Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6, § 29 Abs. 1, § 281 Abs. 2; ArbGG § 48 Abs. 1 n. F; GVG § 17a Abs. 2 n. F
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Beschluss vom 29.10.1991; Aktenzeichen 8 Ca 6122/91 A) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht München bestimmt.
Tatbestand
I. Das beklagte J. e. V. hat seinen Sitz in München. Die Kläger waren in F. beschäftigt.
Mit ihrer unter Berufung auf § 29 ZPO vor dem Arbeitsgericht Nürnberg – Gerichtstag A. – erhobenen Klage wenden sie sich gegen die mit Schreiben vom 19. September 1991 ausgesprochene Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.
Nach einem gerichtlichen Hinweis auf Bedenken hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit und der Gewährung rechtlichen Gehörs hat sich das Arbeitsgericht Nürnberg durch Beschluß vom 29. Oktober 1991 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar hätten die Kläger ihre Arbeitsleistung im Raum A. zu erbringen. Doch werde die Vergütung von München gezahlt, wo sich auch die Personalverwaltung befinde. Die Parteien hätten nicht den übereinstimmenden Willen gehabt, einen einheitlichen Erfüllungsort am Wohnsitz der Arbeitnehmer zu begründen. Das Arbeitsgericht München hat die Übernahme durch Beschluß vom 15. November 1991 abgelehnt, und zwar mit der Begründung, der Erfallungsort für die gegenseitigen Leistungen aus einem Arbeitsverhältnis – insbesondere bei Kündigungsschutzklagen – sei der Ort, an dem die Arbeitsleistung zu erbringen sei; daher sei das Arbeitsgericht Nürnberg zuständig gewesen. Daraufhin hat das Arbeitsgericht Nürnberg den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zum Zwecke der Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist das Arbeitsgericht München. Der Verweisungsbeschluß das Arbeitsgerichts Nürnberg bindet das Arbeitsgericht München, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann auch durch ein Gericht gestellt werden; ein Antrag einer Partei ist nicht erforderlich.
Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Die bindende Wirkung einer Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit in der Arbeitsgerichtsbarkeit ergab sich bislang aus § 46 Abs. 2 ArbGG, § 281 Abs. 2 ZPO; sie ergibt sich nunmehr aus § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG, die durch das 4. VwGOÄndG vom 17. Dezember 1990 (BGBl I S. 2809) neugefaßt worden sind. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO). Nur so kann der Zweck des § 281 Abs. 1 ZPO und des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG n. F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden.
Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber der Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 22. Januar 1992 – 5 AS 9/91 – n.v. zu II 3 a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164). Ein solcher Fall liegt nicht schon dann vor, wenn die Begründung des Verweisungsbeschlusses grob fehlerhaft ist (BAG Beschluß vom 1. März 1984 – 5 AS 5/84 – AP Nr. 35 zu § 36 ZPO).
2. Offensichtlich gesetzwidrig ist der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Nürnberg jedoch nicht.
Der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben zu Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelsachen entschieden, daß als Erfüllungsort, der nach dieser Bestimmung für die Zuständigkeit in Sachen mit Auslandsberührung maßgebend ist, bei allen Klagen aus Arbeitsverhältnissen nur der Ort der Arbeitsleistung anzusehen ist (EuGHE 1982, 1891; EuGHE 1989, 358 = EuZW 1990, 35; BAG Urteil vom 12. Juni 1986 – 2 AZR 398/85 – AP Nr. 1 zu Art. 5 Brüsseler Abkommen). Dieser Auffassung ist auch für § 29 ZPO zu folgen. Bei Arbeitsverhältnissen ist in der Regel von einem einheitlichen (gemeinsamen) Erfüllungsort auszugehen. Das ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat (Zöller/Vollkommer, ZPO, 17. Aufl., § 29 Rz 25 „Arbeitsvertrag”; MünchKomm-Keller, 2. Aufl., § 269 Rz 21, vgl. auch LAG Berlin, Urteil vom 19. Mai 1960 – 2 Sa 14/60 – AP Nr. 3 zu § 269 BGB). Das für diesen Ort zuständige Arbeitsgericht ist auch für Kündigungsschutzklagen zuständig. Auf die Frage, von wo aus das Arbeitsentgelt gezahlt wird und wo sich die Personalverwaltung befindet, kommt es regelmäßig nicht an.
Ob hier ein Ausnahmefall vorliegt, der Erfüllungsort also für die Zahlung der Vergütung und damit unter Umständen auch im Hinblick auf die Kündigungsschutzklage anders als für die Arbeitsleistung zu bestimmen ist, kann hier dahinstehen. Denn selbst wenn dies zu verneinen wäre, erweise sich der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Nürnberg keinesfalls als offensichtlich gesetzeswidrig, zumal da er sich auf Literaturstimmen stützen kann (Krasshöfer-Pidde/Molkenbur, NZA 1988, 236, 237; vgl. auch Grunsky, ArbGG, 6. Aufl., § 2 einerseits Rz. 39, andererseits Rz. 39 a).
Die örtliche Zuständigkeit soll nur einmal geprüft werden, und zwar von dem zunächst angerufenen Gericht. Der Gesetzgeber will langwierigen Streit über die örtliche Zuständigkeit vermeiden. Verneint das angerufene Gericht seine Zuständigkeit, so ist der Verweisungsbeschluß unanfechtbar (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG n. F.); bejaht es seine örtliche Zuständigkeit, so prüft das Rechtsmittelgericht nicht nach, ob die Vorinstanzen seine Zuständigkeit zu Recht angenommen hat (§ 65, § 73 Abs. 2, § 88, § 93 Abs. 2 ArbGG n.F.). Deshalb darf das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, die Übernahme nicht deswegen ablehnen, weil die Zuständigkeitsfrage nach seiner Auffassung abweichend von der Auffassung des verweisenden Gerichts beurteilt werden müsse (vgl. BAG Beschluß vom 1. März 1984 – 5 AS 5/84 – AP Nr. 35 zu § 36 ZPO zu II 3 b der Gründe).
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke
Fundstellen