Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinfachte Zustellung an Behörde
Leitsatz (amtlich)
Normenkette
ZPO § 212a
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revisionsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 19. Mai 1994 – 8 (7) Sa 575/91 – aufgehoben.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin nach dem Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das Arbeitsgericht hat der Eingruppierungsklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten wegen Nichteinhaltung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen und die Revisionsbeschwerde zugelassen. In dem Revisionsbeschwerdeverfahren streiten die Parteien darüber, wann der Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil gemäß § 212a ZPO zugestellt worden ist.
Das Urteil des Arbeitsgerichts vom 25. Juli 1991 ging am 5. November 1991 bei der gemeinsamen Eingangsstelle der Oberfinanzdirektion ein und erhielt dort einen Eingangsstempel. Am 7. November 1991 gelangte es zu dem zuständigen Referat für Verteidigungslasten, wo es der damalige Referent, Herr Dr. M… , mit einem handschriftlichen Kürzel nebst Datumsangabe versah. Herr Dr. M… war berechtigt, Zustellungen an das Referat für Verteidigungslasten entgegenzunehmen.
Am 11. November 1991, einem Montag, erhielt Herr B… das Urteil, der nach dem seinerzeit gültigen Geschäftsverteilungsplan für die Vertretung in Rechtsstreitigkeiten aus Arbeits- und Sozialversicherungsverhältnissen sowie aus dem Betriebsvertretungsrecht der bei den Streitkräften beschäftigten Arbeitnehmer zuständig war. Die dem Urteil beiliegende Zustellbescheinigung gemäß § 212a ZPO unterschrieb Herr B… mit dem Datum 11. November 1991 und sandte diese an das Arbeitsgericht zurück.
Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 1991, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 10. Dezember 1991, hat die Beklagte Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil eingelegt und diese unter dem 8. Januar 1992 begründet.
Die Beklagte ist der Ansicht, das arbeitsgerichtliche Urteil sei ihr nicht bereits am 7. November 1991, sondern erst am 11. November 1991 zugestellt worden. Herr Dr. M… habe das Urteil nur vorläufig entgegengenommen. Die für eine Zustellung erforderliche Empfangsbereitschaft habe erst Herr B… gehabt.
Demgegenüber ist die Klägerin der Auffassung, die Zustellung sei bereits mit dem Eingang bei Herrn Dr. M… erfolgt. Herr Dr. M… habe nicht zu erkennen gegeben, daß er das Urteil nicht als zugestellt ansehen wolle.
Mit der Revisionsbeschwerde begehrt die Beklagte die Aufhebung des landesarbeitsgerichtlichen Verwerfungsbeschlusses.
Entscheidungsgründe
B. Die Revisionsbeschwerde ist zulässig und begründet. Der Verwerfungsbeschluß des Landesarbeitsgerichts ist aufzuheben.
I. Die Revisionsbeschwerde ist zulässig.
Die sofortige Beschwerde nach § 519b Abs. 2 ZPO ist nur zulässig, wenn sie das Landesarbeitsgericht in dem Beschluß über die Verwerfung der Berufung wegen der Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat (§ 77 Satz 1 ArbGG). Das ist vorliegend der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat die Revisionsbeschwerde im Tenor des angefochtenen Beschlusses zugelassen. Daran ist das Bundesarbeitsgericht gebunden (z. B. BAG Beschluß vom 14. März 1989 – 1 AZB 26/88 – AP Nr. 10 zu § 130 ZPO, m.w.N.).
Die Revisionsbeschwerde ist darüber hinaus form- und fristgerecht eingelegt.
II. Die Revisionsbeschwerde ist auch begründet.
Die Beklagte hat die Berufung innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) eingelegt. Die Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils erfolgte am 11. November 1991, dem Tag, an dem das Urteil Herrn B… zuging. Die Berufung der Beklagten ging am 10. Dezember 1991 bei dem Landesarbeitsgericht ein.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bereits der Referent, Herr Dr. M…, habe den Willen gehabt, das Urteil als zugestellt anzunehmen. Denn das Urteil sei, wie aus dem Rubrum ersichtlich, für die Oberfinanzdirektion bestimmt gewesen.
Darüber hinaus habe die Beklagte auch das erforderliche Empfangsbekenntnis ausgestellt. Unerheblich sei, daß dieses Empfangsbekenntnis das Zustelldatum nicht richtig wiedergebe. Das richtige Zustelldatum ergebe sich jedenfalls aus dem prozessualen Vorbringen der Beklagten.
2. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
a) Bei der Zustellung an einen Anwalt, Notar oder Gerichtsvollzieher oder eine Behörde oder Körperschaft des öffentlichen Rechts genügt nach § 212a ZPO zum Nachweis der Zustellung das mit Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts oder eines gemäß der Rechtsanwaltsordnung bestellten Zustellungsbevollmächtigten, des Notars oder Gerichtsvollziehers oder der Behörde oder Körperschaft.
