Entscheidungsstichwort (Thema)

Forderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Schriftstück geht einer Behörde bereits in dem Zeitpunkt zu, in dem der Leiter eines Referats das Schriftstück abzeichnet und es nicht der Übermittlungsperson (z. B. Bundespost) zurückgibt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Leiter des Referats erkennen kann, daß das Schriftstück für seine Behörde bestimmt ist. Der Zeitpunkt, zu dem der Sachbearbeiter das Schriftstück zur Kenntnis nimmt, ist unerheblich.

2. § 212a ZPO verlangt ein schriftliches Empfangsbekenntnis. Dieses muß nicht in Form der Zustellungskarte abgegeben werden. Schriftsatzform genügt, wobei nicht die Unterzeichnung desjenigen erforderlich ist, der den Annahmewillen betätigt hat; die Unterzeichnung durch einen Vertretungsberechtigten (z. B. Prozeßbevollmächtigten) genügt.

 

Normenkette

ZPO § 212a

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Urteil vom 25.07.1991; Aktenzeichen 4 Ca 5355/90)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 02.12.1994; Aktenzeichen 4 AZB 17/94)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.07.1991 – 4 Ca 5355/90 – wird auf Kosten der Berufungsführerin als unzulässig verworfen.

2. Die Revisionsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit am 25.07.1991 verkündeten Urteil die von der Klägerin begehrte Höhergruppierung ausgesprochen. Das mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil ist der Beklagten gemäß § 212 a ZPO zugestellt worden. Über den Zeitpunkt der Zustellung herrscht zwischen den Parteien Streit. Das Urteil ist bei der Oberfinanzdirektion Nürnberg am 05.11.1991 eingegangen und dem zuständigen Referat für Verteidigungslasten am 07.11.1991 vorgelegt worden. Der damalige Referent M., der zur Entscheidung berechtigt war, ob eingehende Schriftstücke (einschließlich arbeitsgerichtliche Urteile) als zugestellt anzusehen sind oder an die Post zurückgegeben werden, versah das Urteil mit einem handschriftlichen Vermerk. Das Urteil ging anschließend an die Referatsregistratur zurück, von wo aus es vermutlich am Freitag, den 08.11.1991, auf den Tisch des Sachbearbeiters ORR B. gelangte, dem der Referent im Verfahren erster Instanz Terminsvollmacht erteilt hatte. Am Montag, den 11.11.1991 unterzeichnete ORR B. das vom Arbeitsgericht vorbereitete Empfangsbekenntnis (Zustellungskarte), nachdem dieser wahrscheinlich am 08.11.1991 wegen eines auswärtigen Termins abwesend war.

Mit Schriftsatz vom 09.12.1991, beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 10.12.1991 eingegangen, legten die rechtsanwaltschaftlichen Vertreter der Beklagten Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 08.01.1992 beantragten sie Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und Abweisung der Klage.

Die Klägerin ist der Meinung, die Berufungsfrist sei versäumt, und beantragt deshalb, die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen.

Demgegenüber hält die Beklagte die Berufung für rechtzeitig eingelegt. Der Referent M. habe erst dann den Willen einer Annahme eines Schriftstücks als zugestellt betätigen können, wenn zweifelsfrei festgestanden habe, daß ein Schriftsatz für die Oberfinanzdirektion bestimmt gewesen sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten zur Frage der Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung wird auf die Schriftsätze vom 04.11.1993 und 18.03.1994 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Berufung ist unzulässig, da die einmonatige Berufungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht eingehalten worden ist.

Das Urteil ist der Beklagten (spätestens) am 07.11.1991 zugestellt worden, die Berufungsfrist von einem Monat endete, da der 07.12.1991 ein Samstag war, nach §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 222 Abs. 1, 2 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 BGB am Montag, den 09.12.1991, 24.00 Uhr. Der Berufungsschriftsatz ist jedoch erst am 10.12.1991 und damit verspätet eingegangen. Im einzelnen gilt folgendes:

1. Nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 212 a ZPO kann einer Behörde, mittels Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Die Behörde ist im Rahmen des § 212 a ZPO als solche Zustellungsadressat (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO-Komm., 52. Aufl., Anm. 2 zu § 212 a; Thomas-Putzo, ZPO-Komm., 18. Aufl., Anm. 1 zu § 212 a), nicht ist es der Behördenvorstand. Zustellungsadressat ist auf Beklagtenseite die Oberfinanzdirektion Nürnberg, da sie – zwischen den Parteien unstreitig – für den vorliegenden Rechtsstreit die zuständige Vertretungsbehörde auf seiten der Beklagten ist.

Für eine Zustellung nach § 212 a ZPO ist erforderlich, daß

  • ein Wille der Geschäftsstelle vorliegt, dem Adressaten ein Schriftstück zum Verbleib zuzustellen;
  • die Übermittlung des Schriftstücks in der Weise erfolgt ist, daß der Adressat einen Gewahrsam erlangt;
  • der Wille des empfangenden Adressaten gegeben ist, das erkanntermaßen in seinen Gewahrsam gelangte Schriftstück als zugestellt anzusehen;
  • die Ausstellung eines mit Datum und Unterschrift versehenen schriftlichen Empfangsbekenntnisses vorliegt (BGH, VersR 82, 273; BGHZ 48, 335).

Die beiden erstgenannten Erfordernisse einer wirksamen Zustellung liegen zweifellos ...

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