Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6; ArbGG n.F. § 48 Abs. 1; GVG § 17a Abs. 2; GVG n.F. § 17a Abs. 4, § 17b Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 29.03.1995; Aktenzeichen 11 Ca 137/95) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Freiburg bestimmt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung.
Der Kläger wurde aufgrund Arbeitsvertrages vom 1. September 1991 für die Beklagte als „Medienberater” mit einem Monatsverdienst von zuletzt 12.705,00 DM brutto tätig. Im Arbeitsvertrag heißt es:
„Die Firma behält sich vor, Herrn R. mit anderen, seinen Kenntnissen und seiner Vorbildung entsprechenden Tätigkeiten zu betrauen und an einen anderen Arbeitsplatz – auch an einen anderen Ort – zu versetzen, ohne daß es hierzu einer Kündigung bedarf. Der Arbeitsplatz ist Wiesbaden, bei entsprechender Notwendigkeit kann auch ein anderer Arbeitsplatz einvernehmlich vereinbart werden.”
Die Beklagte betreibt ein Unternehmen, das sich mit der Abrechnung und computergestützten Verarbeitung von „Pay-TV-Programmen”, die für Abonnenten in den USA ausgestrahlt werden, beschäftigt. Der Kläger wurde europaweit tätig. Er hatte Geschäftspartner an verschiedenen Orten Europas zu besuchen.
Mit seiner beim Arbeitsgericht Wiesbaden erhobenen Klage wendet er sich gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vom 14. November 1994.
Nach Gewährung rechtlichen Gehörs erklärte sich das Arbeitsgericht Wiesbaden durch Beschluß vom 22. Februar 1995 für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Freiburg. Dies sei das Gericht des Erfüllungsortes. Die Hauptverpflichtung des Klägers, nämlich als Medienberater zu arbeiten, sei durch den Sitz der jeweiligen Geschäftspartner bestimmt. Bei solchen Arbeitsverhältnissen sei ein einheitlicher Leistungsort aus § 269 Abs. 1 BGB anzunehmen. Den Ausschlag gebe der Ort, der als Schwerpunkt der Dienstleistung anzusehen sei. Dies könne der Wohnsitz des Dienstverpflichteten sein, wenn dieser einen fest umrissenen Bezirk betreue, mit dem er immer wieder an seinen Wohnsitz zurückkehre, um von dort aus Schriftverkehr mit Kunden und Arbeitgeber zu erledigen. Da der Kläger hier keinen festen Bezirk betreue, fehle es an einem Schwerpunkt der Arbeitsleistung am Wohnsitz des Arbeitnehmers. Der Wohnsitz habe dann nur untergeordnete Bedeutung; der Arbeitnehmer könne praktisch überall wohnen, ohne das dies seine Arbeitspflicht beeinträchtigen würde. Hinzu komme, daß die notwendigen schriftlichen Arbeiten mittels mobiler Datenerfassung schon am Ort der Hauptleistung, z.B. unverzüglich in einem Beratungsgespräch erledigt würden und auch die Datenübermittlung durch moderne Telekommunikationsformen nicht mehr zwingend vom und zum „Büro des Arbeitnehmers an seinem Wohnsitz” erfolgen müßten. Der Wohnort des Außendienstmitarbeiters verliere damit immer mehr an Bedeutung. Im vorliegenden Fall komme mit hinzu, daß der Kläger durch seine europaweite Reisetätigkeit zu Hause nur schwer für Kunden ansprechbar gewesen sei. In solchen Fällen bestimme der Sitz der Betriebsstätte des Arbeitgebers deutlich den Schwerpunkt der Arbeitsleistung. Nur dieser komme hier als Erfüllungsort in Betracht.
Das Arbeitsgericht Freiburg (Kammern Offenburg) hat sich durch Beschluß vom 29. März 1995 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt. Es hat sich dabei zur Begründung auf den Beschluß des Senats vom 3. November 1993 (– 5 AS 20/93 – AP Nr. 11 zu § 17 a GVG = EzA ZPO § 36 Nr. 18) bezogen. Daraus ergebe sich ohne weiteres die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Wiesbaden. Das Abweichen von dieser gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lasse den Beschluß des Arbeitsgerichts Wiesbaden als offensichtlich fehlerhaft erscheinen. Zunehmend geschehe es, daß in Fällen wie dem vorliegenden ein reisender Arbeitnehmer am Gericht seines Wohnortes im Vertrauen auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Klage erhebe, das dortige Arbeitsgericht dann aber in Abweichung von dieser Rechtsprechung den Rechtsstreit – unanfechtbar – an das Arbeitsgericht des Gerichtsstandes nach § 17 ZPO verweise. Der gesetzliche Normzweck der Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen nach § 48 ArbGG kehre sich hier in sein Gegenteil um. Da die obergerichtliche ordnende Hand fehle, könne sich ein Kläger wie im vorliegenden Fall nicht mehr darauf verlassen, daß das Arbeitsgericht seines Wohnortes tatsächlich die örtliche Zuständigkeit bejahe. Er laufe immer Gefahr, daß insbesondere in Kündigungsschutzprozessen eine Verzögerung durch einen Verweisungsbeschluß eintrete. Auch von Anwälten werde zunehmende Rechtsunsicherheit beklagt. Hinzu komme im Streitfall, daß sich das Arbeitsgericht Wiesbaden über die arbeitsvertragliche Vereinbarung hinweggesetzt habe, wonach der Arbeitsplatz Wiesbaden ist.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist das Arbeitsgericht Freiburg. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist bindend.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Die Arbeitsgerichte Wiesbaden und Freiburg haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch formell unanfechtbaren Beschluß vom 22. Februar 1995, letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Beschluß vom 29. März 1995, der als – im Sinne des § 36 Nr. 6 ZPO rechtskräftige – (Rück)Verweisung anzusehen ist (BGHZ 102, 338, 340 = NJW 1988, 1794, 1795; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – AP Nr. 11 zu § 17 a GVG = EzA § 36 ZPO Nr. 18).
2.a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F., § 48 Abs. 1 ArbGG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – AP, a.a.O. = EzA, a.a.O.). Nur so kann der Zweck des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesem Fall ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.
Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992, – 5 AS 4/92 – BAGE 70, 374 = AP Nr. 39 zu § 36 ZPO = EzA § 17 a GVG Nr. 1; Zöller-Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 36 Rz 25, 28; einschränkend zum neuen Recht Zöller-Gummer, a.a.O., GVG § 17 a Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992, a.a.O.; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).
b) Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Senat hat mehrfach entschieden, daß im Hinblick auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) bei Arbeitsverhältnissen i.d.R. von einem einheitlichen (gemeinsamen) Erfüllungsort auszugehen ist und daß dies der Ort ist, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat (BAG Beschluß vom 12. März 1992 – 5 AS 10/91 –, n.v.; BAG Beschluß vom 3. November 1993 – 5 AS 20/93 – a.a.O., BAG Beschluß vom 30. März 1994 – 5 AS 6/94 – n.v.). Das für diesen Ort zuständige Gericht ist auch für Kündigungsschutzklagen zuständig. Auf die Frage, von wo aus das Arbeitsentgelt gezahlt wird und wo sich die Personalverwaltung befindet, kommt es regelmäßig nicht an. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Erfüllungsort für die Arbeitsleistung eines für die Bearbeitung eines größeren Bezirks angestellten Reisenden ist aber dessen Wohnsitz, wenn er von dort aus seine Reisetätigkeit ausübt. Dies gilt unabhängig davon, ob er täglich nach Hause zurückkehrt und in welchem Umfang er vom Betrieb Anweisungen für die Gestaltung seiner Reisetätigkeit erhält (BAG Urteil vom 12. Juni 1986 – 2 AZR 398/85 – AP Nr. 1 zu Art. 5 Brüsseler Abkommen). Dies ist jedoch keinesfalls unumstritten. Auch in der neueren Literatur wird teilweise mit vertretbaren Gründen ein anderer Standpunkt eingenommen (vgl. Krasshöfer-Pidde/Molkenbur, NzA 1988, 236, 237 f.; Ostrop/Zumkeller, NZA 1994, 644; 1995, 16).
Der Senat hat mehrfach ausgesprochen, daß von einer offensichtlichen Gesetzwidrigkeit nicht die Rede sein kann, wenn sich ein Arbeitsgericht dieser – vom Senat im Grundsatz nicht geteilten – Auffassung anschließt (Beschlüsse vom 8. März 1995 – 5 AS 1/95 – und vom 29. Mai 1995 – 5 AS 11/95 –, n.v.). Auch daran hält der Senat fest.
Es ist wünschenswert, daß gerade auch in Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit die höchstrichterliche Rechtsprechung durchgängig befolgt wird. Das rechtfertigt es jedoch nicht, eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung und damit eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel, daß rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend sind, schon immer dann anzunehmen, wenn von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen wird. Das gilt gerade auch im vorliegenden Fall, der einen atypischen Außendienstmitarbeiter betrifft.
Schließlich ist der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Wiesbaden auch nicht deshalb offensichtlich gesetzwidrig, weil er der Vereinbarung der Parteien, wonach „der Arbeitsplatz … Wiesbaden” ist, keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Welche Bedeutung Erfüllungsortvereinbarungen für die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit haben, ist umstritten (vgl. einerseits Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 2 Rz 162 und andererseits Grunsky, ArbGG, 6. Aufl., § 2 Rz 39a). Der Senat hat sich dazu noch nicht geäußert.
3. Es verbleibt daher bei der Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Freiburg, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke
Fundstellen