Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines ehrenamtlichen Richters
Leitsatz (redaktionell)
Parallelverfahren zu Senatsbeschluß vom 6. August 1997 – 4 AZR 789/95 (A) –, zur Veröffentlichung vorgesehen
Normenkette
ArbGG § 49; ZPO §§ 48, 42
Verfahrensgang
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den ehrenamtlichen Richter … D. wird als unbegründet zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
Die Klägerin ist staatlich anerkannte Sozialarbeiterin. Sie ist bei der Beklagten seit dem 1. März 1979 mit Amtsvormundschaften und Pflegschaften und seit dem Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes am 1. Januar 1992 mit Betreuungen befaßt. Die Betreuungen betreffen unterschiedliche Aufgabenkreise wie beispielsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Vermögens sorge und die Zustimmung zu ärztlichen Heilmaßnahmen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich nach dem BAT. Die Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 13. Juli 1992 rückwirkend ab 1. Januar 1991 in die VergGr. IV a Fallgruppe 16 BAT eingruppiert und die Heraushebungsmerkmale nur mit 40 % anerkannt. Die Klägerin meint, sie sei in die Fallgruppe 15 eingruppiert. Sie verlangt mit ihrer Klage Feststellung, daß sie nach vierjähriger Tätigkeit in der VergGr. IV a Fallgruppe 15 nach VergGr. III BAT zu vergüten ist.
Das Arbeitsgericht hat der Klage der Klägerin entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Nach Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 6. August 1997 teilte der danach zuständige ehrenamtliche Richter …D., der Geschäftsführer der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. (AVH) ist, mit Schreiben vom 25. April 1997 folgendes mit:
„… In den beiden letztgenannten Verfahren 4 AZR 866/95 und 789/95 ist
- das Land FHH – Senatsamt für den Verwaltungsdienst – Personalamt – Partei, das Mitglied der AVH ist; zur FHH gehört auch die BAGS, die Beschäftigungsbehörde beider Klägerinnen und
- waren Prozeßbevollmächtigte zweiter Instanz die Herren Dr. S. pp. für die AVH (Juristen des o.g. Personalamtes mit Dauervollmacht der AVH).
Als Geschäftsführer der AVH habe ich zwar formell weder mit Personal fragen der Stadt noch mit deren Prozessen zu tun, noch bin ich für die Prozeßvollmachten verantwortlich, die der Vorsitzende des Vorstandes der AVH unterschreibt. Ich fühle mich auch nicht befangen. Gleichwohl verstünde ich die Besorgnis der Befangenheit bei den Klägerinnen gegenüber meiner Person. …”
Dieses Schreiben wurde den Parteien zur Stellungnahme übersandt.
Die Klägerin beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 14. Mai 1997, den ehrenamtlichen Richter … D. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung hat sie ausgeführt:
„… aufgrund der beruflich bedingten Gegebenheiten (könne) nicht ausgeschlossen werden, daß in dem hiesigen Verfahren die Neutralität und Distanz des Herrn … D. gegenüber den Parteien als Voraussetzung für ein faires Verfahren nicht mehr gewährleistet ist.
Nicht umsonst hat Herr … D. selber empfohlen, ihn für die beiden Verfahren zu entbinden.”
Die Beklagte hat erklärt, den Ausführungen der Klägerin werde nicht entgegengetreten, eine eigene Stellungnahme werde jedoch nicht abgegeben.
Entscheidungsgründe
II. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
1. Das Ablehnungsgesuch ist formgerecht eingebracht worden. Einer Glaubhaftmachung der vorgebrachten Ablehnungsgründe bedurfte es nicht, da diese offenkundig sind (§ 291 ZPO).
