochen, daß Redakteure Tendenzträger sind (Beschluß vom 7. November 1975, BAGE 27, 322 = AP Nr. 3 zu § 99 BetrVG 1972; Beschluß vom 9. Dezember 1975 - 1 ABR 37/74 - AP Nr. 7 zu § 118 BetrVG 1972; Beschluß vom 19. Mai 1981, BAGE 35, 278 = AP Nr. 18 zu § 118 BetrVG 1972; Beschluß vom 31. Mai 1983, BAGE 43, 35 = AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972). Das ist unter den Beteiligten auch nicht im Streit. Der Umstand, daß ein Tendenzunternehmen eine an sich mitbestimmungspflichtige Maßnahme in bezug auf einen Tendenzträger vornimmt, besagt für sich allein noch nicht, daß Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes über Beteiligungsrechte des Betriebsrats an dieser Maßnahme keine Anwendung finden. Deren Anwendung ist durch § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vielmehr nur insoweit ausgeschlossen, als die Eigenart des Unternehmens dem entgegensteht. Durch diese Vorschrift soll das Grundrecht der Pressefreiheit des Verlegers geschützt werden; die Pressefreiheit des Verlegers und damit auch seine Freiheit, die Tendenz seiner Zeitschrift festzulegen, beizubehalten, zu ändern und diese Tendenz zu verwirklichen, soll vor einer Beeinträchtigung durch betriebliche Mitbestimmungsrechte abgeschirmt werden. Daraus folgt, daß die Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Presseunternehmen nur insoweit zurücktreten müssen, als durch ihre Ausübung die Freiheit des Verlegers zur Tendenzbestimmung und Tendenzverwirklichung ernsthaft beeinträchtigt und damit das Grundrecht der Pressefreiheit verletzt werden kann (Beschluß des Senats vom 31. Mai 1983, BAGE 43, 35 = AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972). Die Maßnahme des Tendenzunternehmens gegenüber einem Tendenzträger muß daher nicht nur auch einen Bezug zur Tendenz des Unternehmens haben, vielmehr muß sich auch die nach dem Betriebsverfassungsgesetz an sich vorgesehene Beteiligung des Betriebsrats auf die Tendenzverwirklichung auswirken, wenn sie zurücktreten soll.
bb) Von dieser Rechtsprechung geht auch die Rechtsbeschwerde aus. Sie macht jedoch geltend, daß der Arbeitgeber sich auf den Tendenzschutz und damit auf die Zustimmungsfreiheit der Versetzung nicht berufen könne, wenn er die Tendenz seiner Zeitung nicht zuvor schriftlich festgelegt habe und wenn die Versetzung des Redakteurs in die Lokalredaktion in B nicht tendenzbedingt, d.h. zur Aufrechterhaltung der Tendenz erforderlich gewesen sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Eine personelle Maßnahme eines Tendenzunternehmens ist nach § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht erst dann zustimmungsfrei, wenn die Maßnahme zur Aufrechterhaltung oder Durchführung einer bestimmten Tendenz erforderlich ist.
Nach der Rechtsprechung des Senats steht die Eigenart eines Tendenzunternehmens der Zustimmungsbedürftigkeit einer personellen Maßnahme durch den Betriebsrat vielmehr schon dann entgegen, wenn bei einer Verweigerung der Zustimmung die Freiheit des Tendenzunternehmens, hier des Zeitungsverlages, zur Tendenzbestimmung und Tendenzverwirklichung ernsthaft beeinträchtigt und damit das Grundrecht der Pressefreiheit verletzt werden kann. Das ist hier der Fall. Muß die Versetzung eines Redakteurs infolge der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung unterbleiben, ist der Verleger gehindert, seine Tendenz so wie gewollt, nämlich dadurch, daß der Redakteur seine Kenntnisse, Fähigkeiten und Meinungen im Rahmen des Aufgabengebietes der Lokalredaktion B zur Gestaltung der Zeitung einbringt, zu verwirklichen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Festanstellungsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluß vom 13. Januar 1982, BVerfGE 59, 231 = AP Nr. 1 zu Art. 5 Abs. 1 GG Rundfunkfreiheit) ausgesprochen, daß der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Rundfunkfreiheit sich auf das Recht der Rundfunkanstalten erstreckt, dem Gebot der Programmvielfalt auch bei der Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Rundfunkmitarbeiter Rechnung zu tragen, die bei der Gestaltung des Programms mitwirken. Für die in gleicher Weise geschützte Pressefreiheit kann nichts anderes gelten. Diese gewährt daher dem Verleger einer Tageszeitung nicht nur das Recht, Richtung und Ausgestaltung einer Zeitung zu bestimmen, die auch von der Art und Weise geprägt wird, in welchem sprachlichen Gewand Berichte und Meinungen gebracht werden, sondern auch das Recht, darüber zu bestimmen, durch welche an der Gestaltung der Zeitung beteiligte Mitarbeiter der jeweilige Inhalt der Zeitung und in welcher Form gestaltet werden soll. Die Gestaltung der einzelnen Beiträge durch die jeweiligen Redakteure läßt sich nicht allein durch Anweisungen und Vorschriften herbeiführen und sicherstellen. Sie ist jeweils abhängig von den Kenntnissen und Erfahrungen des einzelnen Redakteurs, von seinem Engagement bei einzelnen Themen und der Fähigkeit, auch in der sprachlichen Form der Eigenart der Zeitung zu entsprechen. Von daher wird die Tendenz einer Zeitung weitgehend schon dadurch bestimmt, welche Redakteure welche Themen bearbeiten. Zur Verwirklichung und Verfolgung der Tendenz gehört daher auch die Freiheit der Entscheidung über den jeweiligen Einsatz eines Redakteurs.