Die Zustellung nach § 212a ZPO setzt voraus, daß der Empfänger persönlich Kenntnis von seinem Gewahrsam an dem zuzustellenden Schriftstück erhalten hat und durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses den Willen äußert, das Schriftstück als zugestellt anzunehmen (vgl. BGH NJW 1979, 2566; BGH NJW 1981, 462, 463; BGH NJW 1994, 526). Unerläßlich ist, daß der Empfänger einen schriftlichen Zustellungsnachweis ausstellt. Der bloße Nachweis des Zugangs ersetzt ein solches Empfangsbekenntnis nicht (BAG Urteil vom 27. Mai 1971 – 5 AZR 31/71 – AP Nr. 4 zu § 212a ZPO; BGHZ 30, 299, 303; BGH NJW 1989, 1154; a. A.: BFHE 159, 425, 427 zu § 5 Abs. 2 VwZG). Wird die Ausstellung eines schriftlichen Empfangsbekenntnisses verweigert, kann die Zustellung nur auf andere Art und Weise, insbesondere durch die Post oder den Gerichtsvollzieher, erfolgen.
Nicht erforderlich ist, daß das Empfangsbekenntnis sogleich bei Zugang ausgestellt wird. Bei verspäteter Ausstellung wirkt es auf den Zeitpunkt zurück, zu dem der Empfänger das Schriftstück als zugestellt entgegengenommen hat (BAG Urteil vom 27. Mai 1971 AP, aaO; BGHZ 35, 236, 239; vgl. BGH NJW 1979, 2566). Hat der Empfänger seinen Willen äußerlich kundgetan, das Schriftstück als zugestellt zu behandeln, so kann er sich nicht später darauf berufen, daß er die Zustellung erst zu einem späteren Zeitpunkt habe entgegennehmen wollen (BGH NJW 1974, 1469, 1470).
Die Zustellung gemäß § 212a ZPO an eine Behörde ist nicht bereits mit dem Zugang des Schriftstückes bewirkt. Erforderlich ist vielmehr, daß der hierfür zuständige Bedienstete der Behörde von dem Zugang des Schriftstückes Kenntnis erhält und den Empfang bestätigt (vgl. BVerwG Buchholz 340, § 5 VwZG Nr. 13; BVerwG NJW 1980, 2427; Hess. VGH NVwZ-RR 1993, 672; VGH Bad.-Württ. VBlBW 1991, 385; BSG SozR 1960 Nr. 2 zu § 5 VwZG; BSG SozR Nr. 4 zu § 5 VwZG).
b) Welcher Bedienstete innerhalb der Behörde für die Entgegennahme von Zustellungen zuständig ist, richtet sich nach der behördeninternen Aufgabenverteilung. Der Behörde ist es dabei freigestellt, wie sie intern den Empfang von Schriftstücken organisiert und wem sie die eventuell hierbei erforderlichen Mitwirkungshandlungen überträgt. Einer nach außen hin bestehenden Vertretungsberechtigung eines Mitarbeiters muß nicht zugleich auch eine innerbehördliche Zuständigkeit folgen. Insbesondere der Behördenleiter ist nicht verpflichtet, bei der Zustellung im vereinfachten Verfahren selbst mitzuwirken und das Empfangsbekenntnis auszustellen. Diese Aufgabe kann anderen Mitarbeitern übertragen werden. Das gilt selbst dann, wenn sich der Behördenleiter die gesamte Post vor der weiteren Bearbeitung durch die zuständigen Mitarbeiter vorlegen läßt. Dies soll ihm lediglich eine grobe Übersicht über die Eingänge ermöglichen. Er ist deswegen aber nicht gehalten, einzelne Eingänge bereits zu bearbeiten, insbesondere über die Entgegennahme von Zustellungen zu entscheiden und Empfangsbekenntnisse auszustellen. Dieses kann einem Sachbearbeiter überlassen bleiben, der mit dem Verfahren näher vertraut ist. Ein solches Vorgehen ist auch sachgerecht, da der Sachbearbeiter regelmäßig über die Umstände des Einzelfalles besser informiert sein wird und das Notwendige veranlassen kann. Der Behörde steht es frei, die Zuständigkeit für die Entgegennahme von Zustellungen so zu regeln, daß die Führung eines Rechtsstreits insgesamt, also einschließlich der Zustellungen, in einer Hand bleibt. Zwar ist es einem Behördenleiter nicht verwehrt, einen Vorgang an sich zu ziehen, ihn zu bearbeiten und dementsprechend auch Zustellungen zu bestätigen. Er ist jedoch hierzu nicht verpflichtet. Der Behördenleiter muß nicht zugleich entscheiden, wie mit einem Schriftstück weiterzuverfahren ist, insbesondere ob es als zugestellt angenommen wird.
Die durch die behördeninterne Zuständigkeitsverteilung bedingte Verzögerung ist hinzunehmen. Aus Gründen der Kostenersparnis hat das Gesetz mit der vereinfachten Zustellung nach § 212a ZPO eine weitere Zustellungsmöglichkeit eröffnet, bei der jedoch die Mitwirkung des Empfängers notwendig ist. Nach § 212a ZPO ist dem Empfänger aber nicht vorgeschrieben, wie er die Entgegenahme von Zustellungen zu organisieren hat. Es ist prozessual nicht gehalten, für eine möglichst schnelle Zustellung und entsprechende Bestätigung zu sorgen. Selbst wenn der Empfänger jegliche Mitwirkung bei der Zustellung nach § 212a ZPO verweigert, bleibt dies prozessual folgenlos (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 18. Aufl., § 198 Rz 7; vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 198, Rz 6, 15). In diesem Fall bleibt dem Gericht nur die Möglichkeit, durch Dritte, z. B. die Post oder einen Gerichtsvollzieher, zustellen zu lassen.
3. Das arbeitsgerichtliche Urteil ist der Beklagten nicht bereits am 7. November 1991 zugestellt worden.
a) Zwar hat der Referent, Herr Dr. M…, das Urteil an diesem Tag erhalten. Er hat jedoch weder sogleich noch zu einem späteren Zeitpunkt seinen Willen bekundet, das Urteil als zugestellt anzunehmen, bzw. ein Empfangsbekenntnis hierüber ausgestellt. Das handschriftliche Kürzel auf dem Urteil läßt nicht den Schluß auf einen derartigen Annahmewillen zu. Der Vermerk drückt lediglich aus, daß das Urteil an einen bestimmten Tag dem Referenten vorgelegen hat. Daraus ergibt sich aber nicht, daß damit nach dem Willen des Referenten auch die Zustellung vollzogen sein sollte. Allein aus dem dem Eingangsstempel beigefügten Kürzel läßt sich nicht entnehmen, Herr Dr. M… habe eine Entscheidung bezüglich der Zustellung treffen wollen. Zweifel an einem solchen Annahmewillen ergeben sich bereits daraus, daß er es unterlassen hat, das Empfangsbekenntnis zu unterschreiben. Hätte ein Annahmewille bezüglich der Zustellung bestanden, so hätte es auch nahe gelegen, sogleich das Empfangsbekenntnis auszustellen.
Das Landesarbeitsgericht folgert den Annahmewillen des Referenten im wesentlichen daraus, daß das Urteil des Arbeitsgerichts an die betreffende Behörde adressiert war. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß eine Zustellung nach § 212a ZPO erst dann vollzogen ist, wenn der Empfänger das Schriftstück nicht nur entgegennimmt, sondern darüber hinaus auch als zugestellt annimmt. Daran fehlt es beispielsweise, wenn das Schriftstück deshalb zurückgewiesen wird, weil der Empfänger die Zustellung für unwirksam hält (vgl. BGH NJW 1989, 1154).
b) Die vorliegende Entscheidung steht nicht im Widerspruch zu dem Beschluß des Bundesfinanzhofes in BFHE 125, 18, der zu § 5 Abs. 2 VwZG ergangen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ist es ebenfalls erforderlich, daß der Empfänger bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen (BFHE 102, 457, 459). Der Bundesfinanzhof ist davon ausgegangen, daß diese Empfangsbereitschaft bereits dann vorliegt, wenn der Vorsteher des Finanzamtes den Eingangsstempel auf dem Empfangsbekenntnis mit Grünstift abgestrichen hat (BFHE 125, 18, 19). Die Besonderheit dieses Falles liegt jedoch darin, daß sich das Handzeichen des Vorstehers nicht auf der Urteilsausfertigung, sondern auf dem Empfangsbekenntnis befand. Dieser Umstand rechtfertigt eine abweichende rechtliche Beurteilung. Befindet sich das Handzeichen aber nicht auf dem Empfangsbekenntnis, sondern auf der Urteilsausfertigung, so kann daraus nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß sich die Annahmebereitschaft auch auf die Zustellung bezieht.
c) Das von Herrn B… am 11. November 1991 ausgestellte Empfangsbekenntnis wirkt nicht auf den 7. November 1991 zurück. Herr B… hat das Urteil erst am 11. November 1991 erhalten. Somit konnte er selbst den Empfang des Urteils auch nur zu diesem Datum bestätigen.
d) Schließlich enthalten auch die Darlegungen des Anwalts der Beklagten zur innerbehördlichen Weiterleitung des Urteils in den Schriftsätzen vom 4. November 1993 und 18. März 1994 keinen Hinweis auf ein Empfangsbekenntnis, das auf den 7. November 1991 zurückwirkt. Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei überhaupt um ein Empfangsbekenntnis handelt. Ein solches rückwirkendes Empfangsbekenntnis kann jedenfalls nur derjenige abgeben, der zu dem maßgeblichen Zeitpunkt das Schriftstück erhalten hat. Das ist im vorliegenden Fall Herr Dr. M… . Erklärungen Dritter mögen zwar für den Nachweis des Zugangs eines Schriftstücks bedeutsam sein, ersetzen jedoch nicht ein Empfangsbekenntnis. Herr Dr. M… selbst hat keine schriftliche Erklärung zu dem Empfang des Urteils abgegeben.
Nach alledem war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben.
Unterschriften
Schaub, Friedrich, Schneider
Fundstellen