2.a) Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist. Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Bei Anlegung dieses objektiven Maßstabes kommt es entscheidend darauf an, ob die Prozeßpartei, die das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von ihrem Standpunkt aus Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Es muß also die Befürchtung bestehen, daß der abgelehnte Richter in die Verhandlung und Entscheidung des gerade anstehenden Falles sachfremde, unsachliche Momente mit einfließen lassen könnte und den ihm unterbreiteten Fall nicht ohne Ansehen der Person nur aufgrund der sachlichen Gegebenheiten des Falles und allein nach Recht und Gesetz entscheidet. Damit ist unter Befangenheit ein Zustand zu verstehen, der eine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache beeinträchtigt (BFHE 90, 160 f., 164). Die bereits erfolgte Bildung einer bestimmten Meinung (z.B. zur Rechtslage oder zur Beurteilung des Sachverhalts) genügt danach nicht, wenn nicht der Verdacht der Unsachlichkeit bei Bildung oder Beibehaltung der Meinung besteht (Bork in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 42 Rz 2). Das Ablehnungsverfahren nach § 42 Abs. 2 ZPO dient dementsprechend allein dazu, die Beteiligten vor der Unsachlichkeit des Richters aus einem in seiner Person liegenden Grund zu bewahren. Eine den Beteiligten ungünstige und möglicherweise auch unrichtige Rechtsauffassung kommt als Ursache für die Parteilichkeit des Richters nicht in Betracht, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür (BAGE 71, 293, 295 = AP Nr. 9 zu § 42 ZPO, mit weiteren Nachweisen).
b) Entscheidend ist nach alledem nicht, ob der Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus gesehen (BVerfGE 73, 330, 335; BGHZ 77, 70, 72; BVerwG in NJW 1988, 722) genügend objektive, d.h., nicht nur in der Einbildung der Partei wurzelnde Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind. Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erzeugen (Schneider, DRiZ 1978, 42 ff.; Wassermann in Festschrift für M. Hirsch, 1981, S. 465, 477 ff., mit weiteren Nachweisen). Daraus folgt aber zugleich, daß als Ablehnungsgrund nicht anerkannt werden können vom Gesetzgeber für unerheblich erklärte, geforderte oder gewünschte Eigenschaften eines Richters (BVerfG Beschluß vom 5. April 1990 – 2 BvR 413/88 – NJW 1990, 2457, 2458; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters – Befangenheit und Parteilichkeit – im deutschen Verfassungs- und Verfahrensrecht S. 98 ff.). Vielmehr muß stets etwas Zusätzliches zu diesen Umständen hinzutreten (Bork in Stein/Jonas, a.a.O., § 42 Rz 2 a; vgl. auch BAG Beschluß vom 10. Juli 1996 – 4 AZR 759/94 (A) – AP Nr. 4 zu § 49 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
III.1. Aus dem Vortrag der Klägerin in Verbindung mit der Mitteilung des ehrenamtlichen Richters … D. vom 25. April 1997 ergeben sich keine Gründe, die geeignet sind, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Als Grund ist lediglich angegeben, dieser sei Geschäftsführer der AVH, deren Mitglied die Beklagte sei und von der sie in zweiter Instanz vertreten worden sei.
2. Art. 92 GG verlangt, daß die rechtsprechende Gewalt durch staatliche Gerichte ausgeübt wird. Diesem Gebot entsprechen auch Spruchkörper, denen neben den Berufsrichtern andere Personen aufgrund ihrer Sachkunde für eine besondere Materie als Richter angehören (BVerfGE 42, 206, 208, mit weiteren Nachweisen).
Nach den Regelungen des Arbeitsgerichtsgesetzes gehört es dementsprechend zu den tragenden Grundsätzen des Arbeitsgerichtsverfahrens und der Bildung der Richterbank im Arbeitsgerichtsprozeß, daß an der Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen in allen Instanzen grundsätzlich ehrenamtliche Richter aus Kreisen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber mitwirken (§§ 16, 35, 41 ArbGG). Nach § 20 ArbGG werden die ehrenamtlichen Richter von der zuständigen obersten Landesbehörde unter billiger Berücksichtigung der Minderheiten aus den Vorschlagslisten entnommen, die dieser Behörde von den im Gerichtsbezirk bestehenden Gewerkschaften, selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von den in § 22 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG bezeichneten Körperschaften oder deren Arbeitgebervereinigungen eingereicht werden. Das gleiche gilt für die ehrenamtlichen Richter an den Landesarbeitsgerichten (§ 37 Abs. 2 ArbGG) und die ehrenamtlichen Richter am Bundesarbeitsgericht (§ 43 Abs. 1 ArbGG). Die ehrenamtlichen Richter sind nach ihrer Berufung gemäß § 45 Abs. 2 DRiG vor ihrer Dienstleistung durch den Vorsitzenden auf die Erfüllung der Obliegenheiten ihres Amtes zu vereidigen. Nach diesen gesetzlichen Regelungen entspricht es den Grundsätzen des Arbeitsgerichtsgesetzes nicht nur, daß überhaupt Vertreter von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden als vollberechtigte Richter an den Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen teilnehmen, sondern auch, daß diese Richter auf Vorschlag insbesondere von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen berufen werden. Den Regelungen des Arbeitsgerichtsgesetzes ist es damit systemimmanent, daß sowohl von den Gewerkschaften wie von den Arbeitgebervereinigungen Personen als ehrenamtliche Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit vorgeschlagen werden, die der vorschlagenden Vereinigung oder einer ihr angeschlossenen Vereinigung entweder als Mitglieder angehören oder ihr aber zumindest nahestehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAGE 20, 271, 274 = AP Nr. 2 zu § 41 ZPO, zu II 4 der Gründe) ergibt sich aus diesen Regelungen des Arbeitsgerichtsgesetzes aber weiterhin, daß der Gesetzgeber davon ausgeht, die so vorgeschlagenen Richter aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkreisen würden ungeachtet ihrer Stellung im Sozialleben und ihrer Mitgliedschaft zu den vorschlagenden Verbänden und Vereinigungen die ihnen übertragenen Amtspflichten gewissenhaft und ohne Rücksicht auf Belange der vorschlagenden Vereinigungen und Verbände erfüllen. Damit hat aber im Arbeitsgerichtsverfahren der Arbeitsrichter die Funktion, in der Richterbank dafür Sorge zu tragen, daß bei der Verhandlung, Beratung und Entscheidung eines Falles gerade auch die standes- und berufsspezifischen Belange seiner Seite zur Geltung gebracht und mitberücksichtigt werden, wobei eben die paritätische Besetzung der Richterbank mit Vertretern aus den betroffenen sozialen Gruppen mit ihren typischerweise polaren Interessen die besondere Vertrautheit der Beisitzer mit den jeweiligen Lebensverhältnissen und damit eine entsprechende Sachkunde gewährleisten soll (Däubler, AuR 1976, 369 ff.). Selbst wenn man hierin eine einseitige Ausrichtung der Interessen sehen wollte, fehlt es jedoch regelmäßig an der besonderen Einstellung des Richters gerade zu dem konkreten Fall als solchem, was jedoch wesentliche Voraussetzung jeder Parteilichkeit ist. Das hier zum Ausdruck kommende Interesse ist vielmehr allgemeiner Art; dies ergibt jedoch keinen Ablehnungsgrund. Es mag zwar sein, daß der jeweilige ehrenamtliche Richter am Verlauf und insbesondere am Ausgang des Verfahrens deshalb persönlich interessiert ist, weil er hiervon irgendwie „mitbetroffen” wird. Ausschlaggebend ist allein, daß er in dem konkreten Rechtsstreit selbst nicht mit einbezogen ist, daß er weder formell noch „nur” materiell an ihm „beteiligt” ist. Auf den konkreten Rechtsstreit bezogen, ist er vielmehr nur außenstehender Dritter, an einer eigentlichen individuell-konkreten und damit „besonderen” Beziehung gerade zu diesem konkreten Rechtsstreit fehlt es (Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl., § 42 Rz 32; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters – Befangenheit und Parteilichkeit – im deutschen Verfassungs- und Verfahrensrecht, S. 60 f.).
3. Zusätzliche Umstände, die im vorliegenden Fall die Befangenheit des ehrenamtlichen Richters … D. gleichwohl begründen könnten, liegen nicht vor. Insbesondere können sie nicht daraus entnommen werden, daß dieser Geschäftsführer der AVH ist. Weder nach seiner Mitteilung noch nach dem Vortrag der Klägerin war Herr … D. an dem Verfahren oder der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien in irgendeiner Weise beteiligt. Nicht einmal die Prozeßvollmachten der die Beklagte in zweiter Instanz vertretenden Prozeßbevollmächtigten sind von ihm erteilt worden.
4. Nach alledem erweist sich das Ablehnungsgesuch der Klägerin als unbegründet.
Unterschriften
Schaub, Friedrich, Schneider, E. Wehner, Gotsche
Fundstellen