Von daher spricht nicht nur bei der Einstellung eines Redakteurs eine "Vermutung" dafür, daß sie aus tendenzbedingten Gründen erfolgt, d.h. im Hinblick auf die Verfolgung der Tendenz der Zeitung im dargelegten Sinne geschieht. Gleiches gilt auch für jede Zuweisung konkreter Aufgaben an einen Redakteur und damit auch für dessen Versetzung. Darauf, ob die Verfolgung der Tendenz in gleicher Weise möglich wäre, wenn die geplante personelle Maßnahme unterbleibt oder eine andere personelle Maßnahme vorgenommen würde, ob also die geplante Maßnahme "aus Tendenzgründen erforderlich" ist, kommt es nicht an.
Daraus folgt, daß es für die Frage, ob der Verleger einer Zeitung frei ist in der Entscheidung über den jeweiligen Einsatz eines Redakteurs, nicht darauf ankommt, ob dieser die Tendenz seiner Zeitung zuvor generell und auf Dauer, gegebenenfalls auch schriftlich festgelegt hat. Die Freiheit zur Tendenzbestimmung umfaßt auch das Recht, die Tendenz zu ändern und neu zu bestimmen. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG schützt daher nicht nur die Verfolgung einer einmal auf Dauer festgelegten Tendenz etwa im Sinne einer bestimmten weltanschaulichen Richtung vor einer Einflußnahme des Betriebsrats, sondern jede Tendenzverfolgung, d.h. bei einem Zeitungsverleger jede Entscheidung im Hinblick auf die inhaltliche und sprachliche Gestaltung seiner Zeitung.
Diese verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit des Verlegers, die Tendenz einer Zeitung im dargelegten Sinne zu bestimmen und zu ändern, darf auch durch rechtliche Regelungen, wie durch § 99 BetrVG, nicht fremden, nichtstaatlichen Einflüssen unterworfen werden. Das wäre mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar, der die Freiheit der Presse gewährleistet (BVerfG vom 6. November 1979, BVerfGE 52, 283 = AP Nr. 14 zu § 118 BetrVG 1972). Diesem Gebot hat der Gesetzgeber durch § 118 BetrVG Rechnung getragen. Die Regelung der §§ 99 ff. BetrVG ist daher kein die Pressefreiheit einschränkendes "allgemeines Gesetz" im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG. Ihre Anwendung ist vielmehr, soweit durch sie die Pressefreiheit des Verlegers eingeschränkt würde, durch § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgeschlossen (BVerfG vom 6. November 1979, aa0).
Die Regelung in § 99 BetrVG, wonach die Versetzung eines Redakteurs an sich der Zustimmung des Betriebsrats bedarf, findet daher keine Anwendung, weil die Freiheit des Verlegers, frei von fremden Einflüssen die Tendenz seiner Zeitung auch dadurch zu bestimmen, daß er über den jeweiligen Einsatz des Redakteurs bestimmt, mit einer Zustimmungsbedürftigkeit dieser Entscheidung durch den Betriebsrat unvereinbar wäre.
b) Bedarf daher die Versetzung eines Redakteurs regelmäßig nicht der Zustimmung des Betriebsrates, so hat der Arbeitgeber den Betriebsrat doch vor einer solchen Versetzung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG zu unterrichten und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
aa) Der Senat hat für die Einstellung eines Redakteurs ausgesprochen, daß der Arbeitgeber den Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG zu informieren und die Bewerbungsunterlagen sämtlicher Bewerber vorzulegen habe. Der Betriebsrat könne in solchen Fällen gegen die Einstellung auch schriftliche Bedenken aus den Gründen des § 99 Abs. 2 BetrVG geltend machen, mit denen sich der Arbeitgeber auseinandersetzen müsse (Beschluß des Senats vom 7. November 1975, BAGE 27, 322 = AP Nr. 3 zu § 99 BetrVG 1972; Beschluß vom 19. Mai 1981, BAGE 35, 278 = AP Nr. 18 zu § 118 BetrVG 1972). Für die Versetzung eines Redakteurs kann nichts anderes gelten. Dadurch, daß der Arbeitgeber den Betriebsrat vor einer geplanten Versetzung zu unterrichten und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb der Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG zu geben hat, und Bedenken des Betriebsrats bei seiner endgültigen Entscheidung zur Kenntnis nimmt und in seine Überlegungen einbezieht, wird er in der Ausübung seiner Freiheit als Verleger zur Tendenzbestimmung und Tendenzverwirklichung nicht ernsthaft beeinträchtigt. Auch der Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG bei der Kündigung eines Tendenzträgers steht der Tendenzcharakter eines Unternehmens nicht entgegen (Urteil des Senats vom 7. November 1975 - 1 AZR 282/74 - AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG 1972).
bb) Dieser Verpflichtung ist der Arbeitgeber im vorliegenden Falle nicht nachgekommen. Er hat den Betriebsrat vor der Versetzung des Redakteurs weder unterrichtet noch Gründe für diese Maßnahme mitgeteilt. Sein Schreiben an den Betriebsrat vom 21. Dezember 1984 stellt lediglich eine Mitteilung über eine bereits dem betroffenen Redakteur gegenüber ausgesprochene und damit vollzogene Versetzung dar.
Der Unterrichtung des Betriebsrats steht auch nicht gleich, daß der Redakteur selbst in den Gesprächen vom 18. und 21. Dezember über seine Versetzung unterrichtet worden ist und daß dieser zu der Zeit den urlaubsabwesenden Betriebsratsvorsitzenden vertrat. Der Arbeitgeber ist selbst davon ausgegangen, daß die Gespräche mit dem Redakteur keine Unterrichtung des Betriebsrats darstellen. In dem Schreiben des Arbeitgebers an den Betriebsratsvorsitzenden vom 21. Dezember 1984 heißt es ausdrücklich, daß der Redakteur "von uns schlecht in eigener Sache auch als Betriebsrat unterrichtet werden konnte". Die Urlaubsabwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden und die eigene Betroffenheit des stellvertretenden Vorsitzenden machten dem Arbeitgeber eine Unterrichtung des Betriebsrats nicht unmöglich. Auch bei eigener Betroffenheit ist im Falle der Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden sein Stellvertreter zur Entgegennahme von Erklärungen, die dem Betriebsrat gegenüber abzugeben sind, berechtigt (§ 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG). Dadurch, daß der Arbeitgeber später mit Schreiben vom 15. Januar 1985 den Betriebsrat über die Gründe für die Versetzung des Redakteurs unterrichtet hat, ist dieser Fehler nicht geheilt worden. Der Arbeitgeber hat damit kein neues Anhörungsverfahren eingeleitet und den Betriebsrat nicht um Stellungnahme wenigstens zur Aufrechterhaltung der schon durchgeführten Versetzung gebeten.
c) Hat damit der Arbeitgeber die Versetzung des Redakteurs ohne die erforderliche vorherige Anhörung des Betriebsrats durchgeführt, so kann der Betriebsrat nach § 101 Satz 1 BetrVG die Aufhebung dieser Maßnahme verlangen. Daraus, daß die Versetzung nicht der Zustimmung des Betriebsrats bedurfte, folgt nicht, daß § 101 BetrVG keine Anwendung finden kann. Auch die Anwendung dieser Vorschrift wird durch § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur insoweit ausgeschlossen, als die Eigenart des Unternehmens dem entgegensteht. Dabei kann die Vorschrift nicht für sich allein gesehen werden.
§ 101 Satz 1 BetrVG regelt von seinem Wortlaut her den Regelfall, daß eine personelle Einzelmaßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt worden ist. Da eine Maßnahme, von der der Betriebsrat nicht unterrichtet worden ist, in keinem Falle mit Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt sein kann und in einem solchen Falle auch die Zustimmung des Betriebsrats nicht als erteilt gelten kann, bedurfte es keiner ausdrücklichen Regelung dahin, daß der Betriebsrat schon bei Verletzung der Anhörungspflicht die Aufhebung der Maßnahme verlangen kann. Die Verletzung der Anhörungspflicht erlangt erst dann für die Regelung in § 101 BetrVG Bedeutung, wenn die personelle Maßnahme ausnahmsweise nicht der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Sie stellt aber ebenso eine Verletzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats dar wie die Durchführung einer personellen Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats. Ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats ist der Arbeitgeber dem Betriebsrat gegenüber auch bei Eingreifen des Tendenzschutzes nicht befugt, eine personelle Maßnahme durchzuführen. Die ohne vorherige Anhörung durchgeführte personelle Maßnahme ist ebenso betriebsverfassungswidrig wie diejenige, die ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt worden ist. Der Beseitigung dieses betriebsverfassungswidrigen Zustandes dient aber die Vorschrift des § 101 BetrVG (Beschluß des Senats vom 22. März 1983, BAGE 42, 121 = AP Nr. 6 zu § 101 BetrVG 1972).
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß die Nichtanhörung des Betriebsrats weniger schwer wiege als die Durchführung einer personellen Maßnahme ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats. Dem steht schon entgegen, daß es für den Aufhebungsanspruch des Betriebsrats nach § 101 BetrVG nicht auf ein Verschulden des Arbeitgebers und damit auf die Schwere des Verstoßes gegen Beteiligungsrechte des Betriebsrats ankommt. Darüber hinaus zeigt § 102 Abs. 1 BetrVG, daß der Gesetzgeber gerade auch das schwächere Beteiligungsrecht des Betriebsrats, sein bloßes Anhörungsrecht, effektiv vor einer Verletzung schützen will. Auch die Tatsache, daß die Verletzung der Unterrichtungspflicht gemäß § 121 BetrVG als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße geahndet werden kann, schließt die entsprechende Anwendung von § 101 BetrVG auf eine personelle Maßnahme, die ohne Anhörung des Betriebsrats durchgeführt worden ist, nicht aus. Die Möglichkeit, die Nichtunterrichtung des Betriebsrats als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, besteht auch in den Fällen, in denen die personelle Maßnahme der Zustimmung bedarf und ohne Zustimmung durchgeführt worden ist. Beide Sanktionsmöglichkeiten sind daher auch im Normalfall nebeneinander gegeben. Ob die Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde (§ 47 OWiG). Der Betriebsrat kann eine Verfolgung nur anregen. Er ist dann gezwungen, einen internen Streit nach außen zu tragen, was eine vertrauensvolle Zusammenarbeit für die Zukunft notwendig erschweren muß. Auch die Verhängung einer Geldbuße gegen den Arbeitgeber ändert den herbeigeführten betriebsverfassungswidrigen Zustand nicht. Darauf aber ist der Anspruch des Betriebsrats nach § 101 BetrVG gerichtet.
Der Verpflichtung des Arbeitgebers, die Versetzung des Redakteurs aufzuheben, steht schließlich nicht entgegen, daß der Arbeitgeber dadurch gehindert wird, die Tendenz seiner Zeitung gerade durch den Einsatz des Redakteurs in der Lokalredaktion B weiterzuverfolgen. § 118 Abs. 1 BetrVG befreit das Presseunternehmen nicht von der Befolgung solcher gesetzlicher Vorschriften, die der Pressefreiheit Rechnung tragen (Bundesverfassungsgericht vom 6. November 1979, BVerfGE 52, 283 = AP Nr. 14 zu § 118 BetrVG 1972) und stellt es daher nicht von Sanktionen frei, die für den Fall der Verletzung dieser Vorschriften vorgesehen sind.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Gnade Dr. Federlin
Fundstellen
Haufe-Index 436786 |
BAGE 56, 71-81 (LT1-2) |
BAGE, 71 |
DB 1987, 2656-2657 (LT1-2) |
NJW 1988, 370 |
NJW 1988, 370-372 (LT1-2) |
AiB 1988, 89-90 (LT1-2) |
JR 1988, 220 |
NZA 1988, 99-101 (LT1-2) |
RdA 1988, 59 |
AP § 101 BetrVG 1972 (LT1-2), Nr 10 |
AR-Blattei, ES 1570 Nr 35 (LT1-2) |
AR-Blattei, Tendenzbetrieb Entsch 35 (LT1-2) |
AfP 1987, 730 |
ArbuR 1987, 374-374 (T) |
EzA § 118 BetrVG 1972, Nr 40 (LT1-2) |
Belling / Luckey 2000, 447